L 1 KR 104/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 144/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 104/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 83/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Behandlung eines Lipödems im Wege der stationär durchgeführten Liposuktion gehört nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Auch im Anwendungsbreich des § 137c SGB V gilt, dass eine neue Behandlungsmethode erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, wenn ihre Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen möglich sind (a.A. Hessisches LSG, Urteil vom 5. Februar 2013 - L 1 KR 392/12 - juris Rn. 20).
3. Qualität und Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems entsprechen nicht dem Maßstab der evidenzbasierten Medizin.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 13. April 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin und Berufungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) begehrt von der Beklagten und Berufungsbeklagten (nachfolgend: Beklagte) die Übernahme der Kosten für eine stationär durchzuführende Liposuktion.

Die 1949 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin beantragte am 8. April 2011 und nochmals am 19. Juni 2011 die Kostenübernahme für eine Liposuktion. Zur Begründung gab sie an, dass trotz Kompressionsbehandlung und manueller Lymphdrainage keine Besserung ihres Lipödems zu verzeichnen sei. Beigefügt hatte sie eine Bescheinigung des Chefarztes der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Krankenhauses D -F , Prof. Dr. med. U W , vom 5. April 2011, der der Klägerin ein Lipödem Stadium I bescheinigte und weiter ausführte, dass die in Eigeninitiative durchgeführte Aktivität, wie Ernährungsumstellung, zu keinem weiteren Erfolg geführt habe. Kompressionsbestrumpfung werde bereits getragen. Er hielt eine Liposuktion für medizinisch indiziert, sinnvoll und wirtschaftlich. Diese werde voraussichtlich in zwei Sitzungen unter stationären Bedingungen erforderlich sein. Der von der Beklagten daraufhin eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Freistaat Sachsen (MDK) kam in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 5. Juli 2011 zu dem Ergebnis, dass die Liposuktion keine vertragsärztliche zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbare Methode darstelle. Es fehle an einer Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Leistungsrechtliche Ausnahmekriterien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestünden beim Lipödem nicht. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe den fehlenden Leistungsanspruch auf eine ambulante Liposuktion bestätigt. Im stationären Bereich sei die Liposuktion nicht ausgeschlossen. Allerdings könne den vorliegenden Unterlagen eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit aus medizinischen Gründen nicht entnommen werden. Konkrete medizinische Befunde und konkrete zeitliche und inhaltliche Angaben zur laufenden Therapie fehlten. Es sei daher gutachterlich nicht einschätzbar, ob Optimierungen der vom Krankenhausarzt pauschal genannten therapeutischen Bemühungen möglich seien, wie Ödemreduktion mittels komplexer Entstauungstherapie, ggf. Gewichtsoptimierung.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme unter Wiedergabe der vom MDK angeführten Gründe ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 24. August 2011 Widerspruch ein und verwies darauf, dass nach der Bescheinigung von Prof. Dr. med. W medizinische Behandlungsnotwendigkeit im stationären Bereich bestehe. Außerdem schilderte die Klägerin ihre bisherige Krankengeschichte und stattgefundene Therapien. Sie listete ihre aktuelle Medikation auf und machte weiter geltend, dass sie wegen der aneinander reibenden Fettlappen ständig wund sei, blaue Flecken bekomme und unter Druckschmerz leide.

Der von der Beklagten daraufhin erneut eingeschaltete MDK kam in seinem Gutachten vom 12. September 2011 zu dem Ergebnis, dass Hinweise auf eine Multimorbidität der Klägerin vorlägen, wegen der fehlenden konkreten Befunde gutachterlich aber keine Differenzierung zwischen einem pathologischen und kosmetischen Befund an den Extremitäten möglich sei. Die Klägerin legte daraufhin weitere Unterlagen wie den Entlassungsbrief von Prof. Dr. W vom 13. April 2011 und die Mitteilung des Physiotherapeuten vom 10. Oktober 2011 vor und gab eine Aufstellung der Diagnosen, Therapien und behandelnden Ärzte zur Verwaltungsakte. Des Weiteren reichte sie einen ärztlichen Bericht von Prof. Dr. W vom 17. Juli 2012 ein, wonach sie nunmehr an einem Lipödem Grad II leide. Der Mediziner hielt eine stationäre Krankenhausbehandlung weiterhin für erforderlich, da 1. infolge der Tumeszenzanästhesie kurzfristig mehrfach das Blutbild kontrolliert und durch Injektionen von Toluidinblau korrigiert werden müsse sowie 2. wegen der Tumeszenzanästhesie mehrfache Verbandswechsel unter sterilen Verhältnissen durchgeführt werden müssten. Eine Liposuktion in drei Sitzungen mit jeweils 5000 ml Tumeszenzanästhesie im Abstand von ca. acht Wochen unter stationären Bedingungen sei medizinisch indiziert, sinnvoll und wirtschaftlich.

In der Folgezeit wurden noch weitere medizinische Unterlagen von der Klägerin beigebracht bzw. von der Beklagten eingeholt, wie Arztbriefe von Prof. Dr. med. habil. L , Städtisches Krankenhaus D -N , in dessen Adipositas-Sprechstunde sich die Klägerin vorgestellt hatte, ein Ambulanzbrief von Prof. Dr. W vom 28. Juni 2013 und ein Befundbericht der Dipl.-Psychologin G vom 9. September 2013. Der von der Beklagten nochmals eingeschaltete MDK kam nach einer Begutachtung der Klägerin am 7. Oktober 2013 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. November 2013 zu dem Ergebnis, dass eine stationäre Krankenhausbehandlung ausschließlich zur Liposuktionsbehandlung medizinisch nicht indiziert sei, vielmehr die begonnene Gewichtsreduktion unter qualifizierter Anleitung bei der Klägerin konsequent weitergeführt werden sollte. Alternativ sei auch auf eine komplexe physikalische Entstauungstherapie als Methode der Wahl zurückzugreifen. Reichten diese Maßnahmen nicht aus, könnte die Entstauungsbehandlung durch eine apparative intermittierende Kompressionsbehandlung ergänzt werden. Zur Liposuktion sei im Oktober 2011 von der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" ein Gutachten zur Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen erstattet und im Ergebnis festgestellt worden, dass der Nutzen einer Liposuktion beim Lip- oder Lymphödem nicht nachgewiesen, die Methode als vertragsärztliche Leistung nicht anerkannt sei und daher grundsätzlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, auch nicht im stationären Bereich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2014 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte machte sich zur Begründung die Ausführungen im MDK-Gutachten vom 4. November 2013 zu Eigen, wonach eine stationäre Krankenhausbehandlung ausschließlich zur Liposuktionsbehandlung medizinisch nicht indiziert sei. Zwar könne eine Liposuktion grundsätzlich auch ambulant erfolgen, doch bestehe insoweit kein Anspruch auf Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Am 5. März 2014 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Dresden erhoben. Sie beruft sich zur Begründung ihres geltend gemachten Anspruchs auf Kostenübernahme für eine Liposuktion unter stationären Bedingungen auf ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 5. Februar 2013 – L 1 KR 391/12. Auch das BSG habe mit seinem Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R - die Liposuktion nicht aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, sondern lediglich festgestellt, dass ein Leistungsausschluss für den ambulanten Bereich nicht dadurch umgangen werden könne, dass die Leistung nunmehr stationär erbracht würde. Angesichts der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen sei jedoch davon auszugehen, dass bei der Klägerin nur eine stationäre Behandlung möglich sei. Sie nehme auch das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Januar 2014 – L 1 KR 229/10 - zur Kenntnis, folge diesem jedoch nicht, weil sie den dort aufgestellten Maßstab für die Wirksamkeit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode für mit den gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar halte.

Bereits am 1. Oktober 2013 hatte die Klägerin beim SG beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Liposuktion in drei Sitzungen mit jeweils 5000 ml Tumeszenzanästhesie im Abstand von ca. 8 Wochen unter stationären Bedingungen zu übernehmen. Mit Beschluss vom 14. November 2013 – S 47 KR 891/13 ER – hat das SG den Antrag zurückgewiesen, die dagegen eingelegte Beschwerde - L 1 KR 270/13 B ER – wurde am 18. März 2014 zurückgenommen.

Nach vorheriger Anhörung und unter Hinweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung sowie die Aktualisierung des Primärgutachtens vom 6. Oktober 2011 durch die Sozialmedizinische Expertengruppe 7 "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 15. Januar 2015 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine stationäre oder ambulante Liposuktion habe, da diese nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Nach § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern. Umfasst sei auch die Krankenhausbehandlung. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel anderweitig, insbesondere nicht durch ambulante Behandlung, erreicht werden könne. Erforderlich in diesem Sinne sei die Krankenhausbehandlung zudem nur dann, wenn sie dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Generell habe sich der Anspruch auf Krankenhausbehandlung i.V.m. dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und mit § 12 Abs. 4 und § 12 Abs. 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend sei, um das angestrebte Behandlungsziel zu erreichen. Diesem Qualitätsgebot entspreche die Liposuktion nicht. Die Studienlage sei eingehend durch das Gutachten der Expertengruppe 7 vom 6. Oktober 2011 ausgewertet worden. In Auswertung dieses Gutachtens seien mehrere Obergerichte zu dem Ergebnis gekommen, dass die Liposuktion nicht den erforderlichen Qualitätsanforderungen entspreche (unter Zitierung zahlreicher obergerichtlicher Entscheidungen, darunter auch das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Januar 2014 – L 1 KR 229/10 und unter teilweiser Wiedergabe des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11, juris Rn. 31 bis 36). Auch das aktualisierte Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 15. Januar 2015 komme nach ausführlicher Auswertung neuerer Studien weiterhin zu dem Ergebnis, dass die Anforderungen an die Qualität und Wirtschaftlichkeit in Bezug auf die streitgegenständlichen Behandlungsmethoden nicht erfüllt seien. Anhaltspunkte für ein Systemversagen seien nicht ersichtlich. Ein solches liege nur vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungs- und Untersuchungsmethode darauf zurückzuführen sei, dass das erforderliche Verfahren beim G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen sei. Indes habe der G-BA mit Beschluss vom 22. Mai 2014 auf Antrag der Patientenvertretung das Bewertungsverfahren eingeleitet. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die antragsberechtigten Stellen aufgrund willkürlicher oder sachfremder Erwägungen eine frühere Antragstellung unterlaufen hätten oder das anhängige Verfahren nicht ordnungsgemäß betrieben werde. Zwar werde die Liposuktion von Ärzten großflächig angeboten und auch in einschlägigen Leitlinien empfohlen, doch erlaubten die bisherigen Studien keine verlässliche Nutzen-Risiko-Abwägung. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Liposuktion noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion sei und weitere (randomisierte) Studien erforderlich seien. Die vorhandenen Leitlinien seien nicht evidenzbasiert. Allein der Umstand, dass die Ursachen des Lipödems unbekannt seien und eine dauerhaft wirksame Heilmethode bisher nicht gegeben sei, begründe noch keinen Systemmangel mit der Folge, dass die Liposuktion auch ohne Empfehlung des G-BA von den Krankenkassen zu gewähren wäre.

Gegen das am 13. April 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Mai 2015 beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen und beruft sich erneut auf das Urteil des Hessischen LSG vom 5. Februar 2013. Für sie sei weiterhin unklar, was unter einer evidenzbasierten Medizin zu verstehen sei. Für die Liposuktion liege eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Philologie (richtig: Phlebologie) vor, die zumindest ein Indiz für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode sei. Soweit sich das SG auf das Gutachten vom 15. Januar 2015 berufe, bestünden erhebliche Zweifel an dessen Verwertbarkeit, da der MDK von den Krankenkassen finanziert werde. Es handle sich daher nicht um eine freie, nicht von Interessen geleitete Begutachtung. Nach der vom SG zitierten Rechtsprechung lägen eine Vielzahl von Studien vor, aus denen sich ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis ergebe. Zu berücksichtigen sei auch, dass für die Klägerin keine Behandlungsalternativen bestünden. Es sei der individuelle Krankheitsverlauf zu bewerten. Sehr wohl sei auch von einem Systemversagen auszugehen. Soweit das Gericht eine positive Stellungnahme des G-BA als Leistungsvoraussetzung fordere, müsse die Leistung nach den Grundsätzen des sogenannten Systemversagens gewährt werden. Die Voraussetzungen für eine willkürliche und sachfremde Untätigkeit des G-BA seien gegeben. Anders sei nicht erklärbar, dass hier erst mit einem Beschluss vom 22. Mai 2014 ein Prüfverfahren eingeleitet worden sei, nachdem die streitgegenständliche Behandlungsmaßnahme spätestens seit dem Jahr 2010 Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Versicherten und Krankenkassen gewesen sei. Zudem habe das BSG über die streitgegenständliche Maßnahme im stationären Bereich noch keine Entscheidung getroffen. Es werde schließlich auch auf eine neuere Entscheidung der 47. Kammer des SG Dresden, in der die Sprungrevision zum BSG zugelassen worden sei, verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 13. April 2015 und den Bescheid vom 29. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Durchführung einer Liposuktion unter stationären Bedingungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass das Urteil des Hessischen LSG vom 5. Februar 2013 keine grundsätzliche Bedeutung besitze. Außerdem habe das BSG mit Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 2/12 R - bestätigt, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht uneingeschränkt für jede Art der medizinischen Versorgung bestehe. Es müssten für alle Behandlungsformen, auch im stationären Rahmen, die gesetzlich festgelegten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien gegeben sein, wovon bei der Liposuktion bei einem Lipödem nicht auszugehen sei. Daran ändere auch nichts, dass die Liposuktion Bestandteil in den Leitlinien sei. Das BSG habe bereits mit Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 -darauf hingewiesen, dass Leitlinienempfehlungen allein keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen könnten. Hinzukomme, dass der MDK im Gutachten vom 4. November 2011 eine akut stationäre Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin verneint habe. Schon aus diesem Grunde scheide die Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktion aus. Von einem Systemversagen sei nicht auszugehen (unter Hinweis auf Beschluss des BSG vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 78/11 B). Die vom SG Dresden in seinem Urteil vom 13. März 2015 zugelassene Sprungrevision sei bislang nicht eingelegt worden. Allerdings habe der G-BA am 22. Mai 2014 den Beschluss zur Einleitung eines Beratungsverfahrens gefasst. Das Ergebnis dieses Verfahrens bleibe abzuwarten.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 und 2. Juli 2015 haben sich die Beklagte und die Klägerin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Akte des Eilverfahrens L 1 KR 270/13 B ER vorgelegen. Sie waren Gegenstand der Beratung. Insbesondere wird auch auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen und verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung ist gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 13. April 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2014 sind zu Recht ergangen.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Übernahme der Kosten für eine stationäre Liposuktion.

Anspruchsgrundlage für die Kostenübernahme einer stationär durchzuführenden Liposuktion wäre § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 5 SGB V. Danach umfasst die Krankenbehandlung unter anderem auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V unterliegt ebenso wie die ambulante Behandlung dabei den sich aus § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen.

Eine Behandlung der Klägerin im Wege der stationären Durchführung einer Liposuktion gehört jedoch nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Liposuktion nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Das hat der Senat in seinem – auch den Beteiligten bekannten – Urteil vom 16. Januar 2014 – L 1 KR 229/10 – ausführlich dargelegt (juris Rn. 42 ff.) und seine Rechtsprechung in der Folgezeit bestätigt (s. Sächsisches LSG, Urteil vom 27. März 2014 – L 1 KR 172/13 – und Urteil vom 21. April 2015 – L 1 KR 281/14 -, jeweils n.v.). Auch nach nochmaliger Überprüfung hält er hieran und den seinerzeitigen Ausführungen fest (juris Rn. 46 ff.):

"Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

Das Tatbestandsmerkmal des anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse knüpft an den Maßstab der evidenzbasierten Medizin an (vgl. Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 2 Rn. 49; vgl. auch BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 7/10 R – juris Rn. 65; siehe ferner Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 32). Aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung werden solche Leistungen ausgeschlossen, die nicht ausreichend erprobt sind (BT-Drucksache 11/2237 S. 157; Peters in Kasseler Kommentar, Stand Juni 2007, SGB V, § 2 Rn. 3). Denn es ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinische Forschung zu finanzieren. Eine neue Behandlungsmethode gehört deshalb erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn ihre Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen möglich sind (Wagner in Krauskopf, Stand Juni 2008, SGB V, § 13 Rn. 19, und dieselbe in Krauskopf, Stand Dezember 2004, SGB V, § 2 Rn. 7). Dieser Maßstab gilt nach der Rechtsprechung des BSG nicht nur im Anwendungsbereich des § 135 SGB V (siehe insoweit BSG, Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 10/07 R – juris Rn. 29), sondern auch im Bereich des § 137c SGB V, und zwar unabhängig davon, ob ein Negativvotum des Gemeinsamen Bundesausschusses existiert (siehe insoweit BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 – B 1 KR 10/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 2/12 R – juris Rn. 16 bis 24; BSG, Urteil vom 7. Mai 2013- B 1 KR 44/12 R – juris Rn. 23 f.; vgl. auch BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 1 KR 21/04 R – juris Rn. 22). Erforderlich ist daher, dass der Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar, also in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die einzige Ausnahme zu diesen Grundsätzen ist in § 137c Abs. 2 Satz 2 SGB V geregelt. Danach können Behandlungen im Rahmen der Durchführung klinischer Studien zur Förderung des medizinischen Fortschritts stets zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden.

Demgegenüber vertritt das Hessische LSG die Auffassung, im Rahmen der stationären Behandlung müssten die Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht erreicht werden, es genüge insoweit ein abgesenkter Maßstab (Urteil vom 5. Februar 2013 – L 1 KR 391/12 – juris Rn. 20). Bei der Liposuktion handele es sich nicht um eine Methode von experimentellem Charakter. Dies folge zum einen aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Zum anderen könnten die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für ästhetische Chirurgie zur Liposuktion herangezogen werden, da ihnen eine umfassende medizinische Relevanz zukomme (a.a.O. Rn. 18). Der abgesenkte Prüfmaßstab sei deshalb gerechtfertigt, weil im Bereich der ambulanten Versorgung bezüglich neuer Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gelte, wohingegen bei der stationären Versorgung gemäß § 137c SGB V eine grundsätzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt maßgeblich sei, so dass ein Anspruch nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine negative Stellungnahme abgegeben habe (a.a.O. Rn. 19). Dies sei bei einer stationär durchzuführenden Liposuktion nicht der Fall (Hinweis auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – juris Rn. 16). Der sachliche Grund für diese unterschiedliche rechtliche Behandlung bestehe darin, dass der Gesetzgeber die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstrukturen im Krankenhausbereich geringer einstufe als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R – juris Rn. 21).

Die Argumentation des Hessischen LSG überzeugt allerdings nicht, weil sie zu Wertungswidersprüchen führt. Denn letztlich läuft sie darauf hinaus, dass allein das Erfordernis einer stationär gebotenen Behandlung zu einer Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung führen kann, und zwar unabhängig davon, ob die Wirksamkeit und Qualität der eigentlichen Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Derjenige Patient, der bestimmte Risikofaktoren erfüllt, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, hätte dann einen Anspruch auf eine Behandlung im stationären Rahmen, obwohl sich für die Wirksamkeit einer bestimmten Methode keine bislang hinreichend wissenschaftlich gefestigten Anhaltspunkte ergeben (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 34, und SG Neubrandenburg, Urteil vom 18. April 2013 – S 14 KR 11/12 – juris Rn. 27, 30). Dieses Ergebnis ist mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Soweit das Hessische LSG aus den Leitlinien der Fachgesellschaften eine Erweiterung des Leistungsspektrums der gesetzlichen Krankenversicherung herleitet, lässt sich dies mit der Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang bringen. Denn danach bestimmen die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 R – juris Rn. 47).

Qualität und Wirksamkeit der begehrten Liposuktion zur Behandlung des Lipödems entsprechen nicht dem Maßstab der evidenzbasierten Medizin. Ausweislich des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011, das eine umfassende Auswertung der über den Einsatz von Liposuktion als Methode zur Behandlung von Lipödemen veröffentlichten Studien vornimmt, gab es zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Mai 2011 nur zwei kontrollierte Studien, deren Aussagewert nicht ausreichte, um einen langfristigen Nutzen der Liposuktion zu belegen. Alle übrigen im Mai 2011 zugänglichen Veröffentlichungen wiesen einen noch geringeren Aussagewert auf. Daraus folgt, dass die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion war und weitere randomisierte Studien erforderlich waren, um sie als eine den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechende Behandlungsmethode qualifizieren zu können. Daran hat sich nichts geändert (siehe insoweit auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 36, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2012 – L 4 KR 595/11 – juris Rn. 37, außerdem Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 22. Januar 2013 – 5 LB 50/11 – juris Rn. 31)."

Soweit die Klägerin schließlich Zweifel an der Verwertbarkeit des vom MDK erstellten Gutachtens vom 15. Januar 2015 im gerichtlichen Verfahren hegt, vermag sie damit nicht durchzudringen. Der MDK ist nicht in die Verwaltungseinheit der Krankenkassen eingebunden, sondern institutionell von diesen getrennt (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R - juris Rn. 12, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 36 sowie der erkennende Senat, Urteil vom 16. Januar 2014 – L 1 KR 229/10 – juris Rn. 52). Es handelt sich auf Länderebene jeweils um eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 278 Abs. 1 SGB V). Um auch den Anschein eines Weisungsverhältnisses zwischen Kranken- oder Pflegekassen und den Ärzten des MDK auszuschließen, stellt § 275 Abs. 5 SGB V ausdrücklich klar, dass die Ärzte des MDK bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind. Gutachten des MDK können deshalb auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden (so auch BSG, Beschluss vom 23. Dezember 2004 – B 1 84/04 R – juris Rn. 5).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägervertreters nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Klotzbücher Dr. Wietek Protz
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