Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 1 SB 17/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X steht es nicht grundsätzlich entgegen, dass über den Bescheid, dessen Rücknahme begehrt wird, noch ein Klageverfahren anhängig ist.
2. Entscheidet die Behörde über den Überprüfungsantrag nicht innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 88 SGG, stellt das Abwarten des Ausgangs des Klageverfahrens keinen hinreichenden Grund für die Untätigkeit dar.
2. Entscheidet die Behörde über den Überprüfungsantrag nicht innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 88 SGG, stellt das Abwarten des Ausgangs des Klageverfahrens keinen hinreichenden Grund für die Untätigkeit dar.
Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die Kostenerstattung auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Die Klägerin hat das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und den Erlass einer Kostengrundentscheidung beantragt.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt nach billigem Ermessen (vgl. BSG, SozR Nr. 3 und 42 zu § 193 SGG; Hess. LSG, Beschlüsse vom 10.02.1992 - L 5 B 117/91 - und vom 28.09.2001 - L 14 B 94/97 KR - m.w.N.), wobei das Gericht an die Anträge der Beteiligten nicht gebunden ist und die Rechtsgedanken der §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) herangezogen werden. Das Gericht hat folglich das Ergebnis des Rechtsstreits, wie er sich im Zeitpunkt der Erledigung darstellt, unter Berücksichtigung des sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu würdigen. Maßgeblich für die Entscheidung sind demnach alle Umstände des Einzelfalls unter Zugrundelegung des aus der Akte ersichtlichen Sach- und Streitstands (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 193 Rn. 12 ff. m.w.N.; Hess. LSG, Beschluss vom 07.02.2003 - L 12 B 93/02 RJ).
Dabei kommt im Wesentlichen zwei Bewertungskriterien Bedeutung zu, nämlich den Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt der Erledigung sowie den Gründen für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits. Es muss mithin neben der Berücksichtigung der Erfolgsaussicht auch darauf abgestellt werden, wer Anlass zum Rechtsstreit gegeben hat. Danach kann es für die zu fällende Kostenentscheidung von entscheidender Bedeutung sein, wen die Verantwortung dafür trifft, dass ein von vornherein vermeidbarer und daher überflüssiger Prozess überhaupt geführt werden musste (vgl. Leitherer, a.a.O.).
Bei der Anwendung dieser beiden Kriterien ist zu beachten, dass es sich um Abwägungskriterien einer Ermessensentscheidung handelt und beide Kriterien gegenseitig als Korrektur des jeweils anderen dienen. Es kann daher in Betracht kommen, dass, wenn sich die Rechtslage auf Grund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach der Klageerhebung ändert und nunmehr Erfolgsaussichten der Klage bestehen, dem Beklagten wegen des Überwiegens des Veranlassungs- gegenüber dem Erfolgsgesichtspunkt im Rahmen der Ermessenabwägung keine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen sind. Dies setzt voraus, dass der zuständige Verwaltungsträger einer tatsächlichen oder rechtlichen Veränderung unverzüglich nach Kenntniserlangung Rechnung trägt (Rechtsgedanke des § 93 ZPO, siehe zum Ganzen etwa Hess. LSG, Beschluss vom 13.05.1996 - L-5/B-64/94 – NZS 1997, 48; Leitherer, a.a.O., Rn. 12c m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in voller Höhe zu tragen. Dies entspricht nach Ansicht der Kammer billigem Ermessen.
Zunächst ist die hier erhobene Untätigkeitsklage für die Klägerin erfolgreich gewesen. Sie hat ihr Klageziel, die Bescheidung des Antrags vom 10.01.2012 durch das beklagte Land, vollständig erreicht. Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte seinen Bescheid vom 05.02.2015 erlassen.
Von entscheidender Bedeutung für die Kostentragungspflicht ist bei einer Untätigkeitsklage jedoch der Veranlassungsgesichtspunkt. Dieser bezieht sich hier auf die Frage einer vorwerfbaren Verzögerung des Verwaltungsverfahrens. Zu prüfen ist, ob der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke des § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung). Das ist der Fall, wenn zu dieser Zeit die Voraussetzungen des § 88 SGG erfüllt waren; die Klage also anfänglich zulässig und begründet war. Dafür muss der Kläger bei dem beklagten Verwaltungsträger einen Antrag gestellt haben, den Letzterer sachlich nicht beschieden hat (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 4). Weiter muss grundsätzlich die Wartefrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG ergebnislos verstrichen sein (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 5 ff.). Schließlich darf kein zureichender Grund dafür vorliegen, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden ist (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 7a ff.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Am 16.01.2012 ging bei dem Beklagten ein Antrag der Klägerin ein. Zwar bezog sich dieser nicht ausdrücklich auf eine Überprüfung des Bescheids des Beklagten vom 07.12.2011. Denn es wurde kein Zugunstenverfahren gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angesprochen. Dem Beklagten hätte es jedoch in dieser Situation oblegen, das wahre Begehren der Klägerin zu ermitteln, das auf die Rücknahme des Bescheids des Beklagten vom 07.12.2011 gerichtet war. Denn andernfalls hätte die Klägerin ihr ausdrücklich geäußertes Ziel, die "Abhilfe auf meinen Ursprungsantrag im Sinne seiner völligen Stattgabe ohne Durchlaufen eines womöglich mehrinstanzlichen Gerichtsverfahrens" nicht erreichen können. Dieses Begehren hat sich im weiteren Schriftverkehr noch konkretisiert. Spätestens durch den rechtlichen Hinweis der Kammer vom 10.08.2012 in dem Parallelverfahren S 1 SB 88/12 war geklärt, dass das Schreiben der Klägerin vom 10.01.2012 als Überprüfungsantrag auszulegen war.
Über diesen Antrag gemäß § 44 SGB X hatte der Beklagte bei Klageeingang am 28.01.2014 noch nicht entschieden. An diesem Tag war auch die Wartefrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG bereits verstrichen. Sie beträgt im Ausgangsverfahren sechs Monate. Hier lagen selbst zwischen dem rechtlichen Hinweis des Gerichts und dem Eintritt der Rechtshängigkeit noch mehr als 16 Monate.
Bei Klageerhebung lag auch kein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden war. Zudem hat der Beklagte seinen Bescheid im Zugunstenverfahren erst erlassen, nachdem die Untätigkeitsklage bereits über ein Jahr anhängig war. Dabei ging er seinerzeit anscheinend davon aus, dass der klägerische Antrag nicht entscheidungsreif war. Denn er hat sich auch im Klageverfahren noch auf die Mitteilung beschränkt, der Überprüfungsantrag werde beschieden, nachdem das Gericht das Parallelverfahren S 1 SB 88/12 abgeschlossen habe. Dies stellte indes keinen zureichenden Grund dafür dar, dass der beantragte Verwaltungsakt bei Klageerhebung noch nicht erlassen worden war. Zwar war Streitgegenstand des Parallelverfahrens gerade der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme die Klägerin im Rahmen des Zugunstenverfahrens begehrte. Trotzdem war das gerichtliche Verfahren nicht etwa vorgreiflich für die behördliche Entscheidung. Ein anhängiges Rechtsbehelfsverfahren hindert eine Korrektur im Rücknahmeverfahren nicht (so wörtlich Heße, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, 39. Edition, Stand: 01.09.2015, § 44 SGB X Rn. 5). Es bestand demnach keine Veranlassung, seinen Ausgang abzuwarten. Das zeigt sich schon daran, dass der Beklagte seinen Bescheid vom 05.02.2015 schließlich erlassen hat, ehe der im Parallelverfahren ergangene Gerichtsbescheid der Kammer vom 28.01.2015 rechtskräftig geworden ist.
Zwar wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum teilweise vertreten, ein Verfahren nach § 44 SGB X werde "nicht benötigt", solange der betreffende Verwaltungsakt nicht unanfechtbar geworden sei. Es fehle dann an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens (siehe zum Ganzen Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 44 SGB X Rn. 143 ff. m.w.N.). Ob dem zu folgen ist, was angesichts des Wortlauts der Norm ("auch nachdem er unanfechtbar geworden ist") gewissen Zweifeln unterliegt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn hier war der Beklagte ja selbst der Ansicht (der die Kammer in ihrem Gerichtsbescheid vom 28.01.2015 gefolgt ist), dass der Bescheid vom 07.12.2011 mangels fristgerechter Klageerhebung bereits in Bestandskraft erwachsen war. Dann können aber an der Zulässigkeit eines Überprüfungsantrags keinerlei Zweifel bestehen. Dasselbe gilt, wenn der Betroffene ein gerichtliches Verfahren vermeiden möchte. Dann stellt selbst bei offener Klagefrist ein entsprechendes Ersuchen auf lediglich verwaltungsmäßige und nicht gerichtliche Überprüfung einen zulässigen Antrag nach § 44 SGB X dar (siehe Steinwedel, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 87. EL September 2015, § 44 SGB X Rn. 6). Auch in diesem Sinne lässt sich das oben zitierte Schreiben der Klägerin vom 10.01.2012 ohne weiteres verstehen, so dass der Beklagte von vornherein verpflichtet war, ein Überprüfungsverfahren durchzuführen und eine Verwaltungsentscheidung über die Rücknahme des Bescheids vom 07.12.2011 zu treffen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG).
Gründe:
Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die Kostenerstattung auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Die Klägerin hat das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und den Erlass einer Kostengrundentscheidung beantragt.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt nach billigem Ermessen (vgl. BSG, SozR Nr. 3 und 42 zu § 193 SGG; Hess. LSG, Beschlüsse vom 10.02.1992 - L 5 B 117/91 - und vom 28.09.2001 - L 14 B 94/97 KR - m.w.N.), wobei das Gericht an die Anträge der Beteiligten nicht gebunden ist und die Rechtsgedanken der §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) herangezogen werden. Das Gericht hat folglich das Ergebnis des Rechtsstreits, wie er sich im Zeitpunkt der Erledigung darstellt, unter Berücksichtigung des sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu würdigen. Maßgeblich für die Entscheidung sind demnach alle Umstände des Einzelfalls unter Zugrundelegung des aus der Akte ersichtlichen Sach- und Streitstands (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 193 Rn. 12 ff. m.w.N.; Hess. LSG, Beschluss vom 07.02.2003 - L 12 B 93/02 RJ).
Dabei kommt im Wesentlichen zwei Bewertungskriterien Bedeutung zu, nämlich den Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt der Erledigung sowie den Gründen für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits. Es muss mithin neben der Berücksichtigung der Erfolgsaussicht auch darauf abgestellt werden, wer Anlass zum Rechtsstreit gegeben hat. Danach kann es für die zu fällende Kostenentscheidung von entscheidender Bedeutung sein, wen die Verantwortung dafür trifft, dass ein von vornherein vermeidbarer und daher überflüssiger Prozess überhaupt geführt werden musste (vgl. Leitherer, a.a.O.).
Bei der Anwendung dieser beiden Kriterien ist zu beachten, dass es sich um Abwägungskriterien einer Ermessensentscheidung handelt und beide Kriterien gegenseitig als Korrektur des jeweils anderen dienen. Es kann daher in Betracht kommen, dass, wenn sich die Rechtslage auf Grund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach der Klageerhebung ändert und nunmehr Erfolgsaussichten der Klage bestehen, dem Beklagten wegen des Überwiegens des Veranlassungs- gegenüber dem Erfolgsgesichtspunkt im Rahmen der Ermessenabwägung keine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen sind. Dies setzt voraus, dass der zuständige Verwaltungsträger einer tatsächlichen oder rechtlichen Veränderung unverzüglich nach Kenntniserlangung Rechnung trägt (Rechtsgedanke des § 93 ZPO, siehe zum Ganzen etwa Hess. LSG, Beschluss vom 13.05.1996 - L-5/B-64/94 – NZS 1997, 48; Leitherer, a.a.O., Rn. 12c m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in voller Höhe zu tragen. Dies entspricht nach Ansicht der Kammer billigem Ermessen.
Zunächst ist die hier erhobene Untätigkeitsklage für die Klägerin erfolgreich gewesen. Sie hat ihr Klageziel, die Bescheidung des Antrags vom 10.01.2012 durch das beklagte Land, vollständig erreicht. Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte seinen Bescheid vom 05.02.2015 erlassen.
Von entscheidender Bedeutung für die Kostentragungspflicht ist bei einer Untätigkeitsklage jedoch der Veranlassungsgesichtspunkt. Dieser bezieht sich hier auf die Frage einer vorwerfbaren Verzögerung des Verwaltungsverfahrens. Zu prüfen ist, ob der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke des § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung). Das ist der Fall, wenn zu dieser Zeit die Voraussetzungen des § 88 SGG erfüllt waren; die Klage also anfänglich zulässig und begründet war. Dafür muss der Kläger bei dem beklagten Verwaltungsträger einen Antrag gestellt haben, den Letzterer sachlich nicht beschieden hat (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 4). Weiter muss grundsätzlich die Wartefrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG ergebnislos verstrichen sein (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 5 ff.). Schließlich darf kein zureichender Grund dafür vorliegen, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden ist (Leitherer, a.a.O., § 88 Rn. 7a ff.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Am 16.01.2012 ging bei dem Beklagten ein Antrag der Klägerin ein. Zwar bezog sich dieser nicht ausdrücklich auf eine Überprüfung des Bescheids des Beklagten vom 07.12.2011. Denn es wurde kein Zugunstenverfahren gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angesprochen. Dem Beklagten hätte es jedoch in dieser Situation oblegen, das wahre Begehren der Klägerin zu ermitteln, das auf die Rücknahme des Bescheids des Beklagten vom 07.12.2011 gerichtet war. Denn andernfalls hätte die Klägerin ihr ausdrücklich geäußertes Ziel, die "Abhilfe auf meinen Ursprungsantrag im Sinne seiner völligen Stattgabe ohne Durchlaufen eines womöglich mehrinstanzlichen Gerichtsverfahrens" nicht erreichen können. Dieses Begehren hat sich im weiteren Schriftverkehr noch konkretisiert. Spätestens durch den rechtlichen Hinweis der Kammer vom 10.08.2012 in dem Parallelverfahren S 1 SB 88/12 war geklärt, dass das Schreiben der Klägerin vom 10.01.2012 als Überprüfungsantrag auszulegen war.
Über diesen Antrag gemäß § 44 SGB X hatte der Beklagte bei Klageeingang am 28.01.2014 noch nicht entschieden. An diesem Tag war auch die Wartefrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG bereits verstrichen. Sie beträgt im Ausgangsverfahren sechs Monate. Hier lagen selbst zwischen dem rechtlichen Hinweis des Gerichts und dem Eintritt der Rechtshängigkeit noch mehr als 16 Monate.
Bei Klageerhebung lag auch kein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden war. Zudem hat der Beklagte seinen Bescheid im Zugunstenverfahren erst erlassen, nachdem die Untätigkeitsklage bereits über ein Jahr anhängig war. Dabei ging er seinerzeit anscheinend davon aus, dass der klägerische Antrag nicht entscheidungsreif war. Denn er hat sich auch im Klageverfahren noch auf die Mitteilung beschränkt, der Überprüfungsantrag werde beschieden, nachdem das Gericht das Parallelverfahren S 1 SB 88/12 abgeschlossen habe. Dies stellte indes keinen zureichenden Grund dafür dar, dass der beantragte Verwaltungsakt bei Klageerhebung noch nicht erlassen worden war. Zwar war Streitgegenstand des Parallelverfahrens gerade der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme die Klägerin im Rahmen des Zugunstenverfahrens begehrte. Trotzdem war das gerichtliche Verfahren nicht etwa vorgreiflich für die behördliche Entscheidung. Ein anhängiges Rechtsbehelfsverfahren hindert eine Korrektur im Rücknahmeverfahren nicht (so wörtlich Heße, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, 39. Edition, Stand: 01.09.2015, § 44 SGB X Rn. 5). Es bestand demnach keine Veranlassung, seinen Ausgang abzuwarten. Das zeigt sich schon daran, dass der Beklagte seinen Bescheid vom 05.02.2015 schließlich erlassen hat, ehe der im Parallelverfahren ergangene Gerichtsbescheid der Kammer vom 28.01.2015 rechtskräftig geworden ist.
Zwar wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum teilweise vertreten, ein Verfahren nach § 44 SGB X werde "nicht benötigt", solange der betreffende Verwaltungsakt nicht unanfechtbar geworden sei. Es fehle dann an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens (siehe zum Ganzen Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 44 SGB X Rn. 143 ff. m.w.N.). Ob dem zu folgen ist, was angesichts des Wortlauts der Norm ("auch nachdem er unanfechtbar geworden ist") gewissen Zweifeln unterliegt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn hier war der Beklagte ja selbst der Ansicht (der die Kammer in ihrem Gerichtsbescheid vom 28.01.2015 gefolgt ist), dass der Bescheid vom 07.12.2011 mangels fristgerechter Klageerhebung bereits in Bestandskraft erwachsen war. Dann können aber an der Zulässigkeit eines Überprüfungsantrags keinerlei Zweifel bestehen. Dasselbe gilt, wenn der Betroffene ein gerichtliches Verfahren vermeiden möchte. Dann stellt selbst bei offener Klagefrist ein entsprechendes Ersuchen auf lediglich verwaltungsmäßige und nicht gerichtliche Überprüfung einen zulässigen Antrag nach § 44 SGB X dar (siehe Steinwedel, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 87. EL September 2015, § 44 SGB X Rn. 6). Auch in diesem Sinne lässt sich das oben zitierte Schreiben der Klägerin vom 10.01.2012 ohne weiteres verstehen, so dass der Beklagte von vornherein verpflichtet war, ein Überprüfungsverfahren durchzuführen und eine Verwaltungsentscheidung über die Rücknahme des Bescheids vom 07.12.2011 zu treffen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG).
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