Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 AL 64/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 36/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 AL 1/17 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Unabhängig durchgeführte und durch ein Stipendium finanzierte Forschungsprojekte eines Privatdozenten stellen eine selbstständige Tätigkeit dar.
Der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Kläger seit dem 01.06.2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Pflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung ab dem 01.06.2014.
Der 1976 geborene Kläger war zuletzt vom 15.05.2007 bis 14.05.2014 bei der A-Uni abhängig beschäftigt. In dieser Zeit wurde er habilitiert. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent wurde ihm von der C-Gemeinschaft ein Heisenbergstipendium für die Dauer von 36 Monaten bewilligt. Dieses diene dazu, Wissenschaftlern, die bereits die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Dauer-Professur erfüllen, zu ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Der Kläger erhalte monatlich einen Zuschuss von 4.553,00 EUR (einschließlich eines Zuschlags von 500,00 EUR monatlich für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums erhalte er zusätzlich 2.250,00 EUR. Der Förderungszeitraum beginne am 01.06.2014.
Daraufhin nahm der Kläger am 01.06.2014 die Arbeit an zwei Forschungsprojekten auf. Diese bestehen insbesondere aus Recherchetätigkeiten zu den Projekten "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext – Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit – Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben, insbesondere für Reisekosten, trug der Kläger selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seitdem in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte er Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die Überschüsse wurden vom Finanzamt D-Landkreis als Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer herangezogen.
Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses bei selbstständiger Tätigkeit. Er habe die Tätigkeit am 01.06.2014 aufgenommen; sie werde voraussichtlich am 31.05.2017 enden. Zugleich legte der Kläger der Beklagten nähere Unterlagen zu seinem Stipendium vor. Mit Bescheid vom 25.06.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Der Kläger habe "ein Forschungsstipendium aufgenommen". Es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, der später anwaltlich begründet wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe im Rahmen des Heisenbergstipendiums eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Er arbeite weisungsunabhängig und könne frei über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit verfügen. Nur er trage auch das unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Berücksichtigung der Zahlungen aus dem Stipendium der C Gemeinschaft.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Arbeitslosenversicherung dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid wurde an die vom Kläger bevollmächtigte Anwaltskanzlei adressiert. Auf dem Entwurf in den Verwaltungsvorgängen wurde vermerkt, er sei am 11.08.2014 abgesandt worden. Später erzeugte die Beklagte aus ihrem Computersystem einen Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid am 12.08.2014 an den Kläger persönlich versandt worden sei.
Am 17.10.2014 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.06.2014 nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist beschieden. Dem ist die Beklagte unter Hinweis auf ihren Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 entgegengetreten. Dieser sei am 12.08.2014 zur Post gegeben worden. Daraufhin hat der Kläger erklärt, dieser Widerspruchsbescheid sei bislang weder ihm noch seinem Bevollmächtigten zugegangen. Er hat um nachträgliche Bekanntgabe gebeten. Diese ist sodann dadurch bewirkt worden, dass das Gericht dem Klägervertreter Akteneinsicht in die Beklagtenakte gewährt hat (Empfangsbekenntnis vom 30.10.2014). Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 04.11.2014 die Klage geändert.
Er beantragt nunmehr (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seit dem 01.06.2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Die Beklagte hat der Klageänderung zugestimmt und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat auf Aufforderung der Kammer eine Tätigkeitsbeschreibung sowie eine Gewinnermittlung (beispielhaft für das Jahr 2014) vorgelegt. Die Beteiligten haben auf Anfrage des Gerichts ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere wegen der Rechtsansichten der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung durch die Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Vorgehensweise erklärt haben.
Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben, da sie zulässig und begründet ist.
Statthafte Klageart für das tatsächliche Begehren des Klägers ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (siehe zuletzt BSG, Urteil v. 04.12.2014, B 5 AL 1/14 R – SozR 4–4300 § 28a Nr. 9 = SGb 2016, 47 ff.), der sich die Kammer ausdrücklich anschließt, tritt die Versicherungspflicht nach § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf einen Antrag hin kraft Gesetzes ein.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Der in dem Übergang von der Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG zur kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage liegenden Klageänderung hat die Beklagte zugestimmt, so dass gemäß § 99 Abs. 1 SGG von ihrer Zulässigkeit auszugehen ist. In diesem Fall kommt es für die Zulässigkeit der Klage im Übrigen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des geänderten Klageantrags an. Im vorliegenden Fall hat der Schriftsatz des Klägers vom 04.11.2014 die Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG gewahrt. Danach ist die Klage binnen eines Monats nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Kläger und sein Bevollmächtigter haben vorgetragen, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.08.2014 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16.10.2014 noch nicht erhalten zu haben. Diese Angaben sind glaubhaft. Der Klägervertreter hat kein eigenes Interesse an einer Zugangsvereitelung. Im Hinblick auf den Kläger spricht die Erhebung einer Untätigkeitsklage, die für ihn mit einem Kostenrisiko verbunden ist, dafür, dass ihm der Widerspruchsbescheid der Beklagten tatsächlich nicht bekannt war. Ohnehin ist im Zweifel von einer rechtzeitigen Klageerhebung auszugehen, da die beklagte Behörde die objektive Beweislast für den Beginn der Klagefrist trägt (siehe Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 87 Rdnr. 4d). Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid von der Beklagten im August 2014 anscheinend mit einfacher Post versandt worden. Sein Zugang ist daher nicht nachweisbar. Der früheste Zeitpunkt, in dem sich die Bekanntgabe des Bescheids sicher nachweisen lässt, ist der Tag des Empfangsbekenntnisses des Klägervertreters für den Erhalt der zur Einsicht übersandten Beklagtenakte (30.10.2014). Ausgehend von diesem Datum ist die Klagefrist durch den Schriftsatz vom 04.11.2014 gewahrt worden.
Bei dem Kläger besteht auch das für eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse. Die streitige Frage, ob zwischen den Beteiligten ein Versicherungspflichtverhältnis besteht, hat verschiedene Auswirkungen (etwa beitragsrechtlich und leistungsrechtlich), so dass eine abstrakte Klärung des Rechtsverhältnisses für die Beteiligten von großer Bedeutung und damit auch sachgerecht ist. Eine vorrangige Leistungsklage könnte nur Teilaspekte des vorliegenden Rechtsstreits klären.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt. Er hat zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses zwischen den Beteiligten geführt.
Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Danach können Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben.
Dies trifft auf den Kläger zu. Er hat am 01.06.2014 eine selbstständige Tätigkeit als Archäologe aufgenommen. Er hat diese Tätigkeit seitdem auch mit einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt.
Der Kläger übt als Privatdozent eine selbstständige Forschungstätigkeit aus. Diese besteht nach seiner Tätigkeitsbeschreibung vom 05.05.2015, an der zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sieht, in der Bearbeitung zweier Forschungsprojekte. Zur Aufarbeitung des Forschungsstandes zur "Baalberger Kultur" waren in erster Linie Bibliotheksrecherchen und der Besuch von Museen/Sammlungen/Depots vor allem in Sachsen-Anhalt erforderlich. Hierzu musste der Kläger eine umfangreiche Reisetätigkeit entfalten, um dann vor Ort Objekte vermessen, fotografieren und zeichnen zu können. Bei dem Forschungsprojekt zum Vulkanausbruch von Santorin konnte sich der Kläger dagegen überwiegend auf das Literaturstudium in verschiedenen Bibliotheken beschränken. Der Kläger beabsichtigt nach seinen Angaben die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im Rahmen von Monographien. Gerichtsbekannt ist, dass es hierzu erforderlich ist, auch Zwischenergebnisse schriftlich niederzulegen und einzelne Passagen einer solchen größeren Forschungsarbeit auszuformulieren. Aus der Gewinnermittlung für das Jahr 2014 ist überdies ersichtlich, dass der Kläger bereits einzelne Forschungsergebnisse publiziert hat, da er seinerzeit bereits Einnahmen aus der Autorentätigkeit in Höhe von 1.150,00 EUR erzielen konnte.
Die vorbeschriebene Forschungstätigkeit entfaltet der Kläger vollständig nach eigenem Dafürhalten. Er ist sowohl inhaltlich als auch von den äußeren Rahmenbedingungen her völlig frei und weisungsunabhängig. Es handelt sich daher geradezu um ein Musterbeispiel für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch: "Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.").
Demgegenüber bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung des Klägers. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine solche abhängige Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Zwischen dem Kläger und der A-Uni bestehen seit dem 15.05.2014 keine rechtlichen Beziehungen mehr, die Grundlage für ein Beschäftigungsverhältnis sein könnten. Der Kläger ist auch nicht Beschäftigter der C-Gemeinschaft. Dieser vergibt ein Heisenberg-Stipendium an den Kläger, ohne von diesem dafür eine (für sich selbst eigennützige) Gegenleistung zu fordern. Sie erteilt dem Kläger auch keine Weisungen für seine Forschungstätigkeit. Der Kläger ist auch nicht in die Arbeitsorganisation der C-Gemeinschaft eingegliedert. Grundlage für die Vergabe eines Heisenberg-Stipendiums ist gerade die Ausübung eines Forschungsvorhabens mit voller Arbeitskraft. Stipendiaten dürfen weder von gastgebenden Forschungsinstitutionen zu Arbeiten verpflichtet werden noch den Stipendienzweck beeinträchtigende Nebentätigkeiten ausüben. Die C-Gemeinschaft erwartet lediglich, dass der Stipendiat seine selbstständige Forschungstätigkeit tatsächlich ausübt und die gewonnenen Ergebnisse publiziert. Diese Rahmenbedingungen der Förderung führen nicht zur Begründung eines Weisungsrechts im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV.
Schließlich handelt es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers auch um eine auf Dauer angelegte, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 03.06.2009 – B 12 AL 1/08 R – Rdnr. 15). Mit dieser Anforderung sollen Tätigkeiten, die nur aus Liebhaberei oder zum Zeitvertreib verrichtet werden, aus dem Anwendungsbereich der Antragspflichtversicherung ausgeschlossen werden. Letzteres trifft auf die Forschungstätigkeit des Klägers aber nicht zu. Er übt diese Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus. Einerseits hat der Kläger bereits im Jahr 2014 unmittelbar aus der Forschungstätigkeit stammende Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in nicht unerheblicher Höhe erzielt (1.150,00 EUR). Andererseits sind auch die Einkünfte aus dem Heisenberg-Stipendium als Erträge seiner Forschungstätigkeit anzusehen, so dass er aus dieser seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Denn die Zahlungen der C Gemeinschaft sind an die Erbringung der Forschungstätigkeit geknüpft. Dies ergibt sich aus den aktenkundigen Verwendungsrichtlinien, die etwa für den Fall einer (auch krankheitsbedingten) Unterbrechung der Tätigkeit eine Einstellung der Zahlungen ermöglichen.
Dem entspricht auch die steuerrechtliche Einordnung der Zahlungen aus dem Heisenberg-Stipendium als Einkünfte aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit (Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 12.08.2014, S 2121 A-13-St 213, FMNR38d310014, zitiert nach juris). Im Bereich des Beitrags- und Versicherungsrechts knüpft das Sozialrecht häufig an steuerrechtliche Vorgaben an. Auch in diesem Fall hält es die Kammer für sinnvoll, einen Gleichlauf von steuerrechtlicher und sozialrechtlicher Bewertung vorzunehmen. Schließlich steht der Zuordnung des Stipendiums als Erwerbseinkommen nicht entgegen, dass die Zahlungen von einer Institution erbracht werden, die dafür keine unmittelbare Gegenleistung erlangt. Denn im Rahmen des hier zu prüfenden Tatbestandsmerkmals kommt es nach dem oben zitierten Obersatz lediglich auf die Zwecksetzung des selbstständig Tätigen an. Nach alledem übt der Kläger auch eine auf die Sicherung seines Lebensunterhalts gerichtete Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus.
Verfehlt ist demgegenüber die Herangehensweise der Beklagte, die in den angefochtenen Bescheiden geprüft hat, ob das Stipendium eine selbstständige Tätigkeit darstellt. Dies ist schon sprachlich unkorrekt (ebenso wie die Formulierung im Widerspruchsbescheid, der Kläger habe ein Stipendium "aufgenommen"). Ein Stipendium stellt eine finanzielle Unterstützung für Künstler, Sportler, Schüler, Studenten oder Jungwissenschaftler dar und ist als solche ein wesentliches Element der Begabtenförderung (so die Definition auf www.wikipedia.de). Diese finanzielle Zuwendung, mit der im vorliegenden Fall in gemeinnütziger Weise Forschungszwecke verfolgt werden, stellt naturgemäß gar keine Tätigkeit dar. Mit ihr kann allenfalls eine bestimmte Tätigkeit honoriert werden. So liegt der Fall auch hier. Die C-Gemeinschaft verlangt von ihren Stipendiaten nach dem oben Gesagten die Entfaltung einer selbstständigen Tätigkeit. Das Heisenberg-Stipendium ermöglicht es also dem Kläger erst, seinen archäologischen Forschungsarbeiten und damit einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen.
Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass (auch) die übrigen Voraussetzungen einer Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III erfüllt sind. Insoweit bestehen auch aus Sicht der Kammer keine Bedenken. Die Kammer ist aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III). Er hat zudem auch unmittelbar vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III). Die Forschungstätigkeit des Klägers ist weder versicherungspflichtig noch versicherungsfrei (§ 28a Abs. 2 S. 1 zweiter Halbsatz). Der Kläger war auch zuvor noch nie versicherungspflichtig nach § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III (vgl. § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III). Der Kläger hat den Antrag auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses im Juni 2014 und damit innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt (§ 28a Abs. 3 S. 1 SGB III). Bis zum Tag der Entscheidung durch die Kammer ist weder ein Ruhenstatbestand nach § 28a Abs. 4 SGB III eingetreten noch hat das einmal begründete Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs. 5 SGB III geendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es wird festgestellt, dass der Kläger seit dem 01.06.2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Pflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung ab dem 01.06.2014.
Der 1976 geborene Kläger war zuletzt vom 15.05.2007 bis 14.05.2014 bei der A-Uni abhängig beschäftigt. In dieser Zeit wurde er habilitiert. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent wurde ihm von der C-Gemeinschaft ein Heisenbergstipendium für die Dauer von 36 Monaten bewilligt. Dieses diene dazu, Wissenschaftlern, die bereits die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Dauer-Professur erfüllen, zu ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Der Kläger erhalte monatlich einen Zuschuss von 4.553,00 EUR (einschließlich eines Zuschlags von 500,00 EUR monatlich für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums erhalte er zusätzlich 2.250,00 EUR. Der Förderungszeitraum beginne am 01.06.2014.
Daraufhin nahm der Kläger am 01.06.2014 die Arbeit an zwei Forschungsprojekten auf. Diese bestehen insbesondere aus Recherchetätigkeiten zu den Projekten "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext – Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit – Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben, insbesondere für Reisekosten, trug der Kläger selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seitdem in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte er Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die Überschüsse wurden vom Finanzamt D-Landkreis als Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer herangezogen.
Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses bei selbstständiger Tätigkeit. Er habe die Tätigkeit am 01.06.2014 aufgenommen; sie werde voraussichtlich am 31.05.2017 enden. Zugleich legte der Kläger der Beklagten nähere Unterlagen zu seinem Stipendium vor. Mit Bescheid vom 25.06.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Der Kläger habe "ein Forschungsstipendium aufgenommen". Es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, der später anwaltlich begründet wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe im Rahmen des Heisenbergstipendiums eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Er arbeite weisungsunabhängig und könne frei über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit verfügen. Nur er trage auch das unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Berücksichtigung der Zahlungen aus dem Stipendium der C Gemeinschaft.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Arbeitslosenversicherung dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid wurde an die vom Kläger bevollmächtigte Anwaltskanzlei adressiert. Auf dem Entwurf in den Verwaltungsvorgängen wurde vermerkt, er sei am 11.08.2014 abgesandt worden. Später erzeugte die Beklagte aus ihrem Computersystem einen Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid am 12.08.2014 an den Kläger persönlich versandt worden sei.
Am 17.10.2014 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.06.2014 nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist beschieden. Dem ist die Beklagte unter Hinweis auf ihren Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 entgegengetreten. Dieser sei am 12.08.2014 zur Post gegeben worden. Daraufhin hat der Kläger erklärt, dieser Widerspruchsbescheid sei bislang weder ihm noch seinem Bevollmächtigten zugegangen. Er hat um nachträgliche Bekanntgabe gebeten. Diese ist sodann dadurch bewirkt worden, dass das Gericht dem Klägervertreter Akteneinsicht in die Beklagtenakte gewährt hat (Empfangsbekenntnis vom 30.10.2014). Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 04.11.2014 die Klage geändert.
Er beantragt nunmehr (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seit dem 01.06.2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Die Beklagte hat der Klageänderung zugestimmt und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat auf Aufforderung der Kammer eine Tätigkeitsbeschreibung sowie eine Gewinnermittlung (beispielhaft für das Jahr 2014) vorgelegt. Die Beteiligten haben auf Anfrage des Gerichts ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere wegen der Rechtsansichten der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung durch die Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Vorgehensweise erklärt haben.
Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben, da sie zulässig und begründet ist.
Statthafte Klageart für das tatsächliche Begehren des Klägers ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (siehe zuletzt BSG, Urteil v. 04.12.2014, B 5 AL 1/14 R – SozR 4–4300 § 28a Nr. 9 = SGb 2016, 47 ff.), der sich die Kammer ausdrücklich anschließt, tritt die Versicherungspflicht nach § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf einen Antrag hin kraft Gesetzes ein.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Der in dem Übergang von der Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG zur kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage liegenden Klageänderung hat die Beklagte zugestimmt, so dass gemäß § 99 Abs. 1 SGG von ihrer Zulässigkeit auszugehen ist. In diesem Fall kommt es für die Zulässigkeit der Klage im Übrigen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des geänderten Klageantrags an. Im vorliegenden Fall hat der Schriftsatz des Klägers vom 04.11.2014 die Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG gewahrt. Danach ist die Klage binnen eines Monats nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Kläger und sein Bevollmächtigter haben vorgetragen, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.08.2014 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16.10.2014 noch nicht erhalten zu haben. Diese Angaben sind glaubhaft. Der Klägervertreter hat kein eigenes Interesse an einer Zugangsvereitelung. Im Hinblick auf den Kläger spricht die Erhebung einer Untätigkeitsklage, die für ihn mit einem Kostenrisiko verbunden ist, dafür, dass ihm der Widerspruchsbescheid der Beklagten tatsächlich nicht bekannt war. Ohnehin ist im Zweifel von einer rechtzeitigen Klageerhebung auszugehen, da die beklagte Behörde die objektive Beweislast für den Beginn der Klagefrist trägt (siehe Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 87 Rdnr. 4d). Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid von der Beklagten im August 2014 anscheinend mit einfacher Post versandt worden. Sein Zugang ist daher nicht nachweisbar. Der früheste Zeitpunkt, in dem sich die Bekanntgabe des Bescheids sicher nachweisen lässt, ist der Tag des Empfangsbekenntnisses des Klägervertreters für den Erhalt der zur Einsicht übersandten Beklagtenakte (30.10.2014). Ausgehend von diesem Datum ist die Klagefrist durch den Schriftsatz vom 04.11.2014 gewahrt worden.
Bei dem Kläger besteht auch das für eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse. Die streitige Frage, ob zwischen den Beteiligten ein Versicherungspflichtverhältnis besteht, hat verschiedene Auswirkungen (etwa beitragsrechtlich und leistungsrechtlich), so dass eine abstrakte Klärung des Rechtsverhältnisses für die Beteiligten von großer Bedeutung und damit auch sachgerecht ist. Eine vorrangige Leistungsklage könnte nur Teilaspekte des vorliegenden Rechtsstreits klären.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt. Er hat zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses zwischen den Beteiligten geführt.
Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Danach können Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben.
Dies trifft auf den Kläger zu. Er hat am 01.06.2014 eine selbstständige Tätigkeit als Archäologe aufgenommen. Er hat diese Tätigkeit seitdem auch mit einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt.
Der Kläger übt als Privatdozent eine selbstständige Forschungstätigkeit aus. Diese besteht nach seiner Tätigkeitsbeschreibung vom 05.05.2015, an der zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sieht, in der Bearbeitung zweier Forschungsprojekte. Zur Aufarbeitung des Forschungsstandes zur "Baalberger Kultur" waren in erster Linie Bibliotheksrecherchen und der Besuch von Museen/Sammlungen/Depots vor allem in Sachsen-Anhalt erforderlich. Hierzu musste der Kläger eine umfangreiche Reisetätigkeit entfalten, um dann vor Ort Objekte vermessen, fotografieren und zeichnen zu können. Bei dem Forschungsprojekt zum Vulkanausbruch von Santorin konnte sich der Kläger dagegen überwiegend auf das Literaturstudium in verschiedenen Bibliotheken beschränken. Der Kläger beabsichtigt nach seinen Angaben die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im Rahmen von Monographien. Gerichtsbekannt ist, dass es hierzu erforderlich ist, auch Zwischenergebnisse schriftlich niederzulegen und einzelne Passagen einer solchen größeren Forschungsarbeit auszuformulieren. Aus der Gewinnermittlung für das Jahr 2014 ist überdies ersichtlich, dass der Kläger bereits einzelne Forschungsergebnisse publiziert hat, da er seinerzeit bereits Einnahmen aus der Autorentätigkeit in Höhe von 1.150,00 EUR erzielen konnte.
Die vorbeschriebene Forschungstätigkeit entfaltet der Kläger vollständig nach eigenem Dafürhalten. Er ist sowohl inhaltlich als auch von den äußeren Rahmenbedingungen her völlig frei und weisungsunabhängig. Es handelt sich daher geradezu um ein Musterbeispiel für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch: "Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.").
Demgegenüber bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung des Klägers. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine solche abhängige Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Zwischen dem Kläger und der A-Uni bestehen seit dem 15.05.2014 keine rechtlichen Beziehungen mehr, die Grundlage für ein Beschäftigungsverhältnis sein könnten. Der Kläger ist auch nicht Beschäftigter der C-Gemeinschaft. Dieser vergibt ein Heisenberg-Stipendium an den Kläger, ohne von diesem dafür eine (für sich selbst eigennützige) Gegenleistung zu fordern. Sie erteilt dem Kläger auch keine Weisungen für seine Forschungstätigkeit. Der Kläger ist auch nicht in die Arbeitsorganisation der C-Gemeinschaft eingegliedert. Grundlage für die Vergabe eines Heisenberg-Stipendiums ist gerade die Ausübung eines Forschungsvorhabens mit voller Arbeitskraft. Stipendiaten dürfen weder von gastgebenden Forschungsinstitutionen zu Arbeiten verpflichtet werden noch den Stipendienzweck beeinträchtigende Nebentätigkeiten ausüben. Die C-Gemeinschaft erwartet lediglich, dass der Stipendiat seine selbstständige Forschungstätigkeit tatsächlich ausübt und die gewonnenen Ergebnisse publiziert. Diese Rahmenbedingungen der Förderung führen nicht zur Begründung eines Weisungsrechts im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV.
Schließlich handelt es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers auch um eine auf Dauer angelegte, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 03.06.2009 – B 12 AL 1/08 R – Rdnr. 15). Mit dieser Anforderung sollen Tätigkeiten, die nur aus Liebhaberei oder zum Zeitvertreib verrichtet werden, aus dem Anwendungsbereich der Antragspflichtversicherung ausgeschlossen werden. Letzteres trifft auf die Forschungstätigkeit des Klägers aber nicht zu. Er übt diese Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus. Einerseits hat der Kläger bereits im Jahr 2014 unmittelbar aus der Forschungstätigkeit stammende Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in nicht unerheblicher Höhe erzielt (1.150,00 EUR). Andererseits sind auch die Einkünfte aus dem Heisenberg-Stipendium als Erträge seiner Forschungstätigkeit anzusehen, so dass er aus dieser seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Denn die Zahlungen der C Gemeinschaft sind an die Erbringung der Forschungstätigkeit geknüpft. Dies ergibt sich aus den aktenkundigen Verwendungsrichtlinien, die etwa für den Fall einer (auch krankheitsbedingten) Unterbrechung der Tätigkeit eine Einstellung der Zahlungen ermöglichen.
Dem entspricht auch die steuerrechtliche Einordnung der Zahlungen aus dem Heisenberg-Stipendium als Einkünfte aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit (Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 12.08.2014, S 2121 A-13-St 213, FMNR38d310014, zitiert nach juris). Im Bereich des Beitrags- und Versicherungsrechts knüpft das Sozialrecht häufig an steuerrechtliche Vorgaben an. Auch in diesem Fall hält es die Kammer für sinnvoll, einen Gleichlauf von steuerrechtlicher und sozialrechtlicher Bewertung vorzunehmen. Schließlich steht der Zuordnung des Stipendiums als Erwerbseinkommen nicht entgegen, dass die Zahlungen von einer Institution erbracht werden, die dafür keine unmittelbare Gegenleistung erlangt. Denn im Rahmen des hier zu prüfenden Tatbestandsmerkmals kommt es nach dem oben zitierten Obersatz lediglich auf die Zwecksetzung des selbstständig Tätigen an. Nach alledem übt der Kläger auch eine auf die Sicherung seines Lebensunterhalts gerichtete Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus.
Verfehlt ist demgegenüber die Herangehensweise der Beklagte, die in den angefochtenen Bescheiden geprüft hat, ob das Stipendium eine selbstständige Tätigkeit darstellt. Dies ist schon sprachlich unkorrekt (ebenso wie die Formulierung im Widerspruchsbescheid, der Kläger habe ein Stipendium "aufgenommen"). Ein Stipendium stellt eine finanzielle Unterstützung für Künstler, Sportler, Schüler, Studenten oder Jungwissenschaftler dar und ist als solche ein wesentliches Element der Begabtenförderung (so die Definition auf www.wikipedia.de). Diese finanzielle Zuwendung, mit der im vorliegenden Fall in gemeinnütziger Weise Forschungszwecke verfolgt werden, stellt naturgemäß gar keine Tätigkeit dar. Mit ihr kann allenfalls eine bestimmte Tätigkeit honoriert werden. So liegt der Fall auch hier. Die C-Gemeinschaft verlangt von ihren Stipendiaten nach dem oben Gesagten die Entfaltung einer selbstständigen Tätigkeit. Das Heisenberg-Stipendium ermöglicht es also dem Kläger erst, seinen archäologischen Forschungsarbeiten und damit einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen.
Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass (auch) die übrigen Voraussetzungen einer Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III erfüllt sind. Insoweit bestehen auch aus Sicht der Kammer keine Bedenken. Die Kammer ist aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III). Er hat zudem auch unmittelbar vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III). Die Forschungstätigkeit des Klägers ist weder versicherungspflichtig noch versicherungsfrei (§ 28a Abs. 2 S. 1 zweiter Halbsatz). Der Kläger war auch zuvor noch nie versicherungspflichtig nach § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III (vgl. § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III). Der Kläger hat den Antrag auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses im Juni 2014 und damit innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt (§ 28a Abs. 3 S. 1 SGB III). Bis zum Tag der Entscheidung durch die Kammer ist weder ein Ruhenstatbestand nach § 28a Abs. 4 SGB III eingetreten noch hat das einmal begründete Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs. 5 SGB III geendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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