Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AS 1624/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 139/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 195/15 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage einer möglichen Umdeutung eines Mitwirkungsverlangens nach § 60 Abs. 1 SGB I in ein Auskunftsverlangen gegenüber einem Partner nach § 60 Abs. 4 SGB II.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 20. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte dem Kläger auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über ein Schreiben, in dem der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung in einem Verwaltungsverfahren aufgefordert hat.
Der 1969 geborene Kläger lebte zum streitigen Zeitpunkt im elterlichen Wohnhaus in der D straße , K -B OT S , im ersten Obergeschoss. Auf der gleichen Etage wohnte auch P G aufgrund eines Mietvertrages zwischen dem Vater des Klägers und ihr. Sie bezog ab Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Im Rahmen der Prüfung des Fortzahlungsantrages vom 18. Februar 2008 leitete der Beklagte die Prüfung ein, ob zwischen dem Kläger und P G eine Bedarfsgemeinschaft vorliege.
Am 13. März 2008 bat der Beklagte in einem an P G adressierten Schreiben um Vorlage von Unterlagen beziehungsweise Nachweisen zur Einkommens- und Vermögenssituation des Klägers. Mit Schreiben vom 17. März 2008 forderte die Beklagte P G auf, bis zum 25. März 2008 folgende Unterlagen und Nachweise vorzulegen: "[ ] - aktuelle Vermögens- und Einkommensnachweise von Herrn M W - bisher eingezahlter Gesamtbetrag und aktueller Rückkaufswert bei allen Versicherungen mit Rückkaufsmöglichkeit von Herrn M W - aktuelle Kontoauszüge von Herrn M W [ ]". Der Beklagte machte auf die Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) sowie die Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden, aufmerksam.
Mit weiterem Schreiben vom 26. März 2008, adressiert an den Kläger, wurde dieser um Vorlage der mit Schreiben vom 17. März 2008 geforderten Unterlagen bis zum 4. April 2008 gebeten. Dieses Schreiben enthielt einen Hinweis auf Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. SGB I sowie die Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden.
Hiergegen legte der anwaltlich vertretene Kläger am 1. April 2008 Widerspruch ein. Die Aufforderung stelle einen Verwaltungsakt das. Er, der Kläger, habe keine Leistungen nach dem SGB II beantragt und beabsichtige die zur Zeit auch nicht. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 60 SGB II bestehe nicht. Zwischen ihm und P G bestehe keine eheähnliche Gemeinschaft.
Mit Bescheid vom 7. April 2009 wurden P G für die Zeit vom 1. April bis 28. April 2008 und mit Bescheid vom 15. Mai 2008 für die Zeit vom 29. April 2008 bis 30. September 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligt.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2009 als unzulässig verworfen. Bei der Anforderung von Unterlagen im Schreiben vom 26. März 2008 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um ein dem verbindlichen Auskunftsverlangen vorgeschaltetes Schreiben.
Der Kläger hat hiergegen am 13. Mai 2009 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2009, hilfsweise die Feststellung, dass der Bescheid vom 26. März 2008 rechtswidrig sei, begehrt. Er hat unter anderem vorgetragen, dass der Beklagte die Auskunftsverpflichtung auf § 60 Abs. 4 SGB II gestützt habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei unzulässig, weil das Schreiben vom 26. März 2008 keinen Verwaltungsakt darstelle. Der Beklagte habe, obwohl der Kläger keine Leistungen beantragt habe, in seinem Schreiben vom 26. März 2008 ausdrücklich eine Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I angenommen, nicht jedoch eine Mitwirkung eines Dritten gemäß § 60 SGB II. Die Aufforderung zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I stelle keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R). Bei der durch § 60 Abs. 1 SGB I begründeten Pflicht handele es sich nicht um eine unmittelbare und vollstreckungsfähige Handlungspflicht. Vielmehr sei § 60 Abs. 1 SGB I eine Obliegenheit im Rahmen eines sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses, bei der Aufklärung des leistungsrelevanten Sachverhaltes mitzuwirken. Werde die Mitwirkungspflicht verletzt, dürfe der Sozialleistungsträger die Leistungsgewährung unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I ablehnen. Der Beklagte habe auch keinen Verwaltungsakt zur Begründung oder Regelung einer Auskunftspflicht des Klägers gemäß § 60 Abs. 4 SGB II erlassen. Die Vorschrift des § 60 SGB II regele, ob und bezüglich welcher Tatsachen Auskunftspflichten und Mitwirkungspflichten Dritter bestünden und ergänze insoweit die allgemeinen Regelungen der §§ 20 ff. des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) und §§ 60 ff. SGB I. Die gemäß § 60 SGB I für Antragsteller und Leistungsbezieher bestehenden allgemeinen Auskunftspflichten würden durch diese Vorschrift ergänzt. Da die in § 60 SGB II geregelten Auskunftspflichten öffentlich-rechtlicher Natur seien, könne der Leistungsträger diese mittels Verwaltungsakt geltend machen. Zwar habe der Kläger weder Sozialleistungen erhalten noch beantragt, so dass ein Anschreiben unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht des Klägers als Antragsteller gemäß § 60 SGB I nicht nachvollziehbar erscheine. Dieser Umstand rechtfertige jedoch nicht die Annahme, der Beklagte habe in der Sache einen Verwaltungsakt zur Begründung einer Auskunftspflicht gemäß § 60 Abs. 4 SGB II erlassen wollen. Das lasse sich aus dem Bescheid [gemeint ist das Schreiben vom 26. März 2008] nicht entnehmen. Der anwaltlich vertretene Kläger habe das Schreiben vom 26. März 2008 nicht in diesem Sinne verstehen können. Bereits aufgrund der angedrohten Rechtsfolge habe der Kläger nicht annehmen können, dass hier eine Auskunftspflicht gegenüber einem Dritten begründet werden solle. Die Drohung, vom Kläger nicht beantragte Leistungen abzulehnen, könne nicht über den Wortlaut hinaus dahingehend ausgelegt werden, dass das Auskunftsbegehren gegenüber dem Kläger auf § 60 SGB II gestützt und gegebenenfalls zwangsweise durchgesetzt werden solle. Der Kläger habe daher keine Veranlassung für die Einlegung des Widerspruchs gehabt. Auch durch den Erlass des Widerspruchsbescheides habe das Schreiben vom 26. März 2008 keine Verwaltungsaktqualität erlangt (vgl. Bay. LSG, Urteil vom 30. November 2011 – L 1 LW 11/10), denn der Beklagte habe gerade unter Hinweis auf das Fehlen eines Verwaltungsaktes den Widerspruch des Klägers als unzulässig verworfen und keine Entscheidung in der Sache getroffen. In Bezug auf den Hilfsantrag fehle dem Kläger das notwendige Feststellungsinteresse. Denn zunächst habe der Beklagte kein Mitwirkungsverlangen mehr an den Kläger gerichtet. Ab Ende 2010 habe der Kläger, nunmehr in Bedarfsgemeinschaft mit P G und dem gemeinsamen Kind, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt.
Der weiterhin anwaltlich vertretene Kläger hat gegen den ihm am 1. Februar 2012 am 1. März 2012 Berufung eingelegt. Diese ist, trotz mehrfacher Aufforderung, ohne Begründet geblieben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 20. Januar 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 26. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2009 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 26. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2009 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Fehlerhaft sei der Kläger mit Schreiben vom 26. März 2008 gemäß §§ 60 ff. SGB I unter Hinweis auf seine Mit-wirkungspflichten sowie die angedrohte Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden, zur Mitwirkung und Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden. Korrekterweise hätte eine Auskunfts- und Mitwirkungsverpflichtung nach § 60 SGB II gegenüber dem Kläger ausgesprochen werden müssen. Dies führe jedoch nicht dazu, dass das Schreiben vom 26. März 2008 Verwaltungsaktqualität erlange.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Der Klägerbevollmächtigte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag formuliert. Da er weder ausdrücklich die Berufung beschränkt hat noch Anhaltspunkte für eine Rechtsmittelbeschränkung ersichtlich sind, ist das Berufungsbegehren dahingehend auszulegen, dass neben der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides in der Sache sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag aus dem Klageverfahren weiter verfolgt werden sollen.
III. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zutreffend ausgeführt, dass die Anfechtungsklage unzulässig war, weil das Schreiben vom 26. März 2008 keinen Verwaltungsakt darstellt. Der Beklagte hat in diesem Schreiben ausdrücklich eine Verpflichtung des Klägers zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I angenommen und zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert, obwohl der Kläger ausweislich des Fortzahlungsantrages vom 28. Februar 2008 keine Leistungen beantragt hat. Die Aufforderung zur Mitwirkung gemäß § 60 Abs. 1 SGB I stellt aber keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – ZFSH/SGB 2009, 282 = JURIS-Dokument Rdnr. 10). Weiter hat das Sozialgericht beanstandungsfrei ausgeführt, dass das Schreiben vom 26. März 2008 auch kein Auskunftsbegehren gegenüber einem Dritten gemäß § 60 SGB II darstellt. Schließlich hat es den Hilfsantrag wegen des fehlenden Feststellungsinteresses zu Recht abgelehnt.
Es wird daher auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend wird zur Frage einer möglichen Auslegung oder Umdeutung des Schreibens vom 26. März 2008 angemerkt:
Eine Auslegung und Umdeutung des Schreibens in einen Verwaltungsakt nach § 60 SGB II, wie es wohl der Klägerbevollmächtigte wünscht, ist nicht möglich.
Im Rahmen der Auslegung wird der wirklich erklärte Wille der Behörde ermittelt, im Rahmen der Umdeutung der hypothetisch erklärte Wille (vgl. Leopold, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB X [2013], § 43 Rdnr. 9, m. w. N.; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 84. Erg.-Lfg., Dezember 2014], § 43 SGB X, Rdnr. 3; vgl. auch Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 43 Rdnr. 3). Die Auslegung hat Vorrang vor der Umdeutung (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 R – SozR 4-1500 § 158 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 21, m. w. N.; Leopold, a. a. O., m. w. N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2007 – 6 C 28/05 – Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 = JURIS-Dokument Rdnr. 27).
Das Schreiben des Beklagten vom 26. März 2008 enthält, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen sind, sofern – wie vorliegend – das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 4 AS 29/13 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 6 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 16, m. w. N.). Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Maßstab der Auslegung ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R – SozR 4-1500 § 192 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 18, m. w. N.).
Hieran gemessen hat der Beklagte im Schreiben vom 26. März 2008 klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass er an den Kläger ein Mitwirkungsverlangen nach § 60 SGB I richtet. In § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I sind verschiedene Pflichten für denjenigen, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, geregelt. Bereits aus dem Einleitungssatz des Schreibens geht hervor, dass der Beklagte in dem Schreiben den Kläger als Antragsteller behandelte ("um ihren Antrag [ ] bearbeiten zu können"). Im weiteren Text bezog er sich dann ausdrücklich auf die §§ 60 ff. SGB I und wies auf die Möglichkeit der Leistungsversagung nach § 66 SGB I hin. Auf der Rückseite des Schreibens waren – zum Teil verkürzt – die Regelungen aus den §§ 60 bis 62, 65 und 66 SGB I wiedergegeben. Demgegenüber sind in § 60 SGB II Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Dritter geregelt. Die über § 60 SGB II Verpflichteten sind gerade keine Antragsteller oder Leistungsempfänger in Bezug auf die Leistung, hinsichtlich derer ihre Mitwirkung gefordert wird. Wenn der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB II nicht, nicht richtig oder nicht vollständig entsprochen wird, hat dies als Sanktion nicht wie in § 66 SGB I die Leistungsversagung oder -entziehung zur Folge, sondern eine Schadensersatzforderung nach § 62 Nr. 2 SGB II und eine Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 und 5 SGB II. Auch wenn der Beklagte richtigerweise ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs. 4 SGB II an den Kläger hätte richten müssen, ist für die Auslegung einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung nicht maßgebend, wie die Behörde rechtmäßig hätte verfahren müssen, sondern welchen erkennbaren wirklichen Willen die Willenserklärung hat.
Auch eine Umdeutung des auf § 60 SGB I gestützten Schreibens in einen Bescheid nach § 60 Abs. 4 SGB II scheidet aus.
Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Auf Grund des eindeutigen Wortlautes enthält § 43 Abs. 1 SGB X eine auf die Umdeutung eines Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt beschränkte Regelung (so zu § 47 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg [Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG]: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 1989 – 5 S 1990/87 – NVwZ-RR 1990, 225 = JURIS-Dokument Rdnr. 33). Andere Rechtsakte als Verwaltungsakte können nicht nach § 43 SGB X umgedeutet werden (vgl. Leopold, a. a. O., Rdnr. 24, m. w. N.).
Für eine Umdeutung kommt möglicherweise noch § 140 BGB in entsprechender Anwendung in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1980 – 12 RK 68/79 – JURIS-Dokument Rdnr. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 1989, a. a. O.). Nach § 140 BGB gilt, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Diese Regelung gilt über die Verweisungsreglung in § 61 Satz 2 SGB X für öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend. Ob eine analoge Anwendung von § 140 BGB bei anderen öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen möglich ist, ist bislang nicht geklärt (vgl. hierzu z. B. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG [8. Aufl. 2014, § 47 Rdnr. 3; A. Arnolf, in: Erman, BGB [14. Aufl., 2014], § 140 Rdnr. 2; H. Roth, in: Staudinger, BGB [Neubearbeitung 2010], § 140 Rdnr. 12; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 1989 – 17 A 1129/85 – NVwZ 1990, 676 = JURIS-Dokument Rdnr. 21 ff.; ablehnend: Busche, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1 [6. Aufl., 2012], § 140 Rdnr. 11; ablehnend für Satzungen: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2007 – OVG 2 A 15.05 – JURIS-Dokument Rdnr. 38).
Diese Frage muss vorliegend aber nicht vertieft werden. Denn Voraussetzung für eine Umdeutung nach § 140 BGB ist, dass das umzudeutende Rechtsgeschäft nichtig ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1980, a. a. O.; BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 R – SozR 4-1500 § 158 Nr. 1 = NZS 2004, 334 = JURIS-Dokument Rdnr. 19). Hieran fehlt es bei der im Schreiben des Beklagten vom 26. März 2008 enthaltenen Willenserklärung; sie ist nicht nichtig.
Vorliegend kommt allein der Nichtigkeitsgrund aus § 134 BGB in Betracht. Danach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Frage, ob der in einem Rechtsgeschäft liegende Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, nach Sinn und Zweck der einzelnen Verbotsvorschrift zu entscheiden. Sofern eine ausdrückliche Bestimmung fehlt, kommt es darauf an, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1982 – VII ZR 183/80 – BGHZ 85, 39 [43] = NJW 1983, 109 = JURIS-Dokument Rdnr. 25, m. w. N.). Entscheidend ist mithin, ob das Gesetz sich nicht nur gegen den Abschluss des Rechtsgeschäfts wendet, sondern auch gegen seine privatrechtliche Wirksamkeit und damit gegen seinen wirtschaftlichen Erfolg (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1992 – III ZR 151/91 –BGHZ 118, 142 [144] = NJW 1992, 2021 = JURIS-Dokument Rdnr. 14, m. w. N.). In ähnlicher Weise hat sich das Bundessozialgericht geäußert (vgl. z. B. BSG, Urteil 24. Januar 2008 – B 3 KR 17/07 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 7 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 26, m. w. N.; BSG, Urteil 21. Juli 2009 – B 7 AL 3/08 R – BSGE 104, 83 = SozR 4-4300 § 170 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 13, m. w. N.). Anhaltspunkte für die Auslegung einer Regelung können sich auch aus dem Wortlaut ergeben (vgl. A. Arnold, a. a. O., § 134 Rdnr. 13; R. Sack/M. Seibl; in: Staudinger, BGB [Neubearbeitung 2011], § 134 Rdnr. 31). Sinn und Zweck eines Gesetzes sind nicht nur für die Frage bedeutsam, ob der Gesetzesverstoß Nichtigkeit nach sich zieht oder ob sich aus dem Gesetz "ein anderes ergibt", sondern auch für die Frage, ob überhaupt ein Verbot vorliegt (vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1 [6. Aufl., 2012], § 140 Rdnr. 41).
Gemessen hieran handelt es sich bei § 60 SGB I nicht um eine Verbotsnorm. Die Vorschrift dient der Ermittlung der entscheidungserheblichen Informationen, die mit Hilfe des Leistungsberechtigten zu erlangen sind. Damit soll dem Leistungsträger die Erfüllung seiner Aufgaben ermöglicht werden (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 84. Erg.-Lfg., Dezember 2014], § 60 SGB I, Rdnr. 2; Sichert, in: Hauck/Noftz, SGB I [Stand: 36. Erg.-Lfg, Dezember 2012], § 60 Rdnr. 1). Die Auskunftspflicht besteht grundsätzlich unabhängig von einer Aufforderung durch dem Leistungsträger. Die Kompetenz, gegebenenfalls auch die Verpflichtung, zum Erlass einer Mitwirkungsaufforderung kann sich allerdings insbesondere aus der Pflichtenstellung des Leistungsträgers nach § 17 Abs. 1 SGB I ergeben (vgl. Seewald, a. a. O., Rdnr. 15; Sichert, a. a. O., Rdnr. 29). Wenn ein Leistungsträger beim Erlass einer Mitwirkungsaufforderung die rechtlichen Vorgaben nicht beachtet, verstößt er zwar gegen das Gesetz. Dies macht die Aufforderung aber noch nicht nichtig im Sinne von § 134 BGB.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
III. Die Revision wird nicht zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte dem Kläger auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über ein Schreiben, in dem der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung in einem Verwaltungsverfahren aufgefordert hat.
Der 1969 geborene Kläger lebte zum streitigen Zeitpunkt im elterlichen Wohnhaus in der D straße , K -B OT S , im ersten Obergeschoss. Auf der gleichen Etage wohnte auch P G aufgrund eines Mietvertrages zwischen dem Vater des Klägers und ihr. Sie bezog ab Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Im Rahmen der Prüfung des Fortzahlungsantrages vom 18. Februar 2008 leitete der Beklagte die Prüfung ein, ob zwischen dem Kläger und P G eine Bedarfsgemeinschaft vorliege.
Am 13. März 2008 bat der Beklagte in einem an P G adressierten Schreiben um Vorlage von Unterlagen beziehungsweise Nachweisen zur Einkommens- und Vermögenssituation des Klägers. Mit Schreiben vom 17. März 2008 forderte die Beklagte P G auf, bis zum 25. März 2008 folgende Unterlagen und Nachweise vorzulegen: "[ ] - aktuelle Vermögens- und Einkommensnachweise von Herrn M W - bisher eingezahlter Gesamtbetrag und aktueller Rückkaufswert bei allen Versicherungen mit Rückkaufsmöglichkeit von Herrn M W - aktuelle Kontoauszüge von Herrn M W [ ]". Der Beklagte machte auf die Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) sowie die Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden, aufmerksam.
Mit weiterem Schreiben vom 26. März 2008, adressiert an den Kläger, wurde dieser um Vorlage der mit Schreiben vom 17. März 2008 geforderten Unterlagen bis zum 4. April 2008 gebeten. Dieses Schreiben enthielt einen Hinweis auf Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. SGB I sowie die Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden.
Hiergegen legte der anwaltlich vertretene Kläger am 1. April 2008 Widerspruch ein. Die Aufforderung stelle einen Verwaltungsakt das. Er, der Kläger, habe keine Leistungen nach dem SGB II beantragt und beabsichtige die zur Zeit auch nicht. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 60 SGB II bestehe nicht. Zwischen ihm und P G bestehe keine eheähnliche Gemeinschaft.
Mit Bescheid vom 7. April 2009 wurden P G für die Zeit vom 1. April bis 28. April 2008 und mit Bescheid vom 15. Mai 2008 für die Zeit vom 29. April 2008 bis 30. September 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligt.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2009 als unzulässig verworfen. Bei der Anforderung von Unterlagen im Schreiben vom 26. März 2008 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um ein dem verbindlichen Auskunftsverlangen vorgeschaltetes Schreiben.
Der Kläger hat hiergegen am 13. Mai 2009 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2009, hilfsweise die Feststellung, dass der Bescheid vom 26. März 2008 rechtswidrig sei, begehrt. Er hat unter anderem vorgetragen, dass der Beklagte die Auskunftsverpflichtung auf § 60 Abs. 4 SGB II gestützt habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei unzulässig, weil das Schreiben vom 26. März 2008 keinen Verwaltungsakt darstelle. Der Beklagte habe, obwohl der Kläger keine Leistungen beantragt habe, in seinem Schreiben vom 26. März 2008 ausdrücklich eine Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I angenommen, nicht jedoch eine Mitwirkung eines Dritten gemäß § 60 SGB II. Die Aufforderung zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I stelle keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R). Bei der durch § 60 Abs. 1 SGB I begründeten Pflicht handele es sich nicht um eine unmittelbare und vollstreckungsfähige Handlungspflicht. Vielmehr sei § 60 Abs. 1 SGB I eine Obliegenheit im Rahmen eines sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses, bei der Aufklärung des leistungsrelevanten Sachverhaltes mitzuwirken. Werde die Mitwirkungspflicht verletzt, dürfe der Sozialleistungsträger die Leistungsgewährung unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I ablehnen. Der Beklagte habe auch keinen Verwaltungsakt zur Begründung oder Regelung einer Auskunftspflicht des Klägers gemäß § 60 Abs. 4 SGB II erlassen. Die Vorschrift des § 60 SGB II regele, ob und bezüglich welcher Tatsachen Auskunftspflichten und Mitwirkungspflichten Dritter bestünden und ergänze insoweit die allgemeinen Regelungen der §§ 20 ff. des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) und §§ 60 ff. SGB I. Die gemäß § 60 SGB I für Antragsteller und Leistungsbezieher bestehenden allgemeinen Auskunftspflichten würden durch diese Vorschrift ergänzt. Da die in § 60 SGB II geregelten Auskunftspflichten öffentlich-rechtlicher Natur seien, könne der Leistungsträger diese mittels Verwaltungsakt geltend machen. Zwar habe der Kläger weder Sozialleistungen erhalten noch beantragt, so dass ein Anschreiben unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht des Klägers als Antragsteller gemäß § 60 SGB I nicht nachvollziehbar erscheine. Dieser Umstand rechtfertige jedoch nicht die Annahme, der Beklagte habe in der Sache einen Verwaltungsakt zur Begründung einer Auskunftspflicht gemäß § 60 Abs. 4 SGB II erlassen wollen. Das lasse sich aus dem Bescheid [gemeint ist das Schreiben vom 26. März 2008] nicht entnehmen. Der anwaltlich vertretene Kläger habe das Schreiben vom 26. März 2008 nicht in diesem Sinne verstehen können. Bereits aufgrund der angedrohten Rechtsfolge habe der Kläger nicht annehmen können, dass hier eine Auskunftspflicht gegenüber einem Dritten begründet werden solle. Die Drohung, vom Kläger nicht beantragte Leistungen abzulehnen, könne nicht über den Wortlaut hinaus dahingehend ausgelegt werden, dass das Auskunftsbegehren gegenüber dem Kläger auf § 60 SGB II gestützt und gegebenenfalls zwangsweise durchgesetzt werden solle. Der Kläger habe daher keine Veranlassung für die Einlegung des Widerspruchs gehabt. Auch durch den Erlass des Widerspruchsbescheides habe das Schreiben vom 26. März 2008 keine Verwaltungsaktqualität erlangt (vgl. Bay. LSG, Urteil vom 30. November 2011 – L 1 LW 11/10), denn der Beklagte habe gerade unter Hinweis auf das Fehlen eines Verwaltungsaktes den Widerspruch des Klägers als unzulässig verworfen und keine Entscheidung in der Sache getroffen. In Bezug auf den Hilfsantrag fehle dem Kläger das notwendige Feststellungsinteresse. Denn zunächst habe der Beklagte kein Mitwirkungsverlangen mehr an den Kläger gerichtet. Ab Ende 2010 habe der Kläger, nunmehr in Bedarfsgemeinschaft mit P G und dem gemeinsamen Kind, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt.
Der weiterhin anwaltlich vertretene Kläger hat gegen den ihm am 1. Februar 2012 am 1. März 2012 Berufung eingelegt. Diese ist, trotz mehrfacher Aufforderung, ohne Begründet geblieben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 20. Januar 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 26. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2009 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 26. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2009 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Fehlerhaft sei der Kläger mit Schreiben vom 26. März 2008 gemäß §§ 60 ff. SGB I unter Hinweis auf seine Mit-wirkungspflichten sowie die angedrohte Versagung von Leistungen für den Fall, dass Unterlagen nicht eingereicht würden, zur Mitwirkung und Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden. Korrekterweise hätte eine Auskunfts- und Mitwirkungsverpflichtung nach § 60 SGB II gegenüber dem Kläger ausgesprochen werden müssen. Dies führe jedoch nicht dazu, dass das Schreiben vom 26. März 2008 Verwaltungsaktqualität erlange.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Der Klägerbevollmächtigte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag formuliert. Da er weder ausdrücklich die Berufung beschränkt hat noch Anhaltspunkte für eine Rechtsmittelbeschränkung ersichtlich sind, ist das Berufungsbegehren dahingehend auszulegen, dass neben der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides in der Sache sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag aus dem Klageverfahren weiter verfolgt werden sollen.
III. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zutreffend ausgeführt, dass die Anfechtungsklage unzulässig war, weil das Schreiben vom 26. März 2008 keinen Verwaltungsakt darstellt. Der Beklagte hat in diesem Schreiben ausdrücklich eine Verpflichtung des Klägers zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I angenommen und zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert, obwohl der Kläger ausweislich des Fortzahlungsantrages vom 28. Februar 2008 keine Leistungen beantragt hat. Die Aufforderung zur Mitwirkung gemäß § 60 Abs. 1 SGB I stellt aber keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – ZFSH/SGB 2009, 282 = JURIS-Dokument Rdnr. 10). Weiter hat das Sozialgericht beanstandungsfrei ausgeführt, dass das Schreiben vom 26. März 2008 auch kein Auskunftsbegehren gegenüber einem Dritten gemäß § 60 SGB II darstellt. Schließlich hat es den Hilfsantrag wegen des fehlenden Feststellungsinteresses zu Recht abgelehnt.
Es wird daher auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend wird zur Frage einer möglichen Auslegung oder Umdeutung des Schreibens vom 26. März 2008 angemerkt:
Eine Auslegung und Umdeutung des Schreibens in einen Verwaltungsakt nach § 60 SGB II, wie es wohl der Klägerbevollmächtigte wünscht, ist nicht möglich.
Im Rahmen der Auslegung wird der wirklich erklärte Wille der Behörde ermittelt, im Rahmen der Umdeutung der hypothetisch erklärte Wille (vgl. Leopold, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB X [2013], § 43 Rdnr. 9, m. w. N.; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 84. Erg.-Lfg., Dezember 2014], § 43 SGB X, Rdnr. 3; vgl. auch Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 43 Rdnr. 3). Die Auslegung hat Vorrang vor der Umdeutung (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 R – SozR 4-1500 § 158 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 21, m. w. N.; Leopold, a. a. O., m. w. N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2007 – 6 C 28/05 – Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 = JURIS-Dokument Rdnr. 27).
Das Schreiben des Beklagten vom 26. März 2008 enthält, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen sind, sofern – wie vorliegend – das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 4 AS 29/13 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 6 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 16, m. w. N.). Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Maßstab der Auslegung ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R – SozR 4-1500 § 192 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 18, m. w. N.).
Hieran gemessen hat der Beklagte im Schreiben vom 26. März 2008 klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass er an den Kläger ein Mitwirkungsverlangen nach § 60 SGB I richtet. In § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I sind verschiedene Pflichten für denjenigen, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, geregelt. Bereits aus dem Einleitungssatz des Schreibens geht hervor, dass der Beklagte in dem Schreiben den Kläger als Antragsteller behandelte ("um ihren Antrag [ ] bearbeiten zu können"). Im weiteren Text bezog er sich dann ausdrücklich auf die §§ 60 ff. SGB I und wies auf die Möglichkeit der Leistungsversagung nach § 66 SGB I hin. Auf der Rückseite des Schreibens waren – zum Teil verkürzt – die Regelungen aus den §§ 60 bis 62, 65 und 66 SGB I wiedergegeben. Demgegenüber sind in § 60 SGB II Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Dritter geregelt. Die über § 60 SGB II Verpflichteten sind gerade keine Antragsteller oder Leistungsempfänger in Bezug auf die Leistung, hinsichtlich derer ihre Mitwirkung gefordert wird. Wenn der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB II nicht, nicht richtig oder nicht vollständig entsprochen wird, hat dies als Sanktion nicht wie in § 66 SGB I die Leistungsversagung oder -entziehung zur Folge, sondern eine Schadensersatzforderung nach § 62 Nr. 2 SGB II und eine Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 und 5 SGB II. Auch wenn der Beklagte richtigerweise ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs. 4 SGB II an den Kläger hätte richten müssen, ist für die Auslegung einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung nicht maßgebend, wie die Behörde rechtmäßig hätte verfahren müssen, sondern welchen erkennbaren wirklichen Willen die Willenserklärung hat.
Auch eine Umdeutung des auf § 60 SGB I gestützten Schreibens in einen Bescheid nach § 60 Abs. 4 SGB II scheidet aus.
Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Auf Grund des eindeutigen Wortlautes enthält § 43 Abs. 1 SGB X eine auf die Umdeutung eines Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt beschränkte Regelung (so zu § 47 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg [Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG]: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 1989 – 5 S 1990/87 – NVwZ-RR 1990, 225 = JURIS-Dokument Rdnr. 33). Andere Rechtsakte als Verwaltungsakte können nicht nach § 43 SGB X umgedeutet werden (vgl. Leopold, a. a. O., Rdnr. 24, m. w. N.).
Für eine Umdeutung kommt möglicherweise noch § 140 BGB in entsprechender Anwendung in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1980 – 12 RK 68/79 – JURIS-Dokument Rdnr. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 1989, a. a. O.). Nach § 140 BGB gilt, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Diese Regelung gilt über die Verweisungsreglung in § 61 Satz 2 SGB X für öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend. Ob eine analoge Anwendung von § 140 BGB bei anderen öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen möglich ist, ist bislang nicht geklärt (vgl. hierzu z. B. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG [8. Aufl. 2014, § 47 Rdnr. 3; A. Arnolf, in: Erman, BGB [14. Aufl., 2014], § 140 Rdnr. 2; H. Roth, in: Staudinger, BGB [Neubearbeitung 2010], § 140 Rdnr. 12; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 1989 – 17 A 1129/85 – NVwZ 1990, 676 = JURIS-Dokument Rdnr. 21 ff.; ablehnend: Busche, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1 [6. Aufl., 2012], § 140 Rdnr. 11; ablehnend für Satzungen: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2007 – OVG 2 A 15.05 – JURIS-Dokument Rdnr. 38).
Diese Frage muss vorliegend aber nicht vertieft werden. Denn Voraussetzung für eine Umdeutung nach § 140 BGB ist, dass das umzudeutende Rechtsgeschäft nichtig ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1980, a. a. O.; BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 R – SozR 4-1500 § 158 Nr. 1 = NZS 2004, 334 = JURIS-Dokument Rdnr. 19). Hieran fehlt es bei der im Schreiben des Beklagten vom 26. März 2008 enthaltenen Willenserklärung; sie ist nicht nichtig.
Vorliegend kommt allein der Nichtigkeitsgrund aus § 134 BGB in Betracht. Danach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Frage, ob der in einem Rechtsgeschäft liegende Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, nach Sinn und Zweck der einzelnen Verbotsvorschrift zu entscheiden. Sofern eine ausdrückliche Bestimmung fehlt, kommt es darauf an, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1982 – VII ZR 183/80 – BGHZ 85, 39 [43] = NJW 1983, 109 = JURIS-Dokument Rdnr. 25, m. w. N.). Entscheidend ist mithin, ob das Gesetz sich nicht nur gegen den Abschluss des Rechtsgeschäfts wendet, sondern auch gegen seine privatrechtliche Wirksamkeit und damit gegen seinen wirtschaftlichen Erfolg (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1992 – III ZR 151/91 –BGHZ 118, 142 [144] = NJW 1992, 2021 = JURIS-Dokument Rdnr. 14, m. w. N.). In ähnlicher Weise hat sich das Bundessozialgericht geäußert (vgl. z. B. BSG, Urteil 24. Januar 2008 – B 3 KR 17/07 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 7 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 26, m. w. N.; BSG, Urteil 21. Juli 2009 – B 7 AL 3/08 R – BSGE 104, 83 = SozR 4-4300 § 170 Nr. 2 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 13, m. w. N.). Anhaltspunkte für die Auslegung einer Regelung können sich auch aus dem Wortlaut ergeben (vgl. A. Arnold, a. a. O., § 134 Rdnr. 13; R. Sack/M. Seibl; in: Staudinger, BGB [Neubearbeitung 2011], § 134 Rdnr. 31). Sinn und Zweck eines Gesetzes sind nicht nur für die Frage bedeutsam, ob der Gesetzesverstoß Nichtigkeit nach sich zieht oder ob sich aus dem Gesetz "ein anderes ergibt", sondern auch für die Frage, ob überhaupt ein Verbot vorliegt (vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1 [6. Aufl., 2012], § 140 Rdnr. 41).
Gemessen hieran handelt es sich bei § 60 SGB I nicht um eine Verbotsnorm. Die Vorschrift dient der Ermittlung der entscheidungserheblichen Informationen, die mit Hilfe des Leistungsberechtigten zu erlangen sind. Damit soll dem Leistungsträger die Erfüllung seiner Aufgaben ermöglicht werden (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 84. Erg.-Lfg., Dezember 2014], § 60 SGB I, Rdnr. 2; Sichert, in: Hauck/Noftz, SGB I [Stand: 36. Erg.-Lfg, Dezember 2012], § 60 Rdnr. 1). Die Auskunftspflicht besteht grundsätzlich unabhängig von einer Aufforderung durch dem Leistungsträger. Die Kompetenz, gegebenenfalls auch die Verpflichtung, zum Erlass einer Mitwirkungsaufforderung kann sich allerdings insbesondere aus der Pflichtenstellung des Leistungsträgers nach § 17 Abs. 1 SGB I ergeben (vgl. Seewald, a. a. O., Rdnr. 15; Sichert, a. a. O., Rdnr. 29). Wenn ein Leistungsträger beim Erlass einer Mitwirkungsaufforderung die rechtlichen Vorgaben nicht beachtet, verstößt er zwar gegen das Gesetz. Dies macht die Aufforderung aber noch nicht nichtig im Sinne von § 134 BGB.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
III. Die Revision wird nicht zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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