L 15 RF 4/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 RF 4/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist die Beurteilung am Tag des gerichtlich angeordneten Termins, der den Entschädigungsanspruch nach dem JVEG zur Folge hat.
2. Ändert der Arbeitgeber seine ursprüngliche Angabe, es sei bezahlter Urlaub genommen worden, dahingehend ab, dass dies "versehentlich" erfolgt sei und daher rückwirkend unbezahlter Urlaub eingetragen worden sei, begründet dies keinen Anspruch auf eine Entschädigung für Verdienstausfall. Anstelle einer Entschädigung für Verdienstausfall ist dann eine solche für Zeitversäumnis zu gewähren.
3. Zu entschädigen ist die nach objektiven Maßstäben zu ermittelnde "gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten". Sofern die vom Zeugen bzw. Beteiligten angegebene Zeit nicht lebensfremd erscheint, ist sie der Entschädigung zugrunde zu legen.
Die Entschädigung des Antragstellers für die Teilnahme an der gerichtlich angeordneten Begutachtung am 21.10.2015 wird auf 108,50 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Teilnahme an einem vom Gericht angeordneten Begutachtungstermin. Insbesondere geht es um die Frage der Entschädigung für Verdienstausfall.

In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 14 R 998/14 geführten rentenversicherungsrechtlichen Berufungsverfahren wurde der Antragsteller am 21.10.2015 auf Anordnung des Gerichts vom Sachverständigen Dr. L. im M. untersucht. Der ursprünglich auf 10.00 Uhr angesetzte Untersuchungstermin dauerte von 9.45 Uhr bis um 10.45 Uhr.

Mit einem am 02.11.2015 ausgefüllten und beim LSG am 12.11.2015 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte der Antragsteller eine Entschädigung für Verdienstausfall für 7,7 Stunden in Höhe von 89,38 EUR, was dem Tagesverdienst (übliche Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 15.12 Uhr) entspricht, einen Fahrtkostenersatz für eine Fahrtstrecke mit dem Auto von 336 km und Ersatz von Zehrkosten. Im Antrag gab er, von seinem Arbeitgeber am 05.11.2015 bestätigt, an, dass er bezahlten Urlaub bzw. Gleitzeit genommen habe. Er sei um 7.00 Uhr von zu Hause weggefahren und um 15.00 Uhr wieder daheim gewesen.

Mit Schreiben der Kostenbeamtin vom 27.11.2015 wurde dem Antragsteller eine Entschädigung in Höhe von 108,50 EUR gewährt (Entschädigung für Zeitversäumnis von 7.00 Uhr bis 14.00 Uhr in Höhe von 24,50 EUR, Erstattung von Fahrtkosten für gefahrene 336 km in Höhe von 84,- EUR). Ergänzend wies die Kostenbeamtin darauf hin, dass eine Entschädigung für Verdienstausfall nicht gewährt werden könne, da der Arbeitgeber des Antragstellers bescheinigt habe, dass der Antragsteller am 21.10.2015 Urlaub genommen habe. Eine Aufwandsentschädigung gemäß § 6 JVEG könne nur bei einer notwendigen Abwesenheitszeit von mehr als 8 Stunden gewährt werden.

Mit Eingang beim LSG am 20.01.2016 hat der Antragsteller kommentarlos ein Schreiben seines Arbeitgebers vom 15.01.2016 vorgelegt, in dem Folgendes ausgeführt ist:

"Sehr geehrter Herr A.,

für den 21.10.2015 hatten wir Ihnen versehentlich Urlaub eingetragen. Dies ist nicht korrekt, da dieser Tag unbezahlt sein muss. Deswegen werden wir Ihnen rückwirkend den 21.10.2015 vom Gehalt abziehen.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen"

Auf Nachfrage der Kostenbeamtin, warum das vorgenannte Schreibens dem LSG zugeschickt worden sei, hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 12.02.2016 beanstandet, dass ihm keine Entschädigung für Verdienstausfall gewährt worden sei. Gleichzeitig hat er die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung beantragt.

Mit Schreiben des Senats vom 22.03.2016 sind dem Antragsteller die Voraussetzungen einer Entschädigung für Verdienstausfall erläutert worden; dabei ist erklärt worden, warum eine Bescheinigung, wonach nachträglich unbezahlter Urlaub eingetragen worden sei, an der Entschädigung nichts mehr ändern könne.

Der Senat hat die Akte des rentenversicherungsrechtlichen Verfahrens mit dem Aktenzeichen L 14 R 998/14 beigezogen.

II.

Die Entschädigung für das Erscheinen bei der Begutachtung am 21.10.2015 ist auf 108,50 EUR festzusetzen.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 12.02.2016 die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung beantragt.

1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).

2. Entschädigung für Verdienstausfall

Dem Antragsteller steht keine Entschädigung für Verdienstausfall gemäß § 22 JVEG zu, da zum Zeitpunkt der Wahrnehmung des vom Gericht angeordneten und daher den Entschädigungsanspruch auslösenden Termins kein Verdienstausfall entstanden ist.

In seiner Grundsatzentscheidung vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, hat sich der Senat umfassend mit der Frage der Entschädigung von Verdienstausfall auseinander gesetzt. Er hat dabei - kurz zusammengefasst - folgende Kernaussagen getroffen:

- Um das Tatbestandsmerkmal des Verdienstausfalls im Sinn des § 22 JVEG bejahen zu können, bedarf es (nur) des Nachweises, dass überhaupt ein solcher Ausfall entstanden ist, nicht aber in welcher Höhe. - Dieser Nachweis ist im Vollbeweis zu führen, da das JVEG keine Beweiserleichterung enthält. - Dieser Beweismaßstab gilt sowohl bei abhängig beschäftigten als auch bei selbständig tätigen Anspruchstellern. Wegen der bei letzterer Berufsgruppe wesensmäßig vorliegenden Nachweisschwierigkeit ist durch das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden freien Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz aber sicher zu stellen, dass der gesetzlich vorgesehene Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall nicht faktisch leer läuft. - Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist die Beurteilung am Tag des Gerichtstermins, der den Entschädigungsanspruch nach dem JVEG zur Folge hat. Spätere Entwicklungen bleiben bei der Festsetzung der Entschädigung unberücksichtigt. - Zu entschädigen ist die nach objektiven Maßstäben zu ermittelnde "gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten", nicht mehr wie früher vor Inkrafttreten des JVEG unter Geltung des Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen die "versäumte Arbeitszeit". Die konkret ausgefallene Arbeitszeit ist daher nicht zu ermitteln; eine fiktive Mittagspause kann nicht in Abzug gebracht werden (vgl. auch Beschluss des Senats vom 06.12.2013, Az.: L 15 SF 39/13).

An diesen Grundsätzen hat sich auch im hier zu entscheidenden Fall die Beantwortung der Frage zu orientieren, ob dem Antragsteller eine Entschädigung für Verdienstausfall zusteht oder nicht.

Wie sich aus dem Entschädigungsantrag des Antragstellers vom 02.11.2015 und der dortigen Angabe des Arbeitgebers vom 05.11.2015 unzweifelhaft ergibt, hat der Antragsteller am 21.10.2015 bezahlten Urlaub oder Gleitzeit genommen. Damit ist ihm am 21.10.2015 kein Verdienstausfall entstanden.

Ob dem Antragsteller infolge einer nach dem Gerichtstermin mit seinem Arbeitgeber erfolgten Absprache für den 21.10.2015 nachträglich ein Verdienstausfall entstanden ist - im vorliegenden Fall liegt der Eindruck nicht fern, dass der Antragsteller mit seinem Arbeitgeber nach der Abrechnung durch die Kostenbeamtin vereinbart hat, dass die Zeit der gerichtsterminsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz arbeitsrechtlich als unbezahlter Urlaub zu betrachten sei, damit er vom LSG eine Entschädigung für Verdienstausfall erhalten und sich gleichzeitig einen Tag Urlaub sparen könne - oder möglicherweise der Antragsteller und sein Arbeitgeber zunächst "versehentlich" von bezahltem Urlaub ausgegangen sind, ist für die zu gewährende Entschädigung ohne Bedeutung. Denn auch nach den Angaben des Arbeitgebers in dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben des Arbeitgebers vom 15.01.2016 ist davon auszugehen, dass die Eintragung unbezahlten Urlaubs "rückwirkend" erfolgt ist - so hat es der Arbeitgeber explizit angegeben. Dies steht aber eine Berücksichtigung und einer Gewährung von Entschädigung für Verdienstausfall entgegen. Denn spätere Entwicklungen und nachträgliche Änderungen haben für die Frage der Entschädigung keine Bedeutung mehr (ständige Rspr. des Senats, vgl. Beschlüsse vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B, und vom 16.12.2015, Az.: L 15 RF 44/15).

3. Entschädigung für Zeitversäumnis

Dem Antragsteller steht aber eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Sinn des § 20 JVEG in Höhe von 24,50 EUR zu.

3.1. Ob der Entschädigung für Zeitversäumnis

Eine Entschädigung für Zeitversäumnis wird regelmäßig dann zu erbringen sein, wenn weder ein Verdienstausfall noch Nachteile bei der Haushaltsführung geltend gemacht werden können. Denn bei dieser Entschädigung für sonstige Nachteile ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten geldwerte Vorteile entgehen (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, a.a.O., § 20, Rdnr. 4). Zudem besteht mit § 20 letzter Halbsatz JVEG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil erstanden ist.

Mit der Frage, wann die gesetzliche Vermutung als widerlegt zu betrachten ist, hat sich der Senat eingehend in seinem Grundsatzbeschluss vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, auseinander gesetzt. Danach ist lediglich dann, wenn einem Antragsteller "ersichtlich" kein Nachteil entstanden ist, eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht zu leisten. Davon, dass ersichtlich kein Nachteil entstanden ist, ist dann auszugehen, wenn sich aus den eigenen Angaben des Antragstellers ergibt, dass er die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte, oder wenn es offensichtlich ist, dass ein Nachteil nicht eingetreten ist. Ersteres ist dann anzunehmen, wenn ein Antragsteller im Antrag nichts angibt, was auf eine Zeitversäumnis hindeutet, und er nicht einmal durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle im Antragsformular zu erkennen gibt, dass ihm eine Zeitversäumnis entstanden ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E). Ob der Nichteintritt eines Nachteils aus anderen Gründen ersichtlich, d.h. offensichtlich erkennbar ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten sind dabei angesichts der gesetzlichen Vermutung nur sehr gering (vgl. Beschluss des Senats vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Denn mit der Entschädigung für Zeitversäumnis gemäß § 20 JVEG wird auch der Verlust von Freizeit entschädigt, wobei die Verwendung von Freizeit sehr vielgestaltig ist und im Belieben des Einzelnen steht. Eine Beurteilung der Wertigkeit der Freizeitgestaltung steht dem Kostenbeamten genauso wie dem Kostenrichter nicht zu.

Dadurch, dass der Antragsteller eine Entschädigung für Verdienstausfall beantragt hat (, die ihm aber nicht zugesprochen werden kann), kann ihm nicht unterstellt werden, dass er die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte, sodass ihm die nachrangig zustehende Entschädigung für Zeitversäumnis, die er nicht explizit beantragt hat, zuzusprechen ist (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 24.04.2013, Az.: L 15 SF 62/13, vom 14.05.2014, Az.: L 15 SF 122/13, und vom 14.09.2015, Az.: L 15 RF 25/15; zur vergleichbaren Situation wie hier, dass Entschädigung für Verdienstausfall beantragt wird, ein Verdienstausfall aber nicht nachgewiesen ist: vgl. Beschlüsse des Senats vom 18.11.2013, Az.: L 15 SF 121/11, und vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15). Ihm kann nicht entgegen gehalten werden, dass er nicht explizit eine Entschädigung für Zeitversäumnis geltend gemacht hat. Denn die Nichtgeltendmachung ist darauf zurückzuführen, dass er eine finanziell höherwertige Entschädigung, nämlich für Verdienstausfall, beantragt hat.

3.2. Zu entschädigende Zeitdauer

Es ist eine Entschädigung für 7 Stunden zu gewähren.

Die Dauer der zu entschädigenden Zeit ergibt sich aus § 19 Abs. 2 JVEG. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG ist die "gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten" zu berücksichtigen. Diese Regelung gilt für alle nach Zeit zu bemessenden Entschädigungstatbestände.

Die Notwendigkeit der Dauer der Heranziehung ist - wie auch sonst bei der Bemessung der Entschädigung - nach objektiven Kriterien zu ermitteln (vgl. zur Fahrtstrecke: Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12; zu Verpflegungskosten: Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 277/10; zur Begleitperson: Beschluss des Senats vom 02.11.2012, Az.: L 15 SF 82/12). Dabei ist auch die im gesamten Kostenrecht geltende Kostenminimierungspflicht zu beachten (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12). Dies darf aber nicht dazu führen, dass nur die retrospektiv ermittelte unverzichtbare Abwesenheitszeit entschädigt wird. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, ob die tatsächlich vorliegende Abwesenheitszeit nicht aus nachvollziehbaren Gründen länger war als die unverzichtbare Zeit (vgl. Beschlüsse des Senats vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, und vom 15.05.2014, Az.: L 15 SF 118/14). So hat beispielsweise der Zeuge bzw. Beteiligte bei der Anfahrt zum Gericht gewisse Unsicherheitsfaktoren (z.B. Staugefahr) zu berücksichtigen. Ein vernünftig denkender Zeuge bzw. Beteiligter wird zudem ein gewisses Zeitpolster einkalkulieren, sodass er eine rechtzeitige Ankunft bei Gericht, die insbesondere auch im Interesse des ladenden Gerichts liegt, nicht gefährdet. Gegebenenfalls benötigt ein Beteiligter vor dem Termin auch noch etwas Zeit, um den Fall mit seinem Bevollmächtigten zu besprechen. Bei entsprechend langer Abwesenheit von zu Hause oder der Arbeitsstelle kann es auch erforderlich sein, dass der Zeuge bzw. Beteiligte eine Pause macht, um sich für die weitere (Rück-)Fahrt zu stärken. Da hier bei Berücksichtigung der spezifischen Einzelfallumstände zahlreiche Konstellationen denkbar sind, die eine etwas längere Zeit als die unverzichtbare Abwesenheitszeit begründen, dürfen im Sinn der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Leitgedanke der Rechtsprechung des Kostensenats, vgl. z.B. Beschluss vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15 - m.w.N.). Sofern die vom Zeugen bzw. Beteiligten angegebene Zeit nicht lebensfremd erscheint, wird sie daher regelmäßig der Entschädigung zugrunde zu legen sein (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 15.05.2014, Az.: L 15 SF 118/14).

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 JVEG wird die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet, wenn insgesamt mehr als 30 Minuten auf die Heranziehung entfallen; anderenfalls beträgt die Entschädigung die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags.

Begrenzt ist die Dauer gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG auf 10 Stunden je Tag.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller eine Abwesenheitszeit von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr, also von 8 Stunden, angegeben. Auch bei der gebotenen großzügigen Betrachtungsweise kann diese Zeitdauer nicht mehr als objektiv erforderlich betrachtet werden; eine so lange Abwesenheitsdauer ist lebensfremd. Der Untersuchungstermin hat um 9.45 Uhr begonnen und eine Stunde gedauert. Die vom Kläger angegebene Abfahrtszeit 7.00 Uhr zuhause ist mit Blick auf die sich aus Routenplanern ergebenden Fahrtdauer von ziemlich genau zwei Stunden und der Einplanung eines gewissen Zeitpolsters plausibel. Nicht mehr nachvollziehbar ist aber, warum der Antragsteller für die Rückfahrt vom Gutachter 4,25 Stunden und damit weit mehr Zeit als für die mit einer Dauer von 2,75 Stunden angegebene Anreise bis zum Beginn der Begutachtung gebraucht haben sollte. Selbst bei einer für den Antragsteller ausgesprochen großzügigen Betrachtung und Einrechnung einer Essenspause zur Stärkung für die Rückfahrt kann daher allenfalls eine gerichtsterminsbedingte Abwesenheit von insgesamt 7 Stunden zugrunde gelegt werden.

3.3. Ergebnis bei der Entschädigung für Zeitversäumnis

Bei einem gemäß § 20 JVEG zugrunde zu legenden Stundensatz von 3,50 EUR ergibt sich bei einer zu entschädigenden Zeitdauer von 7 Stunden eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 24,50 EUR.

4. Fahrtkosten

Dem Antragsteller sind Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG in Höhe von 84,- EUR zu erstatten.

Der Gesetzgeber hat mit § 5 JVEG dem Zeugen bzw. Beteiligten ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen Verkehrsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit dem Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels. Wählt der Zeuge bzw. Beteiligte die Anreise mit dem Kraftfahrzeug, werden ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG pro gefahrenem Kilometer 0,25 EUR ersetzt.

Der Ermittlung der Entschädigung ist die objektiv erforderliche Fahrtstrecke zugrunde zu legen. Was objektiv erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht zu ermitteln. Dabei geht der Senat in ständiger Rechtsprechung und in großzügigerer Auslegung, als sie teilweise von anderen Gerichten zugrunde gelegt wird, davon aus, dass nicht nur die Kosten für die kürzeste Strecke (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05), sondern grundsätzlich auch die Kosten für die schnellste, obgleich längere Strecke zu ersetzen sind. Weitere Ausnahmen kommen dann in Betracht, wenn die längere Strecke durch besondere Umstände gerechtfertigt ist (z.B. Unzumutbarkeit der kürzesten bzw. schnellsten Strecke oder Umwege durch Straßensperrungen) (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).

Die Ermittlung der Streckenlänge kann unter Zuhilfenahme der im Internet jedermann zugänglichen Routenplaner vorgenommen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 14.05.2014, Az.: L 15 SF 122/13), da davon ausgegangen werden kann, dass, wenn nicht mit einem ähnlich planenden Navigationssystem gefahren wird, derartige Routenplaner für die Planung der Anreise verwendet werden.

Macht ein Antragsteller keine Angaben zur gefahrenen Strecke oder ist seine Streckenangabe nicht nur geringfügig höher als die Entfernung, wie sie sich bei Zuhilfenahme der Routenplaner im Internet ergibt, ist dem Fahrtkostenersatz grundsätzlich die dem Routenplaner zu entnehmende Streckenlänge zur schnellsten Route ohne einen Toleranzaufschlag zugrunde zu legen (vgl. Beschluss des Senats vom 21.10.2015, Az.: L 15 RF 38/15). Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht die kürzeste Strecke mit einem nur geringen zeitlichen Mehraufwand verbunden ist, sodass ein wirtschaftlich denkender Reisender, der die Kosten selbst tragen müsste, wegen der Mehrkosten nicht die schnellste, sondern die kürzeste Strecke wählen würde.

Der Antragsteller hat eine Fahrtstrecke von insgesamt 336 km angegeben. Die von Routenplanern (z.B. http://www.falk.de/routenplaner) empfohlene schnellste Strecke beträgt insgesamt 315 km. Als Alternativroute wird eine Strecke mit 340 km und etwas mehr als 10 Minuten zusätzlicher Fahrzeit einfach angegeben. Die vom Antragsteller angegebenen gefahrenen 336 km können daher der Entschädigung noch zu Grunde gelegt werden; damit wird auch etwaigen, auf Ortsunkenntnis beruhenden Umwegen und einer Parkplatzsuche in München großzügig Rechnung getragen.

Insgesamt errechnet sich daher ein Fahrtkostenersatz von 84,- EUR.

5. Tagegeld (Zehrkosten)

Dem Antragsteller ist keine Entschädigung für die von ihm geltend gemachten Zehrkosten zu gewähren. Ein Anspruch auf Entschädigung für Aufwand gemäß § 6 Abs. 1 JVEG (Tagegeld) besteht nicht.

Mit dem Tagegeld sind die weiteren Kosten pauschal abgedeckt, die infolge einer längeren Abwesenheitszeit vom Wohnort oder der Arbeitsstelle entstehen. Davon umfasst sind insbesondere die Kosten für Verpflegung. Zehr- oder Verpflegungskosten sind als allgemeiner Aufwand im Sinne von § 6 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig, wenn sie infolge des gerichtlich angesetzten Termins objektiv notwendig sind. Aus dem Verweis in § 6 Abs. 1 letzter Halbsatz JVEG auf das Tagegeld im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 4a Satz 3 Einkommenssteuergesetz (EStG) wird deutlich, wann und in welcher Höhe Verpflegungskosten in Form einer Zehrkostenpauschale als notwendiger allgemeiner Aufwand zu erstatten sind. Bei einer Abwesenheit von mehr als acht bis unter 24 Stunden am Kalendertag ist seit dem 01.01.2014 infolge der Neufassung des § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG ein Pauschalbetrag von 12,- EUR anzusetzen.

Eine durch den Gerichtstermin objektiv erforderlich gewordene Abwesenheit von dieser Mindestdauer ist mit 7 Stunden im vorliegenden Fall nicht gegeben, sodass eine Entschädigung für Aufwand in Form von Tagegeld nicht in Betracht kommt.

Es errechnet sich aus den oben aufgezeigten Entschädigungspositionen eine Entschädigung für den Tag der Begutachtung am 23.10.2015 in Höhe von insgesamt 108,50 EUR.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
Saved