Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 VG 90/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VG 6/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Am Freitag, dem 22. Mai 2009, gegen 9 Uhr 30 wurde die Polizei von der Feuerwehr zum H-Platz in B gerufen, weil man den 1967 geborenen Kläger mit diversen Kopfverletzungen aufgefunden hatte. Die Polizei nahm eine Strafanzeige auf, in der zum Sachverhalt vermerkt wurde, der Kläger habe unter Einfluss alkoholischer Getränke und unter Schock gestanden. Er habe angegeben, eine ihm unbekannte männliche Person habe ihn nach einer Zigarette gefragt, woraufhin er, der Kläger, einen Schlag an den Kopf bekommen habe und sich ab da an nichts mehr erinnern könne. Es hätten diverse Blutspuren festgestellt werden können; beim Blut hätten sich Glasscherben und eine Brille befunden, weitere Anhaltspunkte zum Tathergang, Tatort sowie Hinweise durch Zeugen hätten nicht erlangt werden können. In der Strafanzeige wurden bei dem Kläger folgende Kopfverletzungen vermerkt: Kopfplatzwunde ca. 1 cm im Stirnbereich, Platzwunde rechte Kopfseite Höhe Ohr ca. 1 cm und eine ca. 1 cm lange Risswunde an der rechten Wange. In einem Rettungsdienst-Einsatzbogen der Berliner Feuerwehr heißt es insoweit zu "Vorgeschichte-Hergang-Beschwerden": "Mehrere Faustschläge gegen Kopf 2 Platzwunden Stirn 1-2 cm, 3-4cm Möglicherweise Platz-Risswunde Kiefer rechts [ ]".
Der Kläger wurde ins Krankenhaus L verbracht, in dem er vom 22. bis 24. Mai 2009 stationär behandelt wurde. Ausweislich einer Epikrise dieses Krankenhauses vom 15. Juni 2009 wurden bei dem Kläger folgende Diagnosen festgestellt:
- Commotio cerebri, - Alkoholabusus, - chronischer Nikotinabusus, - Alkoholentzugsdelir, - offene Wunde des Gesichts, - geschlossene Nasenbeinfraktur, - Weichteilschaden I. Grades bei geschlossener Fraktur, - multiple offene Wunden des Kopfes, - psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom.
Weiter heißt es in der Epikrise, der Kläger sei am 22. Mai 2009 in die Rettungsstelle verbracht worden und zum Aufnahmezeitpunkt stark alkoholisiert gewesen. Nach eigenen Angaben sei er von einer unbekannten männlichen Person verprügelt worden. Entsprechend habe er Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich gehabt, eine unmittelbar nach Aufnahme durchgeführte Computertomographie (CT) habe keinen sicheren Anhalt für eine Fraktur im Bereich der Kalotte oder des Gesichtsschädels gezeigt, jedoch eine Nasenbeinfraktur ohne Dislokation. Der Kläger sei auf die interdisziplinäre Intensivstation verlegt worden, sei ausgenüchtert und habe dann eine zunehmende Entzugssymptomatik gezeigt, welche darin geendet habe, dass sich der Kläger am Morgen des 24. Mai 2009 gegen ärztlichen Rat habe entlassen lassen.
Am Montag, dem 25. Mai 2009, fand die Polizei auf Hinweis einer Zeugin gegen 0 Uhr 25 im Gebüsch im R Ring in B den Kläger auf. Dieser stand ausweislich einer durch die Polizei erstellten Strafanzeige unter starkem Einfluss alkoholischer Getränke und wies am Kopf mehrere Verletzungen auf, die bereits verbunden waren. Der Kläger habe – so heißt es in der Strafanzeige weiter - erklärt, ihm sei nichts passiert, er habe sich die Kopfverletzungen bei einer Körperverletzung vor ein paar Tagen zugezogen. Der Kläger wurde dann durch die Feuerwehr in die Rettungsstelle des E Krankenhauses verbracht. Ausweislich eines Arztbriefes der dortigen Abteilung für Neurologie vom 22. Juni 2009 stellte sich der Kläger in den frühen Morgenstunden mit 1,6 Promille in der Rettungsstelle vor und wurde nach Ausschluss von Gefährdungen gegen ärztlichen Rat entlassen, ehe er einige Stunden später von der Polizei auf dem Krankenhausgelände krampfend im Gebüsch aufgefunden und wieder in die Rettungsstelle verbracht wurde. Zum Aufnahmezeitpunkt sei er noch wach und ansprechbar gewesen, habe dann aber einen akuten Herzkreislaufstillstand erlitten, sei reanimiert und anschließend intensivmedizinisch behandelt worden. Im Arztbrief vom 22. Juni 2009 über die stationäre Behandlung vom 12. Juni bis 2. Juli 2009 wurden folgende Diagnosen mitgeteilt:
- Minimally Conscious State, - Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation am 25. Mai 2009, - ethyltoxische Myopathie mit - akutem Nierenversagen nach Rhabdomylose, - langjährige Alkoholkrankheit, - arterielle Hypertonie.
Am 2. Juli 2009 wurde der Kläger zur stationären Frührehabilitation in die H Klinik verbracht, wo er bis zum 25. September 2009 behandelt wurde. Im Arztbrief über diese Behandlung vom 25. September 2009 wurden folgende Diagnosen mitgeteilt:
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie nach CPR am 25. Mai 2009 und Alkoholentzugskrampfanfall, - Alkoholkrankheit, - prärenales akutes Nierenversagen 07/09 nach Rhabdomylose, zur Zeit keine Dialyse, - erworbene Spitzfußstellung beidseits.
Bei nicht befriedigendem Therapieerfolg wurde der Kläger im Anschluss an die Rehabilitation in das Heim verlegt. Nach (wohl) rund zweijährigem Heimaufenthalt lebt der Kläger mittlerweile bei seiner Mutter.
Am 17. Juni 2009 erschien die Mutter und Betreuerin des Klägers bei der Polizei und erklärte, dieser könne einer Vorladung als Zeuge für den 30. Juni 2009 aufgrund des Vorfalles am 22. Mai 2009 wegen seines Gesundheitszustandes nicht wahrnehmen. Sie setzte die Polizei über die Erkrankungen des Klägers und über den Umstand seiner derzeitigen stationären Krankenhausbehandlung in Kenntnis. Ausweislich eines Vermerks der Polizei rief diese bei dem behandelnden Stationsarzt an und brachte in Erfahrung, dass der Kläger unter einer schweren Gehirnschädigung leide und seine Beine nur zeitweilig und unter großer Anstrengung bewegen könne; der Kläger sei nicht vernehmungsfähig und werde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf nicht absehbare Zeit ein Pflegefall bleiben. Nach Auskunft des Stationsarztes sei der Kläger am 25. Mai 2009 im Kopfbereich noch schwer gezeichnet gewesen und habe ältere Verletzungen aufgewiesen. Ob die festgestellte schwere Gehirnschädigung und das daraus resultierende Krankheitsbild eine Folge der Körperverletzung vom 22. Mai 2009 sei, habe der Stationsarzt nicht eindeutig sagen können.
Am 26. Juni 2009 wurde die Mutter des Klägers polizeilich vernommen. Am 29. und 30. Juni 2009 ermittelte die Polizei weiter und erstellte einen Bericht über diese Umfeldermittlungen am 30. Juni 2009. Außerdem wurden ausweislich eines entsprechenden Berichts ebenfalls vom 30. Juni 2009 am gleichen Tag 17 Personen der örtlichen "Trinkerszene" überprüft.
In einem polizeilichen Schlussbericht vom 17. August 2009 wurde ausgeführt, es habe nicht geklärt werden können, ob die Gehirnschädigung von der Verletzung der Straftat vom 22. Mai 2009 oder aufgrund der abgelehnten Behandlung resultiere; diesbezügliche Zweifel könnten nur in einem Gutachten geklärt werden. Die Staatsanwaltschaft stellte mit Einstellungsverfügung vom 26. Februar 2010 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung das Verfahren hinsichtlich der Ereignisse vom 22. Mai 2009 ein (Az.: ).
Am 3. August 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Leistungen nach dem OEG wegen der Tat vom 22. Mai 2009. Der Beklagte zog unter anderem den bereits benannten Arztbrief des E Krankenhauses vom 22. Juni 2009 sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei und lehnte den Antrag nach dem OEG mit Bescheid vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 (dem Kläger am 28. März 2011 zugegangen) ab, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht habe nachgewiesen werden können.
Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Neuruppin am 27. April 2011 Klage erhoben, das den Rechtsstreit durch Beschluss vom 25. Mai 2011 an das örtlich zuständige Sozialgericht Berlin verwiesen hat.
Das Sozialgericht hat die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie Behandlungsunterlagen bei dem E Krankenhaus beigezogen und einen Befundbericht bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin T vom 12. März 2013 eingeholt. Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine fachpsychiatrische Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 13. Mai 2013 übermittelt.
Das Sozialgericht hat ein neurochirurgisches Gutachten nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurochirurgie Dr. B vom 6. Februar 2014 eingeholt, der zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Bei dem Kläger sei ein langjähriger schwerer Alkoholmissbrauch bekannt. Mehrere Entzugsbehandlungen vor dem 22. Mai 2009 seien bereits erfolglos abgebrochen worden. Als führende Diagnose liege nun ein schwerer alkoholtoxischer Gehirnschaden nach kardiopulmonaler Reanimation vor. Die initial am 22. Mai 2009 erlittene Verletzung des Patienten habe primär lediglich zu leichten äußeren Weichteilverletzungen des Mittelgesichts geführt. Eine Schädigung des Gehirns habe sich sowohl klinisch als auch bildmorphologisch nicht nachweisen lassen. Nach Angaben des primär behandelnden Arztes der Rettungsstelle des S Klinikums habe eine Bewusstseinslage mit einem GCS von 15 bestanden. Dies entspreche einer Bewusstseinslage mit adäquater Reaktion auf Ansprache. Im Vordergrund der Behandlung bis zum 24. Mai 2009 habe dann die Therapie einer Alkoholentzugssymptomatik und nicht die Therapie der Folgen eines Schädel-Hirn Traumas gestanden. Der Kläger sei so weit geschäftsfähig gewesen, dass ihm eine Entlassung gegen ärztlichen Rat zugebilligt worden sei. Die klinische Verschlechterung des Klägers mit einem generalisierten Krampfanfall und einer anschließenden Reanimationspflichtigkeit sei erst am 25. Mai 2009 eingetreten. Diese klinischen Verschlechterungen mit dem daraus resultierenden Minimally Conscious State seien als Folge der schweren Alkoholerkrankung und nicht als Folgen einer etwaigen Gewalttat zu beurteilen.
Durch den initialen Sturz am 22. Mai 2009 sei es zu multiplen Weichteilverletzungen im Gesicht sowie einer frontalen Schädelkalottenfraktur gekommen. Diese Verletzungen könnten nicht zwingend und auch nicht überwiegend wahrscheinlich auf eine gewalttätige Fremdeinwirkung zurückgeführt werden. Die beim Kläger festgestellten Verletzungen könnten ebenso im Rahmen eines epileptischen Krampfanfalls als Ausdruck eines Alkoholentzugskrampfes aufgetreten sein. Bei dem Kläger sei bereits vor dem Ereignis 2009 ein schwerer Alkoholabusus bekannt gewesen. Die beim Kläger nun vorliegenden Gesundheitsstörungen seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf diese Alkoholerkrankung mit einem Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation zurückzuführen.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 2. Dezember 2014 – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – die Klage abgewiesen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht nachgewiesen. Die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei hier nicht anzuwenden, weil die Angaben des Klägers zum Vorliegen einer möglichen Straftat zu vage seien und Unterlagen vorlägen, die das Vorbringen des Klägers nicht stützten. Daneben sei auch bei Annahme einer Gewalttat am 22. Mai 2009 diese nicht wahrscheinlich ursächlich für den erlittenen Hirnschaden. Für diesen ursächlich seien vielmehr die schwere Alkoholerkrankung mit Alkoholentzugskrampf und kardiopulmonaler Reanimation.
Gegen das ihm am 29. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Januar 2015 Berufung eingelegt. Die erlittenen Verletzungen habe er sich nicht selbst beigefügt. Das Gutachten sei nicht überzeugen. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass bezüglich des Vorfalls am 25. Mai 2009 ein Schädelbruch rechts frontal vorgelegen habe, welcher auf eine Fremdeinwirkung hindeute. Die medizinischen Unterlagen belegten schwere Kopfverletzungen bereits nach dem ersten Vorfall am 22. Mai 2009.
Der Senat hat bei dem Sachverständigen Dr. B eine ergänzende Stellungnahme vom 28. April 2015 eingeholt, in der er im Wesentlichen erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten.
Anschließend hat der Senat ein neurologisches Gutachten nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurologie und Sozialmediziner B vom 12. August 2015 nebst Ergänzung vom 3. September 2015 eingeholt, in dem der Sachverständige zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Der Kläger habe sich am 22. Mai 2009 folgende Gesundheitsstörungen zugezogen:
- multiple Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich, im Bereich der Stirn, der Augenbraue sowie im Bereich der Wange, - geschlossene nicht dislozierte Nasenbeinfraktur, - Schädelprellung.
Am 25. Mai 2009 habe er sich die folgenden Gesundheitsstörungen zugezogen:
- cerebraler Krampfanfall mit anschließendem Herz-Kreislaufstillstand, kardiopulmonaler Reanimation und resultierenden hypoxischem Hirnschaden, - Rhabdomyolyse mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz.
Unter Berücksichtigung der Vorbefunde vom 22. Mai 2009 könne bei unauffälligem intracraniellem Befund, wacher Bewusstseinslage und fehlenden neurologischen Symptomen kein Zusammenhang zwischen dem am 25. Mai 2009 aufgetretenen Ereignis, auch dem an diesem Tag erlittenen Kreislaufstillstand, und den am 22. Mai 2009 erlittenen Verletzungen hergestellt werden. Somit sei es aufgrund der Untersuchungsergebnisse sowie der zeitlichen Abfolge eher unwahrscheinlich, dass die Gesundheitsstörungen vom 22. Mai 2009 die Gesundheitsstörungen vom 25. Mai 2009 bedingt haben. Dem widerspreche auch nicht der Befund der mehrfach abgeleiteten EEG´s, wobei sich hier eine schwere diffuse Hirnfunktionsstörung wie bei hypoxischen Hirnschaden, jedoch keine epilepsietypischen Potentiale hätten nachweisen lassen. Interiktale EEG-Befunde würden häufig keine epilepsietypischen Potentiale trotz stattgehabtem epileptischen Anfall oder manifester Epilepsie aufweisen, so dass sich hierdurch kein Rückschluss auf einen möglichen Krampfanfall oder ein vorhandenes Krampfleiden ziehen lasse. Die Gesundheitsstörungen vom 22. Mai 2009 seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf ein Ereignis am selben Tag zurückzuführen, wobei es sich um einen tätlichen Angriff wie auch um ein Sturzereignis gehandelt haben könne. Die Gesundheitsstörungen vom 25. Mai 2009 seien unwahrscheinlich auf einen möglichen tätlichen Angriff zurückzuführen. Der am 25. Mai 2009 erlittene cerebrale Krampfanfall, der anschließende Herz-Kreislaufstillstand sowie die kardiopulmonale Reanimation seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die langjährige Alkoholkrankheit zurückzuführen. Die am 22. Mai 2009 erlittenen Gesundheitsstörungen bedingten keine mindestens 6 Monate dauernde gesundheitliche Störung.
Der Kläger hat nach Kenntnis von dem Gutachten des Sachverständigen BRettungsdienst-Einsatzbögen der Feuerwehr vom 25. Mai 2009 mit Alarmzeiten 0 Uhr 32 und 8 Uhr 35, Erste-Hilfe-Bögen des E Krankenhauses vom selben Tag, Uhrzeiten 1 Uhr 15 und 8 Uhr 57, einen Notaufnahme-Befundbericht der Abteilung für Neurologie des E Krankenhauses vom 25. Mai 2009 sowie eine Gesamtauskunft seiner Krankenkasse über ihm erbrachte Leistungen zusammen mit dem Hinweis, Angaben über eine alkoholische Beeinflussung des Klägers ließen sich jeweils nicht entnehmen, zu den Akten gereicht.
Die vorgenannten Unterlagen hat der Senat dem Sachverständigen B zur ergänzenden Stellungnahme übermittelt. In dieser vom 23. November 2015 hat der Sachverständige erklärt, die von dem Kläger eingereichten Unterlagen gäben keinen Anlass für eine geänderte Beurteilung. Die geschlossene Fraktur der Kalotte rechts frontal könne aus einem tätlichen Angriff oder auch aus einem Sturzgeschehen, etwa im Rahmen eines Krampfanfalls, resultieren.
Der Kläger beantragt schriftlich und sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Vorfälle vom 22. Mai 2009 und vom 25. Mai 2009 eine Beschädigtenrente nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil sowie die Sachverständigengutachten für überzeugend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten einschließlich einer Fotokopie der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte sowie die den Kläger betreffenden OEG-Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis wie auch in seiner überzeugenden Begründung zutreffend. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegen den Beklagten.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Anfechtung des ablehnenden Bescheides des Beklagten kombiniert mit dem Leistungsbegehren, dem Kläger wegen der skizzierten Vorfälle Beschädigtenrente zu gewähren. Obgleich der Kläger, wie schon im Klageverfahren, dem Wortlaut nach "Leistungen" begehrt, legt der Senat den Berufungsantrag im wohlverstandenen Interesse des Klägers als auf die Gewährung von Beschädigtenrente gerichtet aus, da der ausdrücklich gestellte Leistungsantrag unzulässig wäre. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 2. Oktober 2008 - B 9 VG 2/07 R – und vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R – beide bei juris). Der Begriff der "Leistung" betrifft aber keine bestimmte Leistung, sondern umfasst alle nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG).
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind. Danach erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R –juris). Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Hier ist bereits ein tätlicher Angriff weder nachgewiesen, noch – bei Anlegung des Beweismaßstabes des § 15 Satz 1 KOVVfG – glaubhaft. Dabei kommt nach Lage der Akten insoweit überhaupt nur ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 in Betracht. Am 25. Mai 2009 wurde der Kläger ausweislich einer von der Polizei gefertigten Strafanzeige zwar nach Angaben einer Zeugin von einem anderen Mann am Arm gezogen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat ergeben sich daraus aber nicht, weil dieser Mann nach der gleichen Zeugenaussage offenbar dem alkoholisierten Kläger Hilfe angeboten hatte und der Kläger selbst gegenüber der Polizei erklärt hatte, ihm sei nichts passiert. Der Umstand, dass bei dem Kläger bei einem CCT am 25. Mai 2009 eine Fraktur der Kalotte rechts frontal festgestellt werden konnte, rechtfertigt nicht die Annahme eines tätlichen Angriffs, weil der Sachverständige B schlüssig dargelegt hat, dass diese Fraktur auch durch ein Sturzereignis, etwa im Rahmen eines Krampfanfalls, den der Kläger am 25. Mai 2009 unstreitig erlitten hatte, hervorgerufen worden sein kann.
Aber auch ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 ist weder bewiesen noch erscheint er glaubhaft. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht. Dies zugrunde gelegt, ist ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 zwar möglich, aber nicht relativ am wahrscheinlichsten. Für das Vorliegen eines tätlichen Angriffs, hier in Gestalt einer (schweren) Körperverletzung, spricht zwar die Aussage des Klägers gegenüber der Polizei, er habe eine ihm unbekannte männliche Gestalt nach einer Zigarette gefragt, gleich einen Schlag gegen den Kopf bekommen und könne sich ab da an nichts mehr erinnern. Zeugen für ein solches Ereignis gibt es indes nicht, ein Täter konnte auch nicht ermittelt werden. Die am 22. Mai 2009 erlittenen Verletzungen können, was der Sachverständige B schlüssig und nachvollziehbar erläutert hat, auf einer Körperverletzung ebenso beruhen wie auf einem Sturzereignis, eine Einschätzung, die im Übrigen auch von dem Sachverständigen Dr. B geteilt wird, der ausgeführt hat, die Verletzungen am 22. Mai 2009 können nicht zwingend und auch nicht überwiegend wahrscheinlich auf eine gewalttätige Fremdeinwirkung zurückgeführt werden. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers sprechen die im Befund eines Arztbriefes der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik vom 6. Mai 2011 wiedergegebenen Angaben, die die Mutter des Klägers für diesen gemacht hat und nach denen der Kläger vor 2 Jahren vom Freund der Ehefrau zusammengeschlagen worden sei; der Kläger habe dann 2 Wochen auf der ITS gelegen und danach in einem Pflegeheim gelebt. Diese Angaben, insbesondere die sehr konkreten Angaben zum Täter, widersprechen aber erkennbar den Angaben des Klägers, die dieser in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den jeweiligen Ereignissen am 22. und 25. Mai 2009 gemacht hat.
Aber selbst wenn man einen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 und eine darauf beruhende (Primär)Schädigung unterstellen wollte, würden darauf nicht wahrscheinlich Schädigungsfolgen beruhen. Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B hat der Kläger am 22. Mai 2009 multiple Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich, im Bereich der Stirn, der Augenbraue sowie im Bereich der Wange, eine geschlossene nicht dislozierte Nasenbeinfraktur sowie eine Schädelprellung erlitten. Einen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 unterstellt, würde es sich bei diesen Gesundheitsstörungen um (Primär)Schädigungen handeln. Diese sind hier indes nicht wahrscheinlich Ursache für die am 25. Mai 2009 und in der Folgezeit aufgetretenen gesundheitlichen (Dauer)Schäden. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Sachverständigen B am 25. Mai 2009 einen cerebralen Krampfanfall mit anschließendem Herz-Kreislaufstillstand, kardiopulmonaler Reanimation und resultierenden hypoxischem Hirnschaden und eine Rhabdomyolyse mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz erlitten. Diese Gesundheitsstörungen und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen sind indes nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die langjährige Alkoholkrankheit und also nicht auf einen möglichen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 zurückzuführen, eine Einschätzung die die des Sachverständigen Dr. B bestätigt, nach dem die klinischen Verschlechterungen des Klägers mit einem generalisierten Krampfanfall und einer anschließenden Reanimationspflichtigkeit erst am 25. Mai 2009 eingetreten sind und diese klinischen Verschlechterungen mit dem daraus resultierenden Minimally Conscious State als Folge der schweren Alkoholerkrankung und nicht als Folge einer etwaigen Gewalttat zu beurteilen sind.
Die am 22. Mai 2009 erlittenen Gesundheitsstörungen bedingen nach den Ausführungen des Sachverständigen B keine mindestens 6 Monate dauernde gesundheitliche Störung und können mithin nicht Grundlage eines Rentenanspruchs sein. Diese Einschätzungen werden bestätigt durch die des Sachverständigen Dr. B, der erklärt hat, das Ereignis am 22. Mai 2009 habe primär lediglich zu leichten äußeren Weichteilverletzungen des Mittelgesichts geführt. Nach seinen Feststellungen hat sich im Rahmen der stationären Behandlung vom 22. bis 24. Mai 2009 eine Schädigung des Gehirns sowohl klinisch als auch bildmorphologisch nicht nachweisen lassen bei Bewusstseinslage mit adäquater Reaktion auf Ansprache. Demgemäß hat im Vordergrund der Behandlung des Klägers bis zum 24. Mai 2009 die Therapie einer Alkoholentzugssymptomatik und nicht die Therapie der Folgen eines Schädel-Hirn Traumas gestanden.
Der Hinweis des Klägers, den von ihm nunmehr eingereichten Unterlagen ließen sich Angaben über eine alkoholische Beeinflussung des Klägers nicht entnehmen, ist widerlegt, weil er am 22. Mai 2009 zum Aufnahmezeitpunkt stark alkoholisiert war (Epikrise des Krankenhauses L vom 15. Juni 2009) und bei ihm am 25. Mai 2009 ein Blutalkoholwert von 1,6 Promille festgestellt wurde (Arztbrief des E Krankenhauses vom 22. Juni 2009). Daran dass der Kläger zum Zeitpunkt der maßgeblichen Vorgänge schwer alkoholkrank war, bestehen vor dem Hintergrund der dies belegenden medizinischen Unterlagen keine Zweifel.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Am Freitag, dem 22. Mai 2009, gegen 9 Uhr 30 wurde die Polizei von der Feuerwehr zum H-Platz in B gerufen, weil man den 1967 geborenen Kläger mit diversen Kopfverletzungen aufgefunden hatte. Die Polizei nahm eine Strafanzeige auf, in der zum Sachverhalt vermerkt wurde, der Kläger habe unter Einfluss alkoholischer Getränke und unter Schock gestanden. Er habe angegeben, eine ihm unbekannte männliche Person habe ihn nach einer Zigarette gefragt, woraufhin er, der Kläger, einen Schlag an den Kopf bekommen habe und sich ab da an nichts mehr erinnern könne. Es hätten diverse Blutspuren festgestellt werden können; beim Blut hätten sich Glasscherben und eine Brille befunden, weitere Anhaltspunkte zum Tathergang, Tatort sowie Hinweise durch Zeugen hätten nicht erlangt werden können. In der Strafanzeige wurden bei dem Kläger folgende Kopfverletzungen vermerkt: Kopfplatzwunde ca. 1 cm im Stirnbereich, Platzwunde rechte Kopfseite Höhe Ohr ca. 1 cm und eine ca. 1 cm lange Risswunde an der rechten Wange. In einem Rettungsdienst-Einsatzbogen der Berliner Feuerwehr heißt es insoweit zu "Vorgeschichte-Hergang-Beschwerden": "Mehrere Faustschläge gegen Kopf 2 Platzwunden Stirn 1-2 cm, 3-4cm Möglicherweise Platz-Risswunde Kiefer rechts [ ]".
Der Kläger wurde ins Krankenhaus L verbracht, in dem er vom 22. bis 24. Mai 2009 stationär behandelt wurde. Ausweislich einer Epikrise dieses Krankenhauses vom 15. Juni 2009 wurden bei dem Kläger folgende Diagnosen festgestellt:
- Commotio cerebri, - Alkoholabusus, - chronischer Nikotinabusus, - Alkoholentzugsdelir, - offene Wunde des Gesichts, - geschlossene Nasenbeinfraktur, - Weichteilschaden I. Grades bei geschlossener Fraktur, - multiple offene Wunden des Kopfes, - psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom.
Weiter heißt es in der Epikrise, der Kläger sei am 22. Mai 2009 in die Rettungsstelle verbracht worden und zum Aufnahmezeitpunkt stark alkoholisiert gewesen. Nach eigenen Angaben sei er von einer unbekannten männlichen Person verprügelt worden. Entsprechend habe er Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich gehabt, eine unmittelbar nach Aufnahme durchgeführte Computertomographie (CT) habe keinen sicheren Anhalt für eine Fraktur im Bereich der Kalotte oder des Gesichtsschädels gezeigt, jedoch eine Nasenbeinfraktur ohne Dislokation. Der Kläger sei auf die interdisziplinäre Intensivstation verlegt worden, sei ausgenüchtert und habe dann eine zunehmende Entzugssymptomatik gezeigt, welche darin geendet habe, dass sich der Kläger am Morgen des 24. Mai 2009 gegen ärztlichen Rat habe entlassen lassen.
Am Montag, dem 25. Mai 2009, fand die Polizei auf Hinweis einer Zeugin gegen 0 Uhr 25 im Gebüsch im R Ring in B den Kläger auf. Dieser stand ausweislich einer durch die Polizei erstellten Strafanzeige unter starkem Einfluss alkoholischer Getränke und wies am Kopf mehrere Verletzungen auf, die bereits verbunden waren. Der Kläger habe – so heißt es in der Strafanzeige weiter - erklärt, ihm sei nichts passiert, er habe sich die Kopfverletzungen bei einer Körperverletzung vor ein paar Tagen zugezogen. Der Kläger wurde dann durch die Feuerwehr in die Rettungsstelle des E Krankenhauses verbracht. Ausweislich eines Arztbriefes der dortigen Abteilung für Neurologie vom 22. Juni 2009 stellte sich der Kläger in den frühen Morgenstunden mit 1,6 Promille in der Rettungsstelle vor und wurde nach Ausschluss von Gefährdungen gegen ärztlichen Rat entlassen, ehe er einige Stunden später von der Polizei auf dem Krankenhausgelände krampfend im Gebüsch aufgefunden und wieder in die Rettungsstelle verbracht wurde. Zum Aufnahmezeitpunkt sei er noch wach und ansprechbar gewesen, habe dann aber einen akuten Herzkreislaufstillstand erlitten, sei reanimiert und anschließend intensivmedizinisch behandelt worden. Im Arztbrief vom 22. Juni 2009 über die stationäre Behandlung vom 12. Juni bis 2. Juli 2009 wurden folgende Diagnosen mitgeteilt:
- Minimally Conscious State, - Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation am 25. Mai 2009, - ethyltoxische Myopathie mit - akutem Nierenversagen nach Rhabdomylose, - langjährige Alkoholkrankheit, - arterielle Hypertonie.
Am 2. Juli 2009 wurde der Kläger zur stationären Frührehabilitation in die H Klinik verbracht, wo er bis zum 25. September 2009 behandelt wurde. Im Arztbrief über diese Behandlung vom 25. September 2009 wurden folgende Diagnosen mitgeteilt:
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie nach CPR am 25. Mai 2009 und Alkoholentzugskrampfanfall, - Alkoholkrankheit, - prärenales akutes Nierenversagen 07/09 nach Rhabdomylose, zur Zeit keine Dialyse, - erworbene Spitzfußstellung beidseits.
Bei nicht befriedigendem Therapieerfolg wurde der Kläger im Anschluss an die Rehabilitation in das Heim verlegt. Nach (wohl) rund zweijährigem Heimaufenthalt lebt der Kläger mittlerweile bei seiner Mutter.
Am 17. Juni 2009 erschien die Mutter und Betreuerin des Klägers bei der Polizei und erklärte, dieser könne einer Vorladung als Zeuge für den 30. Juni 2009 aufgrund des Vorfalles am 22. Mai 2009 wegen seines Gesundheitszustandes nicht wahrnehmen. Sie setzte die Polizei über die Erkrankungen des Klägers und über den Umstand seiner derzeitigen stationären Krankenhausbehandlung in Kenntnis. Ausweislich eines Vermerks der Polizei rief diese bei dem behandelnden Stationsarzt an und brachte in Erfahrung, dass der Kläger unter einer schweren Gehirnschädigung leide und seine Beine nur zeitweilig und unter großer Anstrengung bewegen könne; der Kläger sei nicht vernehmungsfähig und werde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf nicht absehbare Zeit ein Pflegefall bleiben. Nach Auskunft des Stationsarztes sei der Kläger am 25. Mai 2009 im Kopfbereich noch schwer gezeichnet gewesen und habe ältere Verletzungen aufgewiesen. Ob die festgestellte schwere Gehirnschädigung und das daraus resultierende Krankheitsbild eine Folge der Körperverletzung vom 22. Mai 2009 sei, habe der Stationsarzt nicht eindeutig sagen können.
Am 26. Juni 2009 wurde die Mutter des Klägers polizeilich vernommen. Am 29. und 30. Juni 2009 ermittelte die Polizei weiter und erstellte einen Bericht über diese Umfeldermittlungen am 30. Juni 2009. Außerdem wurden ausweislich eines entsprechenden Berichts ebenfalls vom 30. Juni 2009 am gleichen Tag 17 Personen der örtlichen "Trinkerszene" überprüft.
In einem polizeilichen Schlussbericht vom 17. August 2009 wurde ausgeführt, es habe nicht geklärt werden können, ob die Gehirnschädigung von der Verletzung der Straftat vom 22. Mai 2009 oder aufgrund der abgelehnten Behandlung resultiere; diesbezügliche Zweifel könnten nur in einem Gutachten geklärt werden. Die Staatsanwaltschaft stellte mit Einstellungsverfügung vom 26. Februar 2010 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung das Verfahren hinsichtlich der Ereignisse vom 22. Mai 2009 ein (Az.: ).
Am 3. August 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Leistungen nach dem OEG wegen der Tat vom 22. Mai 2009. Der Beklagte zog unter anderem den bereits benannten Arztbrief des E Krankenhauses vom 22. Juni 2009 sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei und lehnte den Antrag nach dem OEG mit Bescheid vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 (dem Kläger am 28. März 2011 zugegangen) ab, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht habe nachgewiesen werden können.
Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Neuruppin am 27. April 2011 Klage erhoben, das den Rechtsstreit durch Beschluss vom 25. Mai 2011 an das örtlich zuständige Sozialgericht Berlin verwiesen hat.
Das Sozialgericht hat die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie Behandlungsunterlagen bei dem E Krankenhaus beigezogen und einen Befundbericht bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin T vom 12. März 2013 eingeholt. Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine fachpsychiatrische Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 13. Mai 2013 übermittelt.
Das Sozialgericht hat ein neurochirurgisches Gutachten nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurochirurgie Dr. B vom 6. Februar 2014 eingeholt, der zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Bei dem Kläger sei ein langjähriger schwerer Alkoholmissbrauch bekannt. Mehrere Entzugsbehandlungen vor dem 22. Mai 2009 seien bereits erfolglos abgebrochen worden. Als führende Diagnose liege nun ein schwerer alkoholtoxischer Gehirnschaden nach kardiopulmonaler Reanimation vor. Die initial am 22. Mai 2009 erlittene Verletzung des Patienten habe primär lediglich zu leichten äußeren Weichteilverletzungen des Mittelgesichts geführt. Eine Schädigung des Gehirns habe sich sowohl klinisch als auch bildmorphologisch nicht nachweisen lassen. Nach Angaben des primär behandelnden Arztes der Rettungsstelle des S Klinikums habe eine Bewusstseinslage mit einem GCS von 15 bestanden. Dies entspreche einer Bewusstseinslage mit adäquater Reaktion auf Ansprache. Im Vordergrund der Behandlung bis zum 24. Mai 2009 habe dann die Therapie einer Alkoholentzugssymptomatik und nicht die Therapie der Folgen eines Schädel-Hirn Traumas gestanden. Der Kläger sei so weit geschäftsfähig gewesen, dass ihm eine Entlassung gegen ärztlichen Rat zugebilligt worden sei. Die klinische Verschlechterung des Klägers mit einem generalisierten Krampfanfall und einer anschließenden Reanimationspflichtigkeit sei erst am 25. Mai 2009 eingetreten. Diese klinischen Verschlechterungen mit dem daraus resultierenden Minimally Conscious State seien als Folge der schweren Alkoholerkrankung und nicht als Folgen einer etwaigen Gewalttat zu beurteilen.
Durch den initialen Sturz am 22. Mai 2009 sei es zu multiplen Weichteilverletzungen im Gesicht sowie einer frontalen Schädelkalottenfraktur gekommen. Diese Verletzungen könnten nicht zwingend und auch nicht überwiegend wahrscheinlich auf eine gewalttätige Fremdeinwirkung zurückgeführt werden. Die beim Kläger festgestellten Verletzungen könnten ebenso im Rahmen eines epileptischen Krampfanfalls als Ausdruck eines Alkoholentzugskrampfes aufgetreten sein. Bei dem Kläger sei bereits vor dem Ereignis 2009 ein schwerer Alkoholabusus bekannt gewesen. Die beim Kläger nun vorliegenden Gesundheitsstörungen seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf diese Alkoholerkrankung mit einem Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation zurückzuführen.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 2. Dezember 2014 – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – die Klage abgewiesen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht nachgewiesen. Die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei hier nicht anzuwenden, weil die Angaben des Klägers zum Vorliegen einer möglichen Straftat zu vage seien und Unterlagen vorlägen, die das Vorbringen des Klägers nicht stützten. Daneben sei auch bei Annahme einer Gewalttat am 22. Mai 2009 diese nicht wahrscheinlich ursächlich für den erlittenen Hirnschaden. Für diesen ursächlich seien vielmehr die schwere Alkoholerkrankung mit Alkoholentzugskrampf und kardiopulmonaler Reanimation.
Gegen das ihm am 29. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Januar 2015 Berufung eingelegt. Die erlittenen Verletzungen habe er sich nicht selbst beigefügt. Das Gutachten sei nicht überzeugen. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass bezüglich des Vorfalls am 25. Mai 2009 ein Schädelbruch rechts frontal vorgelegen habe, welcher auf eine Fremdeinwirkung hindeute. Die medizinischen Unterlagen belegten schwere Kopfverletzungen bereits nach dem ersten Vorfall am 22. Mai 2009.
Der Senat hat bei dem Sachverständigen Dr. B eine ergänzende Stellungnahme vom 28. April 2015 eingeholt, in der er im Wesentlichen erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten.
Anschließend hat der Senat ein neurologisches Gutachten nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurologie und Sozialmediziner B vom 12. August 2015 nebst Ergänzung vom 3. September 2015 eingeholt, in dem der Sachverständige zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Der Kläger habe sich am 22. Mai 2009 folgende Gesundheitsstörungen zugezogen:
- multiple Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich, im Bereich der Stirn, der Augenbraue sowie im Bereich der Wange, - geschlossene nicht dislozierte Nasenbeinfraktur, - Schädelprellung.
Am 25. Mai 2009 habe er sich die folgenden Gesundheitsstörungen zugezogen:
- cerebraler Krampfanfall mit anschließendem Herz-Kreislaufstillstand, kardiopulmonaler Reanimation und resultierenden hypoxischem Hirnschaden, - Rhabdomyolyse mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz.
Unter Berücksichtigung der Vorbefunde vom 22. Mai 2009 könne bei unauffälligem intracraniellem Befund, wacher Bewusstseinslage und fehlenden neurologischen Symptomen kein Zusammenhang zwischen dem am 25. Mai 2009 aufgetretenen Ereignis, auch dem an diesem Tag erlittenen Kreislaufstillstand, und den am 22. Mai 2009 erlittenen Verletzungen hergestellt werden. Somit sei es aufgrund der Untersuchungsergebnisse sowie der zeitlichen Abfolge eher unwahrscheinlich, dass die Gesundheitsstörungen vom 22. Mai 2009 die Gesundheitsstörungen vom 25. Mai 2009 bedingt haben. Dem widerspreche auch nicht der Befund der mehrfach abgeleiteten EEG´s, wobei sich hier eine schwere diffuse Hirnfunktionsstörung wie bei hypoxischen Hirnschaden, jedoch keine epilepsietypischen Potentiale hätten nachweisen lassen. Interiktale EEG-Befunde würden häufig keine epilepsietypischen Potentiale trotz stattgehabtem epileptischen Anfall oder manifester Epilepsie aufweisen, so dass sich hierdurch kein Rückschluss auf einen möglichen Krampfanfall oder ein vorhandenes Krampfleiden ziehen lasse. Die Gesundheitsstörungen vom 22. Mai 2009 seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf ein Ereignis am selben Tag zurückzuführen, wobei es sich um einen tätlichen Angriff wie auch um ein Sturzereignis gehandelt haben könne. Die Gesundheitsstörungen vom 25. Mai 2009 seien unwahrscheinlich auf einen möglichen tätlichen Angriff zurückzuführen. Der am 25. Mai 2009 erlittene cerebrale Krampfanfall, der anschließende Herz-Kreislaufstillstand sowie die kardiopulmonale Reanimation seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die langjährige Alkoholkrankheit zurückzuführen. Die am 22. Mai 2009 erlittenen Gesundheitsstörungen bedingten keine mindestens 6 Monate dauernde gesundheitliche Störung.
Der Kläger hat nach Kenntnis von dem Gutachten des Sachverständigen BRettungsdienst-Einsatzbögen der Feuerwehr vom 25. Mai 2009 mit Alarmzeiten 0 Uhr 32 und 8 Uhr 35, Erste-Hilfe-Bögen des E Krankenhauses vom selben Tag, Uhrzeiten 1 Uhr 15 und 8 Uhr 57, einen Notaufnahme-Befundbericht der Abteilung für Neurologie des E Krankenhauses vom 25. Mai 2009 sowie eine Gesamtauskunft seiner Krankenkasse über ihm erbrachte Leistungen zusammen mit dem Hinweis, Angaben über eine alkoholische Beeinflussung des Klägers ließen sich jeweils nicht entnehmen, zu den Akten gereicht.
Die vorgenannten Unterlagen hat der Senat dem Sachverständigen B zur ergänzenden Stellungnahme übermittelt. In dieser vom 23. November 2015 hat der Sachverständige erklärt, die von dem Kläger eingereichten Unterlagen gäben keinen Anlass für eine geänderte Beurteilung. Die geschlossene Fraktur der Kalotte rechts frontal könne aus einem tätlichen Angriff oder auch aus einem Sturzgeschehen, etwa im Rahmen eines Krampfanfalls, resultieren.
Der Kläger beantragt schriftlich und sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Vorfälle vom 22. Mai 2009 und vom 25. Mai 2009 eine Beschädigtenrente nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil sowie die Sachverständigengutachten für überzeugend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten einschließlich einer Fotokopie der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte sowie die den Kläger betreffenden OEG-Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis wie auch in seiner überzeugenden Begründung zutreffend. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 10. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegen den Beklagten.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Anfechtung des ablehnenden Bescheides des Beklagten kombiniert mit dem Leistungsbegehren, dem Kläger wegen der skizzierten Vorfälle Beschädigtenrente zu gewähren. Obgleich der Kläger, wie schon im Klageverfahren, dem Wortlaut nach "Leistungen" begehrt, legt der Senat den Berufungsantrag im wohlverstandenen Interesse des Klägers als auf die Gewährung von Beschädigtenrente gerichtet aus, da der ausdrücklich gestellte Leistungsantrag unzulässig wäre. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 2. Oktober 2008 - B 9 VG 2/07 R – und vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R – beide bei juris). Der Begriff der "Leistung" betrifft aber keine bestimmte Leistung, sondern umfasst alle nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG).
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind. Danach erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R –juris). Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Hier ist bereits ein tätlicher Angriff weder nachgewiesen, noch – bei Anlegung des Beweismaßstabes des § 15 Satz 1 KOVVfG – glaubhaft. Dabei kommt nach Lage der Akten insoweit überhaupt nur ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 in Betracht. Am 25. Mai 2009 wurde der Kläger ausweislich einer von der Polizei gefertigten Strafanzeige zwar nach Angaben einer Zeugin von einem anderen Mann am Arm gezogen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat ergeben sich daraus aber nicht, weil dieser Mann nach der gleichen Zeugenaussage offenbar dem alkoholisierten Kläger Hilfe angeboten hatte und der Kläger selbst gegenüber der Polizei erklärt hatte, ihm sei nichts passiert. Der Umstand, dass bei dem Kläger bei einem CCT am 25. Mai 2009 eine Fraktur der Kalotte rechts frontal festgestellt werden konnte, rechtfertigt nicht die Annahme eines tätlichen Angriffs, weil der Sachverständige B schlüssig dargelegt hat, dass diese Fraktur auch durch ein Sturzereignis, etwa im Rahmen eines Krampfanfalls, den der Kläger am 25. Mai 2009 unstreitig erlitten hatte, hervorgerufen worden sein kann.
Aber auch ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 ist weder bewiesen noch erscheint er glaubhaft. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht. Dies zugrunde gelegt, ist ein tätlicher Angriff am 22. Mai 2009 zwar möglich, aber nicht relativ am wahrscheinlichsten. Für das Vorliegen eines tätlichen Angriffs, hier in Gestalt einer (schweren) Körperverletzung, spricht zwar die Aussage des Klägers gegenüber der Polizei, er habe eine ihm unbekannte männliche Gestalt nach einer Zigarette gefragt, gleich einen Schlag gegen den Kopf bekommen und könne sich ab da an nichts mehr erinnern. Zeugen für ein solches Ereignis gibt es indes nicht, ein Täter konnte auch nicht ermittelt werden. Die am 22. Mai 2009 erlittenen Verletzungen können, was der Sachverständige B schlüssig und nachvollziehbar erläutert hat, auf einer Körperverletzung ebenso beruhen wie auf einem Sturzereignis, eine Einschätzung, die im Übrigen auch von dem Sachverständigen Dr. B geteilt wird, der ausgeführt hat, die Verletzungen am 22. Mai 2009 können nicht zwingend und auch nicht überwiegend wahrscheinlich auf eine gewalttätige Fremdeinwirkung zurückgeführt werden. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers sprechen die im Befund eines Arztbriefes der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik vom 6. Mai 2011 wiedergegebenen Angaben, die die Mutter des Klägers für diesen gemacht hat und nach denen der Kläger vor 2 Jahren vom Freund der Ehefrau zusammengeschlagen worden sei; der Kläger habe dann 2 Wochen auf der ITS gelegen und danach in einem Pflegeheim gelebt. Diese Angaben, insbesondere die sehr konkreten Angaben zum Täter, widersprechen aber erkennbar den Angaben des Klägers, die dieser in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den jeweiligen Ereignissen am 22. und 25. Mai 2009 gemacht hat.
Aber selbst wenn man einen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 und eine darauf beruhende (Primär)Schädigung unterstellen wollte, würden darauf nicht wahrscheinlich Schädigungsfolgen beruhen. Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B hat der Kläger am 22. Mai 2009 multiple Riss- und Quetschwunden im Gesichtsbereich, im Bereich der Stirn, der Augenbraue sowie im Bereich der Wange, eine geschlossene nicht dislozierte Nasenbeinfraktur sowie eine Schädelprellung erlitten. Einen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 unterstellt, würde es sich bei diesen Gesundheitsstörungen um (Primär)Schädigungen handeln. Diese sind hier indes nicht wahrscheinlich Ursache für die am 25. Mai 2009 und in der Folgezeit aufgetretenen gesundheitlichen (Dauer)Schäden. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Sachverständigen B am 25. Mai 2009 einen cerebralen Krampfanfall mit anschließendem Herz-Kreislaufstillstand, kardiopulmonaler Reanimation und resultierenden hypoxischem Hirnschaden und eine Rhabdomyolyse mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz erlitten. Diese Gesundheitsstörungen und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen sind indes nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die langjährige Alkoholkrankheit und also nicht auf einen möglichen tätlichen Angriff am 22. Mai 2009 zurückzuführen, eine Einschätzung die die des Sachverständigen Dr. B bestätigt, nach dem die klinischen Verschlechterungen des Klägers mit einem generalisierten Krampfanfall und einer anschließenden Reanimationspflichtigkeit erst am 25. Mai 2009 eingetreten sind und diese klinischen Verschlechterungen mit dem daraus resultierenden Minimally Conscious State als Folge der schweren Alkoholerkrankung und nicht als Folge einer etwaigen Gewalttat zu beurteilen sind.
Die am 22. Mai 2009 erlittenen Gesundheitsstörungen bedingen nach den Ausführungen des Sachverständigen B keine mindestens 6 Monate dauernde gesundheitliche Störung und können mithin nicht Grundlage eines Rentenanspruchs sein. Diese Einschätzungen werden bestätigt durch die des Sachverständigen Dr. B, der erklärt hat, das Ereignis am 22. Mai 2009 habe primär lediglich zu leichten äußeren Weichteilverletzungen des Mittelgesichts geführt. Nach seinen Feststellungen hat sich im Rahmen der stationären Behandlung vom 22. bis 24. Mai 2009 eine Schädigung des Gehirns sowohl klinisch als auch bildmorphologisch nicht nachweisen lassen bei Bewusstseinslage mit adäquater Reaktion auf Ansprache. Demgemäß hat im Vordergrund der Behandlung des Klägers bis zum 24. Mai 2009 die Therapie einer Alkoholentzugssymptomatik und nicht die Therapie der Folgen eines Schädel-Hirn Traumas gestanden.
Der Hinweis des Klägers, den von ihm nunmehr eingereichten Unterlagen ließen sich Angaben über eine alkoholische Beeinflussung des Klägers nicht entnehmen, ist widerlegt, weil er am 22. Mai 2009 zum Aufnahmezeitpunkt stark alkoholisiert war (Epikrise des Krankenhauses L vom 15. Juni 2009) und bei ihm am 25. Mai 2009 ein Blutalkoholwert von 1,6 Promille festgestellt wurde (Arztbrief des E Krankenhauses vom 22. Juni 2009). Daran dass der Kläger zum Zeitpunkt der maßgeblichen Vorgänge schwer alkoholkrank war, bestehen vor dem Hintergrund der dies belegenden medizinischen Unterlagen keine Zweifel.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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