L 5 KN 564/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 24 KN 1444/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KN 564/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rentenrechtliche Auswirkungen einer Rehabilitationsentscheidung nach dem BerRehaG
Dem Kläger steht auch unter Berücksichtigung der Entscheidung der Rehabilitierungsbehörde, wonach er als verfolgter Schüler im Sinne des BerRehaG anerkannt wurde, kein Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente zu. Zwar ist die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BerRehaG auf den Kläger anwendbar. Auch sind ihre Voraussetzungen erfüllt. Hieraus leitet sich jedoch kein Anspruch auf Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung ab. Dies hat der Gesetzgeber für verfolgte Schüler nicht vorgesehen.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 16. Juni 2010 in der Fassung des Rentenbescheides vom 23. März 2015 verpflichtet ist, Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung nach der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) im doppelten Umfang zu berücksichtigen.

Der am 1945 geborene Kläger besuchte bis 1961 die Schule, wobei er laut seinem Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) nach einer Schulzeit von 1952 bis 1960 (Grundschule) den Abschluss der 8. Klasse erlangte (Bl. 241 Verwaltungsakte [VA] Bd. 1). Am 2. November 1961 floh er in die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Vom 2. November bis 22. Dezember 1961 und vom 8. Februar bis 9. März 1962 arbeitete er als Maurer bei der Fa. H GmbH in H. Vom 2. bis 4. Januar war er als Molkereilehrling tätig (vgl. Versicherungskarte der AOK H , Bl. 141 VA Bd. I). Am 13. März 1962 wurde er von bundesdeutschen Behörden als Minderjähriger an die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) übergeben und befand sich bis zum 18. April 1962 in Durchgangsheimen bzw. –lagern in G (im heutigen S ), wofür er rehabilitiert wurde (vgl. Rehabilitationsbeschluss des Landgerichts G vom 30. Juni 2004 – Bl. 150 ff. VA Bd. 1). Bei einer Vernehmung durch die Volkspolizei am 19. März 1962 gab der Kläger u.a. an, während seines Aufenthaltes in der BRD eine Maschinenschlosserlehre begonnen zu haben (Bl. 192 VA Bd. 1).

Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Traktorist und absolvierte von 1966 bis 1968 eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer bei der Bezirksdirektion für Kraftverkehr C , die er mit Facharbeiterzeugnis vom 14. Dezember 1968 abschloss (vgl. Kopie SV-Ausweis Bl. 241 VA Bd. 1 sowie FA-Zeugnis Bl. VA Bd. 2 – nicht paginiert). Ab dem 5. Mai 1972 arbeitete er laut Eintragung im SV-Ausweis als Kraftfahrer (Bl. 240 VA Bd. 1) und schloss am 2. Juli 1973 einen zweijährigen Vorbereitungslehrgang auf ein Fachschulstudium an der Kreisvolkshochschule S ab, wobei er laut Zeugnis mit Abschluss des Lehrganges auch den Abschluss der 10. Klasse erreichte (vgl. Zeugnis Bl. 6 Gerichtsakte [GA]). Am 1. Juli 1975 beendete er eine Ausbildung in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik mit der Qualifikation als Meister (Bl. 7 GA). Das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales erteilte dem Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 eine Rehabilitierungsbescheinigung, wonach die Rechtsstaatswidrigkeit der Nichtzulassung der Fortführung der Schulausbildung an der allgemeinbildenden zehnklassigen Oberschule und zu einer Facharbeiterausbildung festgestellt (Ziffer 1 des Bescheides) und bescheinigt wurde, dass der Kläger von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 BerRehaG (Verfolgter Schüler) betroffen war (Ziffer 3 des Bescheides). Als Zeitraum der verfolgungsbedingten Unterbrechung der Ausbildung nach § 22 Abs. 2 BerRehaG wurde der 1. September 1962 bis 31. August 1972 festgestellt (Ziffer 4 des Bescheides, Bl. 51 ff. VA Bd. 1). Maßgeblich hierfür war nach den Gründen des Bescheides der 1. September 1962 als Zeitpunkt der fiktiven Wiederaufnahme der abgebrochenen Schulausbildung in der 10. Klasse sowie der 31. August 1972, weil am 1. September 1972 der Kurs an der Volkshochschule im 2. Unterrichtsjahr begonnen habe (vgl. Bl. 89 VA Bd. 2). In Auswertung der Unterlagen sei die Nichtzulassung für den Besuch der allgemeinbildenden zehnklassigen Oberschule bzw. zu einer Lehrausbildung auf der Grundlage einer schlechthin rechtsstaatswidrigen hoheitlichen Maßnahme im Sinne der §§ 1 Abs. 1, 2 VwRehaG als glaubhaft zu unterstellen. Die Wahrnehmung der Schulpflicht für die zehnklassige Oberschule sei dem Kläger verwehrt worden. Zwar habe er die Schule durch seine Entscheidung zur Ausreise selbst abgebrochen. Nach seiner Rückkehr habe er jedoch als minderjähriger Bürger das Recht auf einen Ausbildungsplatz gehabt. Stattdessen habe er die Anweisung für den Abschluss eines Arbeitsvertrages erhalten. In der Sachverhaltsdarstellung zum Bescheid wird hierzu ausgeführt, im Archiv des Landratsamtes M sei ein vom Kläger am 10. August 1962 unterzeichneter Arbeitsvertrag mit der MTS P ermittelt worden, wonach er am 21. April 1962 eine Tätigkeit als Traktorist mit einer Vergütung nach Lohngruppe V aufgenommen habe (Bl. 51 f VA Bd. 1).

Mit Rentenbescheid vom 17. Mai 2010 gewährte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente beginnend am 1. August 2010. Mit Bescheid vom 16. Juni 2010 stellte sie die Rente unter Anwendung des BerRehaG neu fest, weil seine Zugehörigkeit zum Personenkreis der verfolgten Schüler im Sinne von § 3 Abs. 1 BerRehaG durch Vorlage der Rehabilitationsbescheinigung (des Landesamtes für Familie und Soziales) für die Zeit vom 1. September 1962 bis zum 31. August 1972 nachgewiesen sei. Danach seien die tatsächlich vorhandenen Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bis zum Doppelten der sonst möglichen Höchstdauer anrechnungsfähig. Im Falle des Klägers seien Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung im doppelten Umfang nach § 3 iVm § 12 Abs. 2 BerRehaG jedoch nicht zu berücksichtigen, weil in dem bescheinigten Zeitraum keine tatsächlichen Ausbildungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI vorhanden seien (vgl. S. 2 des Rentenbescheides, Bl. 170 Rs. VA Bd. 2). Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers, der u.a. gegen die Nichtberücksichtigung der Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung im doppelten Umfang nach § 3 iVm § 12 Abs. 2 BerRehaG gerichtet war, zurück. Eine Berücksichtigung im doppelten Umfang komme nicht in Betracht, weil im bescheinigten Zeitraum keine tatsächlichen Ausbildungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI vorliegen würden.

Mit seiner hiergegen am 18. Juli 2011 (eingelegt bei der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts H und eingegangen beim Sozialgericht Dresden am 28. Juli 2011) vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der zwangsweisen Rückführung aus der BRD am 13. März 1962 sei ein zehnjähriges Schul- und Ausbildungsverbot gefolgt, weshalb eine Ausbildung erst nach dem anerkannten Rehabilitierungszeitraum habe erfolgen können. Aufgrund der Zwangsrückführung aus der BRD in die DDR sei eine begonnene Lehre als Maschinenbauschlosser abgebrochen worden, was aus den Unterlagen der Staatssicherheit eindeutig hervorgehe.

Nachdem der Kläger ein Teilanerkenntnis der Beklagten hinsichtlich der ebenfalls streitigen Anerkennung von Arbeitslosengeldbezug in den Zeiträumen 29. Juli bis 31. Dezember 1999 und 1. bis 8. Januar 2000 angenommen hatte, hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2013 (im noch anhängigen Umfang) abgewiesen. § 12 Abs. 2 BerRehaG gelte seinem Wortlaut nach nur für Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildungen. Der Kläger beziehe sich jedoch darauf, eine Ausbildung zum Maschinenschlosser begonnen zu haben. Der Beginn einer Lehre genüge jedoch nicht, weil eine normale Berufsausbildung von § 12 Abs. 2 BerRehaG gerade nicht erfasst sei. Darüber hinaus könne der Kläger den Beweis, dass er sich zum Zeitpunkt der Verfolgungsmaßnahme – 13. März 1962 – in einem Ausbildungsverhältnis befunden habe, das durch die Rückführungsmaßnahme unterbrochen worden sei, nicht führen. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 BerRehaG trage er jedoch die Beweislast.

Gegen den am 3. Juli 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17. Juli 2013 Berufung eingelegt. Er habe entgegen der Darstellung im Gerichtsbescheid weder unmittelbar nach seiner Rückführung in die DDR eine Arbeit bei der MTS P begonnen noch habe er bis zum 2. November 1961 seine zehnklassige Ausbildung an der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule abgeschlossen. Bis zur Flucht aus der DDR habe er keinen schulischen Abschluss erhalten, diesen habe er erst 1972/73 absolvieren dürfen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 sowie unter Änderung des Rentenbescheides vom 16. Oktober 2010 in der Fassung des Rentenbescheides vom 23. März 2015 zu verurteilen, dem Kläger eine höhere Rente zu gewähren unter Berücksichtigung der Rehabilitationsentscheidung.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie ist der Ansicht (vgl. Vortrag vor dem Sozialgericht Dresden in den Schriftsätzen vom 12. Juli 2012, 29. Oktober 2012 und 6. März 2013), für politisch verfolgte Schüler sei es möglich, die Regelung des § 12 Abs. 2 BerRehaG anzuwenden. Voraussetzung sei jedoch zum einen die verfolgungsbedingte Unterbrechung der Ausbildung und zum anderen, dass bereits tatsächlich Ausbildungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI vorhanden seien, die hätten unterbrochen werden können. Dies sei bei dem Kläger weder aus dem vorliegenden Versicherungskonto noch durch entsprechende Nachweise feststellbar. In dem von der Rehabilitierungsbehörde als verfolgungsbedingte Unterbrechung festgestellten Zeitraum könnten Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bis zur genannten Höchstdauer Berücksichtigung finden, soweit hier Zeiten des Besuchs einer Schule, Fach- oder Hochschule oder auch Zeiten einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme vorgelegen habe. Anrechnungszeiten seien im Rehabilitationszeitraum 1. September 1962 bis 31. August 1972 aber nicht nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 23. März 2015 hat die Beklagte die Rente des Klägers neu festgestellt.

Dem Gericht lagen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte beider Rechtszüge vor, worauf zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2013 im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Rentenbescheid der Beklagten vom 16. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 und in der Fassung des Rentenbescheides vom 23. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat auch unter Berücksichtigung der Entscheidung der Rehabilitierungsbehörde vom 28. Januar 2003 keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente. Zwar ist die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BerRehaG auf den Kläger anwendbar. Dies führt jedoch nicht zu einem höheren Rentenanspruch. Insbesondere steht dem Kläger kein Anspruch auf Verdoppelung von Anrechnungszeiten aufgrund einer Ausbildung zu.

1. Zwar sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift des § 12 Abs. 2 BerRehaG erfüllt.

Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz ist auf den Kläger anwendbar. Denn mit dem bindend gewordenen (Widerspruchs-)Bescheid des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 28. Januar 2003 wurde nach § 1 VwRehaG in Verbindung mit §§ 17, 22 Abs. 2 BerRehaG die Rechtsstaatswidrigkeit der Nichtzulassung zur Fortführung der Schulausbildung an der allgemeinbildenden zehnklassigen Oberschule und zu einer Facharbeiterausbildung festgestellt (Ziffer 1 des Bescheides) und bescheinigt, dass der Kläger von einer Verfolgungsmaßnahme im Sinne von § 3 Abs. 1 BefRehaG (Verfolgter Schüler) betroffen war (Ziffer 3 des Bescheides). Verfolgter Schüler im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes ist, wer in dem in § 1 Abs. 1 genannten Zeitraum (8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990) infolge einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 (hier nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG) nicht zu einer zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtung zugelassen wurde (Nr. 1), die Ausbildung an einer zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtung nicht fortsetzen konnte (Nr. 2), nicht zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung der Hochschulreife (Nr. 3), nicht zur Ausbildung an einer Fach- oder Hochschule zugelassen wurde (Nr. 4) oder die Ausbildung an einer anderen als einer zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtung nicht fortsetzen konnte (Nr. 5). Die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Nichtzulassung zur Fortführung der Schulausbildung und zur Facharbeiterausbildung sowie die Bescheinigung, dass der Kläger als verfolgter Schüler betroffen war, wird nach den Gründen der Entscheidung darauf gestützt, dass die Abteilung Kriminalpolizei in Zusammenarbeit mit dem Referat Jugendhilfe und in Abstimmung mit dem Ministerium für Staatssicherheit aufgrund der negativen politischen Charakterisierung des Klägers eine Rückkehr in die ehemalige Schule vermeiden wollte. Da zum Zeitpunkt der Rückführung des Klägers am 13. April 1962 nach § 1 des Gesetzes über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens vom 2. Dezember 1959 (GBl. DDR I S. 859) Schulpflicht bestanden habe, sei ihm die Wahrnehmung dieser Schulpflicht verwehrt worden.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist damit nicht auf die Unterbrechung einer ggf. in der BRD begonnenen Lehre abzustellen. Ob der Kläger eine solche Lehre begonnen und aufgrund der Rückführung in die DDR abgebrochen hat, worüber vor dem Sozialgericht gestritten wurde, ist unerheblich. Die allein maßgebliche verfolgungsbedingte Unterbrechung seiner Ausbildung liegt vielmehr darin, dass dem Kläger nach seiner Rückführung in die DDR die Wiederaufnahme seiner Ausbildung in der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule, die zum Abschluss der zehnten Klasse geführt hätte, verwehrt wurde. Diesen Abschluss konnte er – verfolgungsbedingt – erst am 2. Juli 1973 erreichen. An die im Bescheid des Landesamtes für Familie und Soziales vom 28. Januar 2003 getroffenen Feststellungen ist der Senat – wie auch die Beklagte – gebunden.

Auf sog. Verfolgte Schüler wie der Kläger "ist" – und nicht, wie die Beklagte meint, "könne" – nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG die Regelung über Verfolgungszeiten als Anrechnungszeiten in § 12 Abs. 2 BerRehaG anzuwenden. Auch sind ihre Voraussetzungen erfüllt. Denn wegen einer Verfolgungsmaßnahme wurde nach den Feststellungen der bindenden Rehabilitierungsentscheidung die schulische Ausbildung des Klägers unterbrochen, jedoch später wieder aufgenommen und abgeschlossen. Als Zeit der verfolgungsbedingten Unterbrechung wurde nach Ziffer 4 des Bescheides der Zeitraum vom 1. September 1962 (fiktive Wiederaufnahme der abgebrochenen Schulausbildung in der zehnten Klasse) bis zum 31. August 1972 (Ende des Kurses an der Volkshochschule im ersten Unterrichtsjahr) festgestellt. Die unterbrochene Schulausbildung schloss der Kläger nach ihrer Wiederaufnahme mit Erlangung des Abschlusszeugnisses (Erreichen des Abschlusses der zehnten Klasse) am 2. Juli 1973 schließlich ab.

2. Aus der Vorschrift ist indes kein Anspruch des Klägers ableitbar, der zur Gewährung einer höheren Rente führen würde.

Als Rechtsfolge sieht § 12 Abs. 2 BerRehaG für sog. verfolgte Schüler lediglich vor, dass die Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten bis zum Doppelten der allgemein geltenden Höchstdauer anzuerkennen sind. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI sind Anrechnungszeiten u.a. Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule besucht hat (Zeiten einer schulischen Ausbildung), jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Die in Rede stehende Vorschrift des BerRehaG verlängert die in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bestimmte Höchstdauer der anrechenbaren Ausbildungszeiten auf das Doppelte, mithin aktuell auf höchstens 16 Jahre. Damit sollte (u.a. für verfolgte Schüler) eine evtl. verfolgungsbedingte Verlängerung der üblichen Ausbildungszeit ausgeglichen werden. Die (nunmehr) in § 12 Abs. 2 BerRehaG normierte Regelung geht auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) vom 19. Mai 1993 (BT-Drs. 12/4994) zurück. Die in Artikel 2 des Entwurfs enthaltene Regelung (§ 11 Abs. 2 BerRehaG-E) entspricht dem Wortlaut nach der Regelung in § 12 Abs. 2 BerRehaG. Zu ihrer Begründung wird im Gesetzentwurf angeführt, Zeiten der Schulausbildung, Fachschulausbildung oder Hochschulausbildung würden nach den Vorschriften des SGB VI nur bis zu einer bestimmten Höchstdauer berücksichtigt (nach der am 19. Mai 1993 [Erlass des Gesetzentwurfs] geltenden Fassung von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI höchstens bis zu sieben Jahren), weshalb die Vorschrift eine Verlängerung der jeweiligen Höchstdauer für die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten bis zum Doppelten festlegt, soweit es verfolgungsbeding zu einer Verlängerung der in der ehemaligen DDR üblichen Ausbildungszeit gekommen ist (BT-Drs. 12/4994 S. 48). Einen darüber hinausgehenden Ausgleich wollte das Gesetz für verfolgte Schüler im Sinne von § 3 BerRehaG – anders als für Verfolgte im Sinne von § 2 BerRehaG – indes nicht gewähren. Dies ergibt sich auch aus dem (historischen) Hintergrund des Gesetzes, das laut seiner Zielsetzung Rehabilitierungsmöglichkeiten für die Opfer des Verwaltungsunrechts und der politischen Verfolgung im beruflichen Bereich schaffen sollte. Hierbei sollte das Berufliche Rehabilitierungsgesetz für "Verfolgte" im Sinne des Gesetzes Nachteile in der Rentenversicherung ausgleichen (vgl. A. Zielsetzung des 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, BT-Drs. 12/4994 S. 1 f.). Der damalige § 2a (verfolgte Schüler) wurde indes erst aufgrund einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 12/7048) in den Gesetzentwurf aufgenommen, wonach neben den Verfolgten im Sinne des damaligen § 1 des Gesetzentwurfe auch verfolgte Schüler berücksichtigt werden, jedoch (nur) insoweit, als für sie "wenigstens die bevorzugte Studienförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder die bevorzugte Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung nach dem 2. Abschnitt BerRehaG vorzusehen" war (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, Begründung zu § 2a, BT-Drs. 12/7048 S. 38). Ein darüber hinausgehender Nachteilsausgleicht sieht das Gesetz – bis auf die Verlängerung der Höchstdauer von Anrechnungszeiten im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI – gerade nicht vor. Insbesondere sollten für diesen Personenkreis keine Nachteile in der Rentenversicherung ausgeglichen werden. Ansprüche für verfolgte Schüler sollten nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr auf Hilfe zur Selbsthilfe beschränkt bleiben. Der Gesetzgeber nahm für diese Entscheidung u.a. rein praktische Erwägungen in den Blick. Für den Nachteilsausgleich in der Rente sei es erforderlich, die Verfolgten bestimmten Qualifikationen und Berufsgruppen zuzuordnen, was voraussetze, dass ihr Berufsbild zum Zeitpunkt des Eingriffs hinreichend konkretisiert sei. Eine hinreichende Konkretisierung fehle im Falle des Eingriffs in die – wie auch im Falle des Klägers vorliegende – vorberufliche Ausbildung. Es müssten hypothetische Lebensläufe über einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren nachgezeichnet werden, was in aller Regel objektiv unmöglich, aber jedenfalls in einem Verwaltungsverfahren nicht zu leisten sei (vgl. Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12/7048 S. 39).

Die allein mögliche Verlängerung der Höchstdauer der Anrechnungszeiten im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI setzt jedoch ihr Überschreiten voraus, was im konkreten Fall nicht gegeben ist. Denn der Kläger hat keine Ausbildung absolviert, die länger als acht Jahre angedauert hat. Vielmehr war er sowohl während der verfolgungsbedingten Unterbrechung seiner Ausbildungszeit als auch während der Ausbildung versicherungspflichtig tätig, weshalb die Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten und nicht mit Anrechnungszeiten belegt sind. Die von ihm begehrte Verdoppelung etwaiger Anrechnungszeiten – die das Gesetz zudem nicht vorsieht – ginge auch aus diesem Grund ins Leere.

Da die Entscheidung der Rehabilitationsbehörde auch für den Senat bindend ist, kommt es auf eine etwaige materielle Unrichtigkeit der Entscheidung und die Frage, ob dem Kläger als Verfolgter im Sinne von § 2 BerRehaG möglicherweise ein Anspruch auf höhere Rente zugestanden hätte, nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

Jacobi Dr. Lau Schurigt
Rechtskraft
Aus
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