L 2 AS 2184/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 1002/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 2184/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt sowie im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 42).

Zutreffend hat das SG auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Es wird insoweit auf die Ausführungen des SG gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist mit Blick auf die Beschwerdebegründung des Antragstellers noch folgendes auszuführen: Auch der Senat ist davon überzeugt, dass die maßgeblichen Sanktionsbescheide vom 11. April 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016 bestandskräftig geworden sind, weil gegen die Widerspruchsbescheide nicht innerhalb der Klagefrist von einem Monat Klage beim Sozialgericht erhoben worden ist. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klageinnerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Verwaltungsakte in diesem Sinne sind die Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016, weil gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG vor der Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen war, das gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 SGG dann, wenn dem Widerspruch nicht abgeholfen wird, mit dem Erlass eines Widerspruchsbescheides endet. Der Widerspruchsbescheid ist gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekannt zu geben. Nimmt die Behörde eine Zustellung vor, gelten die §§ 2 bis 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes (vgl. § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG). Aus dieser Regelung folgt im Umkehrschluss, dass in Fällen, in denen keine Zustellung vorgenommen wird, die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen in § 37 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gelten.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, ein Verwaltungsakt, der elektronisch übermittelt wird, am dritten Tage nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X). Die Regelungen in § 37 Abs. 2 SGB X entsprechen denen in anderen Rechtsnormen, z.B. in § 41 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder in § 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes.

Vorliegend greift die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, weil der Tag, an dem die Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016 zur Post gegeben worden sind, hinreichend dokumentiert ist und damit festgestellt werden kann. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist (vgl. Engelmann in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 41 Rdnr. 12). Denn § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X enthält eine gesetzliche Fiktion des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes, nicht aber eine Fiktion, dass und wann der Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist. Darlegungs- und beweispflichtig für den Tag der Aufgabe des schriftlichen Verwaltungsaktes zur Post ist die Behörde (vgl. zu § 41 Abs. 2 VwVfG: Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 41 Rdnr. 120). Zu der Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes, die für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben ebenso wie die Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X den Eintritt einer Fiktion am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post enthält, hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 9. Dezember 2008 (B 8/9b SO 13/07 R, veröffentlicht in Juris) ausgeführt, dass Vermerken lediglich bedeutet, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ihn als Geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw. ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. BSG, a.a.O.).

Ausgehend hiervon ist der Tag der Aufgabe der Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016 zur Post hinreichend dokumentiert; sie wurden ausweislich des Vermerks in der Verwaltungsakte des Antragsgegners am 22. April 2016 zur Post gegeben.

Vorliegend greift somit die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Die am 22. April 2016 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheide gelten am 25. April 2016 als bekannt gegeben. Die Klagefrist endete somit mit Ablauf des 25. Mai 2016. Bis dahin hat der Antragsteller jedoch keine Klage beim SG erhoben.

Den Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung, er habe die Widerspruchsbescheide nicht erhalten, folgt der Senat nicht. Das Vorbringen des Antragstellers ist nämlich in sich widersprüchlich und teilweise offenkundig nicht zutreffend. So hat der Antragsteller auch ausgeführt, dass er "gegen einen Sanktionsbescheid nicht Widerspruch einlegen könne, wenn er ihn nicht erhalten habe". Der Antragsteller führt also auch aus, dass ihm schon die Sanktionsbescheide vom 11. April 2016 nicht zugegangen seien. Deswegen hätte er gegen sie keinen Widerspruch einlegen können. Dies ist offenkundig nicht zutreffend. Der Antragsteller hat nämlich mit Schreiben vom 14. April 2016 - in der Verwaltungsakte des Antragsgegners so dokumentiert - Widerspruch gegen die Sanktionsbescheide vom 11. April 2016 eingelegt. Außerdem hat er seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seiner Formulierung zur Folge "gegen den Sanktionsbescheid" gerichtet. Dann behauptet der Antragsteller weiter, dass ihm auch die Widerspruchsbescheide nicht zugegangen seien. Dies ist zur Überzeugung des Senats ebenfalls unzutreffend. Sein Schreiben vom 24. April 2016 an das SG leitet der Antragsteller ein mit "Stellungnahme zum Widerspruchsbescheid vom Jobcenter bezüglich der verfassungswidrigen Sanktionswiderspruchsbescheid". Diese Formulierung macht nur Sinn, wenn dem Antragsteller auch die Widerspruchsbescheide zugegangen sind.

Außerdem leitet der Antragsteller aus dem Umstand, dass die Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016 datieren, am 22. April 2016 zur Post gegeben worden seien und der Antragsgegner am 20. April 2016 vom Sozialgericht über seinen einstweiligen Antrag unterrichtet worden sei im Sinne einer "Verschwörung" ab, dass deshalb der Antragsgegner Widerspruchsbescheide vom 21. April 2016 quasi erfunden habe. Der rein zeitlich gegebene Zusammenhang der Vorgänge begründet jedoch nicht plausibel die Auffassung des Antragstellers im Hinblick auf ein schlichtes Erfinden der Widerspruchsbescheide des Antragsgegners.

Aus diesen Gründen ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG)
Rechtskraft
Aus
Saved