L 31 AS 662/16 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 2020/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 662/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 5. Februar 2016 wird aufgehoben.

Gründe:

I. Der Kläger wendet sich als Beschwerdeführer gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeld in Höhe von 50,00 EUR in einem Klageverfahren, in welchem er die Auszahlung eines Betrages von 91,77 EUR verlangte, die der Beklagte seiner Ansicht nach zwar bewilligt, aber zu Unrecht nicht ausgezahlt hat.

Das Sozialgericht Potsdam beraumte auf den 5. Februar 2016 einen Erörterungstermin an, zu dem das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet war. Die Ladung ist dem Kläger ausweislich einer Zustellungsurkunde am 9. Januar 2016 zugestellt worden. Mit Fax vom 5. Februar 2016 (bei Gericht eingegangen um 8.27 Uhr) beantragte der Kläger die Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens, ohne hierfür Gründe zu nennen.

Im Erörterungstermin vom 5. Februar 2016 erläuterte die Vertreterin des Beklagten erneut, wie sich der von dem Kläger beantragte Betrag zusammensetzte und überreichte eine Zahlungsübersicht, aus der sich ergab, dass der Betrag dem Kläger bereits in zwei Einzelbeträgen von 27,00 EUR und 64,77 EUR ausgezahlt worden war.

Mit Beschluss vom selben Tag verhängt das Sozialgericht Potsdam ein Ordnungsgeld gegen den Kläger i. H. v. 50,00 EUR.

Gegen diesen ihm am 12. Februar 2016 zustellten Beschluss legte der Kläger am 11. März 2016 Beschwerde ein, die er damit begründete, dass er nicht gewusst habe, dass er einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens hätte begründen müssen.

Nachdem das Sozialgericht den Kläger zur mündlichen Verhandlung am 7. April 2016 geladen hatte, nahm er seine Klage mit Schreiben vom 30. März 2016 zurück.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Sie war Gegenstand der Beratung des Senats.

II.

Die Beschwerde ist gemäß den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Es erscheint unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalles nicht gerechtfertigt, die vom Sozialgericht getroffene Ordnungsgeldentscheidung wegen unentschuldigten Ausbleibens im Termin am 5. Februar 2016 aufrechtzuerhalten.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Ordnungsgeld ist § 202 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann das Gericht gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen – wie hier nach § 111 Abs. 1 SGG – angeordnet war, ein Ordnungsgeld wie gegen einen nicht erschienen Zeugen festsetzen, wenn er im Termin ausbleibt (vgl. hierzu §§ 380, 381 ZPO).

Dabei ist Sinn und Zweck der Vorschrift des § 141 Abs. 3 ZPO nicht, eine (vermeintliche) Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. November 1997, Az. 2 BvR 429/97, NJW 1998, S. 892 [893]; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Juni 2011, Az. I ZB 77/10, NJW – RR 2011, S. 1363 m.w.N.; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20. August 2007, Az. 3 AZB 50/05, NJW 2008, S. 252).

Mit der Möglichkeit, das persönliche Erscheinen der Beteiligten anzuordnen, versetzt das Gesetz das Gericht in die Lage, den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend und zeitnah zu klären, um zu einer Entscheidungsreife des Rechtsstreits zu gelangen (BAG, a.a.O.). Zur Durchsetzung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten und damit zur wirksamen Erreichung dieses Ziels sieht das Gesetz die Möglichkeit der Verhängung des Ordnungsgelds vor. Ein Ordnungsgeld kann daher nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert (vgl. BGH, a.a.O.).

Sowohl die Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch die Verhängung eines Ordnungsgelds stehen im Ermessen des Gerichts. Dieses ist jeweils pflichtgemäß in dem Sinne auszuüben, dass das Gericht den Sinn und Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens und des Ordnungsgelds zu berücksichtigen hat (BAG, a.a.O.). Beide sind daher nur nach Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.

Ob es an einer diesen Grundsätzen entsprechenden Abwägung des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss fehlt und das Sozialgericht bei der Festsetzung des Ordnungsgelds ermessensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen hat, dass bzw. ob das Nichterscheinen der Beschwerdeführer im Termin am 5. Februar 2016 zu einer Erschwerung oder Verzögerung der Sachverhaltsaufklärung geführt hat, kann der Senat offenlassen, denn jedenfalls war der Sachverhalt nach dem Termin zur Erörterung und den in diesem Termin abgegebenen Erläuterungen des Beklagten für den Kläger soweit geklärt, dass ihm eine Klagerücknahme möglich war.

Zwar liegen die formellen Voraussetzungen für eine Verhängung von Ordnungsgeld vor. Der Beschwerdeführer wurde ordnungsgemäß mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens geladen; in der Ladung wurde auch auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen. Er ist im Termin nicht erschienen, ohne einen geeigneten Vertreter zu entsenden. Weiter hat er sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt, denn er konnte nicht damit rechnen, dass über den erst am Sitzungstag gestellten Antrag auf Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens noch vor der Sitzung entschieden wird. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob er einen solchen Antrag hätte begründen müssen oder nicht.

Jedoch sind die materiellen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgelds nicht erfüllt. Zwar ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten in § 111 – anders als in § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO – nicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft; es ist liegt allein im Ermessen des Gerichts. Allerdings kann es auch im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit nur vorrangig um die Aufklärung des Sachverhalts und damit um die Beschleunigung des Verfahrens gehen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Auflage 2014, § 111 RN 1). Aufgrund der weiten gesetzlichen Fassung kann Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens zwar auch der Versuch der Herbeiführung einer vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits sein. Im Rahmen der Ausübung seines Ermessens hat das Gericht jedoch zu beachten, ob der von ihm herangezogene Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens dem vorrangigen Regelungszweck (Aufklärung des Sachverhalts) zumindest nahekommt, und ob die Maßnahme Erfolg verspricht und im Einzelfall auch zumutbar ist.

Ebenso kann bei der Ermessensausübung bei Festsetzung des Ordnungsgelds der konkrete Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht außer Acht gelassen werden. Auch insoweit ist zu überprüfen, ob der im Einzelfall konkret verfolgte Zweck seiner Wertigkeit nach dem der Aufklärungsfunktion entspricht.

Das Ordnungsgeld hat nicht die Funktion, eine vermeintliche Missachtung einer richterlichen Anordnung oder der gerichtlichen Autorität zu ahnden. Auch das Bestreben des Gerichts auf eine einvernehmliche Regelung hinzuwirken, rechtfertigt für sich allein noch nicht die Verhängung eines Ordnungsgelds, wenn der Beteiligte der Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht Folge leistet. Denn aus dem gesetzlichen Zweck ergibt sich, dass die Verhängung des Ordnungsgelds nur dann in Betracht kommen kann, wenn durch das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten die Aufklärung des Sachverhalts verhindert oder erschwert wird und deshalb eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 15. April 2009, Az.: L 2 B 64/08 AS, juris RN 12).

Kann das Gericht jedoch in der Sache abschließend entscheiden, ohne dass es einer Mitwirkung des säumigen Beteiligten bedurfte, so ist die Festsetzung eines Ordnungsgelds in der Regel ermessensfehlerhaft und muss aufgehoben werden (vgl. Bayer. LSG, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2004, Az.: L 3 B 14/04 U, juris). Weder die Androhung noch die Festsetzung eines Ordnungsgelds dürfen dazu verwendet werden, einen Vergleichsabschluss oder eine Rücknahmeerklärung zu erzwingen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007, Az.: VI ZB 4/07, NJW-RR 2007 S. 1364).

Vorliegend ergibt sich aus der Gesamtschau des Klageverfahrens, dass der Sachverhalt offensichtlich nach dem Erörterungstermin soweit geklärt war, dass es dem Kläger möglich war, seine Klage zurückzunehmen. Soweit das persönliche Erscheinen des Klägers zum Erörterungstermin möglicherweise auch angeordnet worden war, um mit dem Kläger zu besprechen, ob sein Klagebegehren vollständig erfasst worden ist, hat sich dieser Zweck jedenfalls mit der Klagerücknahme erledigt, so dass eine Aufrechterhaltung der Verhängung des Ordnungsgeldes nicht – mehr – notwendig ist.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren über die Verhängung eines Ordnungsgeldes kein gesondertes, kontradiktorisches Verfahren darstellt.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved