S 3 AL 243/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AL 243/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1999 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung für die Zeit vom 01.10.1998 bis zum 18.11.1998 wegen eines nicht mitgeteilten Umzuges und um die Erstattung der in dieser Zeit teilweise gezahlten Arbeitslosenhilfe in Höhe von 000,00 DM sowie der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 000,00 DM.

Der Kläger meldete sich im August 1998 unter der Anschrift H I 17 in C erneut arbeitslos und erhielt ab diesem Datum originäre Arbeitslosenhilfe in Höhe von 000,00 DM wöchentlich. Die Wohnung bewohnte er zusammen mit der Familie seines Bruders.

Zum 01.10.1998 verzog der Kläger innerhalb C in die I-Straße 29. Die Familie seines Bruders wohnte weiterhin unter der alten Anschrift. Den Umzug teilte der Kläger der Beklagten nicht mit.

Mit Schreiben vom 02.11.1998 forderte die Beklagte den Kläger zur Meldung auf. Das Schreiben lief bei der Beklagten mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" am 06.11.1998 zurück. Die Beklagte erstellte darauf einen formularmäßigen Aufhebungsbescheid, mit dem die Leistungen ab dem 01.11.1998 wegen Ortsabwesenheit aufgehoben wurden. Der Bescheid wurde dem Kläger an die alte Anschrift übersandt und ging ihm auch zu. Er meldete sich am 20.11.1998 erneut arbeitslos und erhielt ab diesem Datum wieder Leistungen. Bei der Arbeitslosmeldung gab er an, am 01.10.1998 verzogen zu sein.

Mit Schreiben vom 26.11.1998 hörte die Beklagte den Kläger zur Überzahlung für die Zeit vom 01.10.1998 bis zum 31.10.1998 an. Er teilte mit, er habe es vergessen, den Umzug mitzuteilen, da er davon ausgegangen sei, die Bürgerberatung werde dies machen.

Mit Bescheid vom 09.12.1998 machte die Beklagte unter Bezugnahme auf den Aufhebungsbescheid vom 11.11.1998 die Erstattung der überzahlten Beträge in Höhe von 000,00 DM sowie der in dieser Zeit gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 000,00 DM geltend. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er sich auf einen Runderlass der Beklagten zur Erreichbarkeit bezog. Er sei durchgehend unter der alten Anschrift H I 17 erreichbar gewesen, da er dort mit seinem Bruder zusammen gewohnt habe. Auf dem Klingelschild stehe allein der gleichlautende Nachname. Er habe auch nach seinem Umzug noch sämtliche Post erhalten, da sein Bruder nach wie vor in der Wohnung wohne. Nach dem Umzug habe er täglich Kontakt zu seinem Bruder gehabt, so dass ihm dieser die Briefe, die für ihn angekommen seien, sofort habe aushändigen können.

Mit Änderungsbescheid vom 27.04.1999 hob die Beklagte die Arbeitslosenhilfebewilligung ab dem 01.10.1998 auf. Zur Begründung bezog sie sich auf den nicht rechtzeitig mitgeteilten Umzug. Ferner wurde erneut die Erstattung der überzahlten Beträge in dem oben dargelegten Umfang geltend gemacht.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.1999 als unbegründet zurück. Sie vertrat im Wesentlichen die Ansicht, der Kläger sei im Hinblick auf § 1 der Erreichbarkeits-Anordnung nicht verfügbar gewesen. Seinen Umzug habe er grob fahrlässig nicht mitgeteilt.

Mit der hiergegen erhobenen Klage vertritt der Kläger die Ansicht, die Voraussetzungen des § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 1 Satz 2 der Erreichbarkeits-Anordnung seien erfüllt, da er täglich Kontakt zu seinem Bruder gehabt habe. Auch der Erlass der Bundesanstalt für Arbeit vom 25.11.1998 gehe davon aus, dass bei rechtzeitig gestelltem Nachsendeantrag durchgehend Erreichbarkeit vorliege. Die Voraussetzungen seien vergleichbar, da der Bruder des Klägers als privater Vermittler aufgetreten sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.12.1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1999 aufzuheben.

Die Beklagte, beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt auch im Klageverfahren bei ihrer bisher vertretenen Auffassung und trägt ergänzend vor, die Postnachsendung auf andere Weise als durch einen Postnachsendeantrag erfülle nicht die Voraussetzungen der Erreichbarkeit nach § 1 Abs. 1 der Erreichbarkeitsanordnung, da hierdurch nicht sicher gestellt sei, dass die Post den Leistungsempfänger tatsächlich innerhalb kürzester Zeit erreiche. Dieses werde gerade durch den Postrücklauf vom 03.11.1999 dokumentiert.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Bruders des Klägers, Herrn E, als Zeuge zum Wohnort und Aufenthaltsort des Klägers ab dem 01.10.1998 und den Vereinbarungen, die der Kläger mit ihm hinsichtlich eingehender Briefsendungen getroffen hatte. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.01.2001 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Akte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1999 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- in seinen Rechten.

Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung ab dem 01.10.1998 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X- liegen nicht vor. Die Vorschrift lautet:

"Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werde, soweit 1 ... 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, ..."

Entgegen der Auffassung der Beklagten begründet der Umzug des Klägers keine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen. Denn der Kläger war auch nach seinem Umzug durchgehend für die Beklagte erreichbar im Sinne des § 119 Abs. 1 Ziff. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -SGB III-. Danach muss der Arbeitslose Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können. Nach § 152 Nr. 2 SGB III wird die Bundesanstalt ermächtigt, durch Anordnung Näheres zu bestimmen zu den Pflichten des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können. § 1 Abs. 1 der hierzu ergangenen Erreichbarkeits-Anordnung -EAO- bestimmt:

" Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung kann zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich 1. Mitteilung des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, 2. das Arbeitsamt aufzusuchen, 3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammen zu treffen und 4. eine vorgeschlagene Arbeit zunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann."

Der Kläger war auch nach seinem Umzug ab dem 01.10.1998 in der Lage, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge zu leisten im Sinne des § 119 Abs. 2 Nr. 3 SGB III und konnte unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis nehmen, im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 EAO. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und nach der persönlichen Anhörung des Klägers zur Überzeugung der Kammer fest.

Der Kläger hat sich glaubhaft dahingehend eingelassen, er habe nur deshalb keinen Nachsendeantrag gestellt, da sein Nachname weiterhin auf dem Klingelschild und dem Briefkasten gestanden habe und er davon ausgegangen sei, der Postbote würde die Post weiterhin zustellen. Mit seinem Bruder habe er vereinbart, dass dieser die Post zu ihm bringen solle oder ihn anrufen würde, wenn Post da sei. Entsprechend sei verfahren worden. Die Post habe er auch tatsächlich erhalten.

Dieser Vortrag ist im Wesentlichen durch die Einlassung des Zeugen E bestätigt worden. Auch dieser hat ausgesagt, dass sich der Kläger noch mehrfach die Woche bei ihm aufgehalten habe. Ferner habe er ihm die Post gebracht, wenn sie wichtig gewesen sei. Auch habe er seit Oktober 1998 keinen Urlaub gemacht. Die Kammer hat keine Veranlassung gesehen, an den glaubhaften und übereinstimmenden Aussagen des Zeugen und des Klägers selbst zu zweifeln. Das bedeutet, dass der Kläger aufgrund seiner häufigen Anwesenheit in der Wohnung des Bruders und der mit diesem getroffenen Vereinbarung hinsichtlich der Postübergabe täglich über eingehende Briefsendung informiert worden ist. Der Bruder des Klägers war auch in der streitigen Zeit durchgehend am Wohnort anwesend, so dass die Postübergabe sichergestellt war. Die grundsätzliche Erreichbarkeit wird auch dadurch dokumentiert, dass dem Kläger der Aufhebungsbescheid vom 01.11.1998 zugegangen ist. Aus welchem Grund die Meldeaufforderung vom 02.11.1998 dem Kläger nicht zugegangen ist, vermochte das Gericht nicht aufzuklären. Es ist jedoch gerichtsbekannt, dass häufig Briefsendungen mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" oder "Empfänger unbekannt verzogen" zurückübersandt werden, wenn z.B. Urlaubsvertretungen in einem Zustellbezirk stattfinden. Ein Postrücklauf allein dokumentiert daher noch nicht die fehlende Erreichbarkeit.

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 der EAO bedeutet insbesondere nicht, dass das Erfordernis, in der Lage zu sein, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, dahingehend auszulegen ist, dass der Arbeitslose ganztägig auf den Eingang der Briefpost warten muss (z.B. Brand in Niesel, Komm. im SGB III, § 119 Rdz. 40). Denn die in § 152 SGB III normierte Anordnungsermächtigung ermächtigt die Bundesanstalt lediglich, durch Anordnung Näheres zu den Pflichten des Arbeitslosen zu bestimmen, den Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können. Die Anordnung muss daher gesetzeskonform ausgelegt werden. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung in § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III die in 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- i.V. mit der hierzu ergangenen Aufenthaltsanordnung bestimmte Residenzpflicht lockern. Dies folgt aus den Gesetzesmotiven. Danach soll es künftig nicht mehr darauf ankommen, dass der Arbeitslose das Arbeitsamt täglich erreichen kann und für dieses erreichbar ist. Entscheidend für die Verfügbarkeit sei es vielmehr, dass der Arbeitslose sowohl in zeitlicher Hinsicht, als auch in Bezug auf seinen Aufenthalt jederzeit in der Lage ist, einen potentiellen Arbeitgeber aufzusuchen, ein Vorstellungs- oder einen Beratungstermin wahrzunehmen, an einer Maßnahme zur Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen oder einem sonstigen Vorschlag des Arbeitsamtes Folge zu leisten (Bundestagsdrucksache 13/4941, S. 176, zu § 119 Abs. 3). Daraus folgt, dass eine für alle gleichermaßen geltende Anwesenheitspflicht an einem bestimmten Ort mit § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III nicht vereinbar ist (Valgolio in Hauck/Noftz, Komm. zum SGB III, 9. Ergänzungslieferung, § 125 m.w.N.). Der Arbeitslose muss nur in zeitlicher Hinsicht und in Bezug auf seinen Aufenthaltsort jederzeit in der Lage sein, Vorschlägen des Arbeitsamtes Folge zu leisten (Valgolio in Hauck/Noftz, a.a.O.). Erforderlich ist lediglich, dass der Arbeitslose in der Lage ist, Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, wie in § 1 Abs. 1 Nr. 1 der EAO normiert. An welchem Ort er dieses macht, ist nach der gesetzgeberischen Konzeption unerheblich.

§ 1 Abs. 1 Satz 2 der EAO ist daher dem Wortlaut nach keine zulässige Konkretisierung durch die Anordnungsbefugnis des § 152 Nr. 2 SGB III, da der Arbeitslose nach dem Wortlaut der Vorschrift sicherzustellen hat, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der oben zitierten Gesetzesbegründung gerade darauf verzichten, dass der Arbeitslose für das Arbeitsamt täglich erreichbar ist. Er sollte nur jederzeit in der Lage sein, u.a. Vorschlägen des Arbeitsamtes Folge zu leisten. Hierfür ist die tägliche Anwesenheit unter der von ihm dem Arbeitsamt benannten Anschrift gerade nicht nötig (ebenso Valgolio in Hauck/Noftz, a ...a.O., § 119 Rdz. 136 und 140; anders Steinmeyer in Gagel, Komm. zum SGB III, 14. Ergänzungslieferung, § 119 Rdz. 194 ff. und Brand in Niesel, Komm. zum SGB III, § 119 Rdz. 42).

Ebenso hat die Bundesanstalt durch ihren Runderlass vom 25.11.1998 bestimmt, dass in den Fällen, in denen der Arbeitslose innerhalb der Wohngemeinde oder in eine Nachbargemeinde umzieht und rechtzeitig vorher einen Nachsendeantrag gestellt hat, typisierend grundsätzlich davon auszugehen sei, dass ihn die Briefpost ohne Verzögerung erreiche und die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Erreichbarkeits-Anordnung als erfüllt gelten. Die Bundesanstalt selbst legt also § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO einschränkend dahingehend aus, dass die Briefpost den Arbeitslosen nicht unter der von ihm benannten Anschrift erreichen muss. Nur diese Auslegung entspricht dem Gesetzeszweck.

Der Kläger selbst hat durch die zwischen ihm und seinem Bruder getroffenen Vereinbarungen sichergestellt, dass ihn die Briefpost täglich erreichen kann. Er ist damit in der Lage gewesen, unverzüglich auf Mitteilungen des Arbeitsamtes zu reagieren. Dem Gericht ist aus Stellungnahmen der deutschen Post AG in anderen Verfahren bekannt, dass bei Stellung eines Nachsendungsantrages immer mit einer Postverzögerung von einem Tag gerechnet werden muss. Der Kläger ist also zeitlich noch schneller in der Lage gewesen, auf Mitteilungen des Arbeitsamtes zu reagieren, als Arbeitslose, die einen Nachsendungsantrag gestellt haben.

Da der Kläger durchgehend erreichbar war, liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung nicht vor.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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