S 12 KA 623/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 623/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Parallelverfahren zu SG Marburg, Urteil vom 01.06.2016 - S 12 KA 171/15 u. S 12 KA 8 bis 10/16 -.
2. Maßgeblich für den Umfang des Leistungsrückgangs ist der Auffüllbetrag, der für den Vertragsarzt aufgrund eines Vergleichs mit dem Ausgangsbescheid und einer nach der BSG-Rechtsprechung erfolgten fiktiven Neuberechnung günstiger ist.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2011, ergänzt durch Bescheid vom 15.04.2014 und in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.11.2014 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Berichtigung des Honorarbescheids für das Quartal II/07 und hierbei ausschließlich um eine Rückforderung des Auffüllbetrages in Höhe von insgesamt 12.402,44 EUR netto aufgrund der Regelung nach § 5 Abs. 4 des Honorarverteilungsvertrags.

Die Kläger sind als Fachärzte für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führten mit Herr C., der als Arzt zugelassen war, eine Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt. Die Kläger beendeten ihre vertragsärztliche zum 01.01.2008. Die Praxis wird von zwei Nachfolgern fortgeführt. Herr C. ist zwischenzeitlich verstorben.

Die Beklagte setzte in den Quartalen II/05 und II/07 das Honorar der Klägerin wie folgt fest:

Quartal II/05 II/07
Honorarbescheid v. 29.06.2006 17.10.2007
Nettohonorar gesamt in EUR 75.578,74 75.542,38
Gesamthonorar
Bruttohonorar Primär- u. Ersatzkassen in EUR 76.857,85 77.131,17
Fallzahl Primär- u. Ersatzkassen 1.596 1.537
Honoraranforderung in EUR 98.815,36 91.811,56
Honoraranforderung nach HVV in EUR 98.815,36 91.811,56

Regelleistungsvolumen in Punkten 1.558.653,6
Abgerechnet in Punkten 1.665.839,0 1.287.940,5
Überschreitung 0

Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Fallzahl im Aufsatzquartal (II/04 bzw. II/05) 1.650 1.596
Referenz-Fallwert 49,3383 42,3296
Fallwert im aktuellen Quartal 35,8807 30,9193
Auffüllbetrag pro Fall in EUR 11,0793 8,3223
Auffüllbetrag gesamt in EUR 17.673,95 12.791,30

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 04.11.2011 eine Überprüfung der Regelung nach § 5 Abs. 4 Honorarverteilungsvertrag für das streitbefangene Quartal vor. Sie setzte einen Honorarrückforderungsbetrag in Höhe von 12.402,44 EUR (netto) fest. Zur Begründung führte die Beklagte aus, im Quartal II/07 betrage die Fallwertminderung mehr als 15 % in Bezug auf die gewährten Zahlungen im Rahmen der Maßnahme nach § 5 Abs. 4 Honorarverteilungsvertrag, weshalb eine einzelfallbezogene Prüfung erforderlich sei. In verschiedenen Leistungsbereichen sei ein nicht unerheblicher Leistungsrückgang zu verzeichnen:
Leistungsbereich Anforderung II/05 in Punkten Anforderung II/07 in Punkten Rückgang in %
Besuche, Visiten 1.200 0 - 100
Briefe, Bescheinigungen 33.860 8.685 - 74,35
Infusion, Transfusion, Tuberkulintest 102.300 40.455 - 60,45
Kleine Chir., Allg. therap. Leistungen 147.310 45.960 - 68,80
Operationen 3.675 0 - 100,00
Orth.-chir. konserv. Leistungen 71.700 0 - 100,00
Postop. Behandlungskomplexe 280 0 - 100,00
Postop. Überwachungskomplexe 1.400 0 - 100,00
Radiologie 463.880 116.365 - 74,91
Verwaltungskomplex 2.340 0 - 100,00
827.945 211.465

Sie fordere deshalb die Auffüllung vollständig zurück.

Hiergegen legten die Kläger am 11.11.2011 Widerspruch ein, den sie nicht weiter begründeten.

Die Beklagte teilte den Klägern mit Bescheid vom 15.04.2014 mit, dass sie aufgrund der sozialgerichtlichen Rechtsprechung das Honorar nochmals neu berechnet habe. Die Honorarrückforderung betrage weiterhin aber 12.402,44 EUR (netto). Auf Basis der zweiten fiktiven BSG-Neuberechnung betrage der Fallwert II/07 26,0227 EUR, der Fallwert II/05 41,8951 EUR. Daraus ergebe sich ein fiktiver Auffüllbetrag von 16.331,97 EUR, zu Gunsten des Klägers sei aber vom geringeren Betrag auszugehen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie u. a. aus, der Leistungsrückgang der Klägerin betrage 616.480,0 Punkte. Aufgrund des Vergleichs mit dem Quartal II/05 sei nicht ersichtlich, inwiefern der Rückgang auf Veränderungen infolge der Einführung des EBM 2005 beruhen könnte.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.12.2014 die Klage erhoben. Sie trägt vor, um dem Rechtsfolgeermessen nach § 5 Abs. IV Buchst. d HVM gerecht zu werden, hätte die Beklagte ermitteln müssen, in welchem Verhältnis und Umfang die Einführung des EBM 2005 für den Fallwertverlust ursächlich sei. Ggf. habe die Rückforderung anteilsmäßig zu erfolgen. Die Ausgleichsregelung diene der Erfüllung der Beobachtungs- und Reaktionspflicht nach Einführung des EBM 2005. Es sei daher unerheblich, ob die Abrechnung im Referenzquartal bereits unter Geltung des EBM 2005 erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 04.11.2011, ergänzt durch Bescheid vom 15.04.2014 und in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.11.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt ergänzend zu ihren Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vor, zeige ein Vergleich der Fallwerte eine Fallwertminderung von mehr als 15 %, sei eine einzelfallbezogene Prüfung vorzunehmen. Es treffe nicht zu, dass bereits an dieser Stelle eine Korrektur des Fallwertes insoweit vorgenommen werden müsse, als dass ein bei der Praxis festgestellter Leistungsrückgang berechnet und der Fallwert um diesen zu bereinigen sei. Aufgrund des Leistungsrückgangs der Klägerin sei eine Vergleichbarkeit mit dem Referenzquartal nicht mehr gegeben und erfülle die Klägerin nicht die Voraussetzungen der Ausgleichsregelung. Im Referenzquartal habe auch bereits der EBM 2005 gegolten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 04.11.2011, ergänzt durch Bescheid vom 15.04.2014 und in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.11.2014 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Die Beklagte war grundsätzlich im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung zuständig und berechtigt, eine Überprüfung der Ausgleichszahlung nach § 5 Abs. 4 HVV vorzunehmen (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 -, Umdruck S. 10 f.; Urt. v. 14.05.2014 - L 4 KA 63/12 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 33 f.; Urt. v. 13.07.2011 - L 4 KA 14/10 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 26 ff.).

§ 5 Abs. 4 HVV "Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus" bestimmt Folgendes:
a) Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß § 4 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2005 ausschließlich beschränkt auf Leistungen der Honorargruppe 2 mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen.
b) Zeigt der Fallwertvergleich einen Fallwertverlust von mehr als 5%, so erfolgt eine Stützung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen Honoraruntergruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Punktwerte zu generieren. Sollte durch eine solche Quotierung der Fallwertverlust wieder auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.
c) Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2005 abgerechnet worden ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Basisquartal erkennbar ausgewählte Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung, verändert hat. Er ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis im Vergleich zum entsprechenden Basisquartal geändert hat.
d) Beträgt der Fallwertverlust mehr als 15%, wird geprüft, ob dieser Verlust ausschließlich auf die Einführung des EBM 2000plus zurückzuführen ist. Sofern die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist, wird ggf. eine Honorarberichtigung durchgeführt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass auf Basis der Zahlungen der Verbände der Krankenkassen eine dem Basisquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütung zur Verfügung steht.
e) Diese Regelung gilt nicht für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen.

Diese Regelung knüpft abgesehen von sprachlichen Umformulierungen weitgehend unverändert an die ab dem Quartal II/05 bis I/07 geltende Regelung nach Ziff. 7.5 HVV an. In den Quartalen II/05 bis I/06 galten jedoch als Referenzquartale die Vorjahresquartale II/04 bis I/06, in den Quartalen II/06 bis IV/08 galten als Referenzquartale die Quartale II bis IV/05 bzw. I/06.

§ 5 Abs. 4 HVV ist, wie bereits zu Ziffer 7.5 HVV entschieden, grundsätzlich rechtmäßig, soweit er im Sinne einer Härtefallregelung zur Begünstigung eines Vertragsarztes führt (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 - L 4 KA 99/08 -; LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 L 4 KA 82/07 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; s. a. BSG, Urt. v. 08.12.2010 B 6 KA 42/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 61 = USK 2010-174, 17 juris Rdnr. 17). Lediglich soweit die sog. Ausgleichsregelung bei Überschreiten des Fallwerts des Vorjahresquartals von mehr als 5 % u. U. zu einer Honorarkürzung führt, ist die Regelung zu beanstanden (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009 - L 4 KA 80/08 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 16/09 R - juris; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 - L 4 KA 110/08 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 durch BSG - B 6 KA 26/09 R -; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 - L 4 KA 85 u. 86/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 58 = USK 2010-95 = GesR 2011, 304 = Breith 2011, 415 bzw. B 6 KA 28/09 R).

Danach war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, § 5 Abs. 4 HVV im Sinne einer begünstigenden Regelung anzuwenden. Die Beklagte hat aber, was gerichtsbekannt ist, nicht nur im Falle der Kläger bei Erlass des Honorarbescheids Ziff. 7.5 HVV lediglich schematisch angewandt, ohne in die von § 5 Abs. 4 HVV gebotene Einzelfallprüfung bei Überschreiten der 15 %-Grenze einzutreten. Nach § 5 Abs. 4 Buchst. d Satz 1 und 2 HVV ist, wenn die Fallwertminderung mehr als 15%, beträgt, eine auf die einzelne Praxis bezogene Prüfung im Hinblick auf vorstehend aufgeführte Kriterien durchzuführen, bevor eine Ausgleichszahlung erfolgt. Dabei müssen ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% ausschließlich ihre Ursache in der Einführung des EBM 2005 haben. Als maßgebliche Kriterien nennt § 5 Abs. 4 Buchst. c HVV vergleichbare Praxisstrukturen; ausgeschlossen ist ein Ausgleich bei Nichterbringung (ausgewählter) Leistungsbereiche oder Veränderung des Leistungsspektrums der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis sowie der Kooperationsform der Praxis.

Die Kammer hält diese Regelung, soweit bisher die Regelung nach Ziff. 7.5 HVV als zulässig angesehen wurde, ebf. für zulässig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen tragen dafür Sorge, dass nur EBM-bedingte, nicht aber solche Honorarverluste, für die der Vertragsarzt die Verantwortung selbst zu tragen hat, ausgeglichen werden. Der aktuelle Fallwert und der Fallwert des Vorjahresquartals müssen miteinander vergleichbar sein. Bei verändertem Leistungsspektrum der Praxis ist dies nicht mehr der Fall. Ebenso können veränderte Kooperationsformen eine Vergleichbarkeit ausschließen. Gleiches gilt für eine veränderte Berechnung des Honorars durch Einschließung oder Ausschließung von Vergütungsanteilen, insbesondere sog. extrabudgetären Leistungen, im Vergleich zum Vorjahresquartal. Im Gegensatz zu der von den Sozialgerichten beanstandeten Honorarkürzungen nach Ziff. 7.5.1 Satz 3 HVV wird nicht das regulär nach dem HVV zustehende Honorar gekürzt, sondern erfolgt lediglich eine genauere Ursachenforschung und Berechnung der den Vertragsarzt begünstigenden Ausgleichsregelung. Die Regelung zur Beschränkung der Ausgleichsregelung ist damit selbst unmittelbarer Teil der Ausgleichsregelung im Sinne einer Härteregelung. Ihr Inhalt ist aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden und ist vom Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien des HVV gedeckt.

Soweit die Kammer die Auffassung vertreten hat, bei Referenzquartalen unter Geltung des EBM 2005 könne eine Honorarminderung nicht EBM-bedingt sein (vgl. SG Marburg, Gerichtsb. v. 24.10.2013 - S 12 KA 131/12 -), hält sie an dieser Auffassung nicht mehr fest. Die Ausgleichsregelung wäre bei Zugrundelegung dieser Auffassung widersprüchlich, da dann ab dem Quartal II/06 keinerlei Ausgleich mehr im Hinblick auf die EBM-Neuregelung zu gewähren wäre. Ziel der Ausgleichsregelung war es aber, durch den Auffüllbetrag EBM-bedingte Honorarverluste abzufedern. Bei gleichbleibender Leistungserbringung in allen Quartalen würde eine Auffüllung auf 95 % - was allerdings nur im Quartal II/05, in den übrigen Quartalen jedenfalls nicht für alle Fachgruppen durchgehend geschah - im darauffolgenden Jahresquartal (z. B. Quartal II/06) zu einer geringeren Honorierung, nämlich nur zu 90,25 % des Honorars vor Einführung des EBM 2005 führen, im nächsten Jahr (z. B. Quartal II/07) nur noch zu 85,74 %, darauf (z. B. Quartal II/08) nur noch zu 81,45 %. Indem der Auffüllbetrag im Referenzquartal in dessen Vergleichsfallwert einfließt, ist eine evtl. EBM-bedingte Honorarminderung auch für die Folgequartale II/06 bis IV/08 von Bedeutung.

Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen einer Berichtigung nicht entgegen. Die Beklagte hat die Vertragsärzte ab Geltung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV ausdrücklich auf die nachträgliche Überprüfung hingewiesen. In den Quartalen II/05 bis II/06 hat sie in Begleitschreiben zu den Honorarbescheiden jeweils darauf hingewiesen, dass sie die Überprüfung aufgrund der 15 %*Regelung erst nachträglich vornehmen werde. Ab dem Quartal III/06 hat sie an den mit "Nachweis zur Ausgleichsregelung gemäß Ziffer 7.5 des Honorarverteilungsvertrages" überschriebenen Teil des Honorarbescheids einen entsprechenden Hinweis angefügt: "Honorarzahlungen aus der sog. ‘Ausgleichsregelung’ stehen ausschließlich bei den Praxen bzw. MVZ unter einem Vorbehalt, bei denen (vor Durchführung der sog. ‘Ausgleichsregelung’) die Fallwertminderung mehr als 15 % beträgt." (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 - Umdruck S. 11; LSG Hessen, Urt. v. 13.07.2011 - L 4 KA 14/10 - juris Rdnr. 28).

Die Beklagte geht aber von einer unzureichenden und fehlerhaften Sachverhaltsermittlung aus, wenn sie allein von prozentualen Leistungsrückgängen einzelner Leistungen oder Leistungsbereiche ausgeht. Der Leistungsrückgang muss nicht nur dem Grunde nach festgestellt werden, sondern ist im Einzelnen zu quantifizieren. Dies hat die Kammer bereits entschieden. Soweit Leistungen im aktuellen Quartal nicht mehr erbracht werden, ist der Fallwert im Referenzquartal entsprechend zu bereinigen. Es kann nicht auf den Leistungsrückgang einer einzelnen Leistung mit der Folge, dass bei deren Rückgang über 15 % kein weitergehender Ausgleich erfolgt, abgestellt werden (vgl. SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 26, die Berufung wurde nach vergleichsweiser Einigung zurückgenommen). So geht auch das LSG Hessen davon aus, dass eine Verlagerung der Vergütung in den extrabudgetären Bereich anteilig zurückzufordern ist, wovon auch offensichtlich die Beklagte seinerzeit ausging (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 - Umdruck S. 13). Die Kammer hat ferner entschieden, dass die Kausalitätsklausel nach Ziff. 7.5.2 Satz 5 HVV KV Hessen, wonach ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% vollständig ihre Ursache in der Einführung des EBM 2005 haben müssen, rechtswidrig ist, da sie gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt. Im Einzelnen hat die Kammer, woran sie nach neuerlicher Prüfung festhält und was auch für § 5 Abs. 4 Buchst. d HVV gilt, ausgeführt (vgl. SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 27 f.):

"Im Übrigen ist die Kausalitätsklausel nach Ziff. 7.5.2 Satz 5 HVV rechtswidrig, da sie gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt. Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit ist - im Sinne einer unzulässigen Gleichbehandlung - verletzt, wenn vom Prinzip der gleichmäßigen Vergütung abgewichen wird, obwohl zwischen den betroffenen Ärzten oder Arztgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 6/10 R - juris Rdnr. 25 m.w.N.). Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass die Kausalitätsklausel zu willkürlichen Ergebnissen führen würde im Sinne eines entweder/oder. Ein Fallwertrückgang bis 15 % führt immer zur vorbehaltslosen Anwendung der Ziff. 7.5 HVV. Ein Fallwertrückgang von 15 und mehr, der auf einer Leistungsverringerung beruht, führt demgegenüber immer zum völligen Absehen von der Ausgleichsregelung, unabhängig davon, ob nicht der Fallwertrückgang zum größten Teil EBM-bedingt ist.

Mit der Kausalitätsklausel, wie sie von der Beklagten praktiziert wird, wird auch der Regelungszweck der Ausgleichsregelung verfehlt. Eine Kassenärztliche Vereinigung ist aufgrund des ihr nach § 75 Abs. 1 SGB V obliegenden Sicherstellungsauftrags berechtigt, zwar nicht anstelle, jedoch ergänzend zu den Regelleistungsvolumina mit den Krankenkassenverbänden im HVV Maßnahmen zu vereinbaren, die eine Stützung gefährdeter Praxen beinhalten (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 58 = USK 2010-95 = GesR 2011, 304 = Breith 2011, 415, juris Rdnr. 46). Mit der 5-% Grenze hat die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV eher den Charakter einer Bestandsschutzmaßnahme zugunsten etablierter Praxen denn einer Stützungsmaßnahme zugunsten gefährdeter Praxen. Die Auffüllbeträge und Honorarkürzungen nach Ziffer 7.5. HVV glichen offenbar nicht nur extreme, ausreißerähnliche Verluste aus und begrenzten extreme Gewinne als Folge der neuen Regelleistungsvolumina bzw. des neuen EBM, sondern schrieben faktisch gewachsene Vergütungsstrukturen fort (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - a.a.O., Rdnr. 48). Von daher ist es noch weniger zu rechtfertigen, wenn EBM-bedingte Honorarrückgänge in größerem Umfang nicht zum Ausgleich berechtigen würden."

Nach diesen Grundsätzen sind deutliche Abweichungen im Leistungsspektrum bzw. Leistungsrückgänge bei Prüfung der Auffüllbeträge zu berücksichtigen, soweit die Leistungslegende weitgehend unverändert bleibt.

So geht die Beklagte zutreffend von einem Leistungsrückgang in verschiedenen Bereichen aus, worauf sie Im angefochtenen Ausgangsbescheid vom 04.11.2011 hinweist.

Nach den dargelegten Grundsätzen reicht es aber nicht aus, allgemein oder auf einen prozentualen Leistungsrückgang hinzuweisen. Die Beklagte hat vielmehr nachzuweisen, dass der Leistungsrückgang den gesamten Berichtigungsbetrag begründet. Hierfür ist im Einzelnen der Leistungsrückgang im Hinblick auf den Fallwert des Referenzquartals zu quantifizieren.

Nach Berechnung der Kammer wurden für die dort aufgeführten Leistungen im Quartal II/05 827.945,0 Punkte angefordert, im Quartal II/07 nur noch 211.465,0 Punkte. Die Differenz beträgt 616.480 Punkte, wovon auch die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid ausgeht. Der angeführte Leistungsrückgang von 616.480 Punkten ist in den Fallwert des Referenzquartals II/05 einzurechnen. Dieser vermindert sich bei einer Fallzahl von 1.596 um ca. 386,3 Punkte (616.480 Punkte./. 1.596) bzw. bei einem Punktwert von ca. 2,138 Ct. um 8,26 EUR. Der bereinigte Fallwert im Aufsatzquartal beträgt demnach ca. 34,0696 EUR (42,3296 EUR - 8,26 EUR) bzw. auf der Grundlage der zweiten fiktiven Neuberechnung 33,6351 EUR (41,8951 EUR - 8,26 EUR). Demgegenüber betrug der ursprüngliche Auffüllbetrag pro Fall 8,3223 EUR bzw. nach fiktiver Neuberechnung 10,6259 EUR (16.331,97 EUR./. 1.537). Von daher ist jedenfalls in Bezug auf die fiktive Neuberechnung nicht ersichtlich, inwieweit der genannte Leistungsrückgang ursächlich für die Fallwertminderung im Umfang des gesamten Auffüllbetrags sein sollte. Auf die fiktive Neuberechnung ist aber auch nach der Auffassung der Beklagten abzustellen, wenn diese günstiger für den Vertragsarzt ist. Im Ergebnis ist die Honorarberichtigungen für das Quartal II/07 daher fehlerhaft.

Der Bescheide war vollständig aufzuheben, da die Beklagte eine genaue Berechnung entsprechend den Vorgaben der Kammer nicht vorlegt und der Kammer schon aufgrund der verschiedenen Kassenbereiche eine genaue Berechnung nicht möglich ist. Von daher fehlt es an einem Nachweis, in welcher Höhe die Berichtigung berechtigt ist, was zu Lasten der Beklagten geht, da sie die Berichtigung vornimmt.

Im Übrigen bleibt es der Beklagten aber im Rahmen der Ausschlussfrist unbenommen, auf der Grundlage der Vorgaben der Kammer neu zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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