L 3 R 582/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 4898/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 582/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung seiner Rente mit Forderungen der Beigeladenen.

Der 1934 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 01. Januar 1995 eine Altersrente. Die Beigeladene hatte gegen den Kläger ein (Versäumnis-) Urteil des Landgerichts Kiel vom 27. November 1986 erwirkt, mit welchem er zur Zahlung von 22.677,09 DM nebst 1 % Zinsen pro Monat auf 22.670,00 DM seit dem 21. April 1986 verurteilt wurde. Das Urteil wurde ihm am 08. Dezember 1986 zugestellt. Rechtsmittel legte er hiergegen nicht ein.

Die Beigeladene ermächtigte die Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 09. Januar 2013 zur Verrechnung der Rente mit den mit der o.g. Verurteilung des Klägers titulierten Sozialversicherungsbeiträgen nebst Zinsen in Höhe eines auf bis zum 08. Januar 2009 angewachsenen Betrags von 43.207,52 EUR. Die Beklagte hörte den mittlerweile in die Türkei verzogenen Kläger mit Schreiben vom 21. Januar 2013 zur beabsichtigten Verrechnung in Höhe von 100,00 EUR monatlich an und nahm die Verrechnung mit Bescheid vom 05. März 2013 beginnend ab Mai 2013 vor, so dass dem Kläger von seiner Rente nur noch 788,87 EUR monatlich verbleiben sollten. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 18. März 2013, mit welchem er u.a. geltend machte, wegen seines zwischenzeitlichen Krankenhausaufenthalts die im Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 2013 eingeräumte Anhörung nicht wahrgenommen haben zu können und wegen seiner schweren Erkrankungen bzw. der damit verbundenen Aufwendungen auch nur auf Teile seiner Rente nicht verzichten zu können, hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28. März 2013 erneut zur beabsichtigten Verrechnung an und setzte zunächst die Verrechnung aus. Der Kläger reichte medizinische Befundunterlagen und Arztrechnungen aus der Türkei ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2013 als unbegründet zurück und vollzog nun die Verrechnung.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 29. August 2013 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und auf seine Erkrankung hingewiesen. Ferner hat er gegen die Forderungen der Beigeladenen die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat mit Schreiben vom 22. Januar 2014 seine monatlichen Ausgaben zusammengefasst. Das SG hat die Klage – nach Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2015 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass der Verrechnungsbescheid rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Forderung, mit der verrechnet werde, sei nicht verjährt. Auch treffe der Umfang der von der Beklagten vorgenommenen Verrechnung zu, zumal der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er durch die Verrechnung hilfebedürftig nach den Vorschriften des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) werde.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 03. August 2015 Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, vom Landgericht Kiel seinerzeit zu Unrecht verurteilt worden zu sein. Zudem ergebe sich aus dem Urteil auch nicht der Haftungsgrund. Er sei zwischenzeitlich in Deutschland gewesen, was mit weiteren Unkosten verbunden gewesen sei. Er habe noch keine Gelegenheit gefunden, die maßgeblichen Unterlagen vorzulegen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05. März 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. Februar 2016 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Die Beteiligten sind jeweils mit dem Hinweis vom Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2016 in Kenntnis gesetzt worden, dass auch im Falle ihres Fernbleibens verhandelt und entschieden werden kann. Der Kläger und die Beigeladene sind in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Beschlusses des Senats vom 17. Februar 2016 konnte der Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden.

Der Senat konnte auch ohne die der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2016 ferngebliebenen Kläger und Beigeladene verhandeln und entscheiden, nachdem sie in den ihnen ordnungsgemäß zugestellten Ladungen auf eben diese Möglichkeit hingewiesen worden waren, vgl. §§ 153 Abs. 1, 126, 110 Abs. 1 S. 2 SGG.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05. März 2013 ist in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2013 rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht.

Nach § 52 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder derjenigen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) wird. Dabei ist die Verrechnung nach § 52 SGB I eine Sonderform der Aufrechnung nach § 51 SGB I in dem Sinne, dass es bei der Verrechnung an der Gegenseitigkeit der Forderung fehlt, weil die noch offenen Beiträge vorliegend der und nicht der Beklagten zustehen.

Zunächst sind – wie hier - Beiträge zur Gesamtsozialversicherung solche im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I, mit denen nach § 52 SGB I eine Verrechnung durchgeführt werden kann. Die sich gegenüberstehenden Forderungen – die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Anspruch auf Altersrente – sind weiterhin Geldleistungsansprüche nach § 51 SGB I und mithin gleichartig. Die Vorschriften über die Auf- und Verrechnung in §§ 51, 52 SGB I finden auch auf Leistungsempfänger im Ausland Anwendung (vgl. etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2015 – L 2 R 148/13 –, zitiert nach juris Rn. 50).

Die mit Urteil des Landgerichts Kiel titulierte Forderung der Beigeladenen ist nach wie vor verrechnungsfähig. Sie ist insbesondere nicht verjährt. Nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 neuer Fassung bzw. nach § 218 Abs. 1 S. 1 alter Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verjähren – wie hier durch das Urteil des Landgerichts Kiel - rechtskräftig festgestellte Ansprüche erst in dreißig Jahren. Diese zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften gelten nach wie vor neben der sozialrechtlichen Verjährungsregelung in § 25 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) (vgl. etwa BSG, Urteil vom 10. Dezember 1980 – 9 RV 25/80 –, zitiert nach juris Rn. 24). Dies zugrunde gelegt, war die erst 1986 titulierte Forderung im Zeitpunkt der Verrechnung im Jahr 2013 offenkundig noch nicht verjährt.

Der Kläger hat auch nicht nachgewiesen, dass sich durch die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung bei ihm Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII ergibt. Der von § 51 Abs. 2 SGB I geforderte Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist durch den Leistungsberechtigten zu erbringen. Dessen schlichte Erklärung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist dabei für die Beweisführung grundsätzlich nicht ausreichend. Beweislosigkeit geht zu seinen Lasten. Wird durch den Kläger keine entsprechende Bedarfsbescheinigung des örtlich zuständigen Leistungsträgers vorgelegt, hat er das Gericht durch Vorlage sämtlicher zur Ermittlung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse betreffenden, prüffähigen Unterlagen in die Lage zu versetzen, seine Hilfebedürftigkeit festzustellen. Soweit die zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ermittelten Angaben lückenhaft bzw. unvollständig bleiben und durch naheliegende ergänzende Ermittlungen des Gerichts nicht vervollständigt werden können, geht auch dies zu Lasten des nachweispflichtigen Klägers (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 48).

Vorliegend hat der Kläger trotz entsprechender Ankündigung weder eine Bedarfsbescheinigung eines Sozial- oder Grundsicherungsamts noch prüffähige Unterlagen vorgelegt, aus welchen sich seine Hilfebedürftigkeit ergibt. Die bloße Aufstellung der Lebensunterhaltskosten in der Türkei und ggf. in Deutschland reicht hierfür nicht einmal ansatzweise aus. Zwar hat er diverse Arztrechnungen, Arztrezepte und Behandlungsunterlagen aus der Türkei eingereicht, nicht jedoch nachvollziehbar und im Zusammenhang durch prüffähige Unterlagen (Mietverträge, Stromrechnungen etc.) dargelegt, welche Mittel er insgesamt für seinen Lebensunterhalt in der Türkei aufwenden muss. Die ihm obliegenden gesteigerten Mitwirkungs- bzw. Nachweispflichten treffen ihn in der Konsequenz seiner freien Entscheidung, die Türkei zu seinem Lebensmittelpunkt zu machen, umso mehr, als dass die Türkei ein gänzlich anderes Preisgefüge aufweist als Deutschland. Soweit der Kläger mithin den Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit nicht geführt hat, geht dies zu seinen Lasten.

Die formellen Voraussetzungen eines Verrechnungs-Verwaltungsakts liegen ebenfalls vor. Die Beklagte hatte den Kläger vor dessen Erlass gemäß § 24 Abs. 1 SGB X, jedenfalls auch noch einmal vor Erlass des Widerspruchsbescheids angehört, so dass zumindest von der Heilung einer bis dahin ggf. unzureichenden Anhörung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X auszugehen ist. Sie hat auch das ihr gemäß § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I zustehende Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt (§ 39 Abs. 1 SGB I). Der Verrechnungs-Verwaltungsakt war auch i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X "inhaltlich hinreichend bestimmt" (vgl. zu den Anforderungen BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 13/12 R –, zitiert nach juris Rn. 20). Der streitige Bescheid erklärte die Verrechnung bestimmter, von der Beklagten dem Kläger geschuldeter Rentenleistungen mit einer - nach Art und Umfang - bestimmten, weil betragsmäßig genau bezifferten (Gesamt-)Forderung der Einzugsstelle aus rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Beitragszeitraum vom 01. Juni 1982 bis zum 30. November 1983. Von der dem Kläger gewährten Altersrente i.H.v. 888,87 EUR Monat wurde nur ein Teilbetrag i.H.v. 100,00 EUR zur Verrechnung mit Beitragsrückständen einbehalten und der Restbetrag i.H.v. 788,87 EUR ausgezahlt. Aus dem streitgegenständlichen Verwaltungsakt konnte der Kläger daher ohne Weiteres den jeweiligen Verrechnungsbetrag und den ihm aufgrund der Verrechnung mit den Forderungen der Einzugsstelle noch verbleibenden (monatlichen) Rentenauszahlungsbetrag entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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