L 15 SF 206/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 206/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Auch eine Wiedereinsetzung in die (versäumte) Wiedereinsetzungsfrist ist möglich.
2. Die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist erfordert einen entsprechenden Antrag.
3. Eine allgemeine Vergesslichkeit und seit langem vorliegende psychische Probleme können keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Geltendmachung der Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 4. August 2015 wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob der Antragstellerin für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an einem Gerichtstermin Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

Im Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit dem Aktenzeichen L 3 U 442/12 nahm die dortige Klägerin und jetzige Antragstellerin nach Anordnung des persönlichen Erscheinens an der mündlichen Verhandlung am 04.08.2015 teil.

Mit Antrag vom 13.11.2015, eingegangen beim LSG am 17.11.2015, begehrte sie die Erstattung der ihr wegen des Gerichtstermins am 04.08.2015 entstandenen Kosten.

Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 19.02.2016 eine Entschädigung mit der Begründung ab, dass der Entschädigungsanspruch wegen Fristversäumnis (Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß § 2 Abs. 1 JVEG) erloschen sei.

Mit Schreiben vom 11.03.2016, eingegangen beim LSG am 15.03.2016, hat sich die Antragstellerin für die nicht fristgerechte Abgabe des Entschädigungsantrags entschuldigt und als Grund für die Verspätung psychische Probleme, wegen derer sie seit Jahren behandelt werde, und eine Vergesslichkeit angegeben. Zudem hat sie vorgetragen, dass sie das gerichtliche Schreiben vom 19.02.2016 erst jetzt beantworten habe können, da sie vom 17.02.2016 bis zum 09.03.2016 stationär im Krankenhaus behandelt worden sei. Sie bitte, die Angelegenheit nochmals zu überdenken und ihr die Fahrtkosten zu ersetzen.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 04.08.2015, über den nicht der Kostenbeamte, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG "das Gericht", hier also der Kostensenat des LSG, zu entscheiden hat, ist abzulehnen. Denn die Antragstellerin hat einen Wiedereinsetzungsgrund für die Beantragung der Entschädigung wegen der Teilnahme am Gerichtstermin nicht glaubhaft gemacht.

Die Geltendmachung der Entschädigung durch die Antragstellerin ist verfristet (s. unten Ziff. 1.), die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor (s. unten Ziff. 2.).

1. Entschädigungsantrag zu spät gestellt

Der Entschädigungsanspruch wegen des Gerichtstermins am 04.08.2015 war bereits erloschen, als die Entschädigungsforderung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 04.08.2015 beim LSG geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt im Fall des vom Gericht angeordneten persönlichen Erscheinens eines Beteiligten an einem vom Gericht angeordneten Termin entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG mit der Beendigung dieses Termins zu laufen.

Vorliegend hat der Gerichtstermin, für den eine Entschädigung begehrt wird, am 04.08.2015 stattgefunden. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Entschädigungsanspruchs ist dementsprechend am 04.11.2015 (Mittwoch) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Entschädigungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m.w.N.).

Ein Eingang des Entschädigungsantrags ist erst am 17.11.2015 und damit nach Fristablauf erfolgt.

2. Wiedereinsetzung

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert daran, dass die Antragstellerin keinen Wiedereinsetzungsgrund für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs glaubhaft gemacht hat.

2.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn - er innerhalb der Zweiwochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12), * einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, * einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und * den Entschädigungsanspruch beziffert sowie - sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Vergütungs- oder Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts abzugeben oder schriftlich einzureichen.

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 22.04.2015, Az.: L 15 RF 17/15), da damit der vom Gesetzgeber vorgesehene Ausschluss einer Wiedereinsetzung von Amts wegen hinfällig würde (vgl. Beschluss des Senats vom 06.10.2015, Az.: L 15 SF 323/14).

2.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

Der Antragstellerin ist zwar Wiedereinsetzung in die ebenfalls versäumte Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG zu gewähren, nicht aber in die Frist für die Stellung des Entschädigungsantrags gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG.

2.2.1. Fristgerechte Beantragung der Wiedereinsetzung

Der von der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.03.2016, eingegangen beim LSG am 15.03.2016, gestellte formgerechte Wiedereinsetzungsantrag ist zwar nach Ablauf der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung bei Gericht eingegangen und damit verfristet. Der Antragstellerin ist aber Wiedereinsetzung in die Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag zu gewähren.

Jedenfalls ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 19.02.2016, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert werden kann (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 12.10.2015, Az.: L 15 SF 274/15), hätte der Antragstellerin bewusst sein müssen, dass ihr Entschädigungsantrag vom 13.11.2015 zu spät gestellt worden war. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet. Diese Frist hat die Antragstellerin durch ihr Schreiben vom 11.03.2016 nicht gewahrt. Sie hat aber, offenbar wegen der Befürchtung, dass ihr Wiedereinsetzungsantrag in die Frist zur Stellung zu Entschädigungsantrags verfristet sein könnte, die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist dadurch beantragt, dass sie die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist damit entschuldigt hat, dass sie sich vom 17.02.2016 bis zum 09.03.2016 in stationärer Behandlung befunden habe und es ihr daher nicht möglich gewesen sei, die Wiedereinsetzungsfrist einzuhalten.

Diesem Wiedereinsetzungsantrag in die Wiedereinsetzungsfrist ist stattzugeben.

Bei Vorliegen der in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgegebenen gesetzlichen Voraussetzungen ist auch eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG möglich (vgl. Beschluss des Senats vom 09.10.2015, Az.: L 15 SF 256/15; zur Frage der Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist vgl. auch Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 19.03.2009, Az.: 2 BvR 277/09, und vom 17.02.2016, Az.: 2 BvR 854/15; Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.04.2009, Az.: B 2 U 284/08 B; Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 02.03.1994, Az.: I R 134/93, I S 18/93, I R 134/93, I S 18/93; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 20.06.1995, Az.: 1 C 38/93; Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 06.10.2010, Az.: XII ZB 22/10).

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist erfüllt. Denn die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 11.03.2016 auch einen Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Frist für den Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Sie hat die zu späte Stellung des Wiedereinsetzungsantrags damit begründet, dass es ihr wegen eines Krankenhausaufenthalts vom 17.02.2016 bis zum 09.03.2016 nicht möglich gewesen sei, den Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig zu stellen. Gleichzeitig hat sie im Schreiben vom 11.03.2016 den Wiedereinsetzungsantrag in die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gestellt, also die versäumte Handlung nachgeholt. Zu Gunsten der Antragstellerin geht der Senat ohne weitere Ermittlungen davon aus, dass der von ihr angegebene Wiedereinsetzungsgrund eines Krankenhausaufenthalts auch tatsächlich so gegeben war; letztlich kommt es darauf aber mangels Entscheidungserheblichkeit nicht an (s. unten Ziff. 2.2.2.).

2.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Die Antragstellerin hat aber keinen Wiedereinsetzungsgrund in die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG glaubhaft gemacht.

Die von der Klägerin als ursächlich für die Versäumung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG angegebene Vergesslichkeit und die vorgetragenen, seit Jahren behandelten psychischen Probleme können vorliegend keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.

Zwar kann eine Erkrankung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Einzelfall rechtfertigen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie ursächlich dafür geworden ist, dass die Frist nicht eingehalten werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.07.2007, Az.: 2 BvR 1164/07). Erforderlich ist also, dass die Krankheit in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteils- und Handlungsfähigkeit des Antragstellers genommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24.03.1994, Az.: X ZB 24/93). Wird eine Erkrankung als Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen, ist daher im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags vom Antragsteller glaubhaft zu machen, dass er sich in einer Situation befunden hat, in der es ihm nicht möglich oder ausnahmsweise nicht zumutbar gewesen ist, Vorkehrungen gegen mögliche aus einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung seiner Handlungsfähigkeit resultierende Fehler und Versäumnisse zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2005, Az.: 2 BvR 890/05; BVerwG, Beschluss vom 31.07.1997, Az.: 8 B 156/97). Mit einer allgemeinen Vergesslichkeit und - wie hier - seit langem vorliegenden psychischen Problemen kann eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht begründet werden (vgl. BFH, Beschlüsse vom 12.01.1988, Az.: IX B 94/87, und vom 23.01.2008, Az.: I B 101/07; BGH, Beschluss vom 11.05.1989, Az.: VII ZB 23/88; Bayer. LSG, Urteil vom 13.04.2007, Az.: L 5 KN 21/06 KR; Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 27.08.2007, Az.: 1 Ws 337/07; LSG Hamburg, Urteil vom 13.03.2013, Az.: L 2 AL 35/12). Anders wäre dies allenfalls dann, wenn es sich um eine vorübergehende Ausnahmesituation handeln würde, in deren Folge auch Nachlässigkeiten und Vergesslichkeiten entschuldbar sind, die sonst den Vorwurf zurechenbaren eigenen Verschuldens begründen würden (vgl. Kammergericht Berlin, Beschluss vom 03.09.1997, Az.: 1 AR 1084/97 - 4 Ws 196/97, 1 AR 1084/97, 4 Ws 196/97). Wie die Antragstellerin selbst beschrieben hat, leidet sie jedoch unter den von ihr vorgetragenen Problemen schon seit Jahren. Insofern hätte sie entsprechende Vorkehrungen treffen müssen, dass sich daraus keine Versäumung von Fristen ergeben kann. Da sie entsprechende Vorkehrungen weder behauptet hat, geschweige denn belegt ist, dass sie solche Vorkehrungen getroffen hätte und es gleichwohl zur Fristversäumnis gekommen wäre, kann sie sich nicht auf ein fehlendes Verschulden hinsichtlich einer Fristversäumnis berufen.

Eine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG kann der Antragstellerin daher nicht gewährt werden.

Das LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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