S 2 SO 59/16 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 59/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 238/16 B ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 28.07.2015 zur Gestellung eines Integrationshelfers für das Schuljahr 2015/2016 im Wege der Sachleistung einen Integrationshelfer für den gesamten Besuch der Realschule C nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Jede Seite trägt die eigenen Kosten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes einen Integrationshelfer für den Schulbesuch.

Die am 00.00.2003 geborene Antragstellerin ist von Geburt an schwerstbehindert. Sie ist querschnittsgelähmt. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie hat einen Hydrocephalus, starke Skoliose, Kontraktionen in den Beinen mit Spastiken und Inkontinenz mit der Notwendigkeit der Katheterisierung. Die Antragstellerin hat einen GdB von 100 nebst den Merkzeichen G, B, H und aG. Kognitive Einschränkungen bestehen bei der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin lebt bei ihrer Mutter O N. Kindsvater ist Herr M T.

Bis zu ihrem Umzug nach C1 konnte die Antragstellerin am Schulunterricht unter Begleitung eines Integrationshelfers teilnehmen.

Nach dem Umzug nach C1 stellte die Antragstellerin am 28.07.2015 einen neuen Antrag für ein persönliches Budget für die Schulbegleitung bei der Antragsgegnerin. Eine Bescheidung ist bis heute nicht erfolgt. Es wurde nun zeitgleich Untätigkeitsklage erhoben. Diese wird hier unter dem Aktenzeichen S 2 SO 60/16 geführt. Zunächst besuchte die Antragstellerin die Privatschule "An der Q" bis zu den Weihnachtsferien im Dezember 2015. Seit dem 01.02.2016 ist die Antragstellerin an der Realschule in C angemeldet. Die dortige Schulleitung will keinen Integrationshelfer zum Schulunterricht zulassen, solange dieser nicht vom Sozialamt bewilligt ist. Die Antragstellerin hat nun zuletzt die Schule am 02.03.2015 besucht.

Die Antragstellerin begehrt nun einstweiligen Rechtsschutz.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Eingliederungshilfe in Form der zur angemessenen Schulbildung erforderlichen Kosten eines Integrationshelfers zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Beantragt worden sei zunächst die Kostenübernahme für einen Integrationshelfer für den Besuch der Schule An der Q für das Schuljahr 2015/16. Die Hilfe sollte durch einen Herrn T und einen Herrn X erfolgen. Näheres zu den beiden Personen sei nicht bekannt. Es sei zunächst der Förderbedarf an der Schule An der Q ermittelt worden. Dann habe die An-tragstellerin die Schule gewechselt. Ein neuer Antrag sei nicht gestellt worden.

Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Akte des Verwaltungsverfahrens.

II.

Der zulässige Antrag ist im Sinne eines Anspruchs auf eine vorläufige Sachleistung begründet, im Übrigen ist er unbegründet.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 SGG auf Antrag ( ) 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Bestimmung kommt auch zur Anwendung, wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung nicht beachtet, also die aufschiebende Wirkung festgestellt werden muss (Meyer-Ladewig/Keller, Kommentar zum SGG § 86b Rdnr. 5 und 15). Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines bestehenden Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind gemäß §§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens bedarf es einer Interessenabwägung, ob dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Im vorliegenden Fall geht die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Denn Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe zu einer angemessenen Schulbildung könnten hier erfüllt sein. Dies bedarf letztlich jedoch einer Beweisaufnahme, die einem Klageverfahren vorbehalten ist. Die Interessenabwägung nach Aktenlage fällt angesichts der Ungewissheit des Ausgangs der Beweisaufnahme hier zugunsten der Antragstellerin aus. Denn die Kosten der erbrachten Leistung können gegebenenfalls zurückgefordert werden, die Leistung selbst kann hingegen nicht nachgeholt werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist offen. Jedenfalls spricht nicht mehr gegen einen Klageerfolg als für einen Klageerfolg.

Als erforderlich aber auch ausreichend im Sinne der einstweiligen Anordnung erachtet das Gericht die Gestellung einer Schulbegleitung als Sachleistung in Abgrenzung zur Kostenübernahme im Sinne eines persönlichen Budgets. Ausweislich der Akte gibt es neben dem sozialhilferechtlichen Streit um den Umfang der notwendigen Betreuung auch noch Vorbehalte bzw. Unsicherheiten seitens der Schulleitung, wie schulrechtlich mit einem Integrationshelfer aufgrund eines persönlichen Budgets zu verfahren ist. Angesprochen wurden versicherungsrechtliche Fragen und die Fragen des Nachweises der allgemeinen Geeignetheit der Personen als an einer Schule tätige Personen im Sinne des polizeilichen Führungszeugnisses. Die Klärung schulrechtlicher Fragen ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens. Insoweit müssen Antragstellerseite und Schule zusammenwirken, Vertrauen durch Aufarbeitung des Sachverhalts schaffen und die Rechtsfragen aufarbeiten oder ihre unterschiedlichen Auffassungen gegebenenfalls schulrechtlich, also verwaltungsrechtlich austragen. Die Antragstellerseite hat nichts zu den von ihr ausgewählten Begleitpersonen vorgetragen. Es ergibt sich weder, über welche Kenntnisse und fachliche Qualifikation als Begleitperson sie verfügen, noch ob sie die allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen im Sinne der vom Schulleiter thematisierten Führungszeugnisse erfüllen, wie sie in vergleichbarer Art und Weise auch vom Lehrpersonal verlangt werden. Das in der Akte formulierte Interesse des Schulleiters zu wissen, welches Personal an seiner Schule tätig ist, welche Personen dort also mit Nähe zu Schülern ein- und ausgehen, ist angesichts der Interessen der anderen Schüler nicht von vornherein abwegig, sondern angesichts der Garantenpflicht der Schulleitung für alle Schüler naheliegend, ohne dass damit irgend eine Voreingenommenheit gegenüber den konkreten Personen zum Ausdruck kommt. Es findet vielmehr seine Berechtigung im § 30a des Bundeszentralregistergesetzes, der gerade für den pädagogischen Bereich sogar die Grundlage für ein erweitertes Führungszeugnis schafft. Erfasst sind dabei nach § 30a Abs. 1 BZRG alle Tätigkeiten, die die Prüfung der persönlichen Eignung nach § 72a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe -, eine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger oder eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen, betreffen. Hierunter fällt offensichtlich auch die Person eines Integrationshelfers in der Schule. Dieses von der Schulleitung formulierte Interesse stellt zudem auch keine nennenswerte Hürde für die Auswahl des Schulbegleiters dar, sondern sollte sich eher als Routinevorgang, wie bei der Auswahl des Lehrpersonals auch, darstellen. Angesichts der allseitigen Unerfahrenheit im Umgang mit durch ein persönliches Budget finanzierten Schulbegleitern geht das Gericht davon aus, dass zur kurzfristigen Gewährleistung der Teilnahme am Schulunterricht unter Begleitung durch einen Integrationshelfer hier die Anordnung der Schulbegleitung als Sachleistung geeignet ist, was konkret bedeutet, dass die Antragsgegnerin die Person des Schulbegleiters auszuwählen, auf ihre Geeignetheit zu prüfen und zu stellen hat. Schulrechtliche Pflichten aller Beteiligten bleiben hiervon unberührt.

Soweit der Antrag auf Gewährung eines persönlichen Budgets gerichtet ist, fehlt es ohnehin an der Glaubhaftmachung der rechtlichen Voraussetzungen des persönlichen Budgets sowohl im Stundenumfang und Bezahlung, als auch hinsichtlich der anfallenden Gesamtkosten, als auch hinsichtlich der Geeignetheit der avisierten Begleitpersonen. Hierzu fehlt nicht nur ein bezifferter Antrag im gerichtlichen Verfahren sondern jeglicher substantieller Sachvortrag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.
Rechtskraft
Aus
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