L 3 SB 20/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 30 SB 589/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 20/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ¼ der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich nach einem Teilanerkenntnis der Beklagten noch gegen die Entziehung der Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung).

Mit Bescheid vom 26. August 2008 war bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkmale G (erhebliche Gehbehinderung), B und aG festgestellt worden. Dem lagen die folgenden Gesundheitsstörungen zu Grunde: Herzleistungsminderung psychische Minderbelastbarkeit Hüftgelenksersatz rechts, Nervenstörung beider Beine Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung Sehbehinderung beidseits chronische Magenschleimhautentzündung Knochenentkalkung

Am 21. Januar 2013 hörte die Beklagte nach Durchführung eines Überprüfungsverfahrens von Amts wegen die Klägerin zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 50 sowie zu einem Entzug der Merkzeichen an. Mit Neufeststellungsbescheid vom 28. Mai 2013 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Ebenso stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B und aG nicht mehr vorlägen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. September 2013).

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 10. Oktober 2013 erhobenen Klage zunächst um die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Das Sozialgericht holte daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein, welches Frau Dr. F. am 14. Juni 2014 für das Gericht erstellte. Diese führte aus, bei der Klägerin liege eine schwerste komplexe psychische Störung vor, die zusammenfassend zu beschreiben sei als schwere, frühe beginnende strukturelle Störung mit folgenden Auswirkungen: Alkoholabhängigkeit (F 10.2), Schlaf- und Beruhigungsmittelabhängigkeit (F13.2), Anorexia nervosa (F50.0). Die Einstufung der Funktionsstörung sei als schwerstgradig zu beschreiben. Daneben bestehe eine Nervenstörung beider Beine, im Sinne einer äthyltoxischen Polyneuropathie, eine Herzleistungsminderung als äthyltoxische Kardiomyopathie, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, eine Sehbehinderung beidseits, eine Knochenentkalkung, ein Zustand nach Hüftgelenksersatz rechts, eine Fraktur des Oberschenkels rechts sowie eine chronische Magenschleimhautentzündung. Insgesamt habe sich im Vergleich zum Bescheid der Beklagten vom 26. August 2008 die Herzerkrankung deutlich gebessert, die Auswirkungen der Anorexia nervosa mit den daraus resultierenden Konsequenzen einer massiven körperlichen Schwäche habe sich in Art und Ausprägung allerdings deutlich verschlimmert. Auch die hierdurch verursachten Magen-Darm-Störungen und die psychischen Auswirkungen mit zwanghafter, andauernder Beschäftigung mit dem Thema Essen hätten ebenfalls an Intensität zugenommen. Hierdurch sei es zu einer zunehmenden sozialen Isolation gekommen. Insgesamt sei unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen zueinander der Gesamt-GdB mit 100 einzuschätzen. Außerdem seien die Voraussetzungen des Merkzeichens aG gegeben, da die Klägerin nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Fahrzeuges mobil sei. Nur durch permanent grenzüberschreitende Leistungsbereitschaft sei die Klägerin überhaupt in der Lage, sich eigenständig entweder mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder im eigenen Auto fortzubewegen. Eine längere Gehstrecke sei ihr durch die letztlich infolge der psychischen Störung eingetretene körperliche Schwäche und komplizierend hierzu vorliegende Nervenstörung der Beine sowie die eingeschränkte Herz- und Lungenleistung nicht möglich. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen B seien dagegen nicht erfüllt.

Die Beklagte gab daraufhin ein Teilanerkenntnis ab und stellte nach Annahme des Teilanerkenntnisses durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2015 mit Bescheid vom 18. August 2015 einen GdB von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G ab 4. Juni 2013 bei der Klägerin fest. Dem lagen die folgenden Gesundheitsstörungen zu Grunde: Psychische Störung Herzleistungsminderung chronisch-obstruktive Lungenerkrankung Hüftgelenksersatz rechts, Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine chronische Magenschleimhautentzündung Knochenentkalkung Sehbehinderung

Am 25. Mai 2015 erstellte auf Veranlassung des Sozialgerichts der Facharzt für innere Medizin Dr. W. ein weiteres fachärztliches Gutachten, in welchem dieser die wesentliche Besserung des chronischen Herzleidens seit 2007 bestätigte. Die Gesamtbehinderung sei auch unter Berücksichtigung dieser Besserung einerseits und der deutlichen Höherbewertung der psychischen Minderbelastbarkeit andererseits weiterhin mit 100 zu bewerten. Infolge des krankheitswertigen Untergewichtes sei auch eine erhebliche Herabsetzung der körperlichen Leistungsfähigkeit gegeben, aus welcher eine Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des Merkzeichens G resultiere. Die Klägerin benutze für ihre berufliche Tätigkeit ihren Pkw. Zur Untersuchung sei sie ohne Begleitung mit öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen. Auch den Rückweg habe sie ohne Begleitung angetreten. Eine Orientierungsstörung oder eine Notwendigkeit fremder Hilfe bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel liege nicht vor. Aus innerfachärztlicher Sicht ergebe sich für die Anerkennung des Merkzeichens B keine medizinische Begründung. Gleiches gelte für die Voraussetzungen des Merkzeichens aG. Nach Besserung der Herzleistungsminderung und nachgewiesener Stabilisierung über mehrere Jahre sei der GdB für diese Funktionsstörung nur noch mit 30 zu bewerten. Damit entfalle die internistische Begründung für eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die Klägerin könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicher Wege von mehr als 20-50 m beispielsweise beim Umsteigen von der S-Bahn in den Metrobus zurücklegen. Hinsichtlich der Höhe des GdB sei seit dem Ausgangsbescheid keine wesentliche Änderung eingetreten. Zwar habe sich im Bereich der chronischen Herzerkrankung eine Besserung ergeben, im Bereich der chronischen psychischen Gesundheit habe sich jedoch eine wesentliche Verschlimmerung eingestellt, weshalb weiterhin ein GdB von 100 unverändert gegeben sei. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Merkzeichen B und aG seien hingegen nicht mehr erfüllt.

Mit Urteil vom 17. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Merkzeichen aG und B seien der Klägerin zu Recht entzogen worden. Die von der Beklagten bei Erlass des Bescheides vom 26. August 2008 für rechtlich erheblich angenommenen Verhältnisse hätten sich im Sinne des §§ 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wesentlich geändert. Das Herzleiden der Klägerin, das als Herzerkrankung mit Leistungsbeeinträchtigungen bei alltäglicher leichter Belastung und mit schweren Dekompensationserscheinungen die damalige Feststellung der Merkzeichen begründet hätte, sei wesentlich gebessert. Es bestehe nur noch eine leichtgradige Herzleistungsminderung. Nach den Feststellungen der behandelnden Ärzte und des Gutachters Dr. W. sei die Klägerin kardinal stabil und beschwerdefrei. Die Auswirkungen der hinzugetretenen Gesundheitsstörungen begründeten die fortbestehende Feststellung der Nachteilsausgleiche nicht. Zur Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung nehme § 3 Abs. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) Bezug auf straßenverkehrsrechtliche Vorschriften. Danach sei außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne (§ 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz i.V.m. § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung - StVO - und der dazu erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift - VwV-StVO-). Zu den außergewöhnlich Gehbehinderten zählten danach Querschnittsgelähmte, Doppelober- und Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sei gleichzustellen, wer in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt sei und sich nur unter ebenso großer Anstrengung wie die beispielhaft aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe - praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeuges an - fortbewegen könne (BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris). Die Klägerin gehöre nicht mehr zu den gleichzustellen Personen. Nach der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, rechtfertigten Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz eine Gleichstellung (Nr. 31 (4)). Bei der Klägerin liege indes eine Herzerkrankung in dem eine Gleichstellung rechtfertigenden Ausmaß nicht mehr vor.

Die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin sei vor dem Hintergrund einer schweren und komplexen psychischen Störung mit krankheitswertigem Untergewicht, deutlicher Muskelatrophie, Erkrankungen des Herzens, der Lunge und des Magens, einer Knochenentkalkung, beidseitigem Hüftgelenkersatz und einer Nervenstörung beider Beine deutlich herabgesetzt. Am Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung bestehe kein Zweifel. Das Restgehvermögen sei allerdings nicht so weit herabgesetzt, dass sie bereits nach 30 Metern so erschöpft sei, dass sie – am Ende ihrer Kraft – eine Pause machen müsse, um zur Fortsetzung des Weges Kräfte neu zu sammeln (vgl. BSG a.a.O.). Die Klägerin sei in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und die damit verbundenen Wegstrecken von 50 bis 100 oder sogar mehr Metern zurückzulegen, ohne erkennbar am Rande ihrer Kraft z.B. bei Gerichts- oder Untersuchungsterminen anzukommen. Dass die Klägerin wie von Dr. F. ausgeführt hierzu nur unter Einsatz außergewöhnlicher Leistungsbereitschaft in der Lage sei, führe nicht zu einer anderen Beurteilung, denn diese Fähigkeit der Klägerin sei als tatsächlich bestehender Zustand zu berücksichtigen und begründe auch keine medizinisch beachtenswerte Verschlimmerungsgefahr.

Ständige Begleitung sei bei schwerbehinderten Menschen notwendig, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl (Gehörlosigkeit) oder H (Hilflosigkeit) vorliegen, wenn diese infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind (§§ 145 Abs. 1 S. 1, 146 Abs. 2 SGB IX). Die Klägerin nutze öffentliche Verkehrsmittel ohne Begleitung. Gründe, warum sie dennoch einer Begleitung bedürfe, seien weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 7. August 2015 zugestellte Urteil am 28. August 2015 Berufung eingelegt, mit welcher sie sich auf das Gutachten der Dr. F. beruft und des Weiteren vorträgt, seit einer Hüft-TEP verschiedentlich gestürzt zu sein und sich dabei nicht unerhebliche Verletzungen zugezogen zu haben. Sie sei aufgrund dieses häufigen Hinfallens den nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften außergewöhnlich Gehbehinderten wegen ihrer Instabilität infolge der massiven Essstörung gleichzustellen. Es sei äußerst schwierig, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und sie erledige möglichst alle Strecken mit dem Auto, wobei sie auf einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe ihres Zieles angewiesen sei, um die Sturzgefahr zu mindern.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Juni 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2013 sowie den Bescheid vom 18. August 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Die Chirurgin und Unfallchirurgin Dr. W. führt in ihrem Gutachten vom 9. Juni 2016 aus, in der gutachterlichen Untersuchung zeige sich ein deutlich verlangsamtes, steifes, leicht ataktisches Gangbild. Nach einigen Schritten werde der Gang kurzzeitig unterbrochen, um dann unverändert fortgeführt zu werden. Zeichen der körperlichen Erschöpfung in Form von Atemnot oder Schweißigkeit seien nicht vorhanden. Längere Pausen müssten nicht eingelegt werden. Das Gangbild sei erheblich rechts humpelnd, das rechte Knie werde nicht gebeugt. Die Schrittfolge sei mittelschrittig und ausreichend sicher. Führend seien Verzögerungen mit Unterbrechungen des Gehens, welches nach einigen Atemzügen fortgesetzt werden könne. Gehhilfen oder fremde Hilfen seien nicht erforderlich. Dabei komme es auch bei längeren Wegstrecken mit mehrfachem kurzzeitigem Pausieren zu keiner sichtbaren Erschöpfung. Die Klägerin gehe zwar langsam, jedoch ausreichend sicher ohne sichtbare Anstrengung. Sie pausiere mehrfach kurzzeitig, um dann den Weg ohne zusätzliche Probleme fortzusetzen. Sie bleibe einfach stehen, mache 2-3 gleichmäßige Atemzüge Pause, um dann weiterzugehen. Eine Schweißigkeit oder eine beschleunigte Atmung oder eine Änderung der Schrittlänge trete dabei nicht auf. Damit sei die Gehfähigkeit der Klägerin keineswegs mit derjenigen eines doppelt Oberschenkelamputierten oder doppelt Unterschenkelamputierten gleichgestellt. Die Gehfähigkeit sei zwar erheblich, nicht jedoch in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt, ein Gehen nur unter größter Anstrengung lasse sich bei der Klägerin nicht nachweisen. Auch ein Gehen nur noch mit fremder Hilfe sei nicht nachzuweisen. Ihre berufliche Tätigkeit mit Aufsuchen Ihrer Kanzlei und Wahrnehmen der Gerichtstermine nehme die Klägerin eigenständig wahr und sei dabei nicht auf fremde Hilfe bei den Wegstrecken zwischen Pkw und Kanzlei oder Sitzungssaal angewiesen. Die Klägerin sei in ihrem Gehen ausreichend sicher, Hilfsmittel würden nicht genutzt, Begleitpersonen nicht angefordert, so dass die Klägerin ihre Gehstrecke eigenständig bewerkstelligen könne. Es fehle daher an den medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe der Merkzeichen B und aG.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit der zuztreffenden Begründung hat das Sozialgericht erkannt, dass im Hinblick auf die Merkzeichen aG und B, deren weitere Zuerkennung nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten und dessen Umsetzung durch Bescheid vom 18. August 2015 ausschließlich noch Streitgegenstand ist, eine wesentliche Änderung der Verhltnisse eingetreten ist, so dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten insoweit nicht zu beanstanden sind. Der Senat sieht nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung aus den in dem Urteil des Sozialgerichts vom 17. Juni 2015 dargelegten Gründen als unbegründet zurückgewiesen wird. Lediglich ergänzend sei folgendes hinzugefügt:

Auch Dr. W. bestätigt in ihrem chirurgischen Gutachten, dass die Klägerin zwar durchaus in ihrer Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, allerdings nicht soweit, dass sie sich dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen könnte. Die Klägerin nutzt sowohl den Pkw als auch öffentliche Verkehrsmittel ohne fremde Hilfe. Hierbei ist sie zwar aufgrund ihrer ausgeprägten Schwäche bemüht, die Gehwege relativ kurz zu halten und sie legt auch regelmäßig Pausen ein, dies ist jedoch für die Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist. Insoweit führt das BSG im Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R) aus: Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 23).

Dabei muss es sich um einen Dauerzustand handeln (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90).

Die Klägerin nimmt auf ihren Wegen indes weder fremde Hilfe in Anspruch, noch leidet sie vom ersten Schritt an unter großer Anstrengung. Hierfür finden sich nach den gutachterlichen Feststellungen keinerlei Anzeichen. Dies gilt auch für das Gutachten der Dr. F., welche lediglich eine massive körperliche Schwäche beschreibt. Diese führt zwar offensichtlich zu der Notwendigkeit der Einhaltung von Pausen nach wenigen Schritten, weil die Kraft nachlässt, nicht aber dazu, dass das Gehen selbst nur unter großer Anstrngung ausgeführt werden kann. Jedoch ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichen indes nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar ( BSG, Urteil vom 29. März 2007, Az.: B 9a SB 5/05 R). So ist es auch hier. Die Klägerin zeigt beim Gehen weder Luftnot, noch Schmerzen, noch kardiale oder sonstige Anzeichen einer besonderen Anstrengung. Sie hält kurz an, atmet zwei- dreimal und geht weiter. Dies erfüllt die dargelegten Erfordernisse des Merkzeichens aG nicht. Etwas anderes folgt auch nicht aus der vorgetragenen Sturzneigung der Klägerin. Vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an die Vergabe des Merkzeichens auch im Hinblick auf den geforderten Dauerzustand begründet eine Sturzgefahr nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG, wenn diese Gefahr so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten, der sich in der gleichen Situation wie die Klägerin befindet, diese dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 1992, Az.: 9a RVs 4/90). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens B ergeben sich aus keinem Gutachten oder Befundbericht; die Klägerin trägt hierzu auch selbst nichts vor. Im Übrigen wird in allen Gutachten beschrieben, dass die Klägerin sich allein im Straßenverkehr fortbewegt und ihr dies auch möglich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache unter Berücksichtigung des von der Beklagten in erster Instanz abgegebenen und inzwischen ausgeführten Teilanerkenntnisses.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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