L 15 SF 160/16 E

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 160/16 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Zur Auslegung gerichtlicher Schreiben.
2. Hat der Hauptsacherichter nicht die Erhebung von Gerichtskosten im Wege eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG, sondern die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung im Sinn des § 12 a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG verfügt, bindet dies auch im Kostenansatzverfahren. Eine Erhebung von Gerichtskosten im Wege eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG ist daher aufzuheben.
Die Anforderung von Gerichtskosten mit Schreiben vom 25. Januar 2016 wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Streitig ist die Anforderung von Gerichtskosten durch die Kostenbeamtin im Rahmen eines Klageverfahrens zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinn von §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz.

In dem unter dem Aktenzeichen beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) geführten Klageverfahren (im Folgenden: Hauptsacheverfahren) macht die dortige Klägerin und jetzige Erinnerungsführerin einen Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens geltend. Am 20.01.2016 verfügte der Richter im Hauptsacheverfahren (im Folgenden: Hauptsacherichter) einen vorläufigen Streitwert in Höhe von 5.000,- EUR und bat die Kostenbeamtin um Anforderung einer "Gerichtskostenvorauszahlung" bei der Erinnerungsführerin.

Anschließend forderte die Kostenbeamtin mit Schreiben vom 25.01.2016 bei der Erinnerungsführerin unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 5.000,- EUR Gerichtskosten in Höhe von 584,- EUR an; das Schreiben ist als "Kostennachricht" bezeichnet. Der Rechnungsbetrag von 584,- EUR wurde als am 23.03.2016 fällig bezeichnet. Im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass "gegen diesen Kostenansatz ... Erinnerung eingelegt werden" könne, die Erinnerung aber "nicht von der Verpflichtung, den geforderten Betrag vorläufig zu bezahlen", entbinde.

Dagegen hat die durch ihren Ehemann vertretene Erinnerungsführerin mit Schreiben vom 16.03.2016 Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass im Hauptsacheverfahren ein Entschädigungsbetrag von ihr nicht angegeben worden sei, sondern nur die Zeiten des Klageverfahrens. Der Wert des Streitgegenstands könne nicht rein willkürlich durch Interpretation in der Weise festgesetzt werden, dass der Entschädigungsklägerin die Klage durch eine maßlos überhöhte Streitwertfestsetzung unmöglich gemacht werde. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass ihr Ehemann Schwerkriegsbeschädigter sei und im bestehenden Verfahren Themen behandelt würden, die ausschließlich die Verzögerung im sozialen Entschädigungsrecht in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz beträfen. Die Festsetzung einer Vorauszahlung erachte sie für rechtswidrig. Ein beschwerdefähiger Beschluss nach § 67 Gerichtskostengesetz (GKG) und/oder § 68 GKG liege nicht vor.

Die von der Erinnerungsführerin beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Erinnerung hat der Senat mit Beschluss vom 09.08.2016 und der Begründung, dass für das Verfahren der Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gesetzlich nicht vorgesehen sei, abgelehnt.

Beigezogen worden sind die Akten des Hauptsacheverfahrens.

II.

Die Erinnerung ist gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist auch begründet.

Das als "Kostennachricht" bezeichnete Schreiben der Kostenbeamtin des LSG vom 25.01.2016 stellt, wie seine Auslegung ergibt, eine Gerichtskostenfeststellung im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG dar. Eine solche hätte nicht erfolgen dürfen, da sie nicht vom Hauptsacherichter verfügt worden ist.

1. Prüfungsumfang bei der Erinnerung

Eine Erinnerung gemäß § 66 Abs. 1 GKG kann nur auf eine Verletzung des Kostenrechts gestützt werden (vgl. Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 13.02.1992, Az.: V ZR 112/90, und vom 20.09.2007, Az.: IX ZB 35/07; Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 29.06.2006, Az.: VI E 2/06; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 01.08.2014, Az.: L 15 SF 90/14 E; Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl. 2015, § 66 GKG, Rdnr. 18; Meyer, GKG/FamGKG, 15. Aufl. 2016, § 66, Rdnr. 13), nicht aber auf die (vermeintliche oder tatsächliche) Unrichtigkeit einer im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidung. Die im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidungen sind wegen der insofern eingetretenen Bestandskraft (§ 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 158 Verwaltungsgerichtsordnung bzw. § 68 Abs. 1 GKG) einer Überprüfung im Kostenansatzverfahren entzogen (ständige Rspr., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 18.12.2014, Az.: L 15 SF 322/14 E - m.w.N.). Gleiches gilt grundsätzlich auch für die dort getroffenen Verfügungen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E, und vom 05.12.2014, Az.: L 15 SF 202/14 E).

Im Erinnerungsverfahren zum Kostenansatz kann daher lediglich geprüft werden, ob die im Hauptsacheverfahren erfolgten Festlegungen kostenrechtlich richtig umgesetzt worden sind.

2. Überprüfung des angegriffenen Kostenansatzes

Die Anforderung von Gerichtskosten vom 25.01.2016, die einen Kostenansatz im Sinn des § 19 GKG darstellt, ist aufzuheben. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Einwänden der Erinnerungsführerin, jedoch bei der darüber hinaus von Amts wegen vorgenommenen Prüfung.

2.1. Auslegung der gerichtlichen Anforderung von Gerichtskosten vom 25.01.2016

Das als "Kostennachricht" bezeichnete Schreiben des Gerichts vom 25.01.2016 stellt, wie seine Auslegung ergibt, eine Gerichtskostenfeststellung im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG dar, nicht die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung im Sinn von § 12 a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG.

Bei der Auslegung gerichtlicher Schreiben sind die gleichen Maßstäbe zu Grunde zu legen, wie sie auch für die Auslegung von Prozesserklärungen der Beteiligten gelten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 02.03.2016, Az.: L 15 SB 237/15 B, vom 14.03.2016, Az.: L 15 RF 2/16, und vom 22.03.2016, Az.: L 15 RF 6/16). Danach ist Maßstab der Auslegung der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 29.11.1995, Az.: X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist im Rahmen der Auslegung sicherzustellen, dass dem Begehren des Beteiligten nach Rechtsschutz möglichst umfassend Rechnung getragen wird (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, Az.: B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, Az.: 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, Az.: 1 BvR 461/03).

Bei Beachtung dieser Vorgaben kann die Anforderung von Gerichtskosten im Schreiben vom 25.01.2016 nur als Kostenansatz gemäß § 19 GKG verstanden werden.

Dies ergibt sich schon daraus, dass sich das als Kostennachricht bezeichnete Schreiben der Kostenbeamtin vom 25.01.2016 mit Ausnahme des Wortes "Kostennachricht" in nichts von den ansonsten in gerichtlichen Anforderungen von Gerichtskosten als "Gerichtskostenfeststellung" bezeichneten Kostenansätzen im Sinn von § 19 GKG unterscheidet. Lediglich aus den verwendeten unterschiedlichen Bezeichnungen - "Kostennachricht" einerseits und "Gerichtskostenfeststellung" andererseits - ist für den Empfänger einer derartigen Anforderung von Gerichtskosten nicht ersichtlich, ob es sich dabei um eine fällige und nach Ablauf der Fälligkeit vollstreckbare Anforderung von Gerichtskosten im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG, bezüglich derer eine Verpflichtung zur Zahlung besteht, oder nur um von ihm vorauszuzahlende und nicht zwangszuvollstreckende Gerichtskosten gemäß § 12 GKG handelt, für die nur eine Obliegenheit zur Zahlung besteht; denn wenn der Beteiligte die angeforderte Vorauszahlung nicht einzahlt, wird seine Klageschrift regelmäßig nicht dem Prozessgegner zugestellt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG) mit der Folge, dass - zumindest im zivilgerichtlichen Verfahren - keine Rechtshängigkeit eintritt (§§ 253 Abs. 1, 261 Zivilprozessordnung) (zu den Änderungsbestrebungen dahingehend, für das sozialgerichtliche Verfahren eine entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen - vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 06.07.2016 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 18/6985 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - Bundestags-Drucksache 18/9092, S. 21 f.). Dies gilt umso mehr, als die verwendeten Bezeichnungen "Kostennachricht" einerseits und "Gerichtskostenfeststellung" andererseits bereits der Formulierung nach aus dem objektivierten Empfängerhorizont eines Beteiligten keine klaren Differenzierungskriterien erahnen lassen. Auch die Rechtsbehelfsbelehrung im Schreiben der Kostenbeamtin vom 25.01.2016, die auf die Möglichkeit hinweist, "Erinnerung" (gemäß § 66 GKG) einzulegen, liefert einen Beleg dafür, dass ein Kostenansatz im Sinn von § 19 GKG erfolgt ist, nicht aber die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung, von deren Einzahlung das weitere Tätigwerden des Gerichts abhängig gemacht wird. Bestätigt wird diese Auslegung schließlich dadurch, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung des Schreibens vom 25.01.2016 selbst darauf hingewiesen wird, dass es sich beim Schreiben vom 25.01.2016 um einen Kostenansatz (im Sinn von § 19 GKG) handelt ("Gegen diesen Kostenansatz ...".)

Gegen diese Auslegung spricht nicht, dass, wie den Akten des Hauptsacheverfahrens zu entnehmen ist, der Hauptsacherichter tatsächlich die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung verfügt hat. Ausgehend davon, dass der Hauptsacherichter den inneren Willen dazu gehabt hat, das weitere Tätigwerden des Gerichts von der Einzahlung von Gerichtskosten durch die Erinnerungsführerin abhängig zu machen, ist dieser Wille jedenfalls nicht nach außen zum Ausdruck gebracht und damit für den Empfänger nicht erkennbar geworden. Damit verbietet es sich, einen solchen inneren Willen in die Auslegung einer Erklärung einfließen zu lassen. Denn in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den anerkannten Grundsätzen der Auslegungslehre kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den nach außen erklärten Willen an, wie er sich bei objektiver Betrachtungsweise und nach Treu und Glauben im Rechtsverkehr darstellt (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008, Az.: 2 BvR 1926/07; BFH, Urteil vom 18.02.1997, Az.: VII R 96/95; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.10.2014, Az.: 8 B 99/13; Beschluss des Senats vom 02.03.2016, Az.: L 15 SB 237/15 B). Im Übrigen fehlt auch ein Beschluss des Hauptsachegerichts dahingehend, dass die Tätigkeit des Gerichts von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht werde (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Gegen diese Auslegung spricht auch nicht, dass der Begriff der "Kostennachricht" (zumindest früher und außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit) als rechtstechnischer Begriff für die Anforderung einer Vorauszahlung von Gerichtskosten verwendet worden ist (vgl. die bis zum 31.03.2014 geltende Kostenverfügung des Bundesministeriums der Justiz vom 26.08.2009, Az.: RB5-5607-R3 228/2008, BAnz 2009, 137 3245, dort § 31 Abs. 1, wobei sich in der aktuell geltenden Kostenverfügung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 06.03.2014 in der Fassung vom 10.08.2015, Az.: RB5 - 5607 - R3 131/2014, BAnz 2014, AT 07.04.2014 B1, der Begriff der Kostennachricht nicht mehr wiederfindet, sondern durch die Formulierung "Anforderung der Kosten ohne Sollstellung" [§ 26] ersetzt worden ist). Denn es handelt sich hierbei um eine Formulierung, deren Bedeutungsgehalt allein durch verwaltungsinterne Regelungen festgelegt worden ist, die sich aber nicht im allgemeinen Sprachgebrauch festgesetzt hat und daher bei einer Auslegung aus dem Empfängerhorizont eines in Bezug auf die Verwaltung außenstehenden Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens nicht berücksichtigt werden kann.

2.2. Prüfung des Kostenansatzes gemäß § 19 GKG

Der Hauptsacherichter hat - bindend auch für das Kostenansatzverfahren - nicht die Erhebung von Gerichtskosten im Wege eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG verfügt, sondern die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung im Sinn des § 12 a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG. Aufgrund dieser Verfügung hätte die angefochtene Gerichtskostenfeststellung nicht erfolgen dürfen (vgl. Beschluss des Senats vom 01.08.2014, Az.: L 15 SF 90/14 E).

Der Kostenansatz vom 25.01.2016 ist daher infolge der Erinnerung aufzuheben.

Darauf, dass es die Gesetzeslage durchaus zugelassen hätte, bei entsprechender Verfügung des Hauptsacherichters im Hauptsacheverfahren einen entsprechenden Kostenansatz zu erlassen, kommt es infolge der anderslautenden Verfügung des Hauptsacherichters nicht an.

Mit der Frage, ob eine Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung in gleicher Höhe zu beanstanden gewesen wäre, wie es der Hauptsacherichter verfügt hat, hat sich der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu befassen, da eine entsprechende Anforderung nicht ergangen ist (vgl. oben Ziff. 2.1.). Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren, wenn der Weg über § 12 a GVG i.V.m. § 12 GKG gegangen werden sollte, ohnehin ein Beschluss des Hauptsachesenats dazu ergehen wird, dass die Tätigkeit des Gerichts von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht werde (, und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch eine gerichtliche Festsetzung zum Streitwert erfolgen wird), wobei ein solcher Beschluss als Grundlage für ein weiteres Tätigwerden des Kostenbeamten erforderlich sein dürfte.

Die Erinnerung hat daher Erfolg; der Kostenansatz vom 25.01.2016 ist aufzuheben.

Das Bayer. LSG hat über die Erinnerung gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1, 1. Halbsatz GKG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Er ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).
Rechtskraft
Aus
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