L 4 KR 118/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 KR 408/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 118/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beitragspflicht einer Kapitalauszahlung aus einer Direktversicherung auch bei Pfändung des Auszahlungsanspruchs und späterem Privatinsolvenzverfahren mit anschließender Restschuldbefreiung.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum 01.06.2009 bis 31.12.2014.

Für den 1944 geborenen Kläger besteht seit dem 01.06.2009 eine Pflichtversicherung aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses. Bereits 1994 war zu seinen Gunsten eine Lebensversicherung zwischen der D. Lebensversicherungs-AG und dem früheren Arbeitgeber mit Ablaufsdatum am 01.01.2004 abgeschlossen worden. Die D. Bank AG erwirkte am 13.12.1999 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf die Auszahlungsforderung des Klägers gegenüber dem Versicherungsunternehmen. Über das Vermögen des Klägers wurde 2001 ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt, das mit Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 19.02.2001 aufgehoben wurde. Nach Erfüllung der im Beschluss festgestellten Obliegenheiten des Klägers erteilte das Amtsgericht am 30.05.2006 schließlich eine Restschuldbefreiung.

Am 27.06.2005 teilte das Versicherungsunternehmen der Beklagten mit, dass der Kläger am 01.12.2004 eine einmalige Leistung aus einer Direktversicherung in Höhe von 14.409,04 Euro erhalten habe. Am 20.08.2009 informierte die Land- und Forstwirtschaftliche Alterskasse Franken und Oberbayern (LKK) die Beklagte über die Auszahlung einer Regelaltersrente ab 01.06.2009 in Höhe von rund 42,00 Euro/mtl. an den Kläger. Mit streitigem Bescheid vom 12.10.2009 setzte die Beklagte hierauf Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.06.2009 fest. Bislang seien keine Beiträge für den Versorgungsbezug fällig gewesen, da der monatliche Zahlbetrag unter der monatlichen beitragspflichtigen Mindestgrenze für Versorgungsbezüge gelegen habe. Diese Mindestgrenze sei mit Auszahlung der LKK-Altersrente ab 01.06.2009 überschritten worden, so dass nunmehr auf beide Versorgungsbezüge Beiträge zu zahlen seien.

Der Kläger legte Widerspruch ein, weil die Versicherungsleistung nie an ihn ausgezahlt, sondern sofort von der Bank gepfändet und schließlich an diese ausbezahlt worden sei. Mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 08.04.2010 wies die Beklagte unter Bezugnahme auf ein Gemeinsames Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Versicherungsleistung gleichwohl dem Vermögen des Klägers zugeflossen sei, wenn auch zur Tilgung von Gläubigerforderungen. Sie unterliege daher der Beitragspflicht bis 31.12.2014 mit einem monatlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung von 120,08 Euro.

Im Klageverfahren am Sozialgericht München (SG) wies der Kläger darauf hin, dass das Verbraucherinsolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Auszahlung der gepfändeten Lebensversicherung bereits begonnen hatte. Jeder Schuldner habe im Rahmen einer Privatinsolvenz während der gesamten Wohlverhaltensphase seine pfändbaren Bezüge abzuführen und sich auch ansonsten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu verhalten. Die vom Kläger zu erbringenden Leistungen hätten sich in keiner Weise geändert, wenn die Kapitalzahlung aus der Lebensversicherung nicht an die Pfändungsgläubiger, sondern später in die Masse des Insolvenzverfahrens geflossen wäre. Weder habe sich die Wohlverhaltensphase verkürzt noch hätte er weniger Einkommensteile abzuführen gehabt. Damit habe der Kläger - anders als ein normal Versicherter, dem durch eine gepfändete Forderung eine Schuld genommen werde, - definitiv keinen finanziellen Vorteil von dieser Kapitalzahlung gehabt, so dass sie eben gerade nicht in ein Vermögen eingeflossen sei. Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass die Kapitalleistung in das Vermögen eingeflossen sei, unabhängig davon, wie und wofür sie verwendet worden sei. Es erscheine nicht sachgerecht, den Kläger anders als andere Versicherte zu behandeln, nur weil seine Schuldentilgung im Rahmen einer Verbraucherinsolvenz durchgeführt werde. Auch stehe die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen in keinem Zusammenhang zur Insolvenz. Die Beitragsforderung sei auch nicht Gegenstand der Verbraucherinsolvenz gewesen.

Mit Urteil vom 02.02.2012 wies das SG die Klage ab. Weder die Pfändung des Auszahlungsanspruches noch das Privatinsolvenzverfahren des Klägers hätten einen Einfluss auf das Bestehen einer Beitragspflicht gehabt. Dies sei vom BSG für den Fall der Abtretung bereits entschieden worden, gelte entsprechend aber auch für die Pfändung eines Auszahlungsanspruches, die zu einer Befreiung von einer Verbindlichkeit führe. Zwar sei der Kläger aufgrund der erteilten Restschuldbefreiung ohnehin den Forderungen der Insolvenzgläubiger nicht mehr ausgesetzt gewesen, jedoch stelle die Durchführung der Privatinsolvenz eine freiwillige Entscheidung des Klägers dar, die sich nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft beitragsmindernd auswirken könne.

Mit seiner Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) führt der Kläger sein Begehren fort. Er habe nicht freiwillig seinen Anspruch aus der Lebensversicherung an die Bank abgetreten, vielmehr sei der Auszahlungsanspruch ohne sein Zutun von der Bank gepfändet worden. Durch die Pfändung sei er nicht von einer Verbindlichkeit befreit worden, da dies ohnehin durch das zu dieser Zeit laufende Insolvenzverfahren erfolgt sei. Er habe über einen Zeitraum von sechs Jahren seine gesamten pfändbaren Bezüge an den Treuhänder abgeben müssen und habe dafür am Ende des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erhalten. Durch die teilweise Rückzahlung der Verbindlichkeiten nach Pfändung der Forderung seien dem Kläger gerade keine Mittel zur anderweitigen Verfügung frei gestanden, vielmehr habe er weiterhin nur den pfändbaren Betrag seiner Einkünfte erhalten. Im Übrigen werde der Zweck der Verbraucherinsolvenz verfehlt, wenn der Schuldner nach der Restschuldbefreiung neue Verpflichtungen befürchten müsste. Die Beklagte hätte ihre Beitragsansprüche bestenfalls im Rahmen des Insolvenzverfahrens anmelden können.

Die Beklagte verwies auf ihr bisheriges Vorbringen. Unabhängig hiervon handle es sich um Beitragsforderungen, die erst im Jahre 2009, also weit nach Eröffnung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines weiteren Rentenbezugs entstanden seien.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 02.02.2012 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 12.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten und gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen, da die Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden sind. Die dem Kläger ausgezahlte Direktversicherung unterliegt ab dem 01.06.2009 bis zum 31.12.2014 der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Unstrittig bestand seit 1994 bis zum Ablauf am 01.01.2004 zu Gunsten des Klägers eine betriebliche Altersversorgung in Form einer Direktversicherung. Die Auszahlung der kapitalisierten Leistung führte zur Beitragspflicht nach §§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Satz 3 SGB V, 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, da der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2004 die bislang auf Rentenzahlungen beschränkte Beitragspflicht von Leistungen der betrieblichen Alterversorgung auf nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen - also auch einmalig ausgezahlte, kapitalisierte Lebensversicherungen - ausgedehnt hatte (Gesetz vom 14.11.2003, BGBl. I S. 2190). Bemessungsgrundlage für die Beiträge aus dem Versorgungsbezug ist der Zahlbetrag in Höhe der vom Versicherungsunternehmen ausgezahlten Einmalleistung, der für die Beitragsbemessung auf längstens 120 Monate umgelegt wird (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Wie das SG zutreffend festgestellt hat, hatte die bereits 1999 erfolgte Pfändung der Auszahlungsforderung keinen Einfluss auf die spätere Beitragspflicht des Klägers, da dieser unabhängig vom später durchgeführten Insolvenzverfahren in Höhe der gepfändeten und später an die Gläubigerin auch ausgezahlten Summe von einer Verbindlichkeit gegenüber der Bank befreit wurde. Diese Schuldbefreiung führte im Ergebnis genauso wie die konkrete Auszahlung der Versicherungssumme zu einer Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners. Das BSG hat daher in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht von der Höhe der liquiden Mittel bestimmt werde und daher im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung auch Einnahmen, die zur Erfüllung einer Verbindlichkeit dienten, herangezogen werden könnten. Die Beitragspflicht werde grundsätzlich nicht durch Abtretungen oder sonstige Verfügungen über den Anspruch beeinflusst (vgl. BSG vom 17.03.2010 B 12 KR 4/09 R, BSG vom 28.01.1999, B 12 KR 24/98 Rd. 15, 16).

Hieran änderte sich auch nichts durch das später durchgeführte Privatinsolvenzverfahren, das am 30.05.2006 zu einer Restschuldbefreiung beim Kläger führte. Zwar mag es zutreffen, dass aus Sicht des Klägers der wirtschaftliche Vorteil des Versorgungsbezuges, der nach der Pfändung der Auszahlungssumme im Jahr 1999 noch in Gestalt der Befreiung von einer Verbindlichkeit fortwirkte, durch die Verpflichtung, in der Wohlverhaltensphase alle pfändbaren Bezüge abzuführen, verloren ging. Gleichwohl wirkte aus Sicht des Senats die vorher durch Pfändung und Auszahlung der Versicherungssumme erfolgte Schuldbefreiung nach, da sie den Kläger zuvor in Höhe der Verbindlichkeit gegenüber der Pfändungsgläubigerin von seinen Schulden befreit hatte und jedenfalls dieser Betrag nicht mehr Gegenstand des Insolvenzverfahrens war. Auch handelt es sich bei der Privatinsolvenz um eine freiwillig durchgeführte Verfügung des Klägers über sein Vermögen, die den früher erfolgten Vermögenszuwachs im Sinne der Rechtsprechung des BSG nicht mehr nachträglich beseitigen kann. Zutreffend ist im Übrigen auch der Einwand der Beklagten, dass es nicht sachgerecht erscheint, den Kläger anders als andere Versicherte zu behandeln, nur weil seine Schuldentilgung im Rahmen einer Verbraucherinsolvenz durchgeführt wurde.

Der Umstand, dass die Restschuldbefreiung im Ergebnis in gleicher Weise wie die Pfändung dazu geführt hätte, eine Schuldbefreiung des Klägers gegenüber der Bank zu erlangen, kann nach Ansicht des Senats ebenfalls nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden. Unabhängig davon, auf welche Weise der Kläger von den Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern befreit wurde, ist in dieser Höhe jedenfalls ein wirtschaftlicher Vorteil erzielt worden, der den Entzug des unmittelbaren Vermögenszuflusses durch die Versorgungsleistung ausgleichen konnte.

Unabhängig hiervon kann sich der Kläger in Bezug auf die von der Beklagten und Beigeladenen geltend gemachten Beitragsforderungen nicht auf die Restschuldbefreiung berufen, weil diese nicht Inhalt des Insolvenzverfahrens waren und auch nicht von dessen Wirkungen umfasst sind. Zwar trifft es zu, dass eine Restschuldbefreiung auch gegenüber Gläubigern gilt, die ihre Forderungen nicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens angemeldet haben (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Von der Restschuldbefreiung umfasst sind jedoch nur die Forderungen, die bis zum Ende der Wohlverhaltensperiode nicht erfüllten werden konnten (Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung, 13. Auflage § 301 Rdnr. 9). Damit sind alle später entstandenen Forderungen naturgemäß vom Schuldner zu bedienen. Im vorliegenden Fall gehörten bzw. gehören die Beitragsforderungen der Beklagten und Beigeladenen nicht zu den Forderungen, die von der Wirkung der Restschuldbefreiung umfasst sein konnten, da die Beitragsforderungen nämlich erst ab dem 01.06.2009 entstanden sind. Erst zu diesem Zeitpunkt lagen nämlich nach Überschreitung der Mindestbeitragsgrenze alle gesetzlichen Voraussetzungen für eine Erhebung von Beiträgen auf den Versorgungsbezug vor (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Die Revision wird zugelassen, weil der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Es ist bislang - soweit ersichtlich - nicht obergerichtlich geklärt, inwieweit ein Privatinsolvenzverfahren des Versicherten mit anschließender Restschuldbefreiung die Beitragspflicht auf Versorgungsbezüge beeinflussen kann.
Rechtskraft
Aus
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