L 10 R 1755/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3582/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1755/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.03.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Die am 1954 in der T. geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und zog im August 1971 in die Bundesrepublik zu. Bis zu ihrer Entlassung im Juni 2010 war sie als Arbeiterin in einer Näherei versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist die Klägerin arbeitslos, bezog zunächst bis Februar 2012 Arbeitslosengeld und erhält seither Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Im September 2007 wurde bei der Klägerin ein Hirntumor diagnostiziert. Ihren ersten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom September 2010 lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. (Diagnosen: Verdacht auf Anpassungsstörung, Differenzialdiagnose: Dysthymie, ängstliche Persönlichkeitsmerkmale, dysembryoplastischer neuroepithealer Tumor mit Befundkonstanz zu Vorbefunden, Somatisierung mit somatoformen Schmerzen und Schulterbeschwerden rechts; Leistungsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiterin und für leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne erhöhten Zeitdruck und ohne Nachtschicht sechs Stunden und mehr täglich) ab.

Auf ihren erneuten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom April 2012 holte die Beklagte abermals ein Gutachten bei Dr. H. ein. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin auf Grund einer Untersuchung im Juli 2012 - bei Aggravation - einen Verdacht auf Dysthymie (Differenzialdiagnose: Anpassungsstörung), ängstliche Persönlichkeitsmerkmale, eine Somatisierung (insbesondere mit somatoformen Schmerzen), Wirbelsäulenbeschwerden (zum Untersuchungszeitpunkt ohne radikuläre Symptomatik), einen dysembryoplastischen neuroepithealen Tumor mit Befundkonstanz zu Vorbefunden sowie Schulterbeschwerden rechts und hielt die Klägerin noch für fähig, ihren zuletzt ausgeübten Beruf und leichte Tätigkeiten kognitiv einfacher Art, ohne Nachtschicht, ohne erhöhten Zeitdruck und ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag mit Bescheid vom 24.05.2012 und Widerspruchsbescheid vom 31.10.2012 ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.11.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm erhoben und geltend gemacht, dass sie an erheblichen Gesundheitsschäden sowohl auf neurologisch-psychiatrischem als auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet leide.

Das Sozialgericht hat zunächst Auskünfte der behandelnden Ärzte eingeholt. Der Facharzt für Innere Medizin/Schwerpunkt Kardiologie Dr. C. hat von einer einmaligen Konsultation der Klägerin im September 2012 berichtet und als Diagnosen eine arterielle Hypertonie, einen Diabetes mellitus Typ 2, eine Hyperlipidämie, einen Hirntumor und eine Depression genannt. Die durchgeführte kardiologische Untersuchung habe keinen Hinweis auf eine relevante strukturelle Herzerkrankung ergeben, sodass von kardiologischer Seite keine relevanten Leiden bestünden. Die schwere arterielle Hypertonie sei gut eingestellt. Eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit ist Dr. C. nicht möglich gewesen. Der Allgemeinmediziner Dr. T. hat diverse Diagnosen auf nervenärztlichem, orthopädischem und internistischem Fachgebiet aufgeführt (vgl. insoweit Bl. 44 SG-Akte), eine Einschränkung der Gehstrecke auf ca. 300 Meter angenommen, den Schwerpunkt der Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gesehen und keine Einschätzung der Leistungsfähigkeit vorgenommen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. hat von Konsultationen ca. alle zwei Monate berichtet, als Diagnosen kognitive Defizite bei Tumor rechts parahippocampal, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine chronifizierte Depression mitgeteilt, den Schwerpunkt auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gesehen und qualitative Leistungseinschränkungen (keine Tätigkeit mit besonderen Anforderungen an die Merkfähigkeit und an das Konzentrationsvermögen) benannt. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. D. hat als Diagnosen eine Lumboischialgie, eine Spondylarthrose der LWS, eine Tendovaginitis am linken Fußrücken, eine Cervicobrachialgie, eine Facettenreizung im HWS-Bereich, eine Skoliose, eine Heberdenarthrose der Finger links, ein Supraspinatussyndrom im Schulterbereich rechts, ein Impingementsyndrom der Schulter rechts, eine Osteopenie sowie eine Arthrose des Illiosakralgelenks mitgeteilt, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (kein Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Gegenständen, keine Überkopfbelastungen) mindestens sechs Stunden täglich für zumutbar erachtet und auch keine Einschränkung der Gehfähigkeit gesehen.

Das Sozialgericht hat sodann von Amts wegen ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. eingeholt. Dieser hat auf Grund einer Untersuchung der Klägerin im Januar 2014 - bei Verdeutlichungstendenzen - auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine leichte kognitive Störung bei Hirntumor, eine Dysthymie sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie - fachfremd - rezidivierende Lumbalgien ohne neurologische Ausfälle, eine Coxarthrose rechts sowie Schultergelenksbeschwerden rechts diagnostiziert. Der Sachverständige hat auf Grund der psychischen Gesundheitsstörungen Tätigkeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandarbeiten und Tätigkeiten im Schichtbetrieb sowie Tätigkeiten mit besonderem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration nicht mehr für zumutbar erachtet. Auf Grund der Schmerzsymptomatik hat er mittelschwere und schwere Tätigkeiten, Tätigkeiten in einförmiger, insbesondere gebückter Körperhaltung, Tätigkeiten in Kälte, Nässe und Zugluft sowie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten nicht mehr für zumutbar erachtet und eine regelmäßig wechselnde Körperhaltung empfohlen. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen könne die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Auf Antrag und Kosten der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht sodann ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie PD Dr. H. eingeholt. PD Dr. H. hat auf Grund einer Untersuchung der Klägerin eine Dysthymia, eine leichtgradige, jedoch progrediente kognitive Störung bei dysembryoplastischem neuroepithealem Hirntumor im rechten Schläfenlappen sowie eine chronische Schmerzstörung mit körperlichen (rezidivierende Lumbalgien, Coxarthrose rechts, Schultergelenksbeschwerden rechts) und psychischen Faktoren diagnostiziert und die Klägerin auf Grund ihrer psychischen und körperlichen Störungen gegenwärtig auf absehbare Zeit nicht in der Lage gesehen, irgend einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom September 2014, der sich wegen des lediglich geringgradig ausgeprägten Krankheitsbildes der Leistungseinschätzung des PD Dr. H. nicht hat anschließen können, hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme des PD Dr. H. eingeholt, in welcher der Sachverständige seine gestellte Diagnose (Dysthymie) bestätigt hat. Hierzu hat sich wiederum Dr. N. in seiner Stellungnahme vom April 2015 dahingehend geäußert, dass das von PD Dr. H. beschriebene leichtgradig ausgeprägte Krankheitsbild keine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nach sich ziehe.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.03.2016 abgewiesen und zur Begründung - gestützt auf die Gutachten des Dr. W. und des Dr. H. sowie die Auskünfte des Dr. D. und des Dr. C. - ausgeführt, dass die Klägerin noch in der Lage sei, eine leichte Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben und eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Der Leistungseinschätzung des PD Dr. H. hat sich das Sozialgericht nicht angeschlossen.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 14.04.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.05.2016 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und geltend gemacht, dass das Gutachten des Dr. H. vom November 2012 nicht mehr zur Beurteilung des aktuellen Leistungsvermögens herangezogen werden könne, da sich ihr Zustand seit Mai 2013 (Tod ihres Ehemannes) verschlechtert habe. Eine entsprechende Verschlechterung hätten der Sachverständige PD Dr. H. , ihr Hausarzt Dr. T. und ihr behandelnder Nervenarzt Dr. G. bestätigt. Die Folgen des Tumorgeschehens habe Dr. H. vollständig außer Acht gelassen und sei zu Unrecht von Aggravation ausgegangen. Auch das Gutachten des Dr. W. könne nicht überzeugen. Sofern dieser keinerlei Auffälligkeiten bezüglich Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisfunktion beschrieben habe, stehe dies in eklatantem Widerspruch zu den Auskünften ihres Hausarztes und des behandelnden Nervenarztes. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts seien die Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. H. zutreffend und plausibel.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.03.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2012 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 24.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin im Berufungsverfahren noch begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung - Leistungsfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten unter drei Stunden (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. zwischen drei und unter sechs Stunden (§ 43 Abs. 2 SGB VI), was unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in eine Rente wegen voller Erwerbsminderung durchschlagen würde - liegen nicht vor. Ihr steht daher keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -) hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr weiter verfolgt.

Das Sozialgericht hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie trotz der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (kein Heben, Tragen und Bewegen schwerer Gegenstände, kein Steigen auf Leitern, Treppen und Gerüste, keine Tätigkeiten mit Absturzgefahr, keine Tätigkeiten, welche die geistig psychische Belastbarkeit beeinträchtigen, also Arbeit mit besonderem Zeitdruck, Akkord oder andere taktgebundene Arbeiten, keine Tätigkeiten in Nacht- und Schichtdienst oder mit besonderem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration) körperlich leichte berufliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden täglich verrichten kann, und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung, welche unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage zu einer Rente wegen voller Erwerbsminderung führen würde, und auch keine rentenberechtigende Einschränkung der Wegefähigkeit vorliegt. Es hat sich dabei überzeugend den Ausführungen des Dr. H. und Dr. W. sowie Dr. C. und Dr. D. angeschlossen und zutreffend dargelegt, dass und aus welchen Gründen den Beurteilungen des Sachverständigen PD Dr. H. sowie des Hausarztes Dr. T. nicht zu folgen ist. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen in der angefochtenen Entscheidung zurück.

Zu ergänzen sind die qualitativen Einschränkungen um die von Dr. H. , Dr. W. , Dr. G. und Dr. D. zusätzlich aufgeführten Tätigkeiten (lediglich noch Tätigkeiten kognitiv einfacher Art im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Merkfähigkeit, ohne Überkopfbelastungen, nicht in einförmiger, insbesondere gebückter Körperhaltung, nicht in Kälte, Nässe und Zugluft).

Ebenso wie das Sozialgericht, die behandelnden Ärzte und auch die Klägerin selbst geht der Senat davon aus, dass die Klägerin in ihrem beruflichen Leistungsvermögen in erster Linie durch Erkrankungen von Seiten des psychiatrischen Fachgebiets eingeschränkt ist. Hier leidet die Klägerin zwischenzeitlich an einer leichten kognitiven Störung bei Hirntumor, einer Dysthymie sowie einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Insoweit stimmen die Sachverständigen Dr. W. und PD Dr. H. sowie der behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. überein.

Soweit die Klägerin behauptet, seit der Begutachtung durch Dr. H. habe sich ihr Gesundheitszustand auf Grund des Todes ihres Ehemannes im Mai 2013 verschlechtert, weshalb dieses Gutachten nicht zur Beurteilung der aktuellen Leistungsfähigkeit herangezogen werden könne, trifft dies zu. So beschrieb Dr. H. - im Gegensatz zu Dr. W. - keine kognitiven Defizite. Zugunsten der Klägerin legt der Senat daher die Leistungseinschätzung des Dr. H. seiner Entscheidung nicht zu Grunde.

Auch zur Überzeugung des Senats haben die vorhandenen Gesundheitsstörungen keine weiteren als die oben bereits angeführten Leistungseinschränkungen zur Folge. Insbesondere führen sie zu keinen quantitativen und damit rentenberechtigenden Leistungseinschränkungen. Dies ergibt sich - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. W. , der trotz der gestellten Diagnosen schlüssig und nachvollziehbar keine rentenrelevanten Funktionseinschränkungen angenommen hat.

Dr. W. hat die Klägerin als freundlich zugewandt beschrieben. Sie habe bereitwillig berichtet ohne erkennbare Zeichen einer Simulation oder Aggravation, wenn auch mit gewissen Verdeutlichungstendenzen über ihre Beschwerden. Die Klägerin hat zwar über eine Vergesslichkeit geklagt (sie könne sich an Namen vorübergehend nicht erinnern, beim Kochen vergesse sie manchmal, welche Zutaten sie benutzen müsse, vgl. Bl. 89 SG-Akte) und bei der testpsychologischen Untersuchung (Mini-Mental-Status) einen Wert erreicht, der - so Dr. W. - für eine leichtgradige Demenz sprechen würde. Der Sachverständige hat jedoch nachvollziehbar lediglich leichte kognitive Störungen bestätigen könne, die er mit dem Hirntumor in Verbindung gebracht hat. Das Ergebnis des Mini-Mental-Status hat der Sachverständige dabei nur für eingeschränkt verwertbar erachtet. Denn dieses Ergebnis hat z.T. darauf beruht, dass die Klägerin nicht von 100 hat rückwärts zählen können, was aber der Sachverständige den (eingeschränkten) Rechenfähigkeiten zugeschrieben hat (vgl. Bl. 99 f., Bl. 96 LSG-Akte). Gegen erhebliche kognitive Einschränkungen spricht auch, dass im Gespräch die Auffassungsgabe regelgerecht und die Aufmerksamkeit und Konzentration ungestört gewesen sind. Verschiedene ärztliche Unterlagen hat die Klägerin zielsicher heraussuchen können. Zwischenfragen hat sie prompt beantwortet und danach den Gesprächsfaden wieder aufnehmen können. Relevante Störungen der Gedächtnisfunktion hat Dr. W. im Gespräch nicht feststellen können.

Dr. W. hat - vor dem Hintergrund der Tumordiagnose und der Belastung durch den versorgungsbedürftigen Ehemann, der im Mai 2013 verstarb - darüber hinaus überzeugend auf eine chronifizierte, wenn auch eher leichtgradige depressive Störung im Sinne einer Dysthymie geschlossen. In der Zung-Depressions-Skala hat die Klägerin einen Wert entsprechend einer leichtgradigen depressiven Verstimmung erreicht. Die Stimmungslage hat Dr. W. als etwas gedrückt bei jedoch unauffälliger affektiver Schwingungsfähigkeit beschrieben. Antrieb und Psychomotorik sind im Gespräch regelgerecht gewesen, ebenso Mimik und Gestik.

Die leichtgradige depressive Störung beeinflusst laut Dr. W. auch die orthopädischerseits erklärbaren Schmerzen insbesondere im Bereich der rechten Schulter und der rechten Hüfte (vgl. insoweit die gegenüber Dr. W. geschilderte Schmerzsituation, Bl. 89 SG-Akte) im Sinne einer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Die Klägerin hat über Schmerzen in der Hüfte beim Treppensteigen und schwerem Heben (z.B. von Tüten) und über früher starke Schulterschmerzen, die ihr es unmöglich gemacht hätten, den Arm nach oben oder hinten zu bewegen, geklagt. Zugleich hat die Klägerin jedoch auch mitgeteilt, dass sie von ihrem behandelnden Orthopäden Tabletten und Spritzen bekomme, die ihr helfen würden, wobei sie Magenschmerzen bei Einnahme der Tabletten angegeben hat, und dass auch die ehemals starken Schulterbeschwerden durch die durchgeführte Therapie besser geworden seien (vgl. Bl. 89 SG-Akte). In Übereinstimmung dazu hat der Dr. W. ein flüssiges Gangbild ohne Schonhinken, ein Gestikulieren ohne erkennbare Bewegungseinschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten und von keinen schmerzbedingten Ausgleichsbewegungen während des Gesprächs berichtet. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung hat er Bewegungseinschränkungen im Bereich der rechten Schulter (z.B. beim An- und Auskleiden) und der rechten Hüfte erkennen können (vgl. Bl. 91 SG-Akte). Dr. W. hat daher im Hinblick auf die Schmerzsymptomatik nachvollziehbar mittelschwere und schwere Tätigkeiten, Überkopftätigkeiten, Tätigkeiten in einförmiger, insbesondere gebückter Körperhaltung, Tätigkeiten in Kälte, Nässe und Zugluft sowie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten nicht mehr für zumutbar erachtet und eine regelmäßig wechselnde Körperhaltung empfohlen, hingegen - unter Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen - überzeugend keine zeitliche Leistungseinschränkung angenommen.

Auch die Angaben der Klägerin zu ihrer Tages- und Freizeitgestaltung sprechen gegen eine erhebliche Beeinträchtigung. Die Klägerin hat angegeben, noch Auto zu fahren, allerdings nur selten und nicht bei Schnee oder Dunkelheit (vgl. Bl. 87 SG-Akte). Zu ihren alle drei Monate stattfindenden Terminen bei Dr. G. fährt sie mit dem Bus (vgl. Bl. 88 SG-Akte). Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie alleine in ihrer Mietwohnung. Sie schläft bis 9.00 Uhr oder 10.00 Uhr (vgl. Bl. 90 ASG-Akte). Sie frühstückt dann, macht ihren Haushalt (z.B. kochen, waschen, staubsaugen - allerdings mit zwei bis drei Pausen -, einkaufen, vgl. Bl. 89 SG-Akte), sieht fern und isst zu Mittag. Nach dem Mittagsessen geht sie einkaufen. Nachtmittags besucht sie Bekannte in der Nachbarschaft. Zwischen 16.00 und 17.00 Uhr kommt sie wieder heim, macht weiter ihren Haushalt, isst zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zu Abend, sieht ab 19.00 Uhr fern (vgl. Bl. 90 SG-Akte) und geht gegen 24.00 Uhr zu Bett (vgl. Bl. 89 SG-Akte).

Schlüssig und nachvollziehbar ist Dr. W. daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet zwar zu qualitativen Leistungseinschränkungen führen, die Klägerin aber unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen in der Lage ist, berufliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Soweit die Klägerin gegen die Einschätzung des Dr. W. , dass keinerlei Auffälligkeiten bezüglich Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisfunktion bestanden hätten, einwendet, dies stehe in eklatantem Widerspruch zu den Auskünften ihres Hausarztes Dr. T. und des behandelnden Nervenarztes Dr. G. , führt dies zu keinem für sie günstigen Ergebnis. Zwar haben Dr. T. (Merk- und Konzentrationsstörungen sowie Vergesslichkeit, vgl. Bl. 44 SG-Akte) und Dr. G. (leicht verminderte Konzentration, deutlich verminderte Merkfähigkeit, vgl. Bl. 35 SG-Akte) entsprechende Beeinträchtigungen berichtet. Die Auskunft des Dr. T. überzeugt indes nicht, denn diese basiert ausschließlich auf subjektiven Angaben der Klägerin (" auch habe sie Merk- und Konzentrationsstörungen sowie Vergesslichkeit, die sie im Alltag zunehmend beeinträchtigen") und nicht auf einem von ihm erhobenen objektvierbaren Befund. Auch gegenüber Dr. W. hat die Klägerin über Vergesslichkeit geklagt (vgl. Bl. 89 SG-Akte). Wie der Sachverständige insoweit jedoch überzeugend dargelegt hat, verbleiben diese Einschränkungen überwiegend im subjektiven Bereich und haben sich im Rahmen des gutachtlichen Gesprächs weitestgehend nicht bestätigt, weshalb Dr. W. nachvollziehbar - und im Übrigen auch in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen PD Dr. H. - lediglich eine leichte kognitive Störung angenommen hat. Soweit Dr. G. eine leicht verminderte Konzentration sowie eine deutlich verminderte Merkfähigkeit mitgeteilt hat, wird nicht ersichtlich, ob und mit welchem Ergebnis er die dahin gehenden Angaben der Klägerin hinterfragt und woran er seinen Befund festgemacht hat. Im Übrigen ist die Einschätzung des Dr. G. , die Anlass zur Einholung des Gutachtens bei Dr. W. gewesen ist, durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. widerlegt. Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass auch Dr. G. trotz der von ihm beschriebenen Beeinträchtigungen keine quantitative und damit rentenberechtigende Leistungseinschränkung hat bestätigen können.

Die Leistungseinschätzung des nach § 109 SGG beauftragten Sachverständigen PD Dr. H. , der die Klägerin nicht mehr für fähig erachtet hat, irgendeine Tätigkeit zu verrichten, überzeugt aus den vom Sozialgericht bereits zutreffend dargelegten Gründen nicht. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren auf die von PD Dr. H. beschriebene Verschlechterung der kognitiven Störung im Hinblick auf das Gedächtnis, die Konzentration und die Aufmerksamkeit sowie der depressiven Tagesbefindlichkeit verwiesen hat, ergibt sich auch daraus kein für sie günstiges Ergebnis. Zwar hat PD Dr. H. in der klinischen Betrachtung reduzierte Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis beschrieben. Er hat diesen jedoch gerade keinen klinischen Störungswert beigemessen (vgl. Bl. 125 SG-Akte). In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. W. hat er die von der Klägerin angegebenen Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen vielmehr überwiegend im subjektiven Bereich angesiedelt (vgl. Bl. 125 SG-Akte). Passend hierzu hat er die Klägerin als bewusstseinsklar und in allen Qualitäten ausreichend orientiert beschrieben. Die Klägerin hat dem Gespräch ohne Schwierigkeiten folgen können, wobei das Denken insgesamt formal logisch gewesen ist. Inhaltliche Denkstörungen hat PD Dr. H. nicht eruiert (vgl. Bl. 125 SG-Akte). Überzeugend hat daher auch PD Dr. H. - wie zuvor bereits der Sachverständige Dr. W. - lediglich eine leichtgradige kognitive Störung diagnostiziert. Ferner hat PD Dr. H. - erneut in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. W. - ein leichtgradig ausgeprägtes depressives Syndrom im Sinne einer Dysthymia diagnostiziert. Soweit PD Dr. H. daraus auf ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen geschlossen hat (die Klägerin könne auf absehbare Zeit keiner geregelten Arbeit nachgehen, vgl. Bl. 128 SG-Akte), ist dies - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht nachvollziehbar. Insoweit haben bereits das Sozialgericht und Dr. N. zutreffend ausgeführt, dass weder ein leichtgradiger depressiver Verstimmungszustand noch eine leichtgradige kognitive Störung eine Leistungseinschränkung in rentenberechtigendem Ausmaße rechtfertigen.

Eine rentenberechtigende Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin lässt sich auch nicht mit den orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen begründen. Zwar leidet die Klägerin an Wirbelsäulenbeschwerden - Lumboischialgie, Spondylarthrose der LWS, Cervicobrachialgie, Facettenreizung im HWS-Bereich, Skoliose, Arthrose des Illiosakralgelenks - , einer Heberdenarthrose der Finger links, einer Tendovaginitis am linken Fußrücken, Schulterbeschwerden rechts - Supraspinatussyndrom und Impingementsyndrom - , einer Osteopenie, (so die vom behandelnden Orthopäden Dr. D. mitgeteilten Diagnosen, vgl. Bl. 60 SG-Akte) sowie einer Coxarthrose (so die ergänzende Diagnose des Sachverständigen Dr. W. , vgl. Bl. 97 SG-Akte). Insoweit hat bereits das Sozialgericht, gestützt auf die Auskunft des behandelnden Orthopäden Dr. D. , der der Klägerin ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen attestiert hat, sowie die Ausführungen des Dr. W. , der keine wesentlichen, rentenberechtigenden Einschränkungen hat vorfinden können, zutreffend dargelegt, dass und aus welchen Gründen bei der Klägerin die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen führen. Im Übrigen hat selbst die Klägerin im Berufungsverfahren keine aus den orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen resultierende rentenberechtigende Leistungseinschränkung mehr behauptet.

Das Sozialgericht hat darüber hinaus zu Recht festgestellt, dass auch die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet - arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipidämie (so die Diagnosen des behandelnden Facharztes für Innere Medizin Dr. C. , vgl. Bl. 30 SG-Akte) - zu keiner zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit führen. Dr. C. hat insoweit mitgeteilt, dass die durchgeführte kardiologische Untersuchung keinen Hinweis auf eine relevante strukturelle Herzerkrankung ergeben hat und die arterielle Hypertonie gut eingestellt ist. Auch insoweit hat die Klägerin im Berufungsverfahren keine rentenberechtigende Leistungseinschränkung mehr geltend gemacht.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der oben näher dargelegten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich ausüben kann. Sie ist daher nicht erwerbsgemindert. Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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