L 6 R 1864/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 11 R 6371/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1864/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Oktober 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Er-werbsminderung hat.

Die 1955 geborene Klägerin absolvierte vom 1. September 1971 bis 1. Juni 1973 eine Ausbildung zum Kellner, die sie mit dem Facharbeiterzeugnis abschloss. Danach war sie bis November 1976 als Serviererin und Heimarbeiterin tätig. Von Januar bis November 1977 arbeitete sie als Verkäuferin in der -Industriewaren, danach bis Juli 1982 als Lehrausbilderin beim und seit August 1982 erneut als Verkäuferin. Ab 1991 arbeitete sie bei der R. Ost GmbH als Verkäuferin. Laut Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 1991 erfolgte eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe K 2 des damaligen Tarifvertrages. Seit dem 27. Juli 2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 9. September 2010 Krankengeld. Zum 31. März 2013 beendete die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin.

Im August 2010 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte ein orthopädisch/unfallchirurgisches Gutachten des Dr. Sp. vom 27. September 2010 ein (Diagnosen: Osteoporose, induziert durch Östrogenmangel, postthrombotisches Syndrom rechts, ausgeprägte Stamm- und Seitenastvarikosis beidseits, Metatarsalgie bei rezidivierenden pathologischen Mittelfußfrakturen beidseits, zurzeit links akute Beschwerden, Bauchdeckeninsuffizienz mit kleiner Nabelhernie nach mehrfachen gynäkologischen Operationen, Spondylosis deformans mit Bandscheibenerniedrigung L5/S1 ohne aktuelle Pseudora-dikulärsymptomatik; Leistungsbild: Tätigkeit als Verkäuferin drei bis unter sechs Stunden, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden). Mit Bescheid vom 15. November 2010 lehnte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab. Die Klägerin sei in der Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und als Kassiererin Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte u.a. das Gutachten des M. D. der Krankenversicherung Thüringen e.V. vom 11. Januar 2011, verschiedene Befundberichte und den Rehabilitationsentlassungsbericht der Rehabilitationseinrichtung B. S.-A. I BO vom 5. Juli 2011 (Diagnosen: idiopathische Osteoporose mit pathologischer Fraktur, Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom bei degenerativen Veränderungen, Rhizarthrose beidseits, Verdacht auf Polyarthrose der Hände; Leistungsbild: Tätigkeit als Verkäuferin unter drei Stunden, leichte Tätigkeiten unter Beachtung von Einschränkungen sechs Stunden und mehr) bei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. August 2011).

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen und ein orthopädisches Gutachten der Dr. W. vom 1. Juni 2012 eingeholt. Danach besteht bei der Klägerin ein chronisches lumbales, vertebragenes Schmerzsyndrom bei leichter Skoliose und präsakraler Osteochondrose ohne Funktionseinschränkung der LWS und ohne Radikulärsymptomatik sowie eine seit 1999 bekannte und behandelte Knochenstoffwechselstörung mit wiederholten Metatarsalfrakturen bis 2009, die derzeit als Osteopenie einzuschätzen sei. Die Klägerin könne weiterhin leichte Arbeiten unter Beachtung von Einschränkungen ausüben.

Mit Urteil vom 23. Oktober 2012 hat das SG die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren trägt die Klägerin vor, sie habe Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, weil sie nur noch weniger als drei, zumindest nur noch weniger als sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Sie habe zumindest Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil sie ihren Beruf als Verkäuferin nicht mehr und auch keine von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit ausüben könne. Sie sei als Einzelhandelskauffrau einzustufen. Sie habe im August 2013 eine Fraktur an der neunten Rippe rechts und im Januar 2014 einen Hirnstamminfarkt erlitten. Hierzu überreicht sie den Entlassungsbrief der Zentralklinik B. B. Neurologisch-Neurochirurgisches Zentrum Klinik für Neurologie vom 15. Januar 2014 über eine stationäre Behandlung vom 15. bis 21. Januar 2014. Eine neurologische Behandlung ist nicht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Oktober 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. September 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, bei der Klägerin liege weiterhin ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden im Verweisungsberuf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Rente wegen Erwerbsminderung sei deswegen nicht zu gewähren. Die langjährig ausgeübte berufliche Tätigkeit als Verkäuferin in der Gehaltsgruppe K 2 werde innerhalb des vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschemas zur qualitativen Bewertung beruflicher Tätigkeiten der oberen Ebene der Anlerntätigkeiten mit einer bis zu zweijährigen Ausbildung zugeordnet. Für die Klägerin komme die berufliche Tätigkeit einer Verwaltungsangestellten für Bürohilfstätigkeiten in der Poststelle von Behörden nach der Entgeltgruppe 2 TVöD in Betracht.

Der Senat hat verschiedene Befundberichte mit den entsprechenden medizinischen Anlagen beigezogen und eine ergänzende Stellungnahme der Dr. W. vom 21. November 2013 eingeholt. Diese führte aus, sie halte auch unter Berücksichtigung der nachgereichten medizinischen Unterlagen an der getroffenen Leistungseinschätzung fest. Das Weiteren hat der Senat ein internistisches Gutachten des Prof. Dr. Sch. vom 19. April 2016 eingeholt. Danach liegen bei der Klägerin ein chronischer Durchfall unklarer Genese, eine Osteoponie mit Mittelfußfrakturen zwischen 2002 und 2009, ein Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose 1998 rechts mit nachfolgendem mäßigem postthrombotischem Syndrom, eine Strumektomie 1994 wegen Hyperthyreose, eine gynäkologische Totaloperation mit subtotaler Entfernung der Ovarien 1974, ein Zustand nach Hirnstamminfarkt ohne wesentliche Folgezustände sowie rezidivierende Thrombophlebitiden, zuletzt im August 2013, vor. Aus internistischer Sicht könne die Klägerin noch leichte körperliche Arbeit mindestens sechs Stunden täglich unter Berücksichtigung von Einschränkungen verrichten. Des Weiteren hat der Senat einen Befundbericht des Dr. K. vom 23. Juni 2016 beigezogen.

Der Senat hat den Beteiligten die anonymisierte Kopie eines Gutachtens der berufskundlichen Sachverständigen J. zur Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin aus einem Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) vom 6. Juni 2004 zur Kenntnisnahme übersandt,

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI liegen bei ihr nicht vor.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 SGB VI scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.

Die Klägerin ist nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht in dem erforderlichen Umfang herabgesunken ist. Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und den besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Berufsunfähigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn die Versicherte "ihren Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mehr möglich ist.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bis-herigen Berufes festgestellt, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das so genannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Die verschiedenen Stufen sind nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes - dieser wird nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht anhand von Prestige oder Entlohnung bestimmt - hierarchisch geordnet (vgl. BSG, Urteile vom 14. Mai 1996 - Az.: 4 RA 60/94 in BSGE 78, 207, 218 und vom 24. März 1998 - Az.: B 4 RA 44/96 R, nach juris). Bei den Angestelltenberufen erfolgt eine Untergliederung in sechs Berufsgruppen: Angestelltenberufe von hoher Qualität, die regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht und in denen regelmäßig ein Arbeitsentgelt oberhalb, an oder in der Nähe der Beitragsbemessungsgrenze erzielt wird (sechste Stufe); Angestelltenberufe, die zwar ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule voraussetzen, jedoch nur Kenntnisse und Fähigkeiten unterhalb der Führungsebene - d.h. unterhalb der obersten Stufe – erfordern (fünfte Stufe); Angestelltenberufe, die eine Meisterprüfung oder einen erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen - im Kern mit der Berufstätigkeit der höchsten Stufe der Arbeiterberufe übereinstimmen – (vierte Stufe); der Angestelltenberufe mit einer längeren Ausbildung als zwei Jahre (dritte Stufe); der angelernten Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (zweite Stufe) und der unausgebildeten (ungelernten) Angestellten. Im Rahmen der sozialen Zumutbarkeit kann auf eine Tätigkeit der jeweils nächst niedrigeren Gruppe verwiesen werden.

Die Einordnung des Berufes in eine bestimmte Stufe des Berufsschemas erfolgt nicht aus-schließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 - Az.: 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Auch wenn in einem Beruf der herkömmliche Ausbildungsweg nicht durchlaufen wurde, besteht ein entsprechender Berufsschutz, wenn er nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt wurde, der Versicherte über die für die Wettbewerbsfähigkeit erforderlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten verfügt und sich dies auch in einer entsprechenden Bezahlung bzw. tariflichen oder tarifvertraglichen Einstufung widerspiegelt (vgl. BSG, Urteile vom 9. April 2003 - Az.: B 5 RJ 38/02 R und 20. Juli 2005 - Az.: B 13 RJ 29/04 R, nach juris). Facharbeiterschutz (dementsprechend bei Angestellten: Berufsschutz auf der dritten Stufe) kommt danach den Versicherten zu, die (1) einen anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des § 25 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) mit mehr als zweijähriger, in der Regel dreijähriger Ausbildung erlangt und ausgeübt haben, (2) Versicherten, die ohne Absolvierung der vorgeschriebenen Ausbildung in einem nach dem BBiG anerkannten Ausbildungsberuf arbeiten und sich durch die praktische Berufsausübung die Kenntnisse angeeignet haben, die sie befähigen, sich unter gelernten Facharbeitern (hier: Angestellten mit einer Berufsausbildung entsprechend der dritten Stufe) auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig und damit vollwertig zu behaupten, ferner (3) Versicherten, die in Tätigkeitsbereichen ohne anerkannten Ausbildungsgang oder mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren gearbeitet haben, wenn diese Tätigkeiten - insbesondere wegen ihrer Bedeutung für den Betrieb - den anerkannten Ausbildungsberufen tarifvertraglich gleichgestellt sind, und schließlich (4) den Versicherten, die eine Berufstätigkeit ausgeübt haben, für die kein Ausbildungsgang im Sinne des BBiG besteht und die auch als solche in einem Tarifvertrag nicht einer Lohngruppe zugeordnet sind, wenn der Umfang der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten und/oder die sonstigen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit den Anforderungen an einen Facharbeiter gleich zu achten sind (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. September 2005 - Az.: L 4 R 434/04 m.w.N., nach juris). In Betracht kommt hier nur die Prüfung eines qualifizierten Berufsschutzes nach (2).

Die Klägerin ist allenfalls als Angelernte mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren einzustufen. Sie hat zuletzt auf Dauer eine Tätigkeit als Verkäuferin bei der R. GmbH ausgeübt und wurde entsprechend der Lohngruppe K 2 entlohnt. Eine Ausbildung zur Verkäuferin hat sie nicht absolviert. Es kann dahinstehen, ob sie sämtliche theoretischen und praktischen Kenntnisse einer Verkäuferin erworben hat, weil es sich dabei nur um eine zweijährige Ausbildung nach dem Berufsausbildungsgesetz handelt. Ein höherer Berufsschutz als Angestellte mit einer Ausbildung über zwei Jahre wird auch bei einer abgeschlossenen Ausbildung zur Verkäuferin nicht erreicht (vgl. Senatsurteil vom 23. August 2011 - Az.: L 6 R 1864/12, nach juris).

Der Senat geht mit den Beteiligten davon aus, dass die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Verkäuferin nicht mehr im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben vermag. Er verweist sie auf die ihr sozial zumutbare (Entlohnung nach Vergütungsgruppe IX BAT, nach der Neuregelung des Tarifrechts zum 1. November 2006: Entgeltgruppe 2) Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin.

Nach dem Gutachten der berufskundlichen Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 in einem früheren Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/03), das den Beteiligten zur Kenntnisnahme übersandt worden ist, gehört die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters zur Berufsgruppe der Bürohilfskräfte, für die im Allgemeinen keine Berufsausbildung erforderlich ist und bei der fehlende Kenntnisse durch Einarbeitung beziehungsweise Anlernen in weniger als drei Monaten erworben werden können. Es sind einfache wiederkehrende kaufmännisch verwaltende körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen (z.B. Öffnen und Auszeichnen sowie Verteilen von Post, Kuvertieren und Frankieren der ausgehenden Post usw.), die überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum zeitweisen Gehen und Stehen ausgeführt werden; zum Teil erfordern sie Umgang mit Kommunikationsmitteln.

Entlohnt wird die Tätigkeit in der Vergütungsgruppe IX BAT-Bund/Länder (so die Sachverständige J.), teilweise in der Vergütungsgruppe X Nr. 1 BAT-Ost (vgl. Senatsurteil vom 29. November 2000 - Az.: L 6 RJ 238/97). Nach der Neuregelung des Tarifrechts im öffentlichen Dienst zum 1. November 2006 existieren noch keine neuen Eingruppierungsmerkmale. Die ursprüngliche Vergütungsgruppe IX wird nunmehr nach der Entgeltgruppe 2 vergütet. Stellen für Bürohilfskräfte sind in ausreichender Menge auf dem Arbeitsmarkt der gesamten Bundesrepublik vorhanden. Anknüpfungspunkte dafür, dass die Klägerin über die hier erforderlichen einfachen Kenntnisse im kaufmännisch-verwaltenden Bereich verfügt, ergeben sich aus den von ihr absolvierten Tätigkeiten als Verkäuferin und Gruppenleiterin. Insoweit stellen die als Poststellenmitarbeiterin zu bewältigenden Aufgaben für sie auch lediglich einfache Arbeiten dar, die sie noch bewältigen kann.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist die Klägerin in der Lage, diese Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuführen. Der Senat stützt sich insoweit insbesondere auf die Gutachten der Dr. W. 1. Juni 2012 und deren ergänzende Stellungnahme vom 21. November 2013 sowie das Gutachten des Dr. Sch. vom 19. April 2016, deren Ausführungen er sich anschließt.

Nach dem Gutachten der Dr. W. kann die Klägerin weiterhin leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen - nur in wechselnder Körperhaltung, ohne wirbelsäulenfixierende Zwangshaltungen, ohne Hebe- und Bückarbeiten, ohne Absturzgefahr, also nicht auf Leitern und Gerüsten und ohne Gefährdung durch Nässe, Kälte und Zugluft - ausüben. Dies ist nachvollziehbar. Beide Schultergelenke sind in allen Ebenen aktiv und passiv frei beweglich, ebenso die Ellenbogen-, Hand-, Finger-, Sprung-, Fuß- und Hüftgelenke. Eine Ausnahme besteht hinsichtlich der Großzehengrundgelenke, hier sind Dor-salextension/Plantarflexion beidseitig eingeschränkt. Die zwischenzeitlich wiederholt aufge-tretenen Ermüdungsbrüche an Mittelfußknochen wurden entsprechend konservativ behandelt. Eine Knochendichtemessung ergab zuletzt eine gute Stabilisierung der Knochenmineralisation. Klinisch waren Gang und Bewegungsabläufe flüssig, von Seiten der Wirbelsäule fielen ein Büffelnacken, eine verstärkte Brustkyphose, eine leichte linkskonvexe Skoliose der unteren Brustwirbelsäule, Klopfschmerzen über den Dornfortsätzen des zervicothorakalen Überganges und der gesamten Lendenwirbelsäule neben paravertebralen Druckschmerzen in den genannten Bereichen auf. Funktionseinschränkungen und radikuläre Symptome sind in allen drei Wirbelsäulenabschnitten nicht feststellbar. Schultergürtel und obere Extremitäten bieten druckschmerzhafte Myogelosen in der Trapeziusmuskulatur, eine leichte Kraftminderung im Bereich der Hände und eine leichte interdigitale Schwellung zwischen dem II. und III. Strahl der rechten Hand. Ebenso besteht ein leichter Druckschmerz im Bereich des linken Vorfußes mit punctum maximum zwischen dem I. und II. Strahl distal. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestehen nicht; betriebsübliche Pausen sind nicht erforderlich. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. November 2013 verweist die Sachverständige darauf, dass sich auch unter Berücksichtigung des Befundberichtes der Orthopädischen Ambulanz am Waldkran-kenhaus "R. E." vom 3. Januar 2013 und des Arztbriefes der H. Klinikum E. GmbH vom 30. Januar 2013 hinsichtlich des Bewegungsapparates einschließlich der Knochenstoffwechselstörung im Vergleich zu der Leistungseinschätzung in ihrem Gutachten keine neuen Gesichtspunkte ergeben. Neue Frakturen sind nicht aufgetreten. Die Möglichkeit der Ausübung einer Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin hat die Sachverständige ausdrücklich bejaht. Der Senat folgt nicht der Leistungseinschätzung des Dr. Sp. in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten vom 27. September 2010. Quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens liegen nach dem Gutachten der Dr. W. nicht vor. Auch im Rehabilitationsentlassungsbericht der Rehabilitationsklinik B. S.-A. vom 5. Juli 2000 schätzen die behandelnden Ärzte das Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten - unter Beachtung von Einschränkungen - auf sechs Stunden und mehr ein.

Nach dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. vom 19. April 2016 kann die Klägerin aus internistischer Sicht noch leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Einschränkungen bestehen dahingehend, dass die Arbeiten nicht in Zwangshaltung, ohne Hebe- und Bückarbeit, ohne besondere Anforderungen an die Geschicklichkeit der Hände, ohne Absturzgefahr, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Schicht- und Akkordarbeit ausgeführt werden müssen. Hinweise für eine Pankreaserkrankung ergaben sich nach der Sonographie und nach den Laborwerten nicht. Bezüglich der Venenthrombose ist lediglich ein leichtes postthrombotisches Syndrom noch nachweisbar. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestehen bei der Klägerin nicht; betriebsunübliche Pausen sind nicht erforderlich.

Die Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens ist nicht erforderlich. Prof. Dr. Sch. hat die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens verneint. Der Sachverständige weist darauf hin, dass die Beschwerden infolge degenerativer Veränderungen in der Wirbelsäule bereits in mehreren Vorgutachten gewürdigt wurden und sich insgesamt etwas gebessert haben. Bezüglich des Vitamin-D-Mangels, der in der Vorgeschichte zu einer Osteopenie und zu mehreren Mittelfußfrakturen in der Zeit von 2000 bis 2009 führte, ist von einem guten Behandlungseffekt auszugehen, weil das Parathormon und das Vitamin D zuletzt normal waren. Auch die Befundberichte des Dr. H. (Eingang beim Senat am 3. März 2015) und des Dr. K. vom 23. Juni 2016 liefern hierfür keine Anhaltspunkte. Die von Dr. K. mitgeteilten Erkrankungen der Klägerin waren bereits Gegenstand der Begutachtung durch Dr. W. bzw. lagen ihr zur ergänzenden Stellungnahme vom 21. November 2013 vor.

Die von den Sachverständigen angenommenen besonderen Einschränkungen werden bei der Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin berücksichtigt: keine Tätigkeiten in Zwangshaltungen der Wirbelsäule, keine Bückarbeiten, kein Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Schicht- und Akkordarbeit, keine Arbeit unter Einfluss von Witterungsbedingungen.

Ob der Klägerin mit ihrem Leistungsvermögen eine entsprechende Tätigkeit als Poststellen-mitarbeiterin vermittelt werden kann, ist unwesentlich. Für vollschichtig einsatzfähige Versicherte besteht im Allgemeinen ein offener Arbeitsmarkt (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Ein Versicherter muss sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen. Dort gibt es noch eine hinreichende Anzahl zumutbarer Arbeitsplätze, un-abhängig davon, ob diese offen oder besetzt sind. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitslosenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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