L 11 KR 2974/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 3413/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2974/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.06.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt Vollstreckungsschutz.

Der Antragsteller war vom 09.09.2005 bis zum 31.12.2012 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerinnen. Ab Sommer 2008 kam es zu Rückständen in der Beitragszahlung (Bl 17 Verwaltungsakte). Zuletzt stellte die Antragsgegnerin zu 1) mit Bescheid vom 26.04.2014 (Bl 12 Verwaltungsakte) einen Rückstand an Beiträgen für die Zeit vom 01.08.2009 bis zum 31.12.2012 in Höhe von 7.448,74 EUR, an Säumniszuschlägen bis zum 16.04.2014 in Höhe von 3.336,00 EUR sowie an Kosten und Gebühren in Höhe von 438,28 EUR, insgesamt 11.223,02 EUR fest. Früher aufgelaufene Säumniszuschläge in Höhe von 9.728,50 EUR erließ sie dem Antragsteller. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Antragsgegnerin zu 1), zugleich im Namen der Antragsgegnerin zu 2), mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2015 zurück. Der Widerspruchsbescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen und wurde am 17.02.2015 versandt (Bl 25 Verwaltungsakte). Klage hat der Antragsteller hiergegen nicht erhoben.

Unter dem 17.05.2016 erteilte die Antragsgegnerin zu 1) eine vollstreckbare Ausfertigung und beantragte beim Amtsgericht W. die Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller.

Am 21.06.2016 hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben (Az S 11 KR 3412/16) und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Er hat zur Begründung vorgebracht, der Leistungsbescheid vom 17.05.2016, der ihm durch den Gerichtsvollzieher am 31.05.2016 zugestellt worden sei, müsse zurückgenommen und die Vollstreckung eingestellt werden. Die Forderungsaufstellung sei nicht detailliert. Die Beiträge vor dem 31.05.2012 seien verjährt. Er habe seinen Wohnsitz ab 2009/2010 im Ausland gehabt; damit habe seine Beitragspflicht geendet, was der Antragsgegnerin auch bekannt gewesen sei. Es werde mit Schadensersatzforderungen aufgerechnet.

Die Antragsgegnerinnen sind dem Antrag entgegengetreten. Es fehle an einem Anordnungsanspruch. Die Beitragspflicht sei mehrfach bestandskräftig durch Widerspruchsbescheide festgestellt worden. Weitere Rechtsmittel habe der Antragsteller nicht eingelegt. Es bestehe daher kein Zweifel an der Anforderung der Beiträge. Eine unbillige Härte für den Antragsteller sei nicht ersichtlich. Der Antragsteller habe weder etwas vorgetragen noch nachgewiesen, dass die Zahlung für ihn existenzbedrohend wäre.

Mit Beschluss vom 29.06.2016 hat das SG den Antrag abgelehnt. Die Voraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage des § 767 Zivilprozessordnung (ZPO) seien nicht gegeben. Voraussetzung der Anordnung ihrer Einstellung der Zwangsvollstreckung sei Aussicht auf Erfolg im Hauptsacheverfahren, an der es aufgrund der bestandskräftigen Beitragsbescheide fehle. Soweit § 767 ZPO entsprechend auf bestandskräftige Bescheide angewendet werde, müsste der Antragsteller Einwände vorbringen, die nach Bestandskraft der Bescheide entstanden seien. Solche seien jedoch nicht erkennbar. Auch auf der Grundlage des § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, weil die Beitragsrückstände des Antragstellers bestandskräftig festgestellt seien. Zudem fehle es an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Falle einer Vollstreckung Nachteile drohten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut zu machen wären. Vor Eingriffen in seine wirtschaftlichen Lebensgrundlagen sei er durch die Pfändungsfreigrenzen hinreichend geschützt.

Gegen den ihm am 06.07.2016 zugestellten Beschluss des SG hat der Antragsteller am 04.08.2016 beim SG Beschwerde eingelegt, die dem Landessozialgericht am 09.08.2016 vorgelegt worden ist. Es werde die sofortige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt, auch durch eine einstweilige Verfügung. Der Widerspruchsbescheid vom 17.02.2015 sei ihm nicht zugestellt worden. Daher sei die Forderung unbegründet. Auch frühere Widerspruchsbescheide seien ihm nicht zugegangen. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin zu 1) Kenntnis von der Unrichtigkeit der Beitragsberechnungsgrundlage (Einkommenssteuerbescheide) gehabt und daher falsche Bescheide erlassen.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.06.2016 aufzuheben und die Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung einzustellen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des streitigen Vorbringens wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin zu 1) Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Der Antragsteller wendet sich u.a. gegen die Vollstreckung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zzgl. Säumniszuschläge und Mahngebühren iHv 12.710,99. Damit ist der erforderliche Beschwerdewert von 750 EUR überschritten.

Die Antragsgegnerin zu 1) ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl § 1 Abs 2 der Satzung der Antragsgegnerin). Zur Vollstreckung ihrer Beitragsforderung stehen ihr zwei Wege zur Verfügung (BSG 15.02.1989, 12 RK 3/88 in SozR 1300 § 44 Nr 36): Sie kann entweder gemäß § 66 Abs 4 SGB X in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) oder gemäß § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG) vorgehen. Die Vollstreckung nimmt je nach Art des eingeschlagenen Weges einen unterschiedlichen Verfahrensgang. Bei der Vollstreckung nach der ZPO können zur Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen oder gegen bereits erfolgte Maßnahmen die Rechtsbehelfe ergriffen werden, die das Zwangsvollstreckungsrecht der ZPO vorsieht. Über sie ist nach den Verfahrensgrundsätzen des Zivilprozesses und in dessen Instanzenzug zu entscheiden (LSG Baden-Württemberg 20.05.2010, L 10 LW 5533/07, juris; BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549; 25.10.2007, I ZB 19/07, MDR 2008, 712; AG Hannover 09.09.2010, 701 M 15918/10, juris; Beschlüsse des Senats vom 18.02.2016, L 11 KR 123/16 ER-B, und 10.03.2016 ER-B, L 11 KR 742/16 ER-B). Die Antragsgegnerin zu 1) vollstreckt hier nach den Vorschriften der ZPO, sie hat die zunächst eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen über das Hauptzollamt zurückgenommen und eine neue Zwangsvollstreckung über das Amtsgericht W. eingeleitet (Schreiben der Antragsgegnerin zu 1) vom 22.06.2016 und Erledigungsmitteilung des Hauptzollamts Bl 30 der Verwaltungsakte).

Nach § 202 SGG iVm § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, jedoch nicht mehr, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Hauptsacheverfahren in diesem Sinne sind auch solche des einstweiligen Rechtsschutzes. Nach Sinn und Zweck des § 17 a Abs 5 GVG soll die Prüfung der Rechtswegzuständigkeit in der zweiten Instanz unterbleiben, wenn und weil diese in der ersten Instanz geprüft und bejaht worden ist. Dies kann auch unausgesprochen mit der Sachentscheidung erfolgen (OVG Berlin 23.02.1993, 8 S 379/92, juris mit Verweis auf BT-Drucksache 11/7030 S 38). Gerade in eiligen Verfahren soll damit eine Verzögerung der Sachentscheidung vermieden werden (LSG Berlin-Brandenburg 15.12.2005, L 1 B 1050/05 KR ER, juris; vgl auch Sächsisches OVG 05.10.2009, 1 B 410/09 juris; offengelassen von OVG Berlin 23.02.1993, 8 S 379/92, juris). Das SG hat den zu ihm beschrittenen Rechtsweg ausdrücklich für zulässig erachtet.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Beschwerde als unbegründet zurück und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es nicht darauf ankommt, ob dem Antragsteller der Widerspruchsbescheid vom 17.02.2015 zugegangen ist, da es im anhängigen Widerspruchsverfahren nicht um die – bereits in der Vergangenheit erfolgte - Festsetzung von Beiträgen, sondern lediglich um die Höhe des Erlasses von Säumniszuschlägen ging (vgl Bescheid vom 26.04.2014, Bl 12 Verwaltungsakte). Soweit sich der Antragsteller vor dem SG gegen den ihm am 31.05.2016 zugestellten Leistungsbescheid vom 17.05.2016 gewandt hat, vermag er damit nicht durchzudringen. Der Leistungsbescheid vom 17.05.2016 enthält keine vollziehbare Regelung, deren Vollziehung oder Wirksamkeit aufgeschoben werden könnte. Der Hinweis in dem Bescheid über den derzeitigen Rückstand nebst Forderungsaufstellung dient erkennbar der Information und enthält keine erneute Beitragsfestsetzung (vgl Senatsbeschluss vom 10.03.2016, L 11 KR 742/16 ER-B).

Soweit die Rechtsprechung in Ausnahmefällen einen Anspruch nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung für Sachverhalte offensichtlich rechtswidriger Beitragsbescheide anerkannt hat (vgl Thüringer LSG 10.06.2015, L 6 KR 430/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg 13.11.2013, L 9 KR 254/13 B ER), ist diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt. Hierzu hat der Antragsteller nichts glaubhaft gemacht. Sein Vortrag, es würden ggf neue Einkommenssteuerbescheide ergehen, genügt hierfür nicht.

Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung nach § 240 Abs 1 Satz 1 SGB V einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt; sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mit-glieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs 2 S 1 SGB V). Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig tätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalender-tag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die einen monatlichen Gründungszuschuss nach § 93 des Dritten Buches oder eine entsprechende Leistung nach § 16b des Zweiten Buches erhalten, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (§ 240 Abs 4 Satz 2 SGB V). Dabei können Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden, § 240 Abs 4 Satz 6 SGB V. Aus der gesetzlichen Regelung folgt, dass für die Beitragsbemessung bei nicht vorgelegten Nachweisen als Höchstbeitrag der dreißigste Teil der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 SGB V in Ansatz zu bringen ist (Peters in: KassKomm, § 240 SGB V Rn 28).

Beitragsbescheide müssen die Beiträge selbstständig Erwerbstätiger in der Regel endgültig fest-setzen und dürfen sich zur Bestimmung der maßgeblichen Einnahmen auf die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens vorhandenen neuesten Steuerunterlagen stützen (BSG 01.08.2007, B 12 KR 34/07 B, juris). Bei der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit lässt die Rechtsprechung auch einen vorläufigen Beitragsbescheid zu, den die Krankenkasse bei Vorlage des ersten Einkommenssteuerbescheides ändern darf (vgl BSG 22.03.2006, B 12 KR 14/05 R, BSGE 96, 119, SozR 4 – 2500 § 240 Nr 5). Waren die Beiträge bei Beginn der Tätigkeit durch einstweiligen Bescheid geregelt worden, so waren geringere Einnahmen für die endgültige Beitragsfestsetzung auch dann rückwirkend zu berücksichtigen, wenn die sie nachweisenden Steuerbescheide erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt wurden (BSG 11.03.2009, B 12 KR 30/07 R, SozR 4 – 2500 § 240 Nr 10). Werden allerdings vom Selbstständigen mögliche Nachweise zu seinen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorgelegt, gilt nach Maßgabe des § 240 Absatz 1 Satz 2 SGB V die Beitragsbemessungsgrenze als beitragspflichtige Einnahme, was zu Höchstbeträgen führt. Im Übrigen kommt nach einer endgültigen Festsetzung eine Veränderung der Beitragsbemessung nur zum 1. Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats, also nur für die Zukunft in Betracht, § 240 Abs 4 Satz 6 SGB V (vgl Peters, aaO, § 240 Rn 56 f). Bei hauptberuflich selbstständig erwerbstätigen freiwilligen Mitgliedern einer gesetzlichen Krankenkasse darf eine Anpassung der Beitragshöhe an ein niedrigeres Einkommen erst und nur zum Beginn des auf die Vorlage des letzten (maßgeblichen) Einkommensteuerbescheids folgenden Monats vorgenommen werden (vgl BSG 02.09.2009, B 12 KR 21/08 R, BSGE 104, 153, SozR 4-2500 § 240 Nr 12). Eine Verletzung dieser Grundsätze durch die Antragsgegnerinnen ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat im Übrigen keine Umstände geltend gemacht hat, die eine unbillige Härte, die mit den guten Sitten nicht vereinbar wäre, begründen würde (Rechtsgedanke des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG bzw des § 756a ZPO). Allein die mit der Zahlung auf eine rechtmäßige Beitragsforderung für den Kläger verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind (vgl Senatsbeschluss vom 04.09.2013, L 11 R 2315/13 ER-B). Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte.

Schließlich kann der Antragsteller auch nicht mit behaupteten Schadensersatzforderungen gegen die Beitragsforderungen der Antragsgegnerinnen aufrechnen, da er diese Forderungen nicht näher, weder nach Grund und Höhe, spezifiziert hat. Für eine wirksame Aufrechnung nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wäre dies erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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