L 2 AL 57/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 17 AL 206/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 57/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
L 2 AL 57/15
S 17 AL 206/12
Landessozialgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit

hat der 2. Senat des Landessozialgerichts Hamburg auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2016 durch

für Recht erkannt:

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 
Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Bewilligung eines Gründungszuschusses.

Die 1975 geborene Klägerin hat nach einer Ausbildung zur Kauffrau für audiovisuelle Medien im Jahr 1999 im Januar 2005 an der Universität S. den Studiengang "Medienplanung, -Entwicklung und -Beratung"“nach erfolgreich bestandener Diplomprüfung mit dem akademischen Grad "Diplom-Medienwirtin" abgeschlossen. Anschließend arbeitete sie in der Kundenberatung und ab Juli 2008 als Marketing-Managerin bei der "B.". Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis am 27. September 2011 zum 31. Dezember 2011.

Die Klägerin meldete sich am 30. September 2011 arbeitsuchend und mit Wirkung zum 1. Januar 2012 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Zu den Gründen ihrer Kündigung gab sie an, dass sie unter zunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen gelitten habe. Sie sei einem psychischem Druck infolge einer Mehrbelastung aufgrund langfristiger Zusatzarbeit wegen nicht besetzter Positionen ausgesetzt gewesen. Ihre Ärztin habe ihr zur Kündigung geraten. In der von der Klägerin eingereichten ärztlichen Stellungnahme vom 6. Oktober 2011 führte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Y. aus, dass bei der Klägerin eine zunehmende Erkrankung aufgrund psychischer Belastung am Arbeitsplatz, die zu Einschränkungen in der normalen Büroarbeit geführt habe, vorliege und keine Besserung trotz Maßnahmen eingetreten sei. Sie habe der Klägerin daher am 22. September 2011 empfohlen, die Beschäftigung aufzugeben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 29. Dezember 2011 ab 1. Januar 2012 Arbeitslosengeld für 360 Tage.

Laut einem von dem Arbeitsvermittler H. gefertigten Vermerk über ein Gespräch mit der Klägerin am 19. Oktober 2011 habe diese sich dem Arbeitsmarkt in Vollzeit zur Verfügung gestellt; ab Anfang Januar 2012 habe der Beginn einer Selbstständigkeit festgestanden.

Die Klägerin reichte die ihr bereits am 19. Oktober 2011 ausgehändigten Antragsunterlagen für einen Gründungszuschuss am 30. Dezember 2011 ein. Sie gab in dem Formularantrag an, dass sie am 2. Januar 2012 eine selbstständige, hauptberufliche Tätigkeit als Marketing-Beraterin aufnehmen und für ihre selbstständige Tätigkeit künftig circa 40 Wochenstunden aufwenden werde. Dem Formularantrag waren u.a. ein Business-Plan und eine positive Stellungnahme der P. zur Tragfähigkeit der Existenzgründung der Klägerin beigefügt. Mit Bescheid vom 11. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses ab. Sie führte zur Begründung aus, dass der Gründungszuschuss eine Ermessensleistung der aktiven Arbeitsmarktförderung sei. Diese Leistungen dürften nur gewährt werden, wenn sie notwendig seien, um die Klägerin dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Im Hinblick auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit müsse die Agentur für Arbeit beim Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente den Förderaufwand und den damit zu erreichenden Erfolg sorgfältig abwägen. Es lägen mehrere Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Eingliederung mit der vorhandenen Qualifikation der Klägerin in den Arbeitsmarkt in angemessener Zeit möglich sei und damit der Vermittlungsvorrang gelte.

Mit ihrem am 26. Januar 2012 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass aus Gründen des Bestandschutzes auf die am 19. Oktober 2011 geltende Rechtslage abzustellen sei, da ihr an diesem Tag mitgeteilt worden sei, dass man ihren Antrag auf Gründungszuschuss positiv bescheiden wolle. Nach der alten Rechtslage stehe ihr ein Anspruch auf einen Gründungszuschuss zu. Auch nach der neuen Rechtslage, nach der es sich bei dem Anspruch auf einen Gründungszuschuss um eine Ermessensleistung handele, erfülle sie die Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses. Die Ermessensentscheidung der Beklagten, den Vermittlungsvorrang zwingend anzuwenden, bedeute einen Ermessensmissbrauch, da dadurch Personen, die wie sie über eine gute Ausbildung verfügen, von der Förderung ausgeschlossen seien und damit benachteiligt würden. Auch sei das Argument der Beklagten, die Klägerin könne aufgrund ihres Alters und der guten Ausbildung in absehbarer Zeit in ein Arbeitsverhältnis vermittelt werden, nicht überzeugend. So habe sie sich während der Zeit vom 9. November 2010 bis 16. Oktober 2011 bei sechs verschiedenen Unternehmen erfolglos beworben und ihre letzte Arbeitsstelle habe sie krankheitsbedingt auf ärztlichen Rat gekündigt. Aufgrund der negativen Erfahrungen bei ihren Bewerbungen verbunden mit ihrer Erkrankung habe sie daher einen Berufswechsel in die Selbstständigkeit angestrebt. Als sie den Arbeitsvermittler H. bei dem Beratungsgespräch am 19. Oktober 2011 über den angestrebten Berufswechsel informiert habe, habe dieser sie in ihrem Entschluss zur Existenzgründung bestärkt und eine wohlwollende Antragsentscheidung in Aussicht gestellt.

In einer von der Rechtsbehelfsstelle der Beklagten eingeholten Stellungnahme der Arbeitsvermittlung vom 1. Februar 2012 ist ausgeführt, dass ein Stellensuchlauf für den Beruf der Marketing-Beraterin allein in der Jobbörse der Arbeitsagentur 45 passende Stellenangebote in H. und bei S. über 500 Stellenangebote in der Region H. ergeben habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass es nicht ermessensfehlerhaft gewesen sei, den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses abzulehnen. Sie habe sich durch die Bereichs-Verfügung 01/2012 des zuständigen Geschäftsführers Operativ dazu entschlossen, den Gründungszuschuss dann nicht zu gewähren, wenn u.a. die Vermittlung in Arbeit in absehbarer Zeit möglich sei (Vermittlungsvorrang). Diese Bereichs-Verfügung wirke nicht ermessensbindend, jedoch ermessensleitend. Aufgrund der guten Ausbildung und des lückenlosen Beschäftigungsverlaufs könne die Klägerin in Kürze in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden. Entsprechende Stellenangebote lägen in ausreichender Anzahl vor. Wegen der geplanten Selbstständigkeit im zeitnahen Anschluss an das letzte Beschäftigungsverhältnis der Klägerin seien tatsächlich keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden; ebenso habe die Klägerin aus diesem Grunde während ihrer Arbeitslosigkeit keine Bewerbungsaktivitäten unternommen. Dass die Klägerin ihr letztes Beschäftigungsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen selbst gekündigt habe, könne zu keiner positiven Entscheidung führen. Der Aufbau einer selbstständigen Existenz sei oft mit einer größeren Arbeitsbelastung und auch psychischen Belastung verbunden, da ein Kundenstamm erarbeitet werden müsse. Das Interesse der Klägerin an einer Förderung sei somit geringer zu bewerten als das öffentliche Interesse an einem sparsamen Einsatz begrenzter Fördermittel.

Die Klägerin hat am 3. April 2012 Klage erhoben und vorgetragen, für ihren Antrag sei § 57 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der am 19. Oktober 2011 geltenden Fassung maßgebend. Aber auch wenn man die neue Fassung dieser Vorschrift anwende, sei die Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft. So sei weder die von ihr beantragte Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit in N. eingeholt worden noch die des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auch sei sie nur einen Tag (nämlich am 1. Januar 2012) arbeitslos gewesen und habe an diesem gesetzlichen Feiertag keine Bewerbungsaktivitäten entfalten können. Die Annahme, ein psychisch kranker Arbeitnehmer sei in absehbarer Zeit vermittelbar, führe zu einer missbräuchlichen Ermessensausübung. Die Interpretation ihres jetzigen und künftigen Gesundheitszustandes sei zu unbestimmt und damit für einen Ermessensentscheidung dieser Tragweite ungeeignet. Zur Vermeidung einer missbräuchlichen Ermessensüberschreitung hätte der Sachverhalt auch durch Anhörung ihrer Ärztin erschöpfend aufgeklärt werden müssen. Stattdessen habe die Beklagte eine ausschließlich budgetgesteuerte Willkürentscheidung getroffen. Es liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor, wenn die aufgenommene selbstständige Tätigkeit die einzige Maßnahme darstelle, eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung trotz psychischer Erkrankung zu erreichen. Sie habe schon zur Zeit ihrer Kündigung die Idee gehabt habe, sich selbstständig zu machen. Endgültig habe sie sich dazu im November/Dezember 2011 entschieden.

Die Beklagte hat sich auf die Begründung ihrer Widerspruchsentscheidung bezogen und die Auffassung vertreten, das Ermessen umfassend und korrekt ausgeübt zu haben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. September 2015 abgewiesen. Maßgebliche Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Gewährung eines Gründungszuschusses sei § 57 SGB III in der ab dem 28. Dezember 2011 geltenden Fassung, weil der geltend gemachte Anspruch erst mit Arbeitsaufnahme und damit frühestens am 2. Januar 2012 entstanden sein könne. Das ihr nach § 57 SGB III in der vom 28. Dezember 2011 bis 31. März 2012 geltenden Fassung eingeräumte Ermessen habe die Beklagte rechtmäßig ausgeübt. Diese habe sich an dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung orientiert, indem sie davon ausgegangen sei, die Klägerin aufgrund deren guter Ausbildung und des lückenlosen Beschäftigungsverlaufs in Kürze in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermitteln zu können. Der Gründungszuschuss diene der möglichst frühzeitigen Reintegration des Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Insoweit sei aber der allgemeine Vorrang der Vermittlung zu beachten, sodass der Gründungszuschuss als Ermessensleistung nur dann gewährt werden könne, wenn er für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich sei (§ 4 Abs. 2 SGB III), d.h. wenn die Vermittlung voraussichtlich nicht zu einer dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt führe (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. November 2013 – L 9 AL 81/13, juris). Die Beklagte sei auch nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Die Prognose, dass die Klägerin kurzfristig in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hätte vermittelt werden können, sei nach der internen Stellungnahme ihrer Arbeitsvermittlung nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin durchgeführten erfolglosen Bewerbungen führten schon deshalb zu keiner anderen Bewertung, weil nicht erkennbar sei, dass sich die Klägerin nach dem 16. Oktober 2011 noch auf eine Arbeitsstelle beworben habe.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 27. Oktober 2015 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 24. November 2015 Berufung eingelegt. Das Urteil beruhe wegen rechtlich fehlerhafter Beurteilungen auf Verfahrensmängeln. Obwohl Fallidentität bestehe, habe das Sozialgericht die ihm übersandten Urteile und Literaturbeiträge nicht in seine Entscheidung einfließen lassen (Hinweis auf SG Duisburg, Urteil vom 22. Januar 2014 – S 33 AL 239/13; SG Trier, Urteil vom 1. Februar 2013 – S 1 AL 80/12; SG Karlsruhe, Urteil vom 17. Januar 2013 – S 16 AL 949/12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2013 – L 18 AL 5/13; SG Mannheim, Urteil vom 23. August 2012 – S 14 AL 2139/12; Bienert, info also 3/2013, 99; Müller, NZS 2014, 725; IAB-Forschungsbericht 04/2015 "Der Gründungszuschuss nach der Reform" und eine Sitzungsniederschrift des SG Dortmund vom 26. März 2015 in der Sache S 53 AL 256/13).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. September 2015 und den Bescheid vom 11. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin seit dem 2. Januar 2012 einen Gründungszuschuss zu gewähren,

hilfsweise,

erneut über den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie rügt die Prozessvertretung durch einen Steuerberater und verweist auf ihre bisherigen Ausführungen.

Der Senat hat über die Berufung am 29. Juni 2016 mündlich verhandelt. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter sind zu dem Verhandlungstermin nicht erschienen. Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Ladung ist der Klägerin gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Zustellung mit Zustellungsurkunde 6. Mai 2016 und ihrem Prozessbevollmächtigten durch Zustellung mit Zustellungsurkunde am 7. Mai 2016 bekanntgegeben worden. Die Ladungsfrist betrug damit mehr als zwei Wochen und die Ladung war gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 1 SGG rechtzeitig erfolgt. Auf die Möglichkeit einer Entscheidung trotz Ausbleibens der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten sind beide in der Ladung gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG hingewiesen worden. Somit konnte der Senat trotz Ausbleibens der Klägerseite in der Sache entscheiden (vgl. § 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht durch den Bevollmächtigten der Klägerin erhoben worden, §§ 151, 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG. Der Prozessbevollmächtigte kann die Klägerin zwar nicht als Steuerberater vor den Sozialgerichten vertreten, da ein Fall des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGG nicht vorliegt, wohl aber als volljähriger Familienangehöriger (§ 73 Abs. 2 Satz Nr. 2 SGG). Und da es sich bei dem Vater der Klägerin um einen Verwandten in gerader Linie handelt, kann der Senat von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung ausgehen (§ 73 Abs. 6 Satz 3 SGG). Abgesehen davon wären die bisherigen Prozesshandlungen des Bevollmächtigten auch wirksam, da er bisher nicht durch gerichtlichen Beschluss zurückgewiesen worden ist (§ 73 Abs. 3 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist jedoch in Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG; die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses noch kann sie eine Neubescheidung ihres entsprechenden Antrags verlangen.

1. Die rechtlichen Vorgaben, an denen das klägerische Begehren zu prüfen ist, ergeben sich aus § 57 SGB III in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (vom 20. Dezember 2011, BGBl. I 2854) erhalten hatte und die vom 28. Dezember 2011 bis zum 31. März 2012 galt. Art. 1 Nr. 3 Buchstabe a dieses Gesetzes änderte § 57 Abs. 1 SGB III in der zuvor geltenden Fassung dahingehend, dass das Wort "haben" durch das Wort "können" und die Wörter "Anspruch auf einen Gründungszuschuss" durch die Wörter "einen Gründungszuschuss erhalten" ersetzt wurden. Durch Art. 1 Nr. 3 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa Dreifachbuchstabe aaa des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt wurden im einleitenden Satzteil von § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F. die Wörter "wird geleistet" durch die Wörter "kann geleistet werden" ersetzt. In Kraft getreten waren diese Änderungen gemäß Art. 51 Abs. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt am Tag nach der Verkündung des Gesetzes (die wiederum auf den 27. Dezember 2011 fiel).
Damit galt diese Fassung der Vorschrift bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit (am 2. Januar 2012) und somit bei Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses im Sinne der §§ 422 Abs. 1 Nr. 1, 324 Abs. 1 SGB III.

2. Dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Gründungszuschusses steht bereits entgegen, dass die hierfür notwendige Reduzierung des in § 57 Abs. 1 und 2 SGB III a.F. eingeräumten Ermessens auf Null nicht gegeben ist.
Die Voraussetzungen einer Reduzierung des Ermessen dahingehend, dass jede andere Entscheidung als die Bewilligung des begehrten Gründungszuschusses ermessensfehlerhaft gewesen wäre, lagen nicht vor. Eine solche Ermessensreduzierung auf null setzt nach allgemeinen Kriterien voraus, dass nach dem festgestellten Sachverhalt das Vorliegen von Umständen ausgeschlossen ist, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zulassen (BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – 11 RAr 26/87, SozR 1300 § 45 Nr. 34). Sie liegt somit nur vor, wenn jede andere Entscheidung sich zwingend als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig darstellen würde (vgl. etwa Hessisches LSG, Beschluss vom 5. April 2012 – L 7 AS 46/12 B ER, L 7 AS 47/12 B, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2010 – L 6 AS 842/10 B, juris; Just in: Hauck/Noftz, SGB I, Stand August 2006, § 39 Rn. 18).
Auf den Anspruch nach § 57 SGB III a.F. übertragen bedeutet dies, dass eine Ermessensreduzierung in der Regel nur dann angenommen werden kann, wenn eine Selbstbindung im Einzelfall entweder durch eine entsprechende mündliche Zusage (vgl. SG Regensburg, Urteil vom 18. Dezember 2013 – S 16 AL 38/12, juris; Müller, NZS 2014, 725, 728) eingetreten ist oder wenn es sich bei der von der Klägerin aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2015 – L 13 AL 1924/14, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2013 – L 18 AL 5/13 B ER, juris).

a) Die Klägerin behauptet selbst nicht, ihr sei mündlich die Bewilligung des Gründungszuschusses zugesagt worden. Nach ihren Angaben hat der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten die Klägerin lediglich in ihrem Wunsch, sich selbstständig zu machen, bestärkt und eine wohlwollende Antragsentscheidung in Aussicht gestellt. Ein zurechenbarer Vertrauenstatbestand wurde damit noch nicht geschaffen. Deshalb kann offen bleiben, ob man in derartigen Fällen einer Interessenkollision mit der Figur der Ermessensreduzierung auf null bei einer nur mündlichen Zusage entgegen § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Bindungswirkung annehmen kann.

b) Es ist nicht ersichtlich, dass es sich bei der aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit um die einzige Maßnahme handelte, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden konnte. Es mag zutreffen, dass die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Marketingberaterin eine bessere Chance auf eine kurzfristige Beseitigung von Arbeitslosigkeit bot als die Suche nach einem Arbeitsplatz als Marketingberaterin. Dies besagt aber noch nicht, dass eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung allein auf dem erstgenannten Weg hätte erreicht werden können. Der Beruf eines Marketingberaters kann sowohl als selbstständige Tätigkeit als auch in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden. Anhaltsspunkte dafür, dass die Klägerin bei der Suche nach einer Anstellung als Marketingberaterin mit spezifischen Hindernissen konfrontiert gewesen wäre, die ihre Anstellung deutlich weniger wahrscheinlich erscheinen ließen als die möglicher Mitbewerber, sind nicht ersichtlich. Vielmehr verfügte die Klägerin seinerzeit über eine mehr als elfjährige Berufserfahrung und hatte den Ausbildungsberuf einer Kauffrau für audivisuelle Medien“ erlernt und ein Universitätsstudium der Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften mit dem akademischen Grad einer Diplom-Medienwirtin“abgeschlossen.
Die von der Klägerin vorgetragenen psychischen Belastungen an ihrem bisherigen Arbeitsplatz sind ebenfalls nicht geeignet, die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als einzige Möglichkeit einer beruflichen Wiedereingliederung erscheinen zu lassen. Aus den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen der Fachärztin für Allgemeinmedizin Y. vom 6. Oktober und 27. Dezember 2011 geht lediglich hervor, dass der Klägerin eine Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses wegen des dort herrschenden„psychischen Drucks“ und der Mehrbelastung durch Zusatzarbeit infolge nicht besetzter anderer Arbeitsplätze empfohlen wurde. Eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit wegen der psychischen Belastung am Arbeitsplatz wurde bescheinigt. Diese ärztlichen Stellungnahmen rechtfertigen aber nicht den Schluss, bei der Klägerin habe eine gravierende psychische Erkrankung vorgelegen, die die Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses von vornherein ausgeschlossen hätte. Die Argumentation ist auch widersprüchlich, denn eine derart massive und offenkundige psychische Beeinträchtigung hätte auch einer Existenzgründung im Wege gestanden. Gerade in der Aufbauphase wäre mit einer erheblichen Arbeitsbelastung zu rechnen gewesen verbunden mit der Sorge, in ausreichendem Maße Aufträge zu akquirieren.

c) Auch lagen bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit keine nennenswerten konkreten Erfahrungen mit der Suche nach einem Arbeitsplatz als angestellte Marketingberaterin vor, die für das Vorliegen eines atypischen Falles und somit für eine Ermessensreduzierung sprechen könnten. Eine belastbare negative Vermittlungsprognose – beruhe sie nun allgemein auf der Struktur des Arbeitsmarktes oder individuell auf Umständen in der Person der Betroffenen – lässt sich in der Regel erst treffen, wenn bereits eine gewisse Zeit lang vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten stattgefunden haben (Urteil des erkennenden Senats vom 23. September 2015 – 2 AL 37/13, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. November 2013 – L 9 AL 81/13, juris). Hierfür spricht auch die Relation zwischen dem in § 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III a.F. normierten Restanspruchs auf Arbeitslosengeld von mindestens 150 Tagen und der Gesamtanspruchsdauer von 360 Kalendertagen (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. unter Hinweis auf Rechtsprechung zum Anspruch auf berufliche Weiterbildung). Dass die Klägerin sich selbst noch während ihres bestehenden Arbeitsverhältnisses in sechs Fällen vergeblich auf eine andere Arbeitsstelle beworben hatte, reicht hierfür nicht aus. Tatsächlich war die Klägerin nach ihren eigenen Angaben zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich arbeitsuchend meldete, bereits entschlossen, eine selbstständige Existenz zu gründen.

3. Der Klägerin steht auch der mit ihrem Hilfsantrag verfolgte Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrags auf Gründungszuschuss nicht zu. Ein solcher Anspruch scheitert – bei Unterstellung der tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 57 Abs. 1 SGB III a.F. – jedenfalls daran, dass die Beklagte nicht ermessensfehlerhaft gehandelt hat.
Ermessensfehler der Beklagten sind nicht erkennbar. Sie erkannte ihre Pflicht zur Ermessensbetätigung und übte insbesondere im Rahmen der Widerspruchsbegründung auch Ermessen aus. Es liegt auch weder eine Ermessensüberschreitung, ein Ermessensmissbrauch noch ein Abwägungsdefizit vor. Die Beklagte hielt mit dem Widerspruchsbescheid dem Begehren der Klägerin entgegen, ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt wäre in absehbarer Zeit möglich gewesen. Die Beklagte hat dargelegt, warum keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden und hat auch den Gesundheitszustand in ihre Überlegungen miteinbezogen sowie auf ihre Pflicht zum sparsamen Einsatz der zur Verfügung stehenden Fördermittel hingewiesen. All diese Umstände hat die Beklagte ermessensfehlerfrei erwogen.
Auf den Vorrang der Vermittlung abzustellen und hierbei insbesondere auf die zeitlichen Umstände, erscheint auch nicht in anderer Hinsicht ermessensfehlerhaft. Eine belastbare negative Vermittlungsprognose kann in der Regel erst getroffen werden, wenn bereits eine gewisse Zeit lang vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten stattgefunden haben. Die Beklagte hatte zwischen der Arbeitsuchendmeldung und der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nur drei Monate Zeit, Vermittlungsbemühungen zu entfalten, wovon die Klägerin gerade einen Tag arbeitslos war. Hinzu kommt das Verhalten der Klägerin, das jedenfalls bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit erkennen ließ, dass sie sich fest zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit entschlossen hatte. Andere Anhaltspunkte für Ermessensfehler – etwa in Gestalt einer auf die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit gerichteten Eingliederungsvereinbarung (dazu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 8 AL 1515/13, juris) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist der Senat nicht an die von der Klägerin aufgezählten Entscheidungen anderer Sozialgerichte gebunden, die ähnliche Sachverhalte und Rechtsfragen betreffen mögen.

4. Da ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Gründungszuschusses bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren entsprechenden Antrag schon aus den dargestellten Gründen nicht besteht, kann der Senat offen lassen, ob ein Anspruch der Klägerin aus § 57 SGB III auch daran scheitert, dass sie durch die Aufnahme ihrer selbstständigen Tätigkeit zum 2. Januar 2011 nicht im Sinne von § 57 Abs. 1 SGB III a.F. ihre Arbeitslosigkeit beendete. Denn es spricht einiges dafür, dass sie zu keinem Zeitpunkt im Sinne von §§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 SGB III a.F. arbeitslos war. Sie hat sich zwar zum 1. Januar 2012 arbeitslos gemeldet, war aber schon während ihrer Freistellung durch den früheren Arbeitgeber entschlossen, ab 2. Januar 2012 eine selbstständige Tätigkeit zu beginnen. § 57 SGB III bezweckt und setzt voraus, dass mit der selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet wird. Das ist aber nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt, um direkt in die Selbstständigkeit zu wechseln. Dies ist nicht von der Solidargemeinschaft zu subventionieren (vgl. zum Ganzen LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. April 2014 – L 9 AL 297/13, juris; Petzold in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand Juni 2016, § 93 Rn. 27).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

6. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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