L 7 AS 774/16 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AS 1536/16 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 774/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Ab.s 1 Satz 6 SGB II bestehen nicht.
2. Werden einem Leistungsempfänger im Eingliederungsverwaltungsakt Bewerbungsbemühungen abverlangt, entspricht es einem ausgewogenen Verhältnis der gegenseitigen Leistungen, wenn für jede schriftliche Bewerbung ein Kostenersatz von 5,00 € vom Grundleistugnsträger bei maximal 20 Bewerbungen im Halbjahr zugesagt wird.
3. Der Zusatz "soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" ist inhaltlich eindeutig und eröffnet dem Leistungsmpfänger die Möglichkeit, durch Verhandlungen mit dem Grundsicherungsträger vor Ablauf des
Eingliederungsverwaltungsaktes eine andere Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 15. Juni 2016 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 19. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2016 wird für die Zeit ab 19. November 2016 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes vom 19.05.2016.

Der 1978 geborene, erwerbsfähige Antragsteller bezieht laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Zuletzt wurden ihm auf den Weiterbewilligungsantrag vom 26.04.2016 monatlich Leistungen in Höhe von 720,30 EUR für die Zeit von Juni 2016 bis Mai 2017 gewährt.

Aus der vom Antragsgegner nur teilweise vorgelegten Akte ergibt sich kein Bewerberprofil des Antragstellers. Bereits am 30.11.2015 hatte der Antragsgegner einen vom 30.11.2015 bis 31.10.2016 geltenden Eingliederungsverwaltungsakt erlassen. Aus einem verbis-Vermerk des Antragsgegners vom 19.05.2016 ergibt sich, dass mit dem Antragsteller dessen berufliche Situation besprochen worden sei. Er habe sich u.a. auch bei verschiedenen Firmen in der Region A .../E ... als allgemeiner Helfer vordergründig im Elektrobereich beworben. Es heißt weiter: "EGV als VA abgeschlossen (er weigerte sich diese zu unterschreiben) ".

Der am 19.05.2016 erlassene Eingliederungsverwaltungsakt, dessen Festlegungen für die Zeit vom 19.05.2016 bis 30.04.2017 gelten sollen, sieht Folgendes vor: "1. Unterstützung durch Jobcenter Nordsachsen Das Jobcenter unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen. Wir senden Ihnen Stellenvorschläge zu, soweit passgenaue Stellenangebote vorhanden sind. Sie erhalten eine ausführliche und individuelle Beratung nach Ihrem Bedarf, Wir veröffentlichen Ihr Bewerberprofil unter Arbeitsagentur.de anonym. Wir informieren Sie über Angebote der Job-Vermittlung. Zur Unterstützung der beruflichen Eingliederung wird eine Maßnahme bei einem Arbeitgeber zur betrieblichen Erprobung befürwortet (max. 14 Tage nach vorheriger Zustimmung durch den Jobcenter). Wir bieten Ihnen folgende Leistungen zur Anbahnung und Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und zuvor eine gesonderte Antragstellung erfolgt: Leistungen aus dem Vermittlungsbudget als Kannleistung nach Absprache mit dem persönlichen Ansprechpartner. Gefördert werden Leistungen aus dem Vermittlungsbudget für schriftliche Bewerbungen (pauschal 5 EUR pro Bewerbung, max 20 halbjährlich, Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen im regionalen Bereich, bei Notwendigkeit, d.h. z.B. Vorlage einer Einladung. Weitere Kosten, die zur Arbeitsaufnahme notwendig sind, müssen vor Arbeitsbeginn besprochen werden."

Zu den Bemühungen des Antragstellers ist u.a. ausgeführt, dass er innerhalb der nächsten sechs Monate mindestens 15 Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige/geringfügige Beschäftigungsverhältnisse einschließlich Teilzeitstellen und Zeitarbeitsverhältnisse pro Monat unternehme und im Anschluss an den genannten Zeitraum nachweise. Weiter heißt es: "Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Werktag nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie vom Jobcenter/Agentur für Arbeit erhalten haben. Weiterhin erteilen Sie ihrem Arbeitsvermittler innerhalb von 14 Kalendertagen Rückmeldung über die erfolgte Bewerbung. Bei Krankheit reichen Sie umgehend, spätestens jedoch vor Ablauf des dritten Kalendertages eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. die Bescheinigung über einen stationären Aufenthalt ein. ********************** - Aktive Mitarbeit bei Bemühungen, Ihr Potenzial in Bezug auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu nutzen. - Aktive Mitwirkung bei allen auf die berufliche Eingliederung abzielenden Leistungen. Hierzu gehört auch die Annahme von Arbeitsangeboten durch den Dritten. Der Dritte ist verpflichtet, dem Bewerber nur zumutbare Angebote zu unterbreiten. - Aktive Mitwirkung bis zum Ende der individuellen Maßnahmedauer."

Die Eingliederungsvereinbarung behalte ihre Gültigkeit, solange der Antragsteller hilfebedürftig sei. Soweit eine Anpassung erforderlich sei, ende die Gültigkeit mit dem Abschluss der neuen Eingliederungsvereinbarung. Ferner sind eine Abänderungsmöglichkeit im Falle der Änderung der Verhältnisse und eine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen. Der Bescheid enthält eine Rechtsfolgenbelehrung. Der Bescheid vom 19.05.2016 stimmt bis auf die Zusätze nach den Sternchen mit dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.11.2015 überein.

Am 02.06.2016 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch, weil der Bescheid unzulässige Aufhebungsverfügungen enthalte und die angeordnete Gültigkeitsdauer rechtswidrig sei. Eine bloße Verpflichtung für eine Maßnahme bei einem Träger sei unzulässig. Der Bescheid enthalte unkonkrete Verpflichtungen. Die Erstattung von Bewerbungs- und Reisekosten sei unzureichend dargelegt. Verpflichtungen über die Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Nachweise über stationäre Aufenthalte gehörten nicht hinein.

Am 06.06.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Leipzig einstweiligen Rechtschutz beantragt und ausführlich begründet. Er macht im Wesentlichen geltend, der Bescheid enthalte mit der Formulierung "soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" und "Soweit eine Anpassung erforderlich ist, endet die Gültigkeit mit dem Abschluss der neuen Eingliederungsvereinbarung." unzulässige auflösende Bestimmungen, die von Gesetzes wegen nicht vorgesehen seien. Er vertritt die Auffassung, der zuvor erlassene Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.11.2015 sei durch Erlass des Bescheides vom 19.05.2016 aufgehoben worden. Der Antragsgegner habe ohne Ermessenerwägungen eine Geltungsdauer von elf Monaten angeordnet. Er sei zur aktiven Mitwirkung bis zum Ende der individuellen Maßnahmedauer verpflichtet, ohne eine Maßnahmezuweisung erhalten zu haben. Falls es sich um unverbindliche Absichtserklärungen handele, führe es zur Unangemessenheit von Leistungen und Gegenleistungen. Ihm seien unter dem Punkt "Aktive Mitarbeit " unbestimmte Pflichten auferlegt. Die Bestimmung, sich innerhalb von drei Tagen auf alle Stellenangebote des Jobcenter oder der Arbeitsagentur zu bewerben, unterliege Bedenken. Die Übernahme von Bewerbungskosten sei nicht eindeutig und wegen der erforderlichen Antragstellung "zuvor" nicht hinreichend bestimmt, weil unklar sei, wann der Antrag spätestens gestellt werden müsse. Dasselbe gelte für die Erstattung von Reisekosten, so dass nicht klar sei, wovon diese abhängig sei. Für auferlegte Bemühungen um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse enthalte der Eingliederungsbescheid keine Förderungsregelung. Für die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fehle es am Bezug zum Ziel der Eingliederung und die Folgen des Pflichtverstoßes seien ungleich härter als die der gesetzlich vorgesehenen. Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten, weil es am Rechtsschutzbedürfnis fehle.

Mit Beschluss von 15.06.2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegende Antrag sei nicht begründet. Die Entscheidung beruhe auf einer Interessenabwägung. Bei einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt wende sich der Betroffene gegen die darin enthaltenen Pflichten. Er wolle wissen, ob er den Pflichten Folge leisten müsse oder bei deren Missachtung Sanktionen riskiere. Er müsse geltend machen, dass diese Pflichten bereits jetzt "auf Eis gelegt" werden, um einen erheblichen rechtswidrigen Eingriff oder eine gegenwärtige Notlage zu vermeiden. Dies sei hier nicht der Fall. Weder der Umstand, dass der Eingliederungsverwaltungsakt die Regelung enthalte, dass diese für "die Zeit vom 19.05.2016 bis 30.04.2017, soweit zwischendurch nichts anderes geregelt wird" und somit länger als für den in § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II benannten Zeitraum gelte und grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, dass der Antragsgegner einen neuen Eingliederungsverwaltungsakt erlasse, noch der Umstand, dass der vorherige Eingliederungsverwaltungsakt durch den streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt ersetzt werde und der Antragsgegner auch diesen durch eine andere Regelung oder Vereinbarung ersetzen könne, führe zu einem erheblichen rechtswidrigen Eingriff. Dies gelte auch für die enthaltene Regelung, der aktiven Mitwirkung bis zum Ende der individuellen Maßnahmedauer, insbesondere da der Antragsteller selbst vortrage, bisher keine Maßnahmezuweisung erhalten zu haben. Im Eingliederungsverwaltungsakt erfolge lediglich eine Konkretisierung der gesetzlichen Pflicht, alle Möglichkeiten zur Erzielung von Erwerbseinkommen zu nutzen. Dass der Antragsteller sich zeitnah auf Vermittlungsvorschläge bewerben müsse, sei eine Selbstverständlichkeit und bei Pflichtverletzungen auch ohne Eingliederungsverwaltungsakt sanktionierbar. Die Regelung zur Übernahme der Kosten für Bewerbungen und Vorstellungsgespräche hindere den Antragsteller nicht daran, sich per E-Mail, telefonisch oder persönlich auf Stellenangebote zu bewerben. Er könne auch vor den einzelnen Maßnahmen Kostenanträge stellen.

Gegen den ihm am 21.06.2016 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 12.07.2016 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde, mit der er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und im Hinblick auf die aus seiner Sicht unklaren Kostenerstattungen für Bewerbungen und Vorstellungsgespräche vertieft. Er macht zudem geltend, dass der vorherige Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.11.2015 noch nicht aufgehoben worden sei.

Die Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 15.06.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 19.05.2016 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt u.a. vor, die Beschwerde sei unbegründet. In der angegriffenen Eingliederungsvereinbarung werde konkret als Verpflichtung des Antragsgegners formuliert, dass Leistungen aus dem Vermittlungsbudget für schriftliche Bewerbungen gefördert würden. Es liege eine konkrete Vereinbarung einer Kostenerstattung vor, als auch ein ausgewogenes Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtungen. Es sei weder eine Sanktion gegen den Antragsteller verhängt noch die Erstattung von Bewerbungskosten abgelehnt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2016 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 19.05.2016 zurückgewiesen. Die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt definiere klar das Ziel der Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt als Helfer Elektro/Schaltschrankbau im Tagespendelbereich und damit die Verringerung bzw. Beendigung der Hilfebedürftigkeit. Zur Erreichung dieses Ziels habe das Jobcenter dem Antragsteller seine Unterstützung mit verschiedenen Maßnahmen angeboten. So werde u.a. eine Maßnahme bei einem Arbeitgeber zur betrieblichen Erprobung befürwortet. Das Jobcenter habe sich konkret verpflichtet, dass Leistungen aus dem Vermittlungsbudget für schriftliche Bewerbungen pauschal mit 5,00 EUR pro Bewerbung für max. 20 Bewerbungen im Halbjahr gefördert würden. Auch habe sich das Jobcenter verpflichtet, die notwendigen Fahrtkosten für Vorstellungsgespräche im regionalen Bereich zu übernehmen. Dass der Antragsteller sich auf Vermittlungsvorschläge zeitnah bewerben müsse, sei eine Selbstverständlichkeit und könne bei entsprechender Pflichtverletzung auch ohne Vorliegen einer Eingliederungsvereinbarung sanktioniert werden. Es verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten, indem ihm abverlangt werde, die Krankenscheine umgehend vorzulegen. Durch die Aufzählung der Rechtsfolgen bei Verstößen sei er nicht beschwert.

Am 01.08.2016 hat der Antragsteller gegen den Eingliederungsverwaltungsakt beim Sozialgericht Leipzig Klage erhoben (S 16 AS 2141/16).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Antragsgegners (1 Heftung b1-17, c1-23) verwiesen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Die Zweifel des Sozialgerichts am Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen Antrag teilt der Senat im vorliegenden Verfahren nicht. Die obergerichtliche Rechtsprechung hierzu ist nicht ganz einheitlich; überwiegend wird das Rechtsschutzbedürfnis bejaht, auch wenn das Bayrische Landessozialgericht (LSG) ein qualifiziertes Rechtschutzinteresse wegen des vorbeugenden Charakters eines derartigen vorläufigen Rechtschutzverfahrens, bzw. einen erheblichen rechtswidrigen Eingriff oder eine gegenwärtige Notlage verlangt (vgl. z.B. BayLSG, Beschluss vom 13.02.2015 – L 7 AS 23/15 B ER, Rn. 21, 22, und Beschluss vom 07.01.2015 – L 16 AS 734/14 B ER, Rn. 11; sonst z.B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.04.2013 – L 12 AS 374/13 B ER; SächsLSG, Beschluss vom 12.11.2012 – L 3 AS 618/12 B ER, Rn. 17, alle juris).

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf Antrag, der auch schon vor Klageerhebung zulässig ist, die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen gemäß § 86a Abs. 2 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Dabei entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung, bei der die in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG aufgestellten Kriterien herangezogen werden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b RdNr. 12b m.w.N.). Da der Gesetzgeber mit § 39 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG geregelt hat, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der – wie hier – die Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung haben, kommt die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 19.05.2016 gerichteten Widerspruchs jetzt: der Klage S 16 AS 2141/16 des Antragstellers abgelehnt, soweit der Antragsgegner die Geltungsdauer abweichend von § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II (in der von 01.04.2011 bis 31.07.2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuches vom 24.03.2011, BGBl. I S. 453; neugefasst durch Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I S. 850; a.F.) auf mehr als sechs Monate erstreckt hat. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II in der seit 01.08.2016 geltenden Fassung (des Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung – vom 26.07.2016, BGBl. I S. 1824) soll die Eingliederungsvereinbarung regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II a.F. sollte die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Diese gesetzliche Vorgabe schloss eine längere Geltungsdauer sowohl einer Eingliederungsvereinbarung als auch eines diese ersetzenden Verwaltungsaktes nicht grundsätzlich aus. Allerdings erforderte die Verlängerung der Laufzeit eine besondere, auf die Eingliederungsstrategie bezogene Begründung und der entsprechende Verwaltungsakt eine ausdrückliche Ermessenentscheidung. Vorliegend sind weder dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 19.05.2016 noch dem Widerspruchsbescheid vom 26.07.2016 hierzu eine konkrete Begründung oder sonstige Erwägungen zu entnehmen, so dass die über sechs Monate hinausgehende Geltungsdauer des Bescheides vom 19.05.2016 offensichtlich rechtswidrig ist. Da die Gültigkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht ohne weiteres begrenzt werden kann, ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die ihm im Eingliederungsverwaltungsakt vom 19.05.2016 auferlegten Verpflichtungen nach Ablauf der vom Gesetz im Regelfall vorgesehenen sechs Monate anzuordnen. In Anbetracht des Umstandes, dass dem Kläger 15 Bewerbungsbemühungen in sechs Monaten auferlegt worden sind, ergeben sich dadurch keine Unklarheiten.

Ansonsten ist der Beschluss des Sozialgerichts jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die dem Antragsteller auferlegten Pflichten erweisen sich nach der im vorliegenden Eilverfahren nur möglichen und nur nötigen summarischen Prüfung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Damit überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragsstellers. Ergänzend und im Hinblick auf das Vorbringen im Beschwerdeverfahren ist dazu Folgendes auszuführen:

Der Antragsgegner war nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II berechtigt, eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Antragsteller zu ersetzen. Für die Möglichkeit, einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt erlassen zu können, kommt es ausschließlich darauf an, ob objektiv eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kam; der Grund für das Scheitern der Verhandlungen ist unerheblich (vgl. SächsLSG, Urteil vom 27.02.2014 – L 3 AS 629/10, n.v.; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 15 Rn. 43, m.w.N.; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 15 Rn. 64). Eine Eingliederungsvereinbarung ist trotz vorheriger Einigungsbemühungen der Beteiligten nicht zustande gekommen. Der Antragsteller hat nicht bestritten, dass ihm die Eingliederungsvereinbarung, die sodann als Eingliederungsverwaltungsakt erging, zum Gesprächstermin am 19.05.2016 vorgelegt worden ist. Er hat im Übrigen auch im gerichtlichen Verfahren nicht zu erkennen gegeben, dass er bereit gewesen wäre, mit dem Antragsgegner einvernehmlich eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Vorschläge und zielführende Bemühungen seinerseits um eine einvernehmliche Vereinbarung sind nicht zu erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Fall vom Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts ausnahmsweise abzusehen gewesen wäre, sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgebracht worden.

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Vorschriften bestehen nicht. So hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 20.03.2014 (L 19 AS 373/14 B ER, Rn. 23) ausgeführt: "Durch eine Eingliederungsvereinbarung soll die in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II festgelegte Selbsthilfeobliegenheit eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (vgl. hierzu Berlit, a.a.O., § 2 Rn. 15 ff) konkretisiert werden. Deshalb sieht § 2 Abs. 1 S. 2 SGB II die Pflicht eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung vor, deren Gegenstand die Bestimmung der Art, des Umfangs und der Intensität der zumutbar abzuverlangenden Eigenbemühungen des Leistungsberechtigten unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls ist. Da diese Obliegenheit nicht mehr sanktionsbewehrt ist, ist der sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 SGB II ergebende Kontrahierungszwang mit der Vertragsfreiheit aus Art. 2 GG vereinbar (vgl. Berlit, a.a.O., § 2 Rn. 30; Kador, a.a.O., § 2 Rn. 10, § 15 Rn. 21)."

Dem ist zu folgen. So stellt es keinen Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) geschützte Berufswahlfreiheit dar, wenn der Antragsteller verpflichtet wird, in sechs Monaten mindestens 15 Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige, Teilzeit-, Zeitarbeits- oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen. Zum einen steht es dem Antragsteller frei, sich um Stellen zu bewerben, die seinen persönlichen Vorstellungen und seiner Berufsausbildung entsprechen. Zum anderen kann die Berufsausübung gesetzlich geregelt werden (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). So ist in der Rechtsprechung seit langem geklärt, dass gegen die erwähnten Verfassungsnormen nicht verstoßen wird, wenn die Leistung von Sozialhilfe von der Leistung zumutbarer Arbeit seitens des Hilfesuchenden abhängig gemacht wird (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 23.02.1979 – 5 B 114/78, juris, Rn. 5, m.w.N.).

Im Übrigen entspricht der Eingliederungsverwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2016 den Vorgaben des § 15 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II. Die Eingliederungsvereinbarung muss festlegen, welche der in § 16 SGB II aufgeführten Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung erhält sowie welche Eigenbemühungen in welcher Intensität und Quantität dem Hilfebedürftigen obliegen und in welcher Form er die Eigenbemühungen nachweisen muss (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.01.2007 – L 13 AS 4160/06 ER-B, juris, Rn. 6). Vor dem Hintergrund, dass eine in der Eingliederungsvereinbarung festgehaltene Gegenleistung des Erwerbsfähigen im Fall der Nichteinhaltung durch die Leistungsabsenkung des § 31 Abs. 1 SGB II einschneidend und massiv sanktioniert wird, muss diese jedenfalls hinreichend konkret bestimmt sein und darf nicht allgemein gehalten sein. Es muss dem Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung seines Empfängerhorizonts auch klar erkennbar und nachvollziehbar sein, was von ihm gefordert wird (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 23.06.2014 – L 3 AS 88/12 B ER, juris, Rn. 37, m.w.N.). Darüber hinaus muss auch ein Eingliederungsverwaltungsakt ein ausgewogenes Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtungen aufweisen und die Eignung und individuelle Lebenssituation des Leistungsempfängers berücksichtigen (vgl. Terminbericht des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.06.2016, Urteile vom 23.06.2016 – B 14 AS 26/15 R und B 14 AS 42/15 R).

Daran gemessen ist der Inhalt des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 19.05.2016 jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Anhaltspunkte dafür, dass die geforderte Anzahl der Bewerbungen vorliegend unzumutbar sein könnte, finden sich nicht. Der Nachweis der Bewerbungsbemühungen über die dem Eingliederungsverwaltungsakt beiliegende Bewerbungsübersicht ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der Antragsteller nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten, die in Bezug auf seine schriftliche Ausdrucksfähigkeit durch seine im gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze beurteilt werden kann, in der Lage, ohne zeitliche Verzögerung mehrseitige Schreiben zu erstellen und fristgerecht zu versenden. Warum dies bei Bewerbungen anders sein sollte, ist nicht dargetan und auch sonst nicht erkennbar. Die vom Antragsgegner hierfür zugesagte Kostenerstattung von pauschal jeweils 5,00 EUR für maximal 20 Bewerbungen im Halbjahr, lässt keine Unausgewogenheit der wechselseitigen Verpflichtungen erkennen. Dasselbe gilt für die Zusage von Fahrtkosten für Vorstellungsgespräche im regionalen Bereich. Dass diese Kostenerstattung von der Notwendigkeit und weitere Leistungen aus dem Vermittlungsbudget von einer vorherigen Besprechung abhängig gemacht werden, macht die Gegenleistungen des Antragsgegners nicht von vornherein unausgewogen. Im Übrigen hat der Antragsgegner seine Zusage im Widerspruchsbescheid vom 26.07.2016 bekräftigt. Die vorgebrachten Einwände des Antragstellers erscheinen spitzfindig. Vielmehr könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Antragsteller im vorliegenden Verfahren versucht, sich auf diese Weise seinen im Eingliederungsverwaltungsakt vom 19.05.2016 festgelegten Bewerbungsbemühungen zu entziehen, ohne Sanktionen gewärtigen zu müssen.

Auch die übrigen Pflichten, die dem Antragsteller als Bemühungen im Bescheid vom 19.05.2016 auferlegt werden, erscheinen nicht offensichtlich unangemessen oder unzumutbar. Das Verhalten im Zusammenhang mit Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge ist gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ohnehin sanktionsbewehrt und steht – wie die gesetzlichen Pflichten – stets unter dem Vorbehalt, dass gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II kein wichtiger Grund für das (abweichende) Verhalten des Leistungsberechtigten vorliegt. Ebenso besteht die Pflicht, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung binnen drei Kalendertagen vorzulegen, bereits gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Die Regelungen zu den Pflichten des Antragstellers entsprechen somit den gesetzlichen Vorgaben und sind hinreichend bestimmt. Ob die Aufnahme dieser Pflichten in eine Eingliederungsvereinbarung bzw. einen Eingliederungsverwaltungsakt diese unausgewogen und damit ggf. rechtswidrig macht, kann der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die Zusätze im Bescheid vom 19.05.2016 "soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" und "Soweit eine Anpassung erforderlich ist, endet die Gültigkeit mit dem Abschluss der neuen Eingliederungsvereinbarung." sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Hierzu hat das BayLSG in seinem Beschluss vom 22.03.2016 (L 7 AS 137/16 B ER, Leitsatz, juris) ausgeführt: "Der Zusatz in einem Eingliederungsverwaltungsakt zur Geltungsdauer von sechs Monaten ... soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird ist keine unzulässige Nebenbestimmung nach § 32 SGB X. Soweit der Zusatz eine Nebenbestimmung darstellt, ist diese nach § 32 Abs. 2 SGB X möglich, weil von der regelmäßigen Geltungsdauer des Verwaltungsaktes im Ermessenswege abgewichen werden kann. Soweit der Zusatz lediglich als informatorischer Hinweis auf die Rechtslage (Abänderbarkeit nach §§ 45, 48 SGB X oder Ersetzung durch eine Vereinbarung) verstanden wird, fehlt es mangels Regelungsinhalt schon an einer Nebenbestimmung im Sinn von § 32 SGB X."

Der Senat kann außerdem nicht erkennen, inwiefern der Antragsteller durch diese Zusätze belastet wäre. Inhaltlich sind die Zusätze eindeutig und der Antragsteller hat es dadurch selbst in der Hand, durch eine neue Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsgegner die ihm angreifbar erscheinenden Pflichten im Bescheid vom 19.05.2016 außer Kraft zu setzen. Soweit der Antragsteller sich auf den Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.11.2015 bezieht, ist dieser zum einen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, zum anderen ohne weiteres wegen des "neuen" Eingliederungsverwaltungsaktes gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt.

In Hinblick auf die aufgeführten Pflichten "Aktive Mitarbeit " könnten zwar Zweifel bestehen, ob diese insofern hinreichend bestimmt sind, dass der Antragsteller aus den Formulierungen schlüssig nachvollziehen kann, was konkret von ihm erwartet wird und wie er sich zu verhalten hat (vgl. zur Bestimmtheit z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.-2014 – L 7 AS 1018/14 B ER u.a., Rn. 5, juris). Offensichtlich unbestimmt und damit offensichtlich rechtswidrig sind die Regelungen jedenfalls nicht. Denn dem Antragsteller wird damit zumindest verdeutlicht, was bei seiner beruflichen Eingliederung von ihm erwartet wird. Da der Antragsteller aber nach seinen Angaben überhaupt keine Maßnahmezuweisung vom Antragsgegner erhalten hat, ergeben sich für ihn insofern derzeit offensichtlich keinerlei Handlungspflichten, deren Inhalt für ihn unklar sein könnte. Er hat im Übrigen erkannt, dass es zusätzlich zum Eingliederungsverwaltungsakt einer konkreten Maßnahmezuweisung bedarf, die ihrerseits hinreichend bestimmt und zumutbar sein muss. Daher fehlt es nach seinem eigenen Vorbringen an einer aktuellen Beschwer.

Ob bei etwaigem Verstoß gegen diese im Eingliederungsverwaltungsakt getroffenen Regelungen vom Antragsgegner Sanktionen festgestellt werden dürften, wäre im Hauptsacheverfahren oder im Rahmen von gesonderten (Eil-)Verfahren gegen diese Sanktionen zu prüfen (vgl. BayLSG, Beschluss vom 20.05.2014 – L 11 AS 258/14 B ER, juris, Rn. 13), falls der Antragsgegner insofern Pflichtverletzungen und daraufhin Sanktionen feststellen sollte. Dafür ist derzeit nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Dr. Anders Lang Wagner
Rechtskraft
Aus
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