Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1197/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4314/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. September 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 70 statt des zuerkannten von 30.
Die 1961 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und im Inland ansässig. Nach dem Abschluss der Realschule erlernte sie den Beruf einer Friseurin und bildete sich zur Friseurmeisterin fort. Nach Heirat und Geburt zweiter Töchter (1987 und 1990) unterbrach sie ihre Berufstätigkeit aus familiären Gründen. Die jüngere Tochter ist ebenso wie ihr früherer Ehemann alkoholabhängig und leidet an einer Borderline-Störung. Im Jahre 2010 ließ sich die Klägerin scheiden. 2011 kam es wegen wiederkehrender Schwierigkeiten mit der Tochter zu einem Zusammenbruch mit Suizidversuch. 2012 wurde die Klägerin an einem Cholesteatom (chronisch-eitrige Entzündung bzw. Geschwulst des Mittelohrs) operiert, seitdem leidet sie an einem starken Ohrdruck und einem Tinnitus. Psychisch wurde sie durch eine ambulante Therapie stabilisiert. Die Klägerin bestritt – 2013 – ihren Lebensunterhalt durch eine Teilzeitbeschäftigung als Friseurmeisterin und die Unterhaltszahlungen an ihre Töchter (so die Angaben der Klägerin während der stationären Rehabilitation in den Kohlwald-Kliniken St. Blasien im Frühjahr 2013). Während dieser Rehabilitation lernte sie einen neuen Partner kennen, mit dem sie inzwischen zusammenlebt. Ab Februar 2015 bewilligte ihr die Deutsche Rentenversicherung eine – zurzeit auf zwei Jahre befristete – Rente wegen Erwerbsminderung (so die Eigenanamnese der Klägerin am 14. April 2015 bei der Begutachtung durch Dr. T.).
Am 16. Juli 2013 beantragte die Klägerin erstmals die Feststellung eines GdB. Der Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Der Allgemeinmediziner N. berichtete ergänzend von einer bereits 2012 behandelten Tendovaginitis des rechten Daumens. Er reichte auch den Entlassungsbericht der Kohlwald-Klinik über die erwähnte Rehabilitation vom 11. Juni 2013 zur Akte. Darin waren als Diagnosen eine depressive Störung, zurzeit mittelgradig, ein Tinnitus aurium links mehr als rechts, ein Z.n. (Zustand nach) operativer Behandlung eines Cholesteatoms linksseitig und eine Hörminderung links genannt. Der Bericht erwähnte weiter Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule und möglicherweise allergisch bedingte Hautrötungen. Das Rehabilitationsergebnis wurde als zufriedenstellend bezeichnet, die vorab bestandenen ängstlich-depressiven Symptome seien rückläufig gewesen, die Klägerin werde als arbeitsfähig entlassen, es sei eine weiterführende ambulante tiefenpsychologische Therapie indiziert. HNO-Arzt Dr. St. übersandte das Ton- und Sprachaudiogramm vom 15. Juli 2013. Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 27. November 2013 wegen einer seelischen Störung (Teil-GdB 20), eines operierten Cholesteatoms links mit Ohrgeräuschen (20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (10), einer "Allergie" (10) und einer Funktionsbeeinträchtigung beider Handgelenke (10) einen GdB (Gesamt-GdB) von 30 ab Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den Befundschein des Orthopäden Dr. V. vom 20. Januar 2014 bei, wonach sich die Beschwerden an der rechten Hand akut verschlimmert hätten und anamnestisch auch Beschwerden an der linken Großzehe angegeben würden, es bestehe ein Hallux valgus. Der Beklagte ließ die ärztlichen Unterlagen durch seinen versorgungsmedizinischen Dienst auswerten. Danach erließ er den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014.
Die Klägerin hat hiergegen am 17. April 2014 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 70 begehrt. Sie hat vorgetragen, insbesondere die Beeinträchtigungen auf Grund ihrer psychischen Erkrankung und ihres Tinnitus seien höher zu bewerten.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. R. hat unter anderem mitgeteilt, die rezidivierenden Hautrötungen seien nicht auf eine allergische Reaktion zurückzuführen, es bestehe ein atopisches Ekzem, daraus folge – auf dermatologischem Fachgebiet – keine Behinderung. Der Allgemeinmediziner N. hat bekundet, neben der bekannten Hörminderung beständen zeitweise Beschwerden am linken Daumen bei V.a. Rhizarthrose. HNO-Arzt Dr. H. hat auf das Audiogramm aus dem Jahre 2013 verwiesen und mitgeteilt, die nachfolgende Hörgeräteversorgung habe einen deutlichen Hörgewinn erbracht, der GdB sei unter Einschluss des Tinnitus auf 15 zu schätzen. Der Neurologe und Psychiater Dr. Z., bei dem die Klägerin seit 2011 in regelmäßiger Behandlung mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Gesprächen steht, hat den aktuellen psychischen Befund mitgeteilt und als Diagnosen "depressive Störung, somatoforme Störung, Angststörung und chronische Schmerzstörung im Bereich der Finger" angegeben, der GdB auf seinem Fachgebiet sei auf 50 zu schätzen.
Der Beklagte hat nach einer Auswertung der Zeugenaussagen eine Erhöhung des GdB auf 40 (Teil-GdB für die psychische Störung 40) angeboten; dem ist die Klägerin nicht näher getreten.
Daraufhin hat das SG von Amts wegen den Neurologen und Psychiater Dr. T. mit einer Begutachtung beauftragt. Der Sachverständige hat unter dem 20. April 2015 bekundet, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, zurzeit mittelgradig, einem Tinnitus bds., einem Z.n. der Ohroperation, einer kombinierten Schwerhörigkeit bds., einer Funktionsbehinderung beider Hände und einer Allergie. Der GdB für die psychische Erkrankung sei mit 30 anzunehmen, nachdem sich die Klägerin weitgehend aus sozialen Bezügen zurückgezogen habe und nicht mehr berufstätig sei, jedoch ihren Haushalt führe und im Zusammenleben mit ihrem neuen Partner keine Probleme beständen. Nachvollziehbar spreche die geringe therapeutische Bemühung nicht für einen ausgeprägten Leidensdruck oder auch eine Behandlungsbedürftigkeit. Im Übrigen seien Behinderungen mit Teil-GdB-Werten von je 10 vorhanden, auch die Hörminderung sei damit zutreffend bewertet. Es ergebe sich daher ein Gesamt-GdB von 30.
Nach Eingang des Gutachtens hat der Beklagte sein Vergleichsangebot zurückgezogen.
Das SG hat die Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 10. September 2015 abgewiesen. Der GdB sei mit 30 zutreffend bewertet. Den Feststellungen und Bewertungen des Sachverständigen Dr. T. könne gefolgt werden. Soweit Dr. H. auf HNO-ärztlichem Gebiet einen GdB von 15 vorschlage, beziehe er dabei den Tinnitus ein, der auch für die Bewertung der psychischen Beeinträchtigung relevant sei. Die den Tinnitus verschärfende psychische Problematik könne nicht einfach dem Funktionssystem Nerven und Psyche zugeordnet werden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 14. September 2015 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 14. Oktober 2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. In ihrer Berufungsbegründung vom 14. Januar 2016 führt sie aus, die von Dr. T. durchgeführten und ausgewerteten psychischen Testungen sprächen für eine deutlich schwerer ausgeprägte depressive Erkrankung. Entsprechend habe auch Dr. Z. einen GdB von 50 vorgeschlagen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. September 2015 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr einen Grad der Behinderung von insgesamt 70 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat mit ihrer Berufungsbegründung beantragt, auf ihre Kosten ein Gutachten bei Prof. Dr. B. zu erheben. Der Kostenvorschuss hierfür, den der Senat unter dem 18. Januar 2016 angefordert hat, ist nicht eingegangen. Der Senat hat daraufhin angekündigt, den Beweisantrag der Klägerin ablehnen zu müssen. Die Klägerin hat sich sodann am 29. April 2016 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Beklagte hat am 15. April 2016 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
Eine Entscheidung in der Sache ist möglich, ohne dass zuvor ein – weiteres - Sachverständigengutachten einzuholen wäre. Eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen (§ 103 SGG) ist aus Sicht des Senats nicht vonnöten. Der Sachverhalt ist durch die Aussagen der behandelnden Ärzte und das Gutachten von Dr. T. umfassend geklärt. Den Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG, ein Wahlgutachten bei Prof. Dr. B. einzuholen, hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten, als sie sich am 29. April 2016 mit einer Entscheidung des Senats – in der Sache – ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat. Nicht beschiedene Beweisanträge - zu denen auch ein Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG gehört - erledigen sich aber, wenn sie nicht in der mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren wie hier in der Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG aufrecht erhalten werden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Lade¬wig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rn. 18c; Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 - L 6 U 124/14 -, juris, Rz. 61). Der Antrag muss daher nicht mehr beschieden werden. Im Übrigen hätte ihn der Senat abgelehnt, weil der angeforderte Vorschuss nicht bezahlt worden ist (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG, vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 14c).
Die Berufung der Klägerin ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil die Klägerin keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung begehrt, sondern eine behördliche Feststellung. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin am 14. Oktober 2015 innerhalb der einmonatigen Frist des § 151 Abs. 1 SGG erhoben, nachdem ihr der Gerichtsbescheid des SG am 14. September 2015 zugegangen war.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.) der Klägerin abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt nicht Rechte der Klägerin, weil ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30 nicht besteht.
Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich bei Leistungsklagen, zu denen auch die hier erhobene Verpflichtungsklage gehört, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 1. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), mangels Durchführung einer solchen, wie vorliegend, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Anspruch der Klägerin beurteilt sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er-Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, Rz. 51). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird (Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 4445/14 – juris, Rz. 30).
Hiernach ist zunächst für das im Vordergrund der Beeinträchtigung stehende Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" ein GdB von 30 anzusetzen. Die Klägerin leidet insoweit an einer depressiven Episode (codiert mit F32.1 nach der ICD-10 GM 2016, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, hrsg. von der Weltgesundheitsorganisation WHO, Deutscher Fassung, Auflage 2016). Diese Diagnose haben übereinstimmend die Kohlwald-Klinik und der Sachverständige Dr. T. gestellt. Die hieraus folgenden Funktionseinbußen, die für die Bewertung mit einem GdB maßgeblich sind, erreichen das Niveau einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die nach Teil B Nr. 3.7 VG einen GdB von 30 bis 40 bedingt. Dagegen liegen keine bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, wie sie für einen GdB von 50 oder mehr vonnöten wären. Und in der genannten Spanne von 30 bis 40 sind die Beeinträchtigungen der Klägerin auf physischer, psychischer und vor allem sozialer Leidensebene (Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) zurzeit – wieder – in einem unteren Bereich einzuordnen. Hierbei folgt die Bewertung der Funktionseinbußen in erster Linie dem klinischen Bild, wie es durch den Sachverständigen festgestellt worden ist. Psychische Testungen sind dabei nur ein Hilfsmittel. Daher gibt es entgegen der Rechtsansicht der Klägerin keinen Ausschlag, dass bei der Untersuchung bei Dr. T. einer dieser Tests – dem PHQ-9-Score – eine "schwere depressive Störung" ergeben hat, allerdings auch dies nur als Verdachtsdiagnose. Die Klägerin hatte nach ihrer Scheidung zunächst unter erheblichen Beeinträchtigungen aufgrund der Schwierigkeiten mit der jüngsten Tochter gelitten, die aber in der stationären Rehabilitation in der Kohlwald-Klinik soweit verbessert werden konnten, dass sie als arbeitsfähig entlassen worden ist. Die dort empfohlene ambulante Anschlusstherapie hat die Klägerin nicht durchgeführt, was der Senat den Feststellungen Dr. T.s entnimmt und was dafür spricht, dass die Verbesserung in der Rehabilitation entgegen der Einschätzung von Dr. Z. auch so von Dauer war und der Leidensdruck verringert worden ist. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Anfang 2015 erscheint die Klägerin zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen in ihren sozialen Bezügen eingeschränkt, sie hat sich aber eine stabile und erfüllte neue Partnerschaft aufbauen können, auch wenn insbesondere sie keine Hobbys neu aufgenommen oder ausgeweitet hat. Aber sie geht nach ihren Angaben bei dem Sachverständigen regelmäßig spazieren. Die Beziehung zu ihrem neuen Lebenspartner, den sie in den Kohlwald-Kliniken kennengelernt hat, und zu ihren beiden, inzwischen selbstständigen Töchtern wird als gut beschrieben. Die Hausarbeiten erledigt die Klägerin, der Tagesablauf wird als strukturiert beschrieben. Leichte Beeinträchtigungen finden sich auch auf physischer Ebene; hier klage die Klägerin über rezidivierende Schmerzen, vor allem Kopfschmerzen. Insoweit hatte Dr. Z. zwar somatoforme Störungen (Schmerzstörungen) diagnostiziert, der Sachverständige Dr. T. konnte indessen während der mehrstündigen Untersuchung keinen Hinweis für relevante Schmerzen finden, vielmehr war noch nicht einmal eine Körperkorrektur während des Sitzens erforderlich. Auch die medikamentöse Behandlung (Citalopram 20 mg morgens und – in Bezug auf die Schmerzen – Ibuprofen bei Bedarf, bei der Begutachtung auch einmal täglich) spricht nicht für eine höhergradige Schmerzerkrankung. Wenig beeinträchtigt letztlich erscheint die psychische Ebene. Hier scheint nach der Rehabilitation und dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die deutlichste Verbesserung eingetreten zu sein. Die von Dr. T. erhobenen psychischen bzw. psychopathologischen Befunde waren unauffällig. Insbesondere kognitive Einschränkungen oder Wahrnehmungsstörungen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Er hat lediglich eine depressive und klagsame Affektlage bemerkt, die Klägerin hatte während der Anamnese spontan geweint. Die Verminderung des Antriebs, die er ebenfalls gesehen hatte, deckt sich mit dem Rückzug aus sozialen Beziehungen.
Die Behinderung der Klägerin im Funktionssystem "Ohren" bedingt einen GdB von 10. Bei ihr liegt ausweislich des – nach dem Vorspann vor Teil B Nr. 5.1 VG maßgeblichen - Sprach-Audiogramms vom 15. Juli 2013 eine hochgradige 70-%-ige Hörminderung am linken Ohr vor, am rechten Ohr ist bei einer 10-%-igen Hörminderung noch von Normalhörigkeit (zur Einteilung der Hörminderungsgrade vgl. die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG) auszugehen. Diese Hörverluste ergeben sich aus der Tabelle bei Teil A Nr. 5.2.1 VG (rechts: gewichtetes Gesamtwortverstehen 300, 50-%-iges Zahlenverständnis 80; links: 140, 50). Der GdB für die Hörminderung allein beträgt demnach 10.
Der Senat sieht davon ab, diesen Wert wegen des Begleit-Tinnitus zu erhöhen. Zwar ist dies nach Teil A Nr. 5.3 VG möglich, der Tinnitus kann – auch – im Funktionssystem "Ohren" berücksichtigt werden. In diesem Fall ergäbe sich ein GdB von 15, wie es auch HNO-Arzt Dr. H. als sachverständiger Zeuge vorgeschlagen hat. Aber in diesem Falle müsste der GdB für die psychische Erkrankung entsprechend verringert werden. Dies beruht darauf, dass die Bewertung eines Tinnitus nach Teil A Nr. 5.3 VG ausschließlich auf die psychischen Folgen abstellt und dass die Kriterien dafür vollständig jenen entsprechen, die nach Teil B Nr. 3.7 VG für die Bewertung einer psychischen Erkrankung wie hier vorgesehen sind. Nach dieser gesetzlichen Wertung überdecken sich die Funktionsbeeinträchtigungen eines Tinnitus und einer psychischen Erkrankung vollständig (vgl. die entsprechende Regelung für die Bildung des Gesamt-GdB in Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe dd VG). Für den Gesamt-GdB ist es daher unerheblich, in welchem Funktionssystem der Tinnitus berücksichtigt wird.
Für die weiteren Beeinträchtigungen sind keine GdB von wenigstens 20 zu vergeben, die den Gesamt-GdB erhöhen könnten. Zunächst liegen im Funktionssystem "Rumpf" nur leichte Beeinträchtigungen vor. Die Bewegungsmaße der Wirbelsäule, wie sie sich aus dem Entlassungsbericht der Kohlwald-Klinik ergeben, halten sich nahezu im Normbereich, jedenfalls erreichen sie nicht das Ausmaß mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, wie sie aber nach Teil A Nr. 18.9 VG für einen GdB von 20 notwendig wären. Das Gleiche gilt für die Einschränkungen an der linken Hand. Hierzu hat zuletzt Herr N. in seiner Zeugenaussage vom 14. Juli 2014 bekundet, dass bei der Klägerin bei einem V.a. Rhizarthrose zeitweise die Beweglichkeit des linken Daumens eingeschränkt sei. Abgesehen davon, dass dies keine dauerhafte, mehr als sechs Monate andauernde Einschränkung ist, kann sie nicht zu einem GdB führen. Nach Teil B Nr. 18.13 VG ist bei Schädigungen am Daumen bei einem Verlust des Daumenendgliedes ein GdB von 0 anzunehmen, und erst der Verlust des Daumenendgliedes und des halben Grundgliedes führt zu einem GdB von 10. Dem können zeitweise auftretende Beweglichkeitseinschränkungen nicht gleichgestellt werden. Für die Hauterkrankung der Klägerin letztlich hat im erstinstanzlichen Verfahren Dr. R. bekundet, dass aus den dort vorhandenen Symptomen (Hautrötung) keine Behinderung folge.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wonach insbesondere einzelne Teil-GdB-Werte nicht addiert werden dürfen (VG, Teil A, Nr. 3 a) und grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen (VG, Teil A, Nr. 3 d ee), hat der Beklagte zutreffend den GdB von 30 für die psychische Erkrankung und jenen von 10 für die Hörminderung auf insgesamt 30 zusammengeführt. Denn nach Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG erhöhen weitere Teil-GdB-Werte von 10 von Ausnahmefällen abgesehen den Gesamt-GdB nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 70 statt des zuerkannten von 30.
Die 1961 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und im Inland ansässig. Nach dem Abschluss der Realschule erlernte sie den Beruf einer Friseurin und bildete sich zur Friseurmeisterin fort. Nach Heirat und Geburt zweiter Töchter (1987 und 1990) unterbrach sie ihre Berufstätigkeit aus familiären Gründen. Die jüngere Tochter ist ebenso wie ihr früherer Ehemann alkoholabhängig und leidet an einer Borderline-Störung. Im Jahre 2010 ließ sich die Klägerin scheiden. 2011 kam es wegen wiederkehrender Schwierigkeiten mit der Tochter zu einem Zusammenbruch mit Suizidversuch. 2012 wurde die Klägerin an einem Cholesteatom (chronisch-eitrige Entzündung bzw. Geschwulst des Mittelohrs) operiert, seitdem leidet sie an einem starken Ohrdruck und einem Tinnitus. Psychisch wurde sie durch eine ambulante Therapie stabilisiert. Die Klägerin bestritt – 2013 – ihren Lebensunterhalt durch eine Teilzeitbeschäftigung als Friseurmeisterin und die Unterhaltszahlungen an ihre Töchter (so die Angaben der Klägerin während der stationären Rehabilitation in den Kohlwald-Kliniken St. Blasien im Frühjahr 2013). Während dieser Rehabilitation lernte sie einen neuen Partner kennen, mit dem sie inzwischen zusammenlebt. Ab Februar 2015 bewilligte ihr die Deutsche Rentenversicherung eine – zurzeit auf zwei Jahre befristete – Rente wegen Erwerbsminderung (so die Eigenanamnese der Klägerin am 14. April 2015 bei der Begutachtung durch Dr. T.).
Am 16. Juli 2013 beantragte die Klägerin erstmals die Feststellung eines GdB. Der Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Der Allgemeinmediziner N. berichtete ergänzend von einer bereits 2012 behandelten Tendovaginitis des rechten Daumens. Er reichte auch den Entlassungsbericht der Kohlwald-Klinik über die erwähnte Rehabilitation vom 11. Juni 2013 zur Akte. Darin waren als Diagnosen eine depressive Störung, zurzeit mittelgradig, ein Tinnitus aurium links mehr als rechts, ein Z.n. (Zustand nach) operativer Behandlung eines Cholesteatoms linksseitig und eine Hörminderung links genannt. Der Bericht erwähnte weiter Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule und möglicherweise allergisch bedingte Hautrötungen. Das Rehabilitationsergebnis wurde als zufriedenstellend bezeichnet, die vorab bestandenen ängstlich-depressiven Symptome seien rückläufig gewesen, die Klägerin werde als arbeitsfähig entlassen, es sei eine weiterführende ambulante tiefenpsychologische Therapie indiziert. HNO-Arzt Dr. St. übersandte das Ton- und Sprachaudiogramm vom 15. Juli 2013. Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 27. November 2013 wegen einer seelischen Störung (Teil-GdB 20), eines operierten Cholesteatoms links mit Ohrgeräuschen (20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (10), einer "Allergie" (10) und einer Funktionsbeeinträchtigung beider Handgelenke (10) einen GdB (Gesamt-GdB) von 30 ab Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den Befundschein des Orthopäden Dr. V. vom 20. Januar 2014 bei, wonach sich die Beschwerden an der rechten Hand akut verschlimmert hätten und anamnestisch auch Beschwerden an der linken Großzehe angegeben würden, es bestehe ein Hallux valgus. Der Beklagte ließ die ärztlichen Unterlagen durch seinen versorgungsmedizinischen Dienst auswerten. Danach erließ er den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014.
Die Klägerin hat hiergegen am 17. April 2014 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 70 begehrt. Sie hat vorgetragen, insbesondere die Beeinträchtigungen auf Grund ihrer psychischen Erkrankung und ihres Tinnitus seien höher zu bewerten.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. R. hat unter anderem mitgeteilt, die rezidivierenden Hautrötungen seien nicht auf eine allergische Reaktion zurückzuführen, es bestehe ein atopisches Ekzem, daraus folge – auf dermatologischem Fachgebiet – keine Behinderung. Der Allgemeinmediziner N. hat bekundet, neben der bekannten Hörminderung beständen zeitweise Beschwerden am linken Daumen bei V.a. Rhizarthrose. HNO-Arzt Dr. H. hat auf das Audiogramm aus dem Jahre 2013 verwiesen und mitgeteilt, die nachfolgende Hörgeräteversorgung habe einen deutlichen Hörgewinn erbracht, der GdB sei unter Einschluss des Tinnitus auf 15 zu schätzen. Der Neurologe und Psychiater Dr. Z., bei dem die Klägerin seit 2011 in regelmäßiger Behandlung mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Gesprächen steht, hat den aktuellen psychischen Befund mitgeteilt und als Diagnosen "depressive Störung, somatoforme Störung, Angststörung und chronische Schmerzstörung im Bereich der Finger" angegeben, der GdB auf seinem Fachgebiet sei auf 50 zu schätzen.
Der Beklagte hat nach einer Auswertung der Zeugenaussagen eine Erhöhung des GdB auf 40 (Teil-GdB für die psychische Störung 40) angeboten; dem ist die Klägerin nicht näher getreten.
Daraufhin hat das SG von Amts wegen den Neurologen und Psychiater Dr. T. mit einer Begutachtung beauftragt. Der Sachverständige hat unter dem 20. April 2015 bekundet, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, zurzeit mittelgradig, einem Tinnitus bds., einem Z.n. der Ohroperation, einer kombinierten Schwerhörigkeit bds., einer Funktionsbehinderung beider Hände und einer Allergie. Der GdB für die psychische Erkrankung sei mit 30 anzunehmen, nachdem sich die Klägerin weitgehend aus sozialen Bezügen zurückgezogen habe und nicht mehr berufstätig sei, jedoch ihren Haushalt führe und im Zusammenleben mit ihrem neuen Partner keine Probleme beständen. Nachvollziehbar spreche die geringe therapeutische Bemühung nicht für einen ausgeprägten Leidensdruck oder auch eine Behandlungsbedürftigkeit. Im Übrigen seien Behinderungen mit Teil-GdB-Werten von je 10 vorhanden, auch die Hörminderung sei damit zutreffend bewertet. Es ergebe sich daher ein Gesamt-GdB von 30.
Nach Eingang des Gutachtens hat der Beklagte sein Vergleichsangebot zurückgezogen.
Das SG hat die Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 10. September 2015 abgewiesen. Der GdB sei mit 30 zutreffend bewertet. Den Feststellungen und Bewertungen des Sachverständigen Dr. T. könne gefolgt werden. Soweit Dr. H. auf HNO-ärztlichem Gebiet einen GdB von 15 vorschlage, beziehe er dabei den Tinnitus ein, der auch für die Bewertung der psychischen Beeinträchtigung relevant sei. Die den Tinnitus verschärfende psychische Problematik könne nicht einfach dem Funktionssystem Nerven und Psyche zugeordnet werden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 14. September 2015 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 14. Oktober 2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. In ihrer Berufungsbegründung vom 14. Januar 2016 führt sie aus, die von Dr. T. durchgeführten und ausgewerteten psychischen Testungen sprächen für eine deutlich schwerer ausgeprägte depressive Erkrankung. Entsprechend habe auch Dr. Z. einen GdB von 50 vorgeschlagen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. September 2015 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr einen Grad der Behinderung von insgesamt 70 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat mit ihrer Berufungsbegründung beantragt, auf ihre Kosten ein Gutachten bei Prof. Dr. B. zu erheben. Der Kostenvorschuss hierfür, den der Senat unter dem 18. Januar 2016 angefordert hat, ist nicht eingegangen. Der Senat hat daraufhin angekündigt, den Beweisantrag der Klägerin ablehnen zu müssen. Die Klägerin hat sich sodann am 29. April 2016 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Beklagte hat am 15. April 2016 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
Eine Entscheidung in der Sache ist möglich, ohne dass zuvor ein – weiteres - Sachverständigengutachten einzuholen wäre. Eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen (§ 103 SGG) ist aus Sicht des Senats nicht vonnöten. Der Sachverhalt ist durch die Aussagen der behandelnden Ärzte und das Gutachten von Dr. T. umfassend geklärt. Den Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG, ein Wahlgutachten bei Prof. Dr. B. einzuholen, hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten, als sie sich am 29. April 2016 mit einer Entscheidung des Senats – in der Sache – ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat. Nicht beschiedene Beweisanträge - zu denen auch ein Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG gehört - erledigen sich aber, wenn sie nicht in der mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren wie hier in der Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG aufrecht erhalten werden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Lade¬wig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rn. 18c; Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 - L 6 U 124/14 -, juris, Rz. 61). Der Antrag muss daher nicht mehr beschieden werden. Im Übrigen hätte ihn der Senat abgelehnt, weil der angeforderte Vorschuss nicht bezahlt worden ist (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG, vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 14c).
Die Berufung der Klägerin ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil die Klägerin keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung begehrt, sondern eine behördliche Feststellung. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin am 14. Oktober 2015 innerhalb der einmonatigen Frist des § 151 Abs. 1 SGG erhoben, nachdem ihr der Gerichtsbescheid des SG am 14. September 2015 zugegangen war.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.) der Klägerin abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt nicht Rechte der Klägerin, weil ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30 nicht besteht.
Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich bei Leistungsklagen, zu denen auch die hier erhobene Verpflichtungsklage gehört, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 1. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), mangels Durchführung einer solchen, wie vorliegend, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Anspruch der Klägerin beurteilt sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er-Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, Rz. 51). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird (Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 4445/14 – juris, Rz. 30).
Hiernach ist zunächst für das im Vordergrund der Beeinträchtigung stehende Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" ein GdB von 30 anzusetzen. Die Klägerin leidet insoweit an einer depressiven Episode (codiert mit F32.1 nach der ICD-10 GM 2016, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, hrsg. von der Weltgesundheitsorganisation WHO, Deutscher Fassung, Auflage 2016). Diese Diagnose haben übereinstimmend die Kohlwald-Klinik und der Sachverständige Dr. T. gestellt. Die hieraus folgenden Funktionseinbußen, die für die Bewertung mit einem GdB maßgeblich sind, erreichen das Niveau einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die nach Teil B Nr. 3.7 VG einen GdB von 30 bis 40 bedingt. Dagegen liegen keine bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, wie sie für einen GdB von 50 oder mehr vonnöten wären. Und in der genannten Spanne von 30 bis 40 sind die Beeinträchtigungen der Klägerin auf physischer, psychischer und vor allem sozialer Leidensebene (Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) zurzeit – wieder – in einem unteren Bereich einzuordnen. Hierbei folgt die Bewertung der Funktionseinbußen in erster Linie dem klinischen Bild, wie es durch den Sachverständigen festgestellt worden ist. Psychische Testungen sind dabei nur ein Hilfsmittel. Daher gibt es entgegen der Rechtsansicht der Klägerin keinen Ausschlag, dass bei der Untersuchung bei Dr. T. einer dieser Tests – dem PHQ-9-Score – eine "schwere depressive Störung" ergeben hat, allerdings auch dies nur als Verdachtsdiagnose. Die Klägerin hatte nach ihrer Scheidung zunächst unter erheblichen Beeinträchtigungen aufgrund der Schwierigkeiten mit der jüngsten Tochter gelitten, die aber in der stationären Rehabilitation in der Kohlwald-Klinik soweit verbessert werden konnten, dass sie als arbeitsfähig entlassen worden ist. Die dort empfohlene ambulante Anschlusstherapie hat die Klägerin nicht durchgeführt, was der Senat den Feststellungen Dr. T.s entnimmt und was dafür spricht, dass die Verbesserung in der Rehabilitation entgegen der Einschätzung von Dr. Z. auch so von Dauer war und der Leidensdruck verringert worden ist. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Anfang 2015 erscheint die Klägerin zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen in ihren sozialen Bezügen eingeschränkt, sie hat sich aber eine stabile und erfüllte neue Partnerschaft aufbauen können, auch wenn insbesondere sie keine Hobbys neu aufgenommen oder ausgeweitet hat. Aber sie geht nach ihren Angaben bei dem Sachverständigen regelmäßig spazieren. Die Beziehung zu ihrem neuen Lebenspartner, den sie in den Kohlwald-Kliniken kennengelernt hat, und zu ihren beiden, inzwischen selbstständigen Töchtern wird als gut beschrieben. Die Hausarbeiten erledigt die Klägerin, der Tagesablauf wird als strukturiert beschrieben. Leichte Beeinträchtigungen finden sich auch auf physischer Ebene; hier klage die Klägerin über rezidivierende Schmerzen, vor allem Kopfschmerzen. Insoweit hatte Dr. Z. zwar somatoforme Störungen (Schmerzstörungen) diagnostiziert, der Sachverständige Dr. T. konnte indessen während der mehrstündigen Untersuchung keinen Hinweis für relevante Schmerzen finden, vielmehr war noch nicht einmal eine Körperkorrektur während des Sitzens erforderlich. Auch die medikamentöse Behandlung (Citalopram 20 mg morgens und – in Bezug auf die Schmerzen – Ibuprofen bei Bedarf, bei der Begutachtung auch einmal täglich) spricht nicht für eine höhergradige Schmerzerkrankung. Wenig beeinträchtigt letztlich erscheint die psychische Ebene. Hier scheint nach der Rehabilitation und dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die deutlichste Verbesserung eingetreten zu sein. Die von Dr. T. erhobenen psychischen bzw. psychopathologischen Befunde waren unauffällig. Insbesondere kognitive Einschränkungen oder Wahrnehmungsstörungen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Er hat lediglich eine depressive und klagsame Affektlage bemerkt, die Klägerin hatte während der Anamnese spontan geweint. Die Verminderung des Antriebs, die er ebenfalls gesehen hatte, deckt sich mit dem Rückzug aus sozialen Beziehungen.
Die Behinderung der Klägerin im Funktionssystem "Ohren" bedingt einen GdB von 10. Bei ihr liegt ausweislich des – nach dem Vorspann vor Teil B Nr. 5.1 VG maßgeblichen - Sprach-Audiogramms vom 15. Juli 2013 eine hochgradige 70-%-ige Hörminderung am linken Ohr vor, am rechten Ohr ist bei einer 10-%-igen Hörminderung noch von Normalhörigkeit (zur Einteilung der Hörminderungsgrade vgl. die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG) auszugehen. Diese Hörverluste ergeben sich aus der Tabelle bei Teil A Nr. 5.2.1 VG (rechts: gewichtetes Gesamtwortverstehen 300, 50-%-iges Zahlenverständnis 80; links: 140, 50). Der GdB für die Hörminderung allein beträgt demnach 10.
Der Senat sieht davon ab, diesen Wert wegen des Begleit-Tinnitus zu erhöhen. Zwar ist dies nach Teil A Nr. 5.3 VG möglich, der Tinnitus kann – auch – im Funktionssystem "Ohren" berücksichtigt werden. In diesem Fall ergäbe sich ein GdB von 15, wie es auch HNO-Arzt Dr. H. als sachverständiger Zeuge vorgeschlagen hat. Aber in diesem Falle müsste der GdB für die psychische Erkrankung entsprechend verringert werden. Dies beruht darauf, dass die Bewertung eines Tinnitus nach Teil A Nr. 5.3 VG ausschließlich auf die psychischen Folgen abstellt und dass die Kriterien dafür vollständig jenen entsprechen, die nach Teil B Nr. 3.7 VG für die Bewertung einer psychischen Erkrankung wie hier vorgesehen sind. Nach dieser gesetzlichen Wertung überdecken sich die Funktionsbeeinträchtigungen eines Tinnitus und einer psychischen Erkrankung vollständig (vgl. die entsprechende Regelung für die Bildung des Gesamt-GdB in Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe dd VG). Für den Gesamt-GdB ist es daher unerheblich, in welchem Funktionssystem der Tinnitus berücksichtigt wird.
Für die weiteren Beeinträchtigungen sind keine GdB von wenigstens 20 zu vergeben, die den Gesamt-GdB erhöhen könnten. Zunächst liegen im Funktionssystem "Rumpf" nur leichte Beeinträchtigungen vor. Die Bewegungsmaße der Wirbelsäule, wie sie sich aus dem Entlassungsbericht der Kohlwald-Klinik ergeben, halten sich nahezu im Normbereich, jedenfalls erreichen sie nicht das Ausmaß mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, wie sie aber nach Teil A Nr. 18.9 VG für einen GdB von 20 notwendig wären. Das Gleiche gilt für die Einschränkungen an der linken Hand. Hierzu hat zuletzt Herr N. in seiner Zeugenaussage vom 14. Juli 2014 bekundet, dass bei der Klägerin bei einem V.a. Rhizarthrose zeitweise die Beweglichkeit des linken Daumens eingeschränkt sei. Abgesehen davon, dass dies keine dauerhafte, mehr als sechs Monate andauernde Einschränkung ist, kann sie nicht zu einem GdB führen. Nach Teil B Nr. 18.13 VG ist bei Schädigungen am Daumen bei einem Verlust des Daumenendgliedes ein GdB von 0 anzunehmen, und erst der Verlust des Daumenendgliedes und des halben Grundgliedes führt zu einem GdB von 10. Dem können zeitweise auftretende Beweglichkeitseinschränkungen nicht gleichgestellt werden. Für die Hauterkrankung der Klägerin letztlich hat im erstinstanzlichen Verfahren Dr. R. bekundet, dass aus den dort vorhandenen Symptomen (Hautrötung) keine Behinderung folge.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wonach insbesondere einzelne Teil-GdB-Werte nicht addiert werden dürfen (VG, Teil A, Nr. 3 a) und grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen (VG, Teil A, Nr. 3 d ee), hat der Beklagte zutreffend den GdB von 30 für die psychische Erkrankung und jenen von 10 für die Hörminderung auf insgesamt 30 zusammengeführt. Denn nach Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG erhöhen weitere Teil-GdB-Werte von 10 von Ausnahmefällen abgesehen den Gesamt-GdB nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
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