L 11 SF 50/15 EK

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SF 50/15 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Entschädigung für unangemessene Verfahrensdauer in Grundsicherungsangelegenheiten Präklusionswirkung der Verzögerungsrüge
Nebenverfahren über Prozesskostenhilfe selbst nicht entschädigungsrechtlich relevant

1. Die in einer Instanz nicht oder nicht ordnungsgemäß erhobene Verzögerungsrüge führt zur materiell-rechtlichen Präklusion des Entschädigungsanspruchs wegen Überlanger Verfahrensdauer für diese Instanz.
2. Eine Verzögerungsrüge begrenzt den Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer nicht auf den Zeitraum, der sechs Monate vor Erhebung der Verzögerungsrüge beginnt (entgegen BFH, Urteil vom 06.04.2016 - X K 1/15 - juris).
3. Das Prozesskostenhilfeverfahren stellt als Nebenverfahren während eines laufenden Hauptsacheverfahrens
kein eigenes Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar. Bei einem solchen Nebenverfahren
können nur die durch eine verspätete Bewilligung von Prozesskostenhilfe bewirkten Verzögerungen des
Hauptsacheverfahrens entschädigungsrechtlich relevant sein.
4. Fehlt jegliches Konzept zur Bewältigung der strukturellen Überlastung eines Gerichts, kann dies für eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 78 Abs. 3 SächsVerf sprechen, die eine Abweichung von der Pauschale des § 198
Abs. 2 Satz 3 GVG gebietet.
5. Der Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer steht in Fällen der subjektiven
Klagehäufung jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person in voller Höhe zu.
I. Der Beklagte wird verurteilt, 1. an die Klägerin zu 1) 2.300,00 EUR nebst Zinsen ab dem 24.09.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, 2. an den Kläger zu 2) 2.300,00 EUR nebst Zinsen ab dem 24.09.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, 3. an die Klägerin zu 3) 2.300,00 EUR nebst Zinsen ab dem 24.09.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, 4. an die Klägerin zu 4) 2.300,00 EUR nebst Zinsen ab dem 24.09.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und 5. an den Kläger zu 5) 2.300,00 EUR nebst Zinsen ab dem 24.09.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zur Hälfte und die Kläger je zu einem Zehntel.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 23.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Kläger begehren Entschädigung für die Dauer des Gerichtsverfahrens S 29 AS 958/08 und L 3 AS 238/11 vor dem Sozialgericht Dresden (SG) und dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG).

Die Klägerin zu 1, ihre Töchter, die Klägerinnen zu 3 und 4, ihr Lebensgefährte, der Kläger zu 2, und deren gemeinsamer Sohn, der Kläger zu 5, bezogen ab Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Wegen Einkommensbezugs setzte der Grundsicherungsträger mit Änderungsbescheid vom 26.06.2006 die Leistungen unter Aufhebung der bisherigen Bewilligungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.09.2006 neu fest und forderte mit Erstattungsbescheid vom 26.06.2006 die sich daraus für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.03.2006 ergebende Überzahlung von insgesamt 12.898,11 EUR zurück. Hiergegen erhoben die Kläger nach erfolglosem Vorverfahren (Widerspruchsbescheide vom 22.02.2008) am 27.02.2008 beim SG Klage. Der Verlauf des Ausgangsrechtsstreits gestaltete sich folgendermaßen: 1. Instanz (ursprünglich S 31 AS 958/08, später S 29 AS 958/08) 27.02.2008 Klageschrift mit Begründung, 27.03.2808 Klageerwiderung mit Verwaltungsakten, 31.03.2008 gerichtlicher Hinweis an die Kläger, 11.04.2008 Stellungnahme der Kläger zum gerichtlichen Hinweis, 05.05.2008 Stellungnahme der Kläger zur Klageerwiderung, 05.06.2008 Erwiderung des Ausgangsbeklagten, 06.06.2008 gerichtliche Anfrage bei der Arbeitsagentur, 11.06.2008 Erwiderung der Kläger und Akteneinsichtsgesuch, 16.06.2008 Verwaltungsakten an Klägerbevollmächtigte, 19.06.2008 Antwort der Arbeitsagentur, 24.06.2008 Rücklauf der Verwaltungsakten beim SG, 02.07.2008 weitere Stellungnahme der Kläger, 01.08.2008 Erwiderung des Ausgangsbeklagten, 08.04.2009 gerichtliche Anfragen an Ausgangsbeklagten und Arbeitsagentur, 28.04.2009 Äußerung des Ausgangsbeklagten, 29.04.2009 weitere gerichtliche Anfrage an Arbeitsagentur, 11.05.2009 Eingang von Leistungsakten und Vermerken der Arbeitsagentur, 12.10.2009 Erinnerung der Arbeitsagentur an Beantwortung der Anfrage, 26.10.2009 Äußerung der Arbeitsagentur, 02.08.2010 ausführliche gerichtliche Hinweise und Fragen an Ausgangsbeteiligte, 26.08.2010 Äußerung des Ausgangsbeklagten, 27.08.2010 Äußerung der Kläger, 01.10.2010 Erwiderung des Ausgangsbeklagten, 07.01.2011 Ladungsverfügung des SG, 24.01.2011 gerichtliche Hinweise an Ausgangsbeteiligte, 28.01.2011 Äußerung des Ausgangsbeklagten, 01.02.2011 Äußerung der Kläger, 01.02.2011 mündliche Verhandlung mit angenommenem Teilanerkenntnis und Urteil, 14.02.2011 Versendung des Urteils.

2. Instanz (L 3 AS 238/11) 14.03.2011 Berufungseinlegung durch die Kläger mit Prozesskostenhilfeantrag, 12.05.2011 Erinnerung an Berufungsbegründung und Prozesskostenhilfeunterlagen, 01.07.2011 Anforderung der Verwaltungsakten beim Ausgangsbeklagten, 11.07.2011 Eingang der Verwaltungsakten beim LSG, 10./25.08.2011 erneute Erinnerung an Berufungsbegründung und Prozesskostenhilfeunterlagen, 02.09.2011 Eingang von Berufungsbegründung und Prozesskostenhilfeunterlagen, 19./26.09.2011 Anforderung weiterer Prozesskostenhilfeunterlagen, 23./29.09.2011 Eingang der angeforderten Unterlagen 13.01.2012 Ergänzung der Prozesskostenhilfeunterlagen, 26.02.2013 Verzögerungsrüge (auch hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags), 08.08.2013 Aufklärungsschreiben des LSG an Ausgangsbeteiligte und Arbeitsagentur, 30.08.2013 Antwort des Ausgangsbeklagten, 17.09.2013 Antwort der Kläger, 04.02.2014 Ladungsverfügung des LSG (für 27.02.2014), 26.02.2014 Prozesskostenhilfebeschluss, 27.02.2014 mündliche Verhandlung (mit Befragung der Kläger zu 1 und 2, deren persönliches Erscheinen angeordnet war), zu weiteren Ermittlungen vertagt, 06.03.2014 Anforderung einer Entbindungserklärung der Kläger, 09.04.2014 Eingang der Entbindungserklärung, 17.04.2014 Aufklärungsschreiben des LSG (Beiziehung der Wohngeldakte, Anfrage bei sowie Erinnerung der Arbeitsagentur an die Erledigung des Aufklärungsschreiben vom August 2013, Nachfrage bei den Klägern), 09.05.2014 Eingang der Wohngeldakte, 13.05.2014 Eingang der Leistungsakte der Arbeitsagentur, 19.05.2014 beigezogene Akten an Klägerbevollmächtigte zur Einsicht, 19.05.2014 Ladungsverfügung des LSG (für Beweisaufnahmetermin am 13.06.2014), 28.05.2014 Rücklauf der Akten beim LSG, 30.05.2014 Antwort der Arbeitsagentur, 11.06.2014 Aufhebung des Beweisaufnahmetermins wegen schriftlicher Beantwortung der Beweisfragen, Leistungsakte der Arbeitsagentur an den Ausgangsbeklagten zur Einsicht, 17.06.2014 Rücklauf der Leistungsakte, 15.09.2014 Schreiben des LSG an Ausgangsbeteiligte zur Terminabstimmung für die mündliche Verhandlung, 18./19.09.2014 Antworten der Ausgangsbeteiligten, 26.09.2014 Ladungsverfügung des LSG (für 07.11.2014), 07.11.2014 mündliche Verhandlung (mit Zeugenvernehmung) und Urteil, 27.03.2015 unterschriebenes Urteil zur Geschäftsstelle, 30.03.2015 Versendung des Urteils.

Eine gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG gerichtete Beschwerde verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 11.08.2015 (B 14 AS 91/15 B).

Am 24.09.2015 haben die Kläger beim LSG Entschädigungsklage erhoben. Das Ausgangsverfahren habe einen durchschnittlichen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeitsgrad, wegen des sehr hohen Rückforderungsbetrages aber für sie – die Kläger – eine besondere Bedeutung gehabt. Das SG habe die Sache insgesamt über einen Zeitraum von mindestens 9 Monaten liegen lassen. Vor dem LSG sei es in der Hauptsache zu einer Verzögerung von mindestens 17 Monaten gekommen; eine zusätzliche Verzögerung sei durch die Nichtabsetzung des Urteils eingetreten. Über die Prozesskostenhilfeanträge habe das LSG erst mehr als 24 Monate nach Vorlage aller zur Bearbeitung erforderlicher Unterlagen entschieden; da hier lediglich eine Bedenk- und Bearbeitungsfrist von 6 Monaten gerechtfertigt gewesen sei, habe die Verzögerung 18 Monate betragen. Das Prozesskostenhilfeverfahren sei gesondert zu bewerten und auch gesondert zu entschädigen. Im erstinstanzlichen Ausgangsverfahren habe keine Verzögerungsrüge erhoben werden müssen, weil es bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) am 03.12.2011 abgeschlossen gewesen sei. Beim zweitinstanzlichen Ausgangsverfahren seien nicht nur die Zeiträume nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu berücksichtigen; denn Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG greife nicht, weil bis zum 03.12.2011 unter Berücksichtigung der dem Ausgangsgericht zustehenden Bedenkzeit eine erkennbare Verzögerung noch nicht eingetreten gewesen sei. Ihre Rechtsauffassung werde durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - bestätigt. Die Kläger beantragen, den Beklagten zu verurteilen, 1. an die Klägerin zu 1) 4.600,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 2. an den Kläger zu 2) 4.600,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 3. an die Klägerin zu 3) 4.600,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 4. an die Klägerin zu 4) 4.600,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 5. an den Kläger zu 5) 4.600,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Für das erstinstanzliche Ausgangsverfahren fehle es bereits an einer Verzögerungsrüge, obwohl diese für jede Instanz getrennt zu erheben sei. Davon abgesehen sei in der ersten Instanz auch keine überlange Verfahrensdauer festzustellen. Eine erstinstanzliche Dauer von 3 Jahren sei schon nicht überlang, zumal es sich um einen komplexen Sachverhalt und eine schwierige Rechtsmaterie gehandelt habe. Für die zweite Instanz sei zu beachten, dass es sich um ein Altverfahren gehandelt habe, das bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon anhängig gewesen sei. Da die Kläger die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜGG erhoben hätten, sondern erst mit Schriftsatz vom 26.02.2013 könne eine Verzögerung in dem vorausgehenden Zeitraum nicht Gegenstand eines Entschädigungsanspruchs sein. Nachfolgend sei keine Verzögerung eingetreten; insbesondere sei aufgrund des besonders komplexen Sachverhalts und der schwierigen Rechtsmaterie ein längerer Zeitraum für die Urteilsabsetzung zuzugestehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Senatsakte sowie der beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat teilweise Erfolg.

1. Das Begehren der Kläger ist in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zu messen, obwohl diese Vorschriften erst während des von den Klägern als überlang gerügten (Ausgangs-)Verfahrens in Kraft getreten sind. Denn die Vorschriften des ÜGG vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) und damit auch die §§ 198 ff. GVG finden aufgrund der Übergangsregelung in Art. 23 Satz 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 (vgl. Art. 24 ÜGG) anhängig waren.

2. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind sowohl die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG als auch die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt. Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Entschädigungsklage frühestens 6 Monate nach der Verzögerungsrüge erhoben werden. Diese Wartefrist haben die Kläger eingehalten. Denn ihre Verzögerungsrüge ist am 26.02.2013 beim Ausgangsgericht eingegangen und Entschädigungsklage haben sie am 25.09.2015 erhoben. Die Klageerhebung erfolgte auch innerhalb der Klagefrist. Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG muss die Entschädigungsklage spätestens 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Ausgangsverfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bei dieser sechsmonatigen Klagefrist handelt es sich um eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R – juris RdNr. 16; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R – juris RdNr. 15; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 17; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris RdNr. 18; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 256) und zugleich um eine materiell-rechtliche Ausschussfrist (BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris RdNr. 12; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 255). Die Klagefrist begann hier mit dem rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens infolge des Beschlusses des BSG vom 11.08.2015, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG verworfen wurde. Die sechsmonatige Klagefrist war folglich durch die am 25.09.2015 erhobene Entschädigungsklage gewahrt.

3. Die Klage ist teilweise begründet. Den Klägern steht für die beiden ersten Rechtszüge des Ausgangsverfahrens lediglich eine Entschädigung in Höhe von jeweils 2.300,00 EUR (insgesamt 11.500,00 EUR) zu und nicht – wie von ihnen gefordert – eine Entschädigung in Höhe von 4.600,00 EUR je Kläger (insgesamt 23.000,00 EUR).

a) Die Kläger haben die erforderliche Verzögerungsrüge erhoben.

Aus der Regelung in § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass die Verzögerungsrüge materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs ist. Denn nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Dabei ist unter dem mit der Sache befassten Gericht die jeweilige Instanz des Ausgangsverfahrens zu verstehen. Denn nach § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge, wenn sich das Verfahren bei einem "anderen Gericht" weiter verzögert; wobei ein "anderes Gericht" insbesondere ein höheres Gericht im Instanzenzug ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 21). Daher ist in jeder Instanz eine Verzögerungsrüge zu erheben. Und die in einer Instanz nicht ordnungsgemäß erhobene Verzögerungsrüge führt zu einer materiell-rechtlichen Präklusion des Entschädigungsanspruchs wegen überlanger Verfahrensdauer für diese Instanz. Für Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG abgeschlossen oder bereits anhängig waren, gilt allerdings die Besonderheit, dass die Verzögerungsrüge nicht allein in § 198 Abs. 3 GVG geregelt ist, sondern auch in der Übergangsbestimmung des Art. 23 ÜGG. Danach ist unter Umständen eine Verzögerungsrüge entbehrlich (Art. 23 Satz 4 ÜGG) oder ihre verspätete Erhebung führt zu einer weitergehenden materiell-rechtlichen Präklusion (Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG).

Für das erstinstanzliche Ausgangsverfahren war im vorliegenden Fall eine Verzögerungsrüge nicht erforderlich. Denn nach Art. 23 Satz 4 ÜGG bedarf es bei einem Verfahren, das bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängig war, keiner Verzögerungsrüge, wenn die Verzögerung in einer bereits abgeschlossenen Instanz erfolgt ist (näher dazu BT-Drucks 17/3802, S. 31; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr. 14). Hier war bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 das seit dem 27.02.2008 anhängige Ausgangsverfahren in erster Instanz mit dem Urteil des SG vom 01.02.2011, das den Klägern am 16.02.2011 zugestellt wurde, bereits abgeschlossen.

Für die zweite Instanz bedurfte es dagegen einer Verzögerungsrüge, da diese Instanz am 03.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und damit nicht unter die Ausnahmeregelung in Art. 23 Satz 4 ÜGG fiel. Allerdings griff für diese Instanz auch nicht Art. 23 Satz 2 ÜGG. Danach gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert waren, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss; wobei eine Verzögerungsrüge "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGG erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG erfolgt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 25 ff.; Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 20.08.2014 - X K 9/13 - juris RdNr. 23; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 22; Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 25). Wird in einem solchen Fall die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben, sind sowohl eine Entschädigung als auch eine Wiedergutmachung auf andere Weise für Zeiten bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris RdNr. 17; ebenso BGH, Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 27 ff.; Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 14; BFH, Urteil vom 20.08.2014 - X K 9/13 - juris RdNr. 20). Art. 23 Satz 2 ÜGG gilt allerdings nicht für alle bei Inkrafttreten des ÜGG anhängige Verfahren (insoweit missverständlich BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris Leitsatz 1; Urteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris Leitsatz 1), sondern nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nur für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG schon verzögert waren. Ob eine rügepflichtige Verzögerung schon eingetreten war, bestimmt sich wie in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG danach, ob bereits Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Dies war hier für das zweitinstanzliche Ausgangsverfahren in dem dafür maßgeblichen Zeitpunkt (Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011) nicht der Fall. Zwar war die Berufung bereits am 14.03.2011 eingelegt worden. Da die dafür angekündigte Begründung aber erst nach mehreren gerichtlichen Erinnerungen am 02.09.2011 beim LSG einging, bestand in den ersten 6 Monaten des zweitinstanzlichen Ausgangsverfahrens noch kein Anhaltspunkt für eine verzögerte Behandlung durch das Ausgangsgericht. Der September 2011 war von Nachfragen zu den mit der Berufungsbegründung vorgelegten Prozesskostenhilfeunterlagen geprägt. Erst ab Oktober 2011 ist eine Inaktivität des Gerichts festzustellen, die ex post bis Juli 2013 dauerte. Hierauf kommt es aber nicht an, da § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG eine Prognoseentscheidung erfordert (Marx in: ders./Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG RdNr. 125). Bei der gebotenen ex ante-Betrachtung war am 03.12.2011 eine unangemessene Verfahrensdauer für die zweite Instanz noch nicht absehbar, zumal das LSG damals noch mit der vom Ausgangsbeklagten angeforderten Berufungserwiderung rechnen durfte. In Fällen, in denen – wie hier – ein bei Inkrafttreten des ÜGG anhängiges Verfahren noch nicht verzögert war, greift für die Verzögerungsrüge nicht die Sonderregelung in Art. 23 Sätze 2 und 3 ÜGG, sondern gilt die allgemeine Regelung in § 198 Abs. 3 GVG (Schmidt, NVwZ 2015, 1710, 1711; in Ergebnis ebenso BVerwG, Urteil vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr. 30).

b) Das Ausgangsverfahren war von unangemessener Dauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG. Insgesamt liegt eine entschädigungspflichtige Überlänge von 23 Monaten vor – und nicht von 46 Monaten, wie die Kläger meinen.

Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (Satz 1). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (Satz 2). Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer bildet die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Rechts der Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben (BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 25; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 23; siehe aber auch BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 26 f.). Bei Gerichten des Freistaates Sachsen ist ebenso das in Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Sächsische Verfassung (SächsVerf) verankerte Recht auf ein gerechtes, zügiges und öffentliches Verfahren und die dazu ergangene Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs (SächsVerfGH) zu berücksichtigen.

Die Angemessenheitsprüfung erfolgt in drei Schritten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris RdNr. 24 ff.; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris RdNr. 28 ff.; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 30 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 33 ff.): - Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist (zu letzterem BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 17). Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 34). - In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist (BGH, Urteil vom 12.02.2015 - III ZR 141/14 - juris RdNr. 26; Urteil vom 13.03.2014 - III ZR 91/13 - juris RdNr. 34; ähnlich BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 43). - Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei billigt das BSG den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten je Instanz zu, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt (dazu näher BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 43 ff.).

(1) Die relevante Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens betrug 85 Monate.

Das Ausgangsverfahren begann mit der Klageerhebung am 27.02.2008 und endete mit der Zustellung des Beschlusses des BSG vom 11.08.2015, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG vom 07.11.2014 verworfen wurde. Davon hat die Zeit nach Zustellung des LSG-Urteils am 31.03.2015 außer Betracht zu bleiben, da sich die Entschädigungsklage ausdrücklich auf die ersten beiden Instanzen des Ausgangsverfahrens beschränkt und sich hinsichtlich der dritten Instanz weder gegen den richtigen Beklagten (nach § 200 Satz 2 GVG der Bund) richtete noch beim zuständigen Gericht (nach § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 2 GVG das BSG) angebracht wäre.

Relevant ist auch der Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge (26.02.2013), da – wie bereits ausgeführt – weder in erster noch in zweiter Instanz ein Fall des Art. 23 Satz 2 ÜGG vorliegt. Es kommt hier daher nicht darauf an, dass in Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜGG der Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge keine Relevanz entfaltet, weil die Versäumung der Rügefrist und die hierdurch eintretende Präklusionswirkung des Art. 23 Satz 3 ÜGG zur Folge haben, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer vom Entschädigungsgericht nicht mehr überprüft wird (BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 34; Urteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris RdNr. 17).

(2) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist zunächst festzustellen, dass dieses einen leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Im Ausgangsverfahren stellten sich zwar keine schwierigen rechtlichen Fragen. Es wies aber aufgrund der zugrunde liegenden Bescheidlage und wegen eventuell erforderlicher Zeugenvernehmungen eine gewisse Komplexität auf. Denn Gegenstand des Ausgangsverfahrens war nicht allein ein Erstattungsbescheid über insgesamt 12.898,11 EUR, sondern auch ein Änderungsbescheid, mit dem der Ausgangsbeklagte unter Aufhebung der vorhergehenden Bewilligungen mit Bescheiden vom 03.11.2004, 16.06.2005, 18.08.2005, 22,09.2005, 15.12.2005, 21.02.2006, 05.04.2006 und 03.05.2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.09.2006, mithin für mehrere Bewilligungszeiträume (nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Regel 6 Monate), neu festsetzte – und dies bei einer fünfköpfigen Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglieder über schwankende Einkommen verfügten.

Die Bedeutung des Verfahrens war dagegen eher unterdurchschnittlich. Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - juris RdNr. 29). Aus diesem Grunde wird existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beigemessen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 39) – wobei eine Klage auf Grundsicherungsleistungen nicht allein deshalb weniger bedeutsam und dringlich ist, weil sich der Kläger nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht hat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 29; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris RdNr. 33). Im vorliegenden Fall waren zwar existenzsichernde Leistungen Gegenstand des Ausgangsverfahrens. Es ging dabei aber nicht um deren erstmalige Bewilligung, sondern im Wesentlichen um die Abänderung bereits erfolgter Bewilligungen und die Erstattung der daraus resultierenden Überzahlungen. Steht im Mittelpunkt eines Verfahrens die Abwehr von Erstattungsforderungen eines Leistungsträgers, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene kein besonderes Interesse an einer raschen gerichtlichen Entscheidung hat, wenn seine Klage aufschiebende Wirkung hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 47, wo aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls gleichwohl eine besondere Bedeutung angenommen wurde). Denn in wirtschaftlicher Hinsicht hat der Betroffene aufgrund des Suspensiveffekts seiner Klage sein Ziel vorläufig bereits erreicht. Sollte der Betroffene gleichwohl ein besonderes Interesse an der raschen endgültigen Klärung seiner Erstattungspflicht haben, müsste er darauf in dem Ausgangsverfahren hinweisen (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG). Ist dies – wie hier – nicht erfolgt, ist selbst bei der Rückforderung existenzsichernder Leistungen grundsätzlich von einer eher unterdurchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens auszugehen.

Das prozessuale Verhalten der Beteiligten des Ausgangsverfahrens hat vor allem durch die späte Vorlage der Berufungsbegründung (am 02.09.2011 nach Berufungseinlegung am 14.03.2011) zur Verzögerung beigetragen. Die Kläger haben im Ausgangsverfahren zwar nicht zum Ausdruck gebracht, ein besonderes Interesse an einer raschen Entscheidung des Gerichts zu haben. Umgekehrt hat ihr Verhalten aber auch nicht den Eindruck erweckt, eine zügige Verfahrenserledigung habe für sie nicht im Vordergrund gestanden. Allein der Umstand, dass die Berufung erst auf Erinnerung durch das Gericht begründet wurde, lässt den Schluss auf ein fehlendes Interesse an einer zeitnahen gerichtlichen Entscheidung nicht zu.

§ 198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art. 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 41). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche und personelle Ausstattung der Justiz generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG aus, wiegt der daraus resultierende Grundrechtsverstoß vielmehr besonders schwer (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.08.2013 - 1 BvR 2965/10 - juris). Damit kommt eine Rechtfertigung von Verzögerungen bei strukturellen Mängeln, wie eine Überlastung der Gerichte oder anderen in den Verantwortungsbereich des Staates fallenden Umständen, nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris RdNr. 47; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 43).

Im hiesigen Ausgangsverfahren betrug die gerichtliche Inaktivität in der ersten Instanz 20 Monate und in der zweiten Instanz 27 Monate, insgesamt also 47 Monate:

- In erster Instanz wurde das Verfahren vom SG von der Klageerhebung (27.02.2008) bis August 2008 betrieben, am 31.03.2008 erging sogar ein richterlicher Hinweis. Nach Stellungnahmen und Erwiderungen der Ausgangsbeteiligten hierauf geriet das Verfahren allerdings im August 2008 für 7 Monate ins Stocken. Im April 2009 wurde das SG wieder mit Anfragen an den Ausgangsbeklagten und die Arbeitsagentur tätig. Während sich der Ausgangsbeklagte noch im April 2009 äußerte, reagierte die Arbeitsagentur zunächst nicht. Bis Anfang Juli 2009 durfte das SG noch mit einer Antwort der Arbeitsagentur rechnen, ohne diese bereits daran erinnern zu müssen. Anders verhält es sich ab August 2009. Da die Erinnerung erst im Oktober 2009 erfolgte, stellen die 2 Monate davor (August und September 2009) eine Verzögerung dar, die dem SG zuzurechnen ist. Da das SG die Antwort der Arbeitsagentur im Oktober 2009 an die Ausgangsbeteiligten nur zur Kenntnis übersandt und folglich mit keiner Stellungnahme gerechnet hatte, geriet das Verfahren ab November 2009 erneut ins Stocken – diesmal für 9 Monate. Diese gerichtliche Inaktivität endete am 02.08.2010 mit ausführlichen richterlichen Hinweisen und Fragen an die Ausgangsbeteiligen. Nach deren Beantwortung und der Stellungnahme der jeweiligen Gegenseite dazu bis Oktober 2010 ist von November 2010 bis Dezember 2010 wieder eine 2 Monate dauernde Untätigkeit des SG zu verzeichnen, bevor am 07.01.2011 der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 01.02.2011 bestimmt wurde. Weitere Verzögerungen sind in erster Instanz nicht mehr eingetreten. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2011 verkündete Urteil wurde nach seiner Absetzung am 14.02.2011 von der Geschäftsstelle an die Beteiligten des Ausgangsverfahrens abgesandt.

- In zweiter Instanz hat – wie bereits erwähnt – zunächst die späte Vorlage der angekündigten Berufungsbegründung am 02.09.2011 (nach Berufungseinlegung am 14.03.2011) zur Verzögerung beigetragen, die allerdings nicht dem LSG anzulasten ist, das die Kläger wiederholt an die Begründung erinnert hat. Im Oktober und November 2011 durfte das LSG noch, ohne den Ausgangsbeklagten daran erinnern zu müssen, mit dessen Berufungserwiderung rechnen. Ab Dezember 2011 geriet das Verfahren dann aber bis Juli 2013, mithin für 20 Monate, ins Stocken. Die gerichtliche Inaktivität wurde in diesem Zeitraum auch nicht durch die Kenntnisnahme der Verzögerungsrüge der Kläger vom 26.02.2013 unterbrochen. Im August 2013 richtete das LSG ein Aufklärungsschreiben an die Beteiligten des Ausgangsverfahrens und die Arbeitsagentur. Während die Ausgangsbeteiligten bis September 2013 antworteten, reagierte die Arbeitsagentur nicht. Auf deren Antwort durfte das LSG im Oktober und November 2013 noch ohne Erinnerung warten. Das weitere Zuwarten ab Dezember 2013 ist jedoch als gerichtliche Inaktivität zu werten, die bis Januar 2014, mithin 2 Monate, dauerte. Ab Februar 2014 betrieb das LSG das Verfahren wieder mit Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung und – nach deren Vertagung – weiteren Ermittlungen bis Juni 2014. Anschließend war das LSG von Juli 2014 bis August 2014 erneut 2 Monate untätig. Im September 2014 erfolgte die Ladung zu der abschließenden mündlichen Verhandlung vom 07.11.2014. Das in diesem Termin nach Zeugenvernehmung verkündete Urteil gelangte erst am 27.03.2015 vollständig abgesetzt und unterschrieben zur Geschäftsstelle. Während sich die Absetzung eines Urteils innerhalb von 2 Monaten nach Verkündung mit Blick auf § 134 Abs. 2 Satz 1 SGG noch im entschädigungsrechtlich unschädlichen zeitlichen Rahmen hält (LSG, Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.12.2015 - L 12 SF 1/15 EK VE WA - juris RdNr. 86), ist dies bei den hier darüber hinausgehenden 3 Monaten nicht mehr der Fall; Besonderheiten, die eine längere Absetzdauer rechtfertigen könnten, sind hier nicht erkennbar.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist das zweitinstanzliche Nebenverfahren über die Prozesskostenhilfe (insgesamt 35 Monate, davon 24 Monate gerichtliche Inaktivität nach Vorlage aller Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Zwar haben in der Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausdrückliche Erwähnung gefunden. Deren exemplarische Nennung ist nach den Gesetzesmaterialien ihrer Bedeutung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes geschuldet (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 23). Während Art. 6 EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR nicht auf die Prozesskostenhilfe anwendbar ist, weil es bei dieser an einer Entscheidung in der Sache fehle, garantiert Art. 19 Abs. 4 GG den Zugang zu den Gerichten, der für jedermann grundsätzlich in gleicher Weise möglich sein muss (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 42). Bei einem isolierten Prozesskostenhilfeverfahren ohne Hauptsacheverfahren handelt es sich sicher um ein entschädigungsrechtlich eigenständiges Gerichtsverfahren. Anders verhält es sich bei einem Prozesskostenhilfeantrag während eines laufenden Hauptsacheverfahrens. Dessen Bearbeitung kann zwar das Hauptsacheverfahren verzögern, hier darf es aber nicht zu einer "Doppelentschädigung" kommen (Schlick, WM 2016, 485, 489). Denn ist tragender Grund für die ausdrückliche Erwähnung der Prozesskostenhilfeverfahren in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG die von Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutzgleichheit, so können entschädigungsrechtlich auch nur die durch eine verspätete Bewilligung von Prozesskostenhilfe bewirkten Verzögerungen des Hauptsacheverfahrens relevant sein – wie etwa, wenn eine Stellungnahme in der Hauptsache von der rechtskundigen Vertretung durch einen im Wege der Prozesskostenhilfe noch beizuordnenden Rechtsanwalt abhängig gemacht wird. Hat es – wie hier – solche Verzögerungen nicht gegeben, gibt es ausgehend von dem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG (zu diesem Gedanken: BGH, Urteil vom 21.05.2014 - III ZR 355/13 - juris RdNr. 11) keinen Grund für eine auf eine Doppelentschädigung hinauslaufende zusätzliche Berücksichtigung der Dauer des Prozesskostenhilfeverfahrens (anderer Ansicht: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 59; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.04.2016 - L 10 SF 1/14 EK - juris RdNr. 28 ff. – noch weitergehend dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.02.2016 - L 37 SF 360/13 EK AS - juris RdNr. 88 ff.).

(3) Die abschließende Gesamtabwägung ergibt eine entschädigungspflichtige Überlänge von 23 Monaten.

Grundsätzlich ist jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 27 und 45 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 33). Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 46). Die Zeitspanne von 12 Monaten ist zwar regelmäßig zu akzeptieren; nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalls kann aber ausnahmsweise eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 50). Dies gilt insbesondere bei überdurchschnittlich langer Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens; denn je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich die Pflicht des Ausgangsgerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 32). Im vorliegenden Fall könnte zwar erwogen werden, aufgrund der eher unterdurchschnittlichen Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Kläger dem Ausgangsgericht erster Instanz eine längere Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen. Umgekehrt müsste dann aber in Anbetracht der Gesamtdauer des Verfahrens dem Ausgangsgericht zweiter Instanz eine kürzere Zeitspanne zugestanden werden. Da sich dies gegenseitig aufhebt, erscheint es angemessen, bei der Zeitspanne von 12 Monaten je Instanz zu bleiben. Wird diese von den Zeiten gerichtlicher Inaktivität in der ersten Instanz (20 Monate) und zweiten Instanz (27 Monate) abgezogen, ergibt sich eine entschädigungspflichtige Überlänge des Ausgangsverfahrens insgesamt von 23 Monaten in beiden Tatsacheninstanzen.

Weitere Abzüge sind nicht mit Blick auf das Urteil des BFH vom 06.04.2016 (X K 1/15 - juris) vorzunehmen. Darin hat der BFH entschieden, dass durch eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge der Anspruch auf Entschädigung der durch die überlange Verfahrensdauer erlittenen Nachteile auf einen Zeitraum begrenzt werde, der im Regelfall 6 Monate vor Erhebung der Rüge umfasse (a.a.O. RdNr. 40 ff.). Zwar sei in § 198 Abs. 3 GVG – anders als in Art. 23 ÜGG – ausdrücklich nur geregelt, wann die Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden dürfe, nicht jedoch, wann sie spätestens erhoben werden müsse; auch sprächen die Gesetzesmaterialien gegen einen Endtermin, wie BGH (Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 31) und BSG (Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 24) bereits – allerdings in obiter dicta – entschieden hätten. Doch ließe eine unbeschränkt zurückwirkende Verzögerungsrüge den präventiven Aspekt des Gesetzeszwecks leerlaufen und lüde zu dem vom Gesetzgeber missbilligten "dulde und liquidiere" (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 20, 35, 41 und 43) ein. Um den nur schwer fassbaren Zeitraum eines unzulässigen "Duldens und Liquidierens" durch eine Vermutungsregel zu typisieren, erscheine für den Regelfall ein Zeitraum von gut 6 Monaten, für den eine Verzögerungsrüge zurückwirke, als angemessen und zumutbar.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Erwägungen des BFH lassen sich nicht nur schwer mit der Rechtsprechung von BGH und BSG vereinbaren, sondern stehen auch in einem Spannungsverhältnis zu dem Urteil des BVerwG vom 29.02.2016 (5 C 31/15 D - juris). Dort wurde eine Entschädigung für die gesamte unangemessene Dauer vor der Verzögerungsrüge zugesprochen (a.a.O. RdNr. 33) – und zwar bei einer Überlänge des zweitinstanzlichen Ausgangsverfahrens von 6 Monaten und einer Verzögerungsrüge knapp 4 Monate vor Verfahrensabschluss (vgl. a.a.O. RdNr. 41). Je nachdem, ob der vom BVerwG dem Ausgangsgericht zugebilligte Gestaltungsspielraum von 5 Monaten am Anfang oder am Ende der 11 Monate von der Entscheidungsreife bis zum Verfahrensabschluss verortet wird, weicht der BFH von tragenden Erwägungen eines anderen obersten Gerichtshofes des Bundes ab oder nicht. Die Auffassung des BFH überzeugt aber auch in der Sache nicht. Wenn der BFH schon den Präventionszweck der Verzögerungsrüge so sehr hervorhebt, dürfte die Verzögerungsrüge überhaupt keine Rückwirkung entfalten. Dies soll aber für 6 Monate durchaus der Fall sein. Der dafür herangezogene § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG enthält zwar eine 6-Monats-Frist (für die Wiederholung der Verzögerungsrüge), spricht aber beim näheren Zusehen gegen Rückwirkungsbeschränkungen (vgl. Marx in: ders./Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG RdNr. 135). Denn in dieser Bestimmung kommt wie auch in § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG das gesetzgeberische Ziel zum Ausdruck, keinen Anreiz für verfrühte Verzögerungsrügen zu schaffen. Dem Missbrauch durch verfrühte Verzögerungsrügen tritt das Gesetz mit scharf sanktionierten Fristen (unheilbare Unwirksamkeit) trotz weicher Definition ihres Beginns (Anlass zur Besorgnis unangemessener Verfahrensdauer) entgegen (dazu dass eine verfrühte Verzögerungsrüge unwirksam ist und dies auch bleibt, wenn später tatsächlich eine Verfahrensverzögerung eintritt: Bayerisches LSG, Urteil vom 19.02.2015 - L 8 SF 353/13 EK - juris RdNr. 35 m.w.N.). Wird so die Geduld der Verfahrensbeteiligten eingefordert, darf diese aber auch nicht bestraft werden (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 41). Dies bedeutet nicht, dass bewusst spät eingelegte Verzögerungsrügen keinen Missbrauch darstellen können (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 41). Starre Fristen lassen sich daraus aber nicht ableiten.

Im Übrigen lässt sich die Auffassung des BFH nur schwer mit der Rechtsprechung des BSG vereinbaren, wonach die 12-monatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit über die gesamte Instanz verteilt werden kann (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 46). Im vorliegenden Fall wurde das Ausgangsverfahren in zweiter Instanz von Dezember 2011 bis Juli 2013, von Dezember 2013 bis Januar 2014, von Juli 2014 bis August 2014 sowie von Januar 2015 bis März 2015 nicht angemessen betrieben und die Verzögerungsrüge im Februar 2013 erhoben. Setzte man die gesamte 12-monatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit am Anfang dieser gerichtlichen Inaktivität an (nämlich von Dezember 2011 bis November 2012), könnte die Verzögerungsrüge nichts präkludieren, wenn sie 6 Monate zurückwirkt (also auf die Zeit ab August 2012). Setzte man die Vorbereitungs- und Bedenkzeit dagegen am Ende der gerichtlichen Inaktivität an (nämlich von März 2015 bis Januar 2015, vom August 2014 bis Juli 2014, von Januar 2014 bis Dezember 2013 und von Juli 2013 bis März 2013), könnte in zweiter Instanz nur noch für 7 Monate (August 2012 bis Februar 2013) Entschädigung beansprucht werden. Ähnliche Probleme können für den BFH nicht entstehen, da dieser – anders als das BSG – dem Ausgangsgericht einen Karenzzeitraum von 2 Jahren am Anfang des Verfahrens zugesteht (vgl. BFH, Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris RdNr. 67 ff.; Urteil vom 02.12.2015 - X K 7/14 - juris RdNr. 22 ff.).

c) Den Klägern ist gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für jeden Monat der unangemessen Verfahrensdauer für die von ihnen erlittenen immateriellen Nachteile eine Entschädigung in Geld von 100,00 EUR monatlich zuzusprechen, da weder eine Abweichung von dieser gesetzlichen Pauschale geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) noch die Nachteile auf andere Weise wieder gutgemacht werden können (§ 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 GVG).

(1) Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch (bloße) gerichtliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer, ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung des Nichtvermögensschadens auf andere Weise nach § 198 Abs. 4 GVG scheidet hier aus. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG kann das Entschädigungsgericht die bloße Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens aussprechen, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind; davon umfasst sind vor allem die Fälle, in denen eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge zu früh oder gar nicht erhoben wurde (BT-Drucks. 17/3802, S. 22). Sind dagegen alle Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch erfüllt, kommt eine Kompensation des Nichtvermögensschadens durch die bloße Feststellung der Überlänge nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 43 ff.). Dies ist hier indessen trotz der in Bezug auf den Zeitablauf eher unterdurchschnittlichen Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Kläger nicht der Fall.

(2) Ebenso wenig liegt ein Ausnahmefall vor, für den § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Möglichkeit eröffnet, von der Pauschale des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG (1.200,00 EUR je Jahr bzw. 100,00 EUR je Monat der Verzögerung) nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 53). Mehr als ausnahmsweise Korrekturen in atypischen Sonderfällen lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen; das zu beurteilende Ausgangsverfahren muss sich folglich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36 ff.).

Eine Abweichung von der Pauschale des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG kann auch geboten sein, wenn die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der Kläger auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruht und sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG ausdrückt (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 42). Zwar können strukturelle Mängel eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris RdNr. 47; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 43). Denn im Rahmen von § 198 GVG kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht darauf an, ob dem Richter des Ausgangsverfahrens ein Schuldvorwurf zu machen ist (BT-Drucks. 17/3802 S. 19; vgl. auch BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 42). Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 EMRK verankerten Rechts des Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 25; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 27/12 D - juris RdNr. 30; BGH, Urteil vom 14.11.2013 - III ZR 376/12 - juris RdNr. 47). Das haftungsbegründende Versagen des Staates in seiner Funktion als Justizgewährungsgarant setzt keine vorwerfbare Säumnis des Gerichts voraus, sondern kann auch auf strukturellen Problemen beruhen, auf die der Richter keinen Einfluss hat (BT-Drucks. 17/3802 S. 16). Daher kann sich der Staat zur Rechtfertigung von Verzögerungen nicht auf Umstände berufen, die – wie die Überlastung einer Gerichtsbarkeit, eines Gerichts oder eines Spruchkörpers, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation – in den staatlichen Verantwortungsbereich fallen (BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Vielmehr muss der Staat sich solche strukturelle Mängel zurechnen lassen und hat sie zu beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2015 - 5 C 5/14 D - juris RdNr. 43; Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1.13 D - juris RdNr. 28; Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 43).

Eine strukturelle Überlastung der Justiz kann aber eine höhere Entschädigung gebieten, wenn sie Ausdruck einer generellen Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG ist, weil der resultierende Grundrechtsverstoß dann besonders schwer wiegt (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 42). Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Es ist Aufgabe des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Bund und Ländern obliegt es jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich, für eine hinreichende personelle und sächliche Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 13.08.2012 - 1 BvR 1098/11 - juris RdNr. 19; Beschluss vom 12.12.1973 - 2 BvR 558/73 - juris RdNr. 27). Die Pflicht, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können, ergibt sich nicht allein aus Art. 19 Abs. 4 GG (dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.11.2010 - 1 BvR 3389/08 - juris RdNr. 82; Kammerbeschluss vom 29.03.2005 - 2 BvR 1610/03 - juris RdNr. 13; Kammerbeschluss vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03 - juris RdNr. 10). Diese Pflicht folgt für den Freistaat Sachsen vielmehr auch aus dem in Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf normierten Recht auf ein zügiges Verfahren, das sowohl den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz konkretisiert (SächsVerfGH, Beschluss vom 27.05.2010 - Vf. 21-IV-10 - juris RdNr. 3; Beschluss vom 28.06.2006 - Vf. 23-IV-06 - juris RdNr. 8) als auch dem Art. 6 EMRK ähnelt (Müller, SächsVerf, Art. 78 Anm. 4). Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf richtet sich nicht allein an den Richter, sondern an die gesamte öffentliche Gewalt (SächsVerfGH, Beschluss vom 25.09.2009 - Vf. 22-IV-09 - juris RdNr. 17). Wie bei dem textgleichen Art. 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg gilt: Das Recht auf ein zügiges Verfahren bindet nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch Legislative und Exekutive, es unterliegt auch keinem Finanzierungsvorbehalt; das bedeutet, Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber haben die Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch die Organisation der Gerichtsbarkeit und ihre personelle und sächliche Ausstattung sicherzustellen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2012 - 54/11 - juris RdNr. 28; Urteil vom 17.12.2009 - 30/09 - juris RdNr. 20). Auch aus Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf folgt unmittelbar die Pflicht des Freistaates Sachsen, die Gerichte mit den erforderlichen personellen und sächlichen Kapazitäten auszustatten (vgl. Meissner in: Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, § 16 RdNr. 19). Eine Pflicht zur optimalen Ausstattung folgt allerdings aus Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf ebenso wenig wie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Aus dem Anspruch auf zeitgerechten Rechtsschutz folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG oder Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (BFH, Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris RdNr. 54; BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 44). Vielmehr sind je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten der Beteiligten gewisse Wartezeiten zuzumuten. Aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren ist im Grundsatz davon auszugehen, dass die persönliche und sächliche Ausstattung der Sozialgerichte einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln usw.) so geregelt sein muss, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 45).

Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturelle Überlastung des Sächsischen LSG beruht, in der sich eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf ausdrückt. Beim Sächsischen LSG klafft seit 2011 eine Lücke zwischen dem Richter-Personalbedarf (nach Eingängen) und dem Richter-Personalbestand von etwa 5 Arbeitskraft-Anteilen (AKA). Nach der Statistik "Sozialgerichtsbarkeit: Entwicklung Personalbedarf/Personalbestand", die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war, entwickelten sich Personalbestand und -bedarf am Sächsischen LSG folgendermaßen (jeweils zum 31.12. eines Jahres): 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Ist-Richter (Personen) 25 24 26 24 28 30 31 31 Ist-Richter (AKA) 24,50 23,50 25,00 23,50 27,50 29,45 30,50 30,50 Richter-Personalbedarf (AKA) 25,12 26,31 26,68 31,42 31,23 37,66 35,43 35,66 Daraus ergibt sich ein Fehlbestand von 0,62 2,81 1,68 7,92 3,73 8,21 4,93 5,16 AKA im jeweiligen Jahr, mithin seit 2011 von im Durchschnitt mehr als 5 AKA im Jahr. Es hat zwar einen Zuwachs an Richtern gegeben, der aber mit dem Anstieg der Eingänge nicht annähernd mitgehalten hat. Infolgedessen sind ausweislich der Statistik "Sächsisches LSG: Entwicklung Eingang – Erledigung – Bestand", die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, die Bestände am Sächsischen LSG seit 2011 stark angeschwollen: 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Eingang 2575 2690 2695 3212 3550 4479 3850 3817 Erledigung 2802 2586 2492 2670 2996 3880 3502 3438 Bestand 2782 2836 3043 3586 4141 4740 5090 5469 Kennzeichnend für hohe Bestände ist die Behandlung des Ausgangsverfahrens in zweiter Instanz. Die dortigen Verzögerungen rühren in erster Linie daher, dass das Verfahren durch das Gericht in den ersten 2 Jahren nach der Berufungsbegründung praktisch nicht betrieben wurde. Im erstinstanzlichen Verfahren kam es hingegen zu wiederholten Stockungen, die vor allem dem mehrfachen Wechsel des zuständigen Richters geschuldet waren, der wiederum Kehrseite der numerisch besseren Personalausstattung des SG unter – naturgemäß zeitlich befristetem – Einsatz von Proberichtern war. Dass der Freistaat Sachsen zu einer vorausschauenden Personalpolitik durchaus in der Lage ist, zeigt der Blick auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit: Für den erwarteten Anstieg von Asylverfahren war im Juli 2015 von der Staatsregierung beschlossen worden, 20 zusätzliche Richterstellen an den Verwaltungsgerichten – mithin 6 komplette Asylkammern – befristet für 5 Jahre zur Verfügung zu stellen (https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/198573?page=10); nach Bewilligung durch den Sächsischen Landtag konnten davon 10 Richter bis Anfang 2016 ihren Dienst aufnehmen (https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/201231?page=15). Darüber hinaus hat das Kabinett im Juni 2016 beschlossen, zur Erleichterung des Generationenwechsels in der sächsischen Justiz je 10 Stellen für Richter und Staatsanwälte in den Jahren 2017 und 2018 befristet auf 10 Jahre zu schaffen (https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/204323?page=2). Ein Konzept, die Folgen der seit längerem ungenügenden Personalausstattung am Sächsischen LSG zu bewältigen, gibt es indessen nicht – und dies, obwohl – wie ausgeführt – das Recht auf ein zügiges Verfahren aus Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf auch den Haushaltsgesetzgeber bindet und keinem Finanzierungsvorbehalt unterliegt. Sicher muss nicht auf jeden Anstieg von Eingängen in einer Gerichtsbarkeit sofort mit der Schaffung zusätzlicher Richterstellen reagiert werden. Stabilisieren sich aber bei einem Gericht die Eingänge nach mehreren Jahren auf hohem Niveau und sind zugleich in der Zwischenzeit erhebliche Bestände aufgelaufen, spricht alles dafür, dass das zuständige Ministerium und der Haushaltsgesetzgeber zum Handeln verpflichtet sind. Verzichten diese – wie hier hinsichtlich des Sächsischen LSG – auf jegliches Konzept zur Bewältigung der strukturellen Überlastung des Gerichts, bestehen Anhaltspunkte für eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf in dem betreffenden Bereich. Trotz dieser Anhaltspunkte geht der Senat im vorliegenden Fall noch davon aus, dass eine Erhöhung des Regelbetrags des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für die Verzögerungen im zweitinstanzlichen Ausgangsverfahren nicht gerechtfertigt ist.

(3) Die Entschädigung ist jedem der Kläger zu zahlen. Denn der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Der Entschädigungsanspruch ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht in Fällen einer subjektiven Klagehäufung jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person einzeln zu (BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris RdNr. 36 ff.; BFH, Urteil vom 04.06.2014 - X K 12/13 - juris RdNr. 47; Urteil vom 02.12.2015 - X K 6/14 juris RdNr. 48 – anderer Ansicht Wehrhahn, SGb 2013, 61, 66, der bei Bedarfsgemeinschaften generell nur eine anteilige Entschädigung zubilligen möchte).

d) Der zuerkannte Entschädigungsbetrag ist jeweils ab Eintritt der Rechtshängigkeit – hier am 24.09.2015 – in entsprechender Anwendung der § 288 Abs. 1, § 291 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (vgl. BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 54).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1, § 159 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), § 100 Zivilprozessordnung (ZPO). Da die Kläger keine notwendigen Streitgenossen sind, haften sie nicht nach § 159 Satz 2 VwGO als Gesamtschuldner, sondern nach § 100 ZPO nach Kopfteilen.

5. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3, § 39 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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