L 8 SB 4317/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 1641/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4317/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.09.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Feststellung des Merkzeichens G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Bei dem 1965 geborenen Kläger hatte das Landratsamt Z. – Versorgungsamt – (LRA) zuletzt einen GdB von 50 seit 16.04.2009 festgestellt [Bescheid vom 24.07.2009, Bl. 131/132 der Verwaltungsakten des Beklagten (VA)]. Dem lagen die Funktionsbeeinträchtigungen - Depression, Teil-GdB 50, - Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, Knorpelschäden am Kniegelenk, Teil-GdB 20, - Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar), Teil-GdB 10 und - chronische Magenschleimhautentzündung, Teil-GdB 10 zugrunde (versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. A.-F. vom 11.07.2009, Bl. 128/129 VA).

Am 19.09.2013 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens G. Zur Begründung führte er Depressionen/starke Kopfschmerzen, Knieschmerzen, Rückenschmerzen, Diabetes, Asthma/Atemwege und Magen an und legte den Bericht der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Kreiskrankenhauses S. vom 22.04.2013 (Bl. 139/143 VA) sowie eine Bescheinigung des Therapiezentrums M. vom 02.09.2013 über einen stationären Rehabilitationsaufenthalt (Bl. 144 VA) vor.

Das LRA zog den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik Bad H. GmbH vom 18.08.2011 (Bl. 146/153 VA), den Bericht des Facharztes für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. R. vom 14.11.2012 (Bl. 154 VA), den Bericht des Kreiskrankenhauses S. vom 05.03.2013 (Bl. 155/156 VA) sowie den Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 08.10.2013 (Bl. 157 VA) bei.

Der Versorgungsarzt Dr. Z. bewertete in der Stellungnahme vom 16.01.2014 (Bl. 159/160 VA) nach Auswertung der medizinischen Unterlagen abweichend von der bisherigen Bewertung den Diabetes mellitus mit einem Teil-GdB von 20 und den Gesamt GdB mit 60. Eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Bronchialasthma seien nicht nachgewiesen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G sei nicht gegeben.

Das LRA stellte daraufhin mit Bescheid vom 21.01.2014 (Bl. 161/163 VA) einen GdB von 60 seit 19.09.2013 fest und lehnte die Feststellung des Merkzeichens G ab.

Mit Schreiben vom 17.02.2014 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Aufgrund der bisher nicht nachgewiesenen Gesundheitsstörungen sei das Merkzeichen G verweigert worden. Er bitte um die Anforderung der erforderlichen Bescheinigungen zur Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des Bronchialasthmas bei seinen behandelnden Ärzten.

Das LRA zog den Befundschein des Dr. R. vom 24.02.2014 (Bl. 169 VA) sowie den Befundschein des Dr. S. vom 24.03.2014 (Bl. 170/171 VA) bei.

Nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen durch den Versorgungsarzt Dr. Z. hielt dieser die Voraussetzungen des Merkzeichens G weiterhin für nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2014 (Bl. 174/175) wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch gegen die Ablehnung des Merkzeichens G zurück.

Am 04.07.2014 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Streitig sei die Höhe des GdB und die Frage einer erheblichen Gehbehinderung. Er erachtete aufgrund der Befundberichte des Dr. S. die Voraussetzungen für einen höheren GdB und insbesondere aufgrund orthopädischer Probleme sowie Atemproblemen das Merkzeichen G für gegeben.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. gab unter dem 30.09.2014 und 18.12.2014 (Bl. 20/22, 42/44 SG-Akte) an, dem Kläger sei das Zurücklegen einer ortsüblichen Gehstrecke in erster Linie bedingt durch Schmerzen, die sich unter Bewegung verstärkten, zum anderen auch durch eine Belastungsdyspnoe auf niedriger Stufe nicht mehr möglich. Der Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. R. erachtete mit Schreiben vom 30.01.2015 (Bl. 39/40 der SG-Akte) das Zurücklegen einer ortsüblichen Gehstrecke als möglich.

Auf Antrag des Klägers erstattete Dr. P. aufgrund der Untersuchung des Klägers am 24.03.2015 das chirurgisch-orthopädische Gutachten vom 27.03.2015 (Bl. 50/75 SG-Akte). Nach Einschätzung des Gutachters bestehe beim Kläger aufgrund einer Kombination von Störungen des Bewegungsapparates, einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung sowie Depressionen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.

Der Beklagte erachtete unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 17.07.2015 (Bl. 79/80 SG-Akte) die Voraussetzungen des Merkzeichens G weiterhin für nicht gegeben.

Mit Urteil vom 28.09.2015 wies das SG die Klage ab. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die Festsetzung des GdB angreife und eine Verpflichtung des Beklagten zu einer höheren GdB-Feststellung begehre, denn insoweit sei der Bescheid bestandskräftig geworden. Hinsichtlich des Merkzeichens G sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger eines der Regelbeispiele der Versorgungsmedizinischen Grundsätze erfülle bzw. dass seine Behinderungen insgesamt einem der Regelbeispiele gleichzustellen seien.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 14.10.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er ist der Auffassung, dass sich sein Widerspruch auch gegen die Höhe des festgestellten GdB gerichtet habe, was aus Sicht eines Durchschnittsbeobachters klar sei. Zu Unrecht habe es das SG abgelehnt, über die Frage zu entscheiden, ob der GdB beim Kläger mit 60 richtig bewertet sei. Insoweit beruft er sich auf das Gutachten des Dr. P. , der den GdB auf 70 eingeschätzt hat. Auch die Voraussetzungen des Merkzeichens G erachtet er für gegeben. Dr. S. bestätige, dass es dem Kläger seit längerem nicht möglich sei, innerhalb einer halben Stunde 2 km zurückzulegen. Es lägen organische Ursachen vor, die wiederum bestätigten, dass der Kläger von der Wegstrecke her massiv limitiert sei, was auch durch die vom SG bei Dr. R. und Dr. S. eingeholten Auskünfte bestätigt werde. Darüber hinaus beruft er sich auf das Gutachten des Dr. P ... Seiner eigenen Einschätzung zufolge beruhe die Limitierung der Wegstrecke vor allem auf der Atemnot verursacht durch Asthma, wozu noch Schmerzen in beiden Knien hinzuträten. Die Psyche spiele nur als Zusatzursache eine Rolle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.09.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2014 ab 19.09.2013 einen GdB von mindestens 70 und die Voraussetzungen des Merkzeichens G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Höhe des GdB sei vom Kläger im Widerspruchsverfahren nicht angefochten worden. Der Widerspruchsbescheid vom 17.06.2014 habe insofern nur über das Vorliegen des Merkzeichens G entschieden. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr zu objektivieren.

Der Sachverhalt ist mit den Beteiligten in der nicht-öffentlichen Sitzung am 05.02.2016 durch die Berichterstatterin erörtert worden.

Der Senat hat den sachverständigen Zeugen Dr. S. erneut befragt. Unter dem 24.02.2016 (Bl. 25/40 der Senatsakte) hat er das Bestehen einer ausgeprägten restriktiven Lungenerkrankung bei Lungenemphysem sowie orthopädische Erkrankungen und psychische Störungen angegeben. Den GdB hat er auf 50 geschätzt und die Zuerkennung des Merkzeichens G befürwortet.

Der Senat hat Prof. Dr. K. mit der Erstattung des lungenärztlichen Gutachtens vom 26.07.2016 (Bl. 58/86 der Senatsakte) beauftragt. Nach Untersuchung des Klägers am 13.06.2016 und 06.06.2016 und unter Einholung des radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. E. vom 06.07.2016 (Bl. 54/57 der Senatsakte) hat er ein nicht allergisches, nicht eosinophiles Asthma bronchiale und ein Lungenemphysem diagnostiziert, die er mit einem GdB von 20 bewertet hat. Aus pneumologischer Sicht sei eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen. Eine gegenseitige Beeinflussung der Erkrankungen mit konsekutiver Reduktion der Gehfähigkeit im Alltag sei denkbar. Durch die Belastungsuntersuchung lasse sich die von Dr. P. beschriebene Beeinträchtigung der Bewegungs-/Gehfähigkeit aber nicht objektivieren.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (Schriftsatz des Beklagten vom 13.09.2016, Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 11.10.2016).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.

Hinsichtlich des vom Kläger begehrten höheren GdB ist die Berufung bereits deshalb unbegründet, weil das SG insoweit die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Der angefochtene Bescheid vom 21.01.2014 war bezüglich des festgestellten GdB von 60 bereits bestandskräftig und damit bindend (§ 77 SGG). Der Beklagte hat mit dem Bescheid sowohl über die Feststellung des GdB als auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G entschieden, wobei es sich um zwei unterschiedliche Verfügungssätze bzw. Verwaltungsakte handelt. Gegen die in der Feststellung eines GdB von 60 enthaltene Ablehnung eines höheren GdB hat der Kläger keinen Widerspruch eingelegt. Der Kläger hat sich ausdrücklich nur gegen die Ablehnung des Merkzeichens G gerichtet, indem er ausgeführt hat: "Aufgrund der bisher nicht nachgewiesenen Gesundheitsstörungen haben Sie mir das Merkzeichen G verweigert." Der Hinweis, dass diese Gesundheitsstörungen von den behandelnden Ärzten zwischenzeitlich festgestellt worden seien, weshalb dem Bescheid widersprochen werde, bezieht sich aufgrund des Zusammenhangs nach seinem objektiven Erklärungsgehalt ohne Zweifel auf die bisher nicht nachgewiesenen Gesundheitsstörungen, die nach Auffassung des Klägers zur Verweigerung des Merkzeichens G geführt haben. Dass die angeblich zwischenzeitlich diagnostizierten Gesundheitsstörungen bei ihrer jetzt gebotenen Berücksichtigung sich auch auf die Höhe des GdB auswirken, mag der Kläger bedacht haben oder auch nicht. Mit seiner Widerspruchsbegründung hatte er aber jedenfalls nicht zum Ausdruck gebracht, dass er sich auch insoweit gegen den Bescheid vom 21.01.2014 wendet. Eine solche Auslegung des Widerspruchsvorbringens wäre auch über die Einschätzung der Interessenlage, wie vom Klägerbevollmächtigten geltend gemacht, nicht zwingend und musste sich der Behörde daher nicht aufdrängen. Es ist nicht lebensfremd, dass ein fraglicher, in Betracht kommender – geringfügig – höherer GdB gegenüber einer bedeutungsvoller eingestuften Merkzeichen-Feststellung als vernachlässigbar gewertet und daher nicht weiter verfolgt wird. Zudem war vorliegend mit dem Bescheid vom 21.01.2014 dem Erhöhungsantrag des Klägers vom 19.09.2013 mit der Erhöhung des GdB von 50 auf 60 auch stattgegeben worden, weshalb die Weiterverfolgung des Erhöhungsantrages im Widerspruchsverfahren nicht einem offenkundig ersichtlichen Interesse des Klägers entsprochen hat. Einen gesonderten Widerspruch gegen die Höhe des festgestellten GdB kann der Senat dem Widerspruch vom 17.02.2014 – entgegen der Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers (Bl. 16 SG-Akte) – nicht entnehmen.

Hinsichtlich des Merkzeichens G ist die Berufung unbegründet, da der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht erfüllt.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "G" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "G" waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 und vom 14.08.2009 – L 8 SB 1691/08, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 – L 6 SB 2556/09, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 – L 3 SB 523/12 unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (grundlegend BSG, Urteil vom 10.12.1987 – 9a RVs 11/87 , SozR 3870 § 60 Nr. 2; BSG, Urteil vom 13.08.1997 – 9 RVS 1/96 , SozR 3 3870 § 60 Nr. 2) die Bewältigung von Wegstrecken von zwei Kilometern in einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall. Sowohl die Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1979 als auch die AHP 1983 (Seite 123, 127f.) enthielten keine Festlegung zur Konkretisierung des Begriffs der im Ortsverkehr üblichen Wegstrecke. Diese Festlegung geht auf eine in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegriffene Größe von zwei Kilometern zurück, die als allgemeine Tatsache, welche zur allgemeingültigen Auslegung der genannten Gesetzesvorschrift herangezogen wurde, durch verschiedene Studien (vgl. die Nachweise in BSG, Urteil vom 10.12.1987 a.a.O.) bestätigt worden ist. Der außerdem hinzukommende Zeitfaktor enthält den in ständiger Rechtsprechung bestätigten Ansatz einer geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit als die von fünf bis sechs Kilometern pro Stunde zu erwartende Gehgeschwindigkeit rüstiger Wanderer, da im Ortsverkehr in der Vergleichsgruppe auch langsam Gehende, die noch nicht so erheblich behindert sind wie die Schwerbehinderten, denen das Recht auf unentgeltliche Beförderung zukommt, zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1987, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass infolge des Zeitablaufs sich die Tatsachengrundlage geändert haben könnte, hat der Senat nicht. Der Senat legt daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil des Senats vom 02.10.2012 – L 8 SB 1914/10, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) diese Erkenntnisse weiter der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ortsüblichen Wegstrecken im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX zugrunde, auch wenn die entsprechenden Regelungen der VG zu dem Nachteilsausgleich "G" wie oben ausgeführt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats unwirksam waren (ebenso der 3. und 6. Senat des LSG Baden Württemberg, Urteile vom 17.07.2012 a.a.O. und vom 04.11.2010 a.a.O.).

Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" geschaffen (insoweit offen lassend der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2015 – L 3 SB 1100/14). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden sind. Der Regelung der mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassenen VersMV ist bis zum Erlass einer neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX damit praktisch Gesetzescharakter verliehen worden (so auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 – L 6 SB 3121/14 unter Verweis auf BT-Drs. 18/3190, S. 5, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" entfaltet nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam. Eine Rückwirkung ist in der Übergangsbestimmung gesetzlich nicht geregelt worden, weshalb die gesetzliche Neuregelung erst am Tag des Inkrafttretens Gültigkeit erlangt. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zu der Neufassung von § 70 Abs. 2 und § 159 Abs. 7 SGB IX, mit der der Gesetzgeber die Zweifel, ob § 30 Abs. 16 BVG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung (zusätzlich gemeint wohl: für die Feststellung von Merkzeichen) darstellt, ausräumen will, so dass die Versorgungsmedizinverordnung "künftig auf beide Ermächtigungsnormen" gestützt werden kann (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 2), also eine Regelung für die Zukunft beabsichtigt. Zudem geht der Gesetzgeber mit der Schaffung der Übergangsregelung davon aus, dass "in der Übergangszeit das derzeitige Recht weiter Anwendung findet" (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 3).

Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "G" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Vorliegend führt ein Abstellen auf die VG indes zu keinem anderen Ergebnis für den Kläger. So heißt es in Teil D Nr. 1 lit. b) VG: In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunden zurückgelegt wird. Unter Teil D Nr. 1 lit. d) bis f) VG heißt es weiter: Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks. Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.

Der Senat kann nach dem Ergebnis der im Klage- und Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme und aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht feststellen, dass bei dem Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens vorliegt.

Bei dem Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Dr. P. hat bereits lediglich einen GdB von 40, gebildet aus einem Teil-GdB von 30 für eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule in zwei Wirbelsäulenabschnitten und einem Teil-GdB von 20 für eine Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke angenommen. Da Dr. P. lediglich von mittelgradigen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule ausgeht, die nach Teil B Nr. 18.9 VG lediglich einen GdB von 20 entsprechen, ergibt sich selbst nach seiner Einschätzung für die Funktionsbeeinträchtigungen von Lendenwirbelsäule und unteren Gliedmaßen insgesamt nur ein GdB von 30.

Einen höheren GdB als 20 für den Bereich der Lendenwirbelsäule kann der Senat auch nicht feststellen. Nach Teil B Nr. 18.9 VG bedingen Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität keinen GdB, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einen GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) einen GdB von 20 und mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) einen GdB von 30. Aus den von Dr. P. erhobenen Befunden und den sonst vorliegenden medizinischen Unterlagen können jedenfalls mehr als mittelgradige Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden nicht hergeleitet werden. Nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. R. besteht nach einem MRT der LWS vom 16.10.2014 beim Kläger ein rechtsintraspinaler Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit Irritation der Wurzel von L5 rechts und ein Bandscheibenvorfall in Höhe L1/2 mit fraglicher Irritation des Rückenmarkgürtels. Relevante Bewegungseinschränkungen bestehen nicht. Dr. R. hat lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung der LWS angegeben. Nach den von Dr. P. erhobenen Bewegungsmaßen ist die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule lediglich hinsichtlich der Entfaltbarkeit bei einem Schober von 9/10/13 cm leichtgradig eingeschränkt. Auch neurologische Störungen sind nicht feststellbar. Dr. P. hat kein sensomotorisches Defizit erhoben. Der Senat kann auch keine häufig rezidivierenden und Wochen andauernden ausgeprägten Wirbelsäulensyndrome im Sinne schwerer funktioneller Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule feststellen. Bei der Untersuchung durch Dr. P. war ein Bewegungsschmerz lediglich für die Seitneigung nach rechts feststellbar. Das Ileosacralgelenk und die Valleix´schen Druckpunkte waren zwar empfindlich. Myogelosen hat Dr. P. im Bereich der Lendenwirbelsäule jedoch nicht befundet. Schwerwiegendere Befunde hat auch der sachverständige Zeuge Dr. S. nicht mitgeteilt. In seiner Auskunft gegenüber dem Senat hat er lediglich einen Finger-Boden-Abstand von 10 cm, der gegenüber der Untersuchung durch Dr. P. (25 cm) sogar verbessert war, sowie eine druckdolente LWS und ein druckdolentes ISG angegeben. Auch die Frequenz der fachärztlichen Konsultationen spricht nicht für das Bestehen häufiger ausgeprägter Wirbelsäulensyndrome. Bei dem sachverständigen Zeuge Dr. R. war der Kläger seit September 2013 bis Februar 2015 4-malig in Behandlung, wobei die Vorstellungen auch wegen eines Impingementsyndroms der Schulter erfolgt waren. Bei Fehlen von dokumentierten Bewegungseinschränkungen und neurologischen Störungen kann vor diesem Hintergrund von schweren funktionellen Auswirkungen allein im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht ausgegangen werden.

GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Beine sind lediglich hinsichtlich des linken Kniegelenks festzustellen. Diese bedingen jedenfalls keinen höheren Teil-GdB als 20. Funktionsbeeinträchtigungen der Kniegelenke sind nach Teil B Nr. 18.14 VG zu bewerten. Danach richtet sich die Bewertung im Wesentlichen nach der Beweglichkeit. Darüber hinaus ist das Bestehen von anhaltenden Reizerscheinungen und eine Lockerung des Kniebandapparates von Bedeutung. Eine Einschränkung der Beweglichkeit auf maximal 0/0/90°, die zur Berücksichtigung eines GdB führen könnte, ist beim Kläger nicht feststellbar. Dr. P. hat eine Beweglichkeit des linken Kniegelenks von 0/0/120° erhoben. Eine Instabilität ist nach dem Gutachten nicht gegeben. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, einseitig bedingen ohne Bewegungseinschränkung einen GdB von 10 bis 30. Röntgenologisch sind dem Gutachten des Dr. P. zwar eine deutliche Verschmälerung des medialen Gelenkspaltes mit Randunschärfe, jedoch keine Zeichen einer Lyse, keine zystische Umbildung und eine regelrechte Knochenbälkchenzeichnung zu entnehmen. Der Bereich der Osteotomie ist bei Bestehen einer großen Zyste ansonsten durchbaut. Das Bestehen eines Reizzustandes hat Dr. P. verneint. Bei der Untersuchung des Klägers hat Dr. P. keine Kapselschwellung, und kein Gelenkreiben festgestellt. Lediglich ein Andruckschmerz am medialen Gelenkspalt des linken Knies bestand. Das Bestehen von anhaltenden Reizerscheinungen aufgrund von Knorpelschäden, die einen noch höheren Teil-GdB als 20 rechtfertigen könnten, ist danach nicht feststellbar. Vielmehr erscheint angesichts der vorliegenden Befunde die Berücksichtigung eines GdB von 20 eher überhöht. Zugunsten des Klägers legt der Senat jedoch weiterhin den Teil-GdB von 20 für das Kniegelenksleiden links zugrunde. Soweit der sachverständige Zeuge Dr. S. für das rechte Kniegelenk das Vorliegen einer Gonarthrose angegeben hat, ist dies nicht nachvollziehbar. Entsprechende Befunde diesbezüglich hat der sachverständige Zeuge nicht vorgelegt. Auch dem Gutachten des Dr. P. kann insofern weder das Vorliegen einer Gesundheitsstörung noch das Bestehen von Funktionsbeeinträchtigungen entnommen werden. Nach dem im Gutachten dargestellten röntgenologischen Befund zeigte sich ein symmetrisch weiter medialer wie lateraler Gelenkspalt, konturscharf begrenzt, eine regelrechte Zentrierung der Patella, eine regelrechte Darstellung der Eminentia intercondylicae sowie im seitlichen Bild eine regelrechte Knochenbälkchenzeichnung und kein weitergehender pathologischer Befund. Bei Bestehen einer freien Beweglichkeit mit Ausmaßen von 5/0/130°, Fehlen von Reizerscheinungen und Instabilitätszeichen sind auch keine Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Kniegelenks feststellbar.

Weitere Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten kann der Senat nicht feststellen. Nach den von Dr. P. erhobenen Bewegungsmaßen ist die Funktion der Hüftgelenke sowie der Sprunggelenke gemessen an den Maßstäben für die Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten nach Teil B Nr. 18.14 VG nicht GdB-relevant eingeschränkt. Bezüglich der von Dr. S. angegebenen Senk-/Spreizfüße beidseits, die im orthopädischen Gutachten von Dr. P. nicht dargestellt sind, ist jedenfalls das Bestehen von statischen Auswirkungen, die GdB bewehrt sein könnten, nicht ersichtlich.

Insgesamt besteht damit im Bereich der Beine höchstens ein Einzel-GdB von 20. Sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkende Gesundheitsstörungen im Bereich der Beine kann der Senat ebenfalls nicht feststellen. Die nur leichten Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des linken Kniegelenks haben keine besondere Auswirkungen auf die Gehfähigkeit beispielsweise entsprechend einer Versteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung. Das nach dem Gutachten des Dr. P. bestehende Krampfaderleiden wirkt sich nicht auf die Gehfähigkeit des Klägers aus, insbesondere das Bestehen einer chronisch venösen Insuffizienz ist nicht ersichtlich. Verfärbungen von Beinen und Füßen hat der Gutachter auch nach längerem Stehen beim Kläger nicht festgestellt und auch keine Ödembildung beschrieben. Die vom Kläger auch im Berufungsverfahren geltend gemachte Schmerzverstärkung beim Gehen (Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.10.2015), wobei sich der Kläger auf die sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S. vom 18.12.2014 und vom 24.02.2016 stützt, sind durch die dargelegten medizinischen Befunde nicht zur Überzeugung des Senats hinreichend belegt. Die von Dr. S. in seiner schriftlichen Aussage vom 24.02.2016 enthaltenen Angaben zu Schmerzen beim Gehen beruhen allein auf dem Beschwerdevorbringen des Klägers. Ein Ausprägungsgrad der geltend gemachten Schmerzen, der das Gehen in relevanter Weise beeinträchtigt, ist jedenfalls auch den von Dr. S. mitgeteilten Befunden nicht zu entnehmen.

Innere Leiden, die das Gehvermögen des Klägers erheblich beeinträchtigen, sind nicht feststellbar. Insbesondere kann der Senat beim Kläger keine Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades feststellen. Eine Lungenfunktionseinschränkung mittleren Grades ist nach Teil B Nr. 8.3 VG anzunehmen bei einer das gewöhnliche Maß übersteigenden Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung [z. B. Spazierengehen (3-4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit], statischen und dynamischen Messwerten der Lungenfunktionsprüfung bis zu 2/3 niedriger als die Sollwerte und respiratorischer Partialinsuffizienz. Derartige Lungenfunktionsbeeinträchtigungen sind beim Kläger nicht gegeben. Insoweit stützt sich der Senat insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. K ... Anhand der Ausführungen des sachverständigen Zeuge Dr. S. , der das sofortige Auftreten von Atemproblemen entsprechend den Angaben des Klägers bereits bei leichtem Bergaufgehen geschildert und das Vorliegen einer ausgeprägten restriktive Lungenerkrankung mitgeteilt hat, ist eine mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion nicht zu objektivieren. Der Gutachter Dr. K. hat zwar das Bestehen eines Lungenemphysems und eines Asthma bronchiale bestätigt, konnte aber bei der Untersuchung des Klägers eine restriktive oder obstruktive Ventilationsstörung nicht feststellen. Es bestand lediglich eine leichte bis mäßiggradige Diffusionsstörung passend zu dem bereits bekannten Lungenemphysem. Eine Überblähung wurde nicht festgestellt. Dem Gutachten sind Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 2/3 niedriger als die Sollwerte nicht zu entnehmen. Im Rahmen der fahrradergometrischen Belastungsuntersuchung war der Kläger bis maximal 75 Watt für 4 Minuten belastbar, was entsprechend der Bewertungsvorgaben bei Einschränkungen der Herzleistung nach Teil B Nr. 9.1.1 VG forschem Gehen mit 5 bis 6 km/h entspricht. Dabei war sogar eine deutlicher Anstieg des Sauerstoffgehalts im Blut nachzuweisen, obwohl nach den Ausführungen des Gutachters aufgrund des Lungenemphysems eine gewisse pulmonale Limitierung anzunehmen ist. Der Abbruch der Belastungsuntersuchung erfolgte vorzeitig aufgrund eines mangelnden Trainingszustandes des Klägers. Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht feststellen, dass dem Kläger das Gehen mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 4 km/h und somit das Zurücklegen einer Wegstrecke von 2 Kilometern in einer halben Stunde aufgrund einer Erkrankung der Lunge nicht möglich wäre. Eine von dem orthopädischen Gutachter Dr. P. angenommene entsprechende Einschränkung des Gehvermögens ist nach den von Prof. Dr. K. lungenfachärztlich erhobenen Befunden nicht zu objektivieren. Ein mangelnder Trainingszustand ist dabei nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G zu begründen. Der GdB für bestehende Funktionsbeeinträchtigungen ist unabhängig vom Trainingszustand zu bestimmen, was aus Teil A Nr. 2 d) VG folgt, wonach die in den GdB-Tabellen aufgeführten Werte alters- und trainingsunabhängig sind. Nichts anderes kann für die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G gelten, die sich nach dem Bestehen und dem Ausmaß von GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen richten.

Dass beim Kläger eine schwere psychische Störung vorliegt, die im Sinne einer psychogenen Gangstörung die Voraussetzungen für das Merkzeichen G begründen könnte (vgl. BSG, Urteil vom11.08.2015 – B 9 SB 1/14 R), kann der Senat nicht feststellen. Gegen das Bestehen einer schwergradigen psychischen Störung spricht bereits, dass sich der Kläger nicht in fachärztlich psychiatrischer Behandlung befindet. Der sachverständige Zeuge Dr. S. hat ausgeführt, psychisch sei der Kläger müde, fühle sich nicht leistungsfähig und die Potenz sei deutlich eingeschränkt bzw. erloschen. Er habe zu nichts Lust, sei durchgehend depressiv herabgestimmt und neige zu sozialem Rückzug. Eine sich unmittelbar auf das Gehvermögen auswirkende psychische Störung kann dem nicht entnommen werden. Dass der Kläger wegen einer krankhaften psychischen Veränderung sich an der Bewältigung einer Gehstrecke von 2 Kilometern gehindert sehen würde, geht daraus nicht hervor. Ein möglicherweise aufgrund der geschilderten Lustlosigkeit und eines Rückzugsverhalten fehlender Antrieb, eine entsprechende Gehstrecke zurückzulegen, beeinträchtigt die Fähigkeit, 2 km innerhalb einer halben Stunde zu gehen, nicht. Soweit Dr. P. in seinem chirurgisch-orthopädischen Gutachten vom 27.03.2015 fachfremd eine Angst vor der Schmerzverstärkung und Schmerzstarre als erhebliche Beeinträchtigung für die Zurücklegung von Wegstrecken ansieht, ist eine hierzu passende psychiatrische Diagnose nicht gestellt. Der Sachverständige bezieht sich hierbei vornehmlich auf die Auswertung des von ihm herangezogenen Dokumentationsbogens "Schmerztherapie", dem er Eigenschaften des Klägers wie Misstrauen, Hypochondrie, Eifersucht, Gedankenausbreitung im Sinne von Ich-Störungen, Affektivitätsstörung mit Depression, Hoffnungslosigkeit, Gereiztheit, Affektstarre, Antriebshemmung sowie resultierender sozialer Rückzug und Aggressivität entnommen hatte. Eine psychiatrische Exploration zur Plausibilisierung der Testergebnisse fand dagegen nicht statt. Die vom orthopädischen Sachverständigen hierzu gezogene Schlussfolgerung einer – letztlich zu fordernden unüberwindbaren – Angst vor Schmerzen beim Gehen ist nicht überzeugend. Der Senat sah sich bei dieser Ausgangslage auch nicht zu weiteren medizinischen Ermittlungen veranlasst.

Danach liegen beim Kläger keine die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Funktionsbeeinträchtigungen vor. Auch in ihrer Gesamtheit sind die Funktionsbeeinträchtigungen nicht geeignet, die Gehfähigkeit des Klägers erheblich zu beeinträchtigen. Die beim Kläger im Bereich von Rumpf, linken Kniegelenk und Lunge vorliegenden Gesundheitsstörungen sind jeweils höchstens mit einem GdB von 20 zu bewerten und stellen damit lediglich leichte Behinderungen dar. Auch wenn die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich von Lendenwirbelsäule und unteren Extremitäten für die Feststellung der Gehfähigkeit zusammenfassend zu bewerten sind, ist das Hinzutreten der nur leichtgradigen Lungenerkrankung nicht geeignet, die Voraussetzungen für das Merkzeichen G zu begründen. Anders als insbesondere eine Adipositas permagna (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 7/06/R) ist die Lungenerkrankung nicht geeignet, die sich aus den orthopädischen Beeinträchtigungen ergebenden Auswirkungen auf die Gehfähigkeit zu verstärken.

Der Senat konnte sich danach nicht davon überzeugen, dass die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sein Gehvermögen erheblich beeinträchtigen. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens G sind somit zur Überzeugung des Senats nicht gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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