L 9 U 919/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2724/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 919/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 und nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1946 geborene Kläger war vom 25.02.1971 bis zum 31.03.1986 in der Reparaturabteilung der zwischenzeitlich aufgelösten Firma T. AG, S., und vom 19.10.1986 bis zum 30.09.1993 bei der Firma M. (später: R. GmbH), L., als Einsteller in der Anzeigeinstrumentenfertigung beschäftigt. Von 1998 bis 2002 war der Kläger mit einem Autohandel (An- und Verkauf gebrauchter Fahrzeuge) selbstständig. Vom 07.01. bis zum 24.04.2002 war der Kläger bei der Firma B., Kanal- und Rohrreiniger-Service, G., beschäftigt. Ab dem 01.08.2004 bezog er von der D. Rente wegen voller Erwerbsminderung; zwischenzeitlich bezieht er Regelaltersrente.

Unter dem 27.07.2009 zeigte die A. dem Landesgesundheitsamt B. den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an; der Kläger sei seit dem 11.03.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger teilte der Beklagten nach Zuleitung hierzu mit, er leide seit dem Jahr 1975 u. a. an Müdigkeit, Benommenheit, Kopfschmerzen, Schwindel und einer Sehstörung. Diese Gesundheitsstörungen führte er auf berufsbedingte Einwirkungen durch Chemikalien, Asbest, Lösungsmittel und Reinigungsmittel während seiner Tätigkeit bei der Transformatoren Union zurück. Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der A., die Auskünfte der Firmen B. vom 06.10.2009 und R. GmbH sowie des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 09.10.2009, der weitere Arztunterlagen (u.a. Bericht der Spezialklinik N. vom 13.07.2009) beifügte, bei und holte die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. W. vom 06.11.2009 ein. Der Staatliche Gewerbearzt Dr. W. schlug in der Stellungnahme vom 04.06.2010 keine BK zur Anerkennung vor, da die haftungsausfüllende Kausalität nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können.

Mit Bescheid vom 29.06.2010 lehnte die Beklagte die Feststellung von Gesundheitsstörungen des Klägers als und wie eine BK ab. Die beim Kläger bestehende Erkrankung gehöre nach dem Ergebnis des Feststellungsverfahrens nicht zu den in der BK-Liste genannten Erkrankungen. Es sei ein seit 2003 bestehendes chronisches Müdigkeitssyndrom dokumentiert, das durch eine Rachen- und Darmpilzerkrankung verursacht worden sei. Diese Pilzerkrankung sei Folge von aufgetretenen Komplikationen bei einer Bandscheibenoperation. Ein Zusammenhang mit den bis 1993 ausgeübten beruflichen Tätigkeiten bestehe nicht. Auch lägen keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, dass die Einwirkung von Arbeitsstoffen ein chronisches Müdigkeitssyndrom verursacht oder dass die Personengruppe der Arbeiter, welche Kontakte zu Lösungsmitteln und Chemikalien gehabt habe, auf Grund der besonderen Einwirkung bei der beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an Rachen- und Darmpilzerkrankungen leide.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung. In den Stellungnahmen vom 09.08.2010 und 21.07.2011 führte Herr M. für den Präventionsdienst nach Gesprächen mit dem Kläger sowie der Fachkraft für Arbeitssicherheit der Firma R. GmbH D. und dem zuständigen technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten Georg aus, der Kläger habe sowohl bei der Firma R. GmbH als auch bei der T. AG Kontakt zu Gefahrstoffen, in der Hauptsache Lösungsmitteln, gehabt. Die genaue Höhe der Exposition lasse sich wegen nicht mehr existierender Arbeitsplätze, fehlender Messwerte und zum Teil ungenauer Angaben des Versicherten nicht angeben. In einer weiteren Stellungnahme vom 12.10.2010 wird ergänzend ausgeführt, zu den Gefahrstoffen bei der Firma T. AG, speziell zu den Trafoölen, mit denen der Kläger Kontakt gehabt habe, könnten keine genaueren Angaben gemacht werden. Die Beklagte holte ferner eine Auskunft des früheren Arbeitskollegen des Klägers bei der T. AG, K. S., ein, zog das Vorerkrankungsverzeichnis der A. ab 1983 sowie Berichte über stationäre Behandlungen der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des S. Klinikums P., der Klinik für Innere Medizin des P.-Krankenhauses Bad L., sowie des Klinikums P. bei. Hierzu nahm Dr. W. am 24.01.2012 erneut beratungsärztlich Stellung. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2013 wies die Beklagte den Widerspruch gestützt auf das Ermittlungsergebnis zurück.

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG, S 3 U 1247/13) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zu einer erneuten umfassenden Prüfung des Vorliegens einer BK verpflichtete und die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärten.

In Ausführung dieses gerichtlichen Vergleichs holte die Beklagte Auskünfte des Facharztes für Innere Medizin Dr. L. und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. W. ein und veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Arbeitsmedizin Prof. Dr. K. Dieser führte in seinem Gutachten vom 27.01.2015 aus, zwar sei bei dem Versicherten zweifelsfrei von einer Exposition gegenüber Dichlormethan und Polychlorierte Biphenyle (PCB) im Beschäftigungszeitraum 1977 bis 1986 auszugehen. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang hätten aber keine damit in Zusammenhang stehenden Gesundheitsstörungen und Krankheiten vorgelegen. Eine BK Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV könne somit nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Gesundheitsstörungen als Wie-BK lägen ebenfalls nicht vor, weil keine neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Verursachung der beim Kläger aufgetretenen Gesundheitsstörungen und der stattgehabten beruflichen Einwirkungen existierten. An diesen Ergebnissen hielt der Gutachter auch nach Vorlage eines Arztbriefes des Radiologischen Centrums P. vom 19.02.2015 sowie weiterer Arztberichte (Bericht Dr. J. vom 20.03.2015, Bericht Neurologische Klinik des Universitätsklinikums T. vom 03.03.2015, Bericht Dr. G. vom 15.01.2015, Bericht H. Klinikum P. vom 22.01.2015 und 30.01.2015, Bericht Tagesklinik des Zentrums für Psychiatrie C. vom 19.12.2014, Berichte Dr. W. vom 18.03.2015 und 11.03.2015, Berichte Medizinische Klinik Abteilung Innere Medizin IV des Universitätsklinikums T. vom 09.10.2014 und 23.04.2014, Bericht P.-Klinik K. vom 08.01.2015, Bericht Dr. B. vom 28.01.2015, Berichte S. Klinikum vom 11.02.2015 und 04.12.2014) in seinem Gutachten vom 04.05.2015 fest. Bei dem Kläger ließen sich nach den neueren ärztlichen Unterlagen im Wesentlichen zwei Hauptdiagnosen formulieren. Er leide an einer psychischen Störung im Sinne einer somatoformen Störung (kardial und abdominell) mit hypochondrischer Störung sowie narzisstischen und ängstlichen Persönlichkeitszügen und an rezidivierenden mittelgradigen depressiven Episoden sowie an Arteriosklerose. Diese Gesundheitsstörungen seien weder mit Wahrscheinlichkeit auf berufsbedingte Einwirkungen im Sinne der BKen Nr. 1302 oder Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV zurückzuführen noch wie eine BK anzuerkennen.

Der Staatliche Gewerbearzt schlug durch Dr. E. in der Stellungnahme vom 25.03.2015 die Anerkennung einer BK insbesondere gemäß Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV oder eine beruflich verursachte Erkrankung nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht zur Anerkennung vor.

Mit Bescheid vom 11.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2015 lehnte die Beklagte erneut die Anerkennung von Gesundheitsstörungen des Klägers als oder wie eine BK, unter Hinweis auf die Ausführungen des Bescheids vom 29.06.2010 und des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2013 ab. Die Beschwerden des Klägers seien keine BKen nach Nr. 1302 und 1317 der Anlage 1 zur BKV, da schon kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der Exposition zu erkennen sei. Auch die Anerkennung einer anderen BK sei nicht möglich, da die Erkrankungen nicht Bestandteil der BKV seien. Es lägen auch keine neuen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, dass die berufliche Tätigkeit - insbesondere die Arbeiten als Einsteller in der Anzeigeinstrumentenfertigung - geeignet seien, eine mittelgradige Depression mit Schwindelgefühl und Durchschlafstörungen sowie ein chronisches Müdigkeitssyndrom zu verursachen.

Hiergegen hat der Kläger am 25.08.2015 erneut Klage beim SG erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte habe ihn zu keinem Zeitpunkt ärztlich richtig und gründlich untersuchen lassen. Prof. Dr. K. habe allein einige Unterlagen bearbeitet und auf dieser Grundlage sein "Urteil gefasst". Er leide an Erkrankungen der Lunge, der Milz, der Leber und an weiteren Gesundheitsstörungen.

Das SG hat den Kläger aufgefordert, einen konkreten Klageantrag zu stellen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben daraufhin mitgeteilt, es sei ihnen nicht möglich, mitzuteilen, welcher der den Kläger behandelnden Ärzte welche seiner zahlreichen Erkrankungen auf welche betrieblichen Gefahrstoffe zurückführe. Sie könnten deshalb auch keinen konkreten Klageantrag, gerichtet auf die Feststellung einer bestimmten BK, stellen.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 92 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspreche. Danach solle die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Diese Voraussetzungen entsprächen die Klageschrift vom 21.08.2015 wie auch der zur Begründung der Klage eingereichte Schriftsatz des Klägers vom 18.12.2015 nicht. Es werde lediglich deutlich, dass der Kläger Klage wegen des Bescheids vom 11.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2015 erhoben habe. Im Übrigen bleibe sein Klageziel völlig unklar. Weder habe der Kläger einen konkreten Klageantrag gestellt, noch sei erkennbar, welche Gesundheitsstörungen er auf welche konkreten beruflichen Einwirkungen zurückführe und als Folge welcher konkreten BK festgestellt wissen wolle. Ungeachtet dessen sei die Klage auch nicht begründet. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, Gesundheitsstörungen des Klägers als Folge einer Listenerkrankung im Sinne der Anlage 1 zur BKV oder wie eine BK anzuerkennen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK lägen nicht vor. Aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens, insbesondere der Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten sei bereits das Ausmaß beruflicher Einwirkungen, vor allem von Lösemitteln und PCB-haltigen Trafo-Ölen, denen der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit bei der T. AG und/oder der Firma R. GmbH ausgesetzt gewesen sei, nicht erwiesen. Die früheren Arbeitsplätze bei diesen Firmen existierten nicht mehr. Auch lägen keine Messwert-Protokolle vor, die wenigstens annähernd Aufschluss über das Ausmaß berufsbedingter Schadstoffeinwirkungen geben könnten. Auch Sicherheitsdatenblätter zu den seinerzeit verwendeten Betriebsstoffen seien im Anschluss an die glaubhaften Darlegungen des Präventionsdienstes der Beklagten nicht mehr zu beschaffen. Auch der Kläger habe gegenüber dem Präventionsdienst zu Art und Ausmaß berufsbedingter Einwirkungen keine genauen Angaben machen können. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus der aktenkundigen Auskunft der Firma R. GmbH. Während seiner Tätigkeit bei der Firma B., Kanal- und Rohrreinigerservice sei der Kläger nach der glaubhaften Auskunft dieser Firma keinen Einwirkungen von Lösemitteln ausgesetzt gewesen. Das Ausmaß eventuell schädigender beruflicher Einwirkungen bleibe daher völlig unklar. Ungeachtet dessen sei auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen berufsbedingten Einwirkungen von Lösemitteln im Sinne von Halogenkohlenwasserstoffen und den zahlreichen Gesundheitsstörungen des Klägers nicht wahrscheinlich zu machen. Insoweit werde auf das Gutachten von Prof. Dr. K. verwiesen. Vor diesem Hintergrund habe es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht abgelehnt, Gesundheitsstörungen des Klägers als Folge einer Listenerkrankung nach den Nrn. 1302 und/oder 1317 der Anlage 1 zur BKV oder wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 18.02.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.03.2016 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei weder unzulässig noch unbegründet. Aus dem durch ihn Kläger vorgelegten Widerspruchsbescheid habe sich unzweifelhaft ergeben, dass die BKen Nr. 1302 und Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV im Streit stünden. Soweit Prof. Dr. K. ausführe, es fehle an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen den beruflichen Schadstoffeinwirkungen und den diagnostizierten mittelgradigen depressiven Episoden sowie den kardialen und abdominellen Beschwerden, verkenne der Gutachter, dass er bereits seit den 1980er Jahren an Nervenproblemen leide, wegen derer er - in unregelmäßigen Abständen - in fachärztlicher Behandlung gewesen sei. Das Gutachten sei auch nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Er sei zu 100 % davon überzeugt, dass die bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Schadstoffe zurückzuführen seien, denen er während seiner beruflichen Tätigkeiten ausgesetzt gewesen sei. Es handle sich dabei im Einzelnen um seine Nervenkrankheit, die Fettleber, Milzbeschwerden, Bluthochdruck sowie eine Fettstoffwechselstörung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2015 zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen der Berufskrankheiten Ziffern 1302 und 1317 nach Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis die Klage zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 abgewiesen.

Entgegen der Auffassung des SG geht der Senat von der Zulässigkeit der Klage aus, obwohl weder der Kläger noch seine Bevollmächtigten einen konkreten Klageantrag gestellt haben. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten (§ 92 Abs. 1 Satz 3 SGG); die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden (§ 92 Abs. 1 Satz 4 SGG). Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende gemäß § 92 Abs. 2 SGG zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Nach Überzeugung des Senats wird aus dem Vortrag des Klägers, der den angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 14.08.2015 bereits bei Klageerhebung vorgelegt hat, im Schriftsatz vom 18.12.2015 noch hinreichend deutlich, welches Ziel er mit der Klage verfolgt. Bei der Auslegung ist der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare gesamte Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge heranzuziehen, wobei für die Auslegung des Klageantrags der sog. Grundsatz der Meistbegünstigung von Bedeutung sein kann (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 92 Rdnr. 12, m.w.N.). Aus dem klägerischen Vortrag im Verwaltungsverfahren und im vorangegangenen Klageverfahren vor dem SG S 3 U 1247/13 ergibt sich hinreichend deutlich, dass der Kläger mit der Klage die Anerkennung der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen als BKen aufgrund der bei der Firma T. AG erfolgten Einwirkungen begehrt. Die Abgrenzung des Streitgegenstandes war damit noch hinreichend deutlich möglich, zumal bestimmte Anträge jedenfalls in der Klageschrift noch nicht formuliert und bestimmte Ansprüche in der Regel auch noch nicht spezifiziert werden müssen (Leitherer, a.a.O., § 92 Rdnr. 11, m.w.N.). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2015, mit dem diese unter anderem festgestellt hat, dass bei dem Kläger keine BK Nr. 1302 oder Nr. 1317 besteht. Mit seinem Antrag im Berufungsverfahren hat der Kläger nun ausdrücklich die Abänderung dieser Bescheide und die Verurteilung der Beklagten zur Feststellung, dass die abgelehnten BKen bei ihm vorliegen (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil v. 27.04.2010, B 2 U 23/09 R, Juris), begehrt. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge des Arbeitsunfalls ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen. Er kann wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, Juris).

Die damit zulässige Klage ist aber, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der BKen Nr. 1302 und 1317 nach Anlage 1 zur BKV. Der Bescheid der Beklagten vom 11.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2015 ist nicht zu beanstanden.

Für das Feststellungsbegehren des Klägers sind im vorliegenden Fall die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden. Gemäß § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (am 01.01.1997) eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist. Der Kläger stützt seine Klage auf eine Vielzahl an Beschwerden und Gesundheitsstörungen. Zwar ging die erste Verdachtsanzeige bei der Beklagten erst im Jahr 2009 und damit nach Inkrafttreten des SGB VII ein, bei lebensnaher Betrachtung und insbesondere unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers, seine Beschwerden hätten sich bereits während der Tätigkeit bei der T. AG (1971 bis 1986) entwickelt, ist jedoch von einem weit früheren Krankheitseintritt, mithin vor dem 01.01.1997, auszugehen.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist somit § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO. Hiernach sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird gemäß Satz 3 der Vorschrift ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind. Nach der Anlage 1 zur BKV umfasst die BK Nr. 1302 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe und die BK Nr. 1317 Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische.

Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass eine Krankheit vorliegt, die durch die Einwirkungen verursacht worden ist (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die schädigende Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, wohingegen für die Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 5/10 R, Juris). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte ableitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen somit zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG, Urteil vom 27.06.1991, B 2 RO 31/90, Juris).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall weder für die Anerkennung einer BK Nr. 1302 noch der BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV erfüllt.

Von der BK Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV werden durch die unbestimmte und offene Bezeichnung alle Krankheiten erfasst, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 27.06.2000, B 2 U 29/99 R, Juris). Nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bek. des BMA vom 29.03.1985, BArbBl 6/1985) zählen zu den möglichen akuten oder chronischen Krankheitsbildern insbesondere Erkrankungen des zentralen Nervensystems, der Leber und Niere, Dermatosen, Reizwirkungen an den Atemwegen oder den Augen.

Der Kläger benennt weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren ein konkretes Krankheitsbild, sondern macht eine Vielzahl von Erkrankungssymptomen geltend. Prof. Dr. K. hat im Rahmen der Begutachtung am 21.01.2015 durchgeführten Untersuchung keine definitiven BK-relevanten Gesundheitsstörungen zweifelsfrei feststellen können. Er hat nach Untersuchung des Klägers und ausführlicher Auseinandersetzung mit den vorliegenden Befund- und Entlassungsberichten und dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse das komplexe Krankheitsbild des Klägers in die zwei Hauptdiagnosen psychische Störung und Arteriosklerose unterteilt. Unter die Hauptdiagnose "psychische Störung" sind eine somatoforme Störung (kardial, abdominell) mit hypochondrischer Störung sowie narzisstischen und ängstlichen Persönlichkeitszügen sowie rezidivierende mittelgradige depressive Episoden zu fassen. Unter die Hauptdiagnose "Arteriosklerose" fällt eine koronare 3-Gefäßerkrankung mit 2-fach Stentimplantation der RCA (11/2004), eine zerebrale Mikroangiopathie (09/2012), die Anlage eines femoro-poplitealen Bypasses rechts (02/2014), eine periphere arterielle Verschlusskrankheit Stadium II b rechts (10/2014), eine subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) (02/2015) sowie die Sklerose der Karotisstrombahn ohne relevante Stenose (03/2015). Darüber hinaus leidet der Kläger unter arterieller Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom, Steatosis hepatis, Struma nodosa, Splenomegalie, chronischer Gastritis, rezidivierender Nabelhernie und einem Zustand nach Kaudasyndrom mit persistierender Pollakisurie und Bandscheiben-OP L4/5 (10/2003).

Ob die für die BK Nr. 1302 relevanten Gesundheitsstörungen im erforderlichen Vollbeweis vorliegen, kann offen bleiben.

Denn jedenfalls kann sowohl bei einer generellen als auch bei einer konkret-individuellen Betrachtung ein Ursachenzusammenhang zwischen den bei dem Kläger feststellbaren Einwirkungen und den von ihm geltend gemachten Erkrankungen, deren Vorhandensein unterstellt, nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, so dass die haftungsbegründende Kausalität zu verneinen ist.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Erkrankung als BK ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht oder verschlimmert und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (BSG, Urteil vom 27.06.2000, a. a. O.).

Schädigende Stoffe im Sinne der BK 1302 der Anlage 1 zur BKV sind Halogenkohlenwasserstoffe, also Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom oder Jod (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung vom 29.03.1985, a. a. O.).

Nach Auswertung der Stellungnahmen zur Arbeitsplatzexposition vom 09.08.2010 und vom 12.10.2010 und unter Berücksichtigung der Angaben des Arbeitskollegen des Klägers bei der Firma T. AG S. vom 17.03.2011 sowie der eigenen Angaben des Klägers ist Prof. Dr. K. zu der Einschätzung gelangt, dass im Rahmen der Tätigkeit bei der T. AG von 1977 bis 1986 zweifelsfrei Expositionen gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen (Waschbenzin, Methylenchlorid) und PCB-haltigen Trafo-Ölen (Clophen) bestand. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers sowie der Ermittlungsergebnisse der Beklagten sind maßgebliche Gefahrstoffeinwirkungen bei der Firma M. nicht aufgetreten. Aufgrund der lange zurückliegenden Expositionen und der zwischenzeitlichen Betriebsschließung sind retrospektiv nur noch qualitative Angaben hinsichtlich gesundheitsgefährdender Stoffe möglich; der Umfang der Einwirkung kann nicht mehr ermittelt werden. Das Ausmaß der schädigenden Einwirkung ist nicht mehr ermittelbar, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind.

Die arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen unterstellt, fehlt es zudem an einer hinreichend wahrscheinlichen Verursachung durch eine angenommene schädigende Einwirkung. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen im Zeitraum 1977 bis 1986 lagen nach der sich aus dem Vorerkrankungsverzeichnis ergebenden Krankheitsgeschichte keine damit in Zusammenhang stehenden Gesundheitsstörungen und Krankheiten vor. Wie Prof. Dr. K. ausführt, trat keine der bei einer schädigenden Einwirkung zu erwartenden akuten Gesundheitsstörungen während des Expositionszeitraums auf. In dem expositionsrelevanten Zeitraum traten fast ausschließlich allgemeine Infektionskrankheiten und Erkrankungen des muskulo-skelettalen Systems auf. Beschwerden, Symptome oder Krankheiten, die mit arbeitsplatzeigentümlichen Einwirkungen assoziiert wären, sind im Vorerkrankungsverzeichnis nicht vermerkt. Ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und den Einwirkungen durch Halogenkohlenwasserstoffe ist, wie Prof. Dr. K. nach Auswertung der aktuellen berufsmedizinischen Fachliteratur überzeugend ausführt, daher nicht wahrscheinlich. Es ist von einem umweltassoziierten Krankheitsbild auszugehen, ohne dass die Anforderungen an eine Berufskrankheit im rechtlichen Sinne in Form einer hinreichend wahrscheinlich zu machenden Kausalität zwischen einer mit an Sicherheit grenzender Exposition und einer bestimmten Gesundheitsstörung erfüllt wären.

Die Voraussetzungen für die Feststellung der BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV sind ebenfalls nicht erfüllt. Durch die BK werden (polytoxische) Polyneuropathien und (toxische) Enzephalopathien erfasst (Merkblatt Bek. des BMGS, BArbBl. 2005, H. 3 S. 49). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger an Polyneuropathie leidet, finden sich in den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht. Bei dem Kläger ist allerdings eine Enzephalopathie nachgewiesen. Die Erkrankung steht aber nicht in ursächlichem Zusammenhang mit - möglichen - schädigenden Einwirkungen während der Berufstätigkeit. Bei dem Kläger liegt, wie sich aus dem cranialen MRT vom 19.02.2015 und der neurologischen Untersuchung in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. vom 03.03.2015 ergibt, eine fortgeschrittene progrediente subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) vor. Die bei dem Kläger bestehende Enzephalopathie ist durch Arteriosklerose hervorgerufen. Die Erkrankung hat, wie Prof. Dr. K. überzeugend ausführt, damit einen organpathologischen Hintergrund und steht nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Dichlormethan (Methylenchlorid) und polychlorierten Biphenylen. Eine toxische Enzephalopathie liegt nicht vor.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung erfolglos geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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