S 26 AS 3067/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 AS 3067/13
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 den Klägern Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe im Bewilligungszeitraum von Juni 2013 bis November 2013 zu gewähren. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Höhe der anzuerkennenden Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Juni 2013 bis November 2013.

Die Kläger, die Klägerin zu 1) und vier ihrer Kinder, die Kläger zu 2) bis 5), bezogen im Jahr 2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II). Die Kläger bewohnten im Jahr 2013 ein 87m² großes Reihenhaus in Hamburg. Die Klägerin zu 1) hat zwei weitere Kinder, die im Jahr 2013 nicht mehr bei ihr lebten, die Klägerin zu 1) aber an Wochenenden und Feiertragen besuchten. Die Kosten der Unterkunft und Heizung setzten sich im Jahr 2013 aus einer Nettokaltmiete von EUR 1094,07, Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von EUR 216,58 und Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von EUR 302,92 zusammen.

Am 28. Januar 2013 führte der Beklagte mit der Klägerin zu 1) ein Gespräch über die Senkung der Kosten der Unterkunft und Heizung und ließ der Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 30. Januar 2013 eine Zusammenfassung des Gesprächs zu kommen. Die Klägerin wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Beklagten lediglich eine Nettokaltmiete bis zu EUR 659,90 angemessen sei, die tatsächlichen Kosten den angemessenen Betrag erheblich übersteigen würden und sie deshalb aufgefordert werde, bis zum 30. April 2013 nach Möglichkeiten zur Verringerung der Miete zu suchen. Dafür käme insbesondere ein Umzug in eine günstigere Wohnung in Betracht. Es seien monatlich 10 Nachweise der entsprechenden Bemühungen zu erbringen, einzureichen bis zum 15. jeden Monats unter Beifügung geeigneter Unterlagen. Sofern sich die Klägerin nicht um eine Kostensenkung bemühe, werde darauf hingewiesen, dass ab dem 1. Mai 2013 nur noch die angemessenen Kosten für die derzeitige Wohnung übernommen werden könnten.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2013 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum von Juni 2013 bis November 2013 nur noch Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung auf Grundlage einer Nettokaltmiete von EUR 659,60, Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 302,92 und Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von EUR 216,58. Die Kläger erhoben am 23. Mai 2013 Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Mai 2013. Die Kläger führen in der Widerspruchsbegründung aus, dass Bemühungen um eine günstigere Wohnung erfolglos geblieben seien. Es gäbe keine Wohnung in Hamburg, die den Bedarf der Klägerin zu 1) und ihrer vier minderjährigen Kinder zuzüglich alle 2 Wochen zwei weiterer Kinder am Wochenende decken könnte und unter den derzeitigen tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung läge. Aus einer Stellungnahme des Jugendamtes ergebe sich, dass eine Aufgabe der Wohnung unzumutbar sei.

Der Bescheid wurde mit Änderungsbescheiden vom 27. Mai 2013, 4. Juli 2013, 19. Juli 2013, 20. August 2013, 2. September 2013, 17. September 2013 und 17. Oktober 2013 geändert, ohne dass sich Änderungen hinsichtlich der anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung ergaben.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2013, den Klägern am 28. August 2013 zugegangen, zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde damit begründet, dass die Klägerin zu 1) zur Kostensenkung aufgefordert worden sei und sie auch eine schriftliche Zusammenfassung des Gespräches erhalten habe, die Klägerin zu 1) aber keine Nachweise über Mietsenkungsbemühen eingereicht habe. Deshalb sei nur noch die angemessene Nettokaltmiete zu berücksichtigen. Der Klägerin zu 1) habe ausreichend Zeit zur Kostensenkung zur Verfügung gestanden. Die angemessene Miete ergebe sich aus der Fachanweisung zu § 22 SGB II der Freien und Hansestadt Hamburg mit Stand vom 1. April 2012. Aus einer Stellungnahme des Jugendamtes vom 18. Juni 2013 ergebe sich, dass ein Umzug in eine andere Wohnung auch für die Kinder zumutbar sei. Es sei lediglich wünschenswert, wenn die Familie eine Wohnung in angemessener Größe und Miethöhe in F., R. oder S. erhalten könne. Aus der besuchsweisen Anwesenheit der beiden älteren Kinder ergebe sich keine andere Beurteilung.

Die Kläger haben am 27. September 2013 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Sie beziehen sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

Die Kläger beantragen sinngemäß, den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 der Klägerin Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe im Bewilligungszeitraum von Juni 2013 bis November 2013 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Der Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.

Am 28. September 2016 fand ein Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Hamburg statt. Hinsichtlich des Inhaltes des Termins, insbesondere der Anhörung der Klägerin zu 1), wird auf die Sitzungsniederschrift des Gerichts verwiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Die Entscheidung des Beklagten, den Klägern nur Kosten der Unterkunft und Heizung auf Grundlage einer Nettokaltmiete von EUR 659,60 zu gewähren, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung von Kosten der Unterkunft, die von den tatsächlichen Kosten abweichen, liegen nicht vor.

Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011 sind grundsätzlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen. Soweit die Kosten der Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf sonstige Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Voraussetzung für eine Übernahme nur noch einer angemessenen Miete ist nach allgemeiner Ansicht, dass eine Aufforderung zur Kostensenkung durch den Leistungsträger erfolgen muss. Eine solche Aufforderung hat eine Warn- und Informationsfunktion. Diese Aufforderung hat keinen eigentlichen rechtlichen Regelungsgehalt und ist somit auch kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X). Ist die Aufforderung aber inhaltlich unzutreffend, weil der Leistungsträger dem Leistungsberechtigten unrichtige "Parameter" hinsichtlich einer als angemessen angesehenen Referenzmiete erteilt und der Leistungsberechtigte deshalb keine Wohnung findet, scheidet eine Übernahme nur des angemessenen Teils der Kosten der Unterkunft und Heizung aus (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 30/08 R).

So liegt es hier: Inhaltlich richtig ist eine Aufforderung zur Kostensenkung nur dann, wenn sie dem Leistungsberechtigten mindestens den angemessenen Mietpreis angibt, damit der Leistungsberechtigte Klarheit über die angemessenen Aufwendungen erhält (BSG aaO; BSG, Urteil vom 1. Juni 2010, B 4 AS 78/09 R; BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, B 14/7b AS 70/06 R; BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 10/06 R). Der angemessene Mietpreis ist nach der Produkttheorie zu ermitteln (BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, B 14/7b AS 70/06 R; BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 10/06 R; ständige Rechtsprechung des BSG seit BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011, B 4 AS 19/11 R), mithin mit einer Bruttokaltmiete anzugeben. Ein Abstellen auf die Nettokaltmiete ist auch dann nicht zulässig, wenn in der Regel durch einen Leistungsträger die Betriebskosten in voller Höhe übernommen werden (BSG, Beschluss vom 2. April 2014, B 4 AS 17/14 B).

Die erkennende Kammer schließt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an. Denn ein Interesse an der Begrenzung der Kosten der Unterkunft von Leistungsberechtigten besteht nicht dann, wenn ein bestimmter Bestandteil der Kosten der Unterkunft und Heizung nicht mehr angemessen ist (Kombinationstheorie), sondern wenn die Kosten der Unterkunft insgesamt nicht mehr angemessen sind (Produkttheorie). Dies ergibt sich schon aus § 22 Abs. 1 SGB II, der auf die Angemessenheit der Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und nicht die Angemessenheit der Unterkunft selbst abstellt. Dem steht es nicht entgegen, die nach der Produkttheorie zu ermittelnden Aufwendungen der Kosten der Unterkunft und ggf. Heizung durch Parameter zu bestimmen, die den Lebensverhältnissen von Personen im Bezug von Leistungen nach dem SGB II entsprechen, etwa eine Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft unter Anlegung eines niedrigen Standards an Wohnfläche, Ausstattung und umlagefähigen Betriebskosten. Durch die Anwendung der Produkttheorie wird die Möglichkeit der Leistungsberechtigten gewährleistet, innerhalb des die Angemessenheit bestimmenden Produkts aus Wohnungsgröße und Ausstattung und ggf. weiteren Faktoren tatsächlich frei wählen zu können, die Möglichkeiten der Produkttheorie also ausschöpfen zu können (siehe auch: SG Hamburg, Beschluss vom 31. Mai 2016, S 35 1261/16 ER).

Die Kostensenkungsaufforderung stellt auf die in der Fachanweisung der Freien und Hansestadt Hamburg ab. Die Fachanweisung der Freien und Hansestadt Hamburg (Gz: Sl 225 / 112.22-1-1-1, Stand 1. April 2012) stellt wiederum auf eine Nettokaltmiete ab und gibt den Klägern damit gerade nicht die angemessene Miete im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II an. Es besteht daher keine rechtliche Grundlage für eine Übernahme nur eines Teils der tatsächlichen Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.

Eine Übernahme nur der angemessenen Kosten ist somit rechtswidrig. Dem steht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Bestimmung der angemessenen Miete nach Wohnungswechsel, § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F., durch Anwendung der Wohngeldtabelle nebst Aufschlag nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 6/14 R). Das Gericht ist in Fällen, in denen eine Kostensenkung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II unmöglich oder unzumutbar ist, nicht gehalten, eine zutreffende Angemessenheitsgrenze zu bilden. Dies würde auch nicht zu einer zutreffenden Information des Leistungsberechtigten im streitgegenständlichen Zeitraum führen, die nämlich nicht im Nachhinein herbeigeführt werden kann.

Sofern sich aus den Entscheidungen des BSG zu ergeben scheint, dass eine unzutreffende Kostensenkungsaufforderung kausal für eine fehlende Kostensenkung sein muss, indem der Leistungsberechtigte seine Suche aufgrund der unzutreffenden Angaben einschränkt (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 30/08 R), ist die Kammer der Auffassung, dass hiermit ein Absehen von Kostensenkungen verhindert werden soll, bei denen lediglich ein unzutreffender Wert nach nachvollziehbaren, rechtmäßigen Kriterien ermittelt wurde. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Klägerin zu 1) zur Kostensenkung aufgefordert und durch die Angabe lediglich einer Nettokaltmiete unzutreffende Angaben zu der Zusammensetzung einer Angemessenheitsgrenze erteilt (in diese Richtung weisend auch: BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 77/13 R, - zitiert nach juris, dort Rn. 43 -, wonach eine auf die Nettokaltmiete abstellende Kostensenkungsaufforderung 2007 noch zulässig gewesen sei). Der Beklagte konnte selbst nicht einmal davon ausgehen, dass er eine rechtmäßig ermittelte Angemessenheitsgrenze für die anzuerkennenden Kosten der Unterkunft angegeben hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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