L 4 KA 28/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 463/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 28/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 76/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Abrechnungsfähigkeit psychotherapeutischer Leistungen nach den GOP 35140 (Biographische Anamnese) und 35141 (Zuschlag zu der Leistung nach der Nr. 35140 für die vertiefte Exploration) EBM 2000plus bzw. 35140 EBM 2009 in den Quartalen IV/07 und IV/09.

Die Klägerin, eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, nimmt seit dem 1. September 2003 in der Fachgruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit Praxissitz in A-Stadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Für die nachfolgend aufgeführten Patienten rechnete die Klägerin Leistungen, die sie in den Quartalen IV/07 und IV/09 diesen gegenüber erbracht hatte, wie folgt ab:

Patientenname Quartal Ziffer Abrechnungsdatum Therapie
P1 IV/07 35140 21.11.2007 Langzeittherapie ab 03.11.2007
P2 IV/07 35141 04.12.2007 Antrag Kurzzeittherapie am 19.01.2008
P3 IV/07 35141 04.10.2007 kein Antragsverfahren
P4 IV/07 35141 12.10.2007 kein Antragsverfahren
P5 IV/07 35141 28.12.2007 Antrag Kurzzeittherapie am 19.01.2008
P6 IV/07 35141 11.12.2007 Antrag Kurzzeittherapie am 29.01.2008
P7 IV/09 35140 02.10.2009 Langzeittherapie ab 01.10.2009

Mit Bescheid vom 17. März 2008 berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung der Klägerin für das Quartal IV/07 sachlich-rechnerisch insoweit, als sie die Ziffer 35140 EBM 2000plus insgesamt 6mal und die Ziffer 35141 EBM 2000plus insgesamt 5mal von der Vergütung ausschloss. Die Berichtigung betraf auch die oben aufgeführten Leistungen für die Patienten P1, P2, P3, P4, P5 und P6. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die GOP 35140 EBM 2000plus sei gemäß den Bestimmungen des EBM sowie der Psychotherapierichtlinie nur einmal im Behandlungsfall und vor einer bewilligten Therapie abrechnungsfähig, da es sich um eine vorausgehende diagnostische Maßnahme im Zusammenhang mit einer Psychotherapie handele. Die Erhebung des psychodynamischen Status sei notwendig, um zu klären, ob eine Psychotherapie durchgeführt werden solle. Daraus ergebe sich, dass die Ziffer 35140 EBM 2000plus nicht während einer laufenden Therapie zur Anwendung kommen könne. Die Abrechnung der GOP 35141 EBM 2000plus sei nur im Zusammenhang mit einem Antragsverfahren oder bei Beendigung der von der Krankenkasse bewilligten Therapie möglich.

Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 25. März 2008 am 26. März 2008 Widerspruch.

Mit Honorarbescheid vom 9. Mai 2008 stellte die Beklagte bei der Klägerin für das Quartal IV/07 einen Gesamthonoraranspruch der Klägerin in Höhe von 28.116,09 Euro netto fest. Honorar für die von ihr mit Bescheid vom 17. März 2008 als nicht abrechenbar qualifizierten Leistungen gewährte sie nicht.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2012 zurück. Bei den Patienten P8, P9, P10, P6, P11, P12 und P13 sei eine erneute Abrechnung der GOP 35140 während der laufenden Therapie erfolgt. Bei den Patienten P2, P6, P3, P4 und P5 sei die Absetzung erfolgt, weil der nach der Leistungslegende erforderliche Zusammenhang mit einem Antragsverfahren oder der Beendigung einer Therapie nicht dokumentiert worden sei und sich auch nicht aus dem Abrechnungszusammenhang ergeben habe.

Die Klägerin hat am 12. September 2012 beim Sozialgericht Marburg Klage gegen diese Bescheide erhoben (Az. S 11 KA 463/12).

Hinsichtlich des Quartals IV/09 nahm die Beklagte im Rahmen des Honorarbescheides vom 27. März 2010 eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor. U.a. betraf die Berichtigung die Absetzung der oben aufgeführten Leistung, die gegenüber der Patientin P7 erbracht worden war. Die Klägerin erhob auch gegen diesen ihr am 2. Juni 2010 zugegangenen Bescheid mit Schreiben vom 2. Juni 2010 am 3. Juni 2010 Widerspruch, beschränkt auf die Absetzungen für die Patienten P14 und P7.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2013 zurück. Der Widerspruch hinsichtlich des Patienten P14 sei unzulässig, weil die Absetzung bereits rückgängig gemacht worden sei. Die Absetzung der GOP 35140 EBM bei der Patientin P7 sei zu Recht erfolgt, denn die Ziffer sei im Rahmen der Umwandlung einer Kurzzeit- in eine Langzeittherapie nicht abrechnungsfähig.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin am 8. Mai 2013 beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben (Az. S 11 KA 323/13).

Mit Schriftsatz vom 12. August 2013 hat die Klägerin ihre Klage (in dem Verfahren S 11 KA 463/12) zurückgenommen, soweit sie die Gewährung von Honorar für die Erbringung von nach Ziffer 35140 EBM vergüteten Leistungen bei den Patienten P10, P13, P9, P11 und P12 und P14 gefordert hatte.

Mit Beschluss vom 12. Februar 2014 hat das Sozialgericht die Verfahren S 11 KA 463/12 und S 11 KA 323/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.

Mit Urteil vom gleichen Tage hat das Gericht dann den Honorarbescheid IV/07 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2012 sowie den Honorarbescheid IV/09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin hinsichtlich der Patienten P1, P2, P5, P6 und P7 neu zu bescheiden. Im Übrigen hat das Gericht die Klage abgewiesen. Weiter hat es die Verfahrenskosten im Verhältnis zu 1/3 (Beklagte) und 2/3 (Klägerin) zwischen den Beteiligten aufgeteilt und die Berufung zugelassen.

Die Kammer habe in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handele (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Klage sei hinsichtlich der Patienten P1, P2, P5, P6 und P7 auch begründet. Der Honorarbescheid IV/07 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2012 sei insoweit rechtswidrig. Der Honorarbescheid IV/09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2013 sei hinsichtlich der Patientin P7 ebenfalls rechtswidrig. Insoweit verletzten diese Bescheide die Klägerin in ihren Rechten, so dass sie insoweit auch einen Anspruch auf Neubescheidung habe.

Die Klägerin sei berechtigt gewesen, im Falle der Patienten P1 und P7 die GOP 35140 EBM2000plus bzw. EBM 2009 abzurechnen. Die Leistungsbeschreibung laute wie folgt:

35140 Biographische Anamnese

Obligater Leistungsinhalt
- Erstellen der biographischen Anamnese,
- Bestimmung des psychodynamischen bzw. verhaltensanalytischen Status,
- Dauer mindestens 50 Minuten 1395 Punkte

Die Gebührenordnungsposition 35140 ist nur einmal im Krankheitsfall berechnungsfähig. Die Gebührenordnungsposition 35140 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 01210, 01214, 01216, 01218, 14220 bis 14222, 14310, 14311, 21220 bis 21222, 22220 bis 22222, 23220, 30702, 35100, 35110 bis 35113, 35120 und 35150 berechnungsfähig.

Vor dem Hintergrund des Wortlautes der Bestimmung, die keinerlei Vorgaben zum Zeitpunkt der Abrechnung der Ziffer mache, sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Absetzung in Einzelfällen nicht in Betracht komme, wenn die GOP auch während einer laufenden Psychotherapie abgerechnet werde. Die Kammer sei zwar mit der Beklagten, die sich insoweit auf die Kommentierung von Wezel/Liebold berufe, der Auffassung, dass nach dem Sinn und Zweck der biographischen Anamnese diese grundsätzlich zur Eingangsdiagnostik gehöre und damit üblicherweise im Rahmen der probatorischen Sitzungen durchgeführt und abgerechnet werde. Sofern in Einzelfällen eine Abrechnung zu einem späteren Zeitpunkt - wie z. B. vorliegend bei Umwandlung der Kurz- in eine Langzeittherapie - erfolge, begründe dies jedoch keinen Abrechnungsausschluss nach den Vorgaben des EBM. Vielmehr beschreibe der EBM gerade ein anderes Begrenzungsmerkmal für die Leistung, nämlich die einmalige Abrechnungsmöglichkeit pro Krankheitsfall. Der Begriff des Krankheitsfalls sei in § 21 Abs. 1 BMV-Ä und § 25 Abs. 1 EKV wie folgt definiert: "Ein Krankheitsfall umfasst das aktuelle sowie die nachfolgenden drei Kalendervierteljahre, die der Berechnung der krankheitsfallbezogenen Leistungsposition folgen." Dementsprechend sei unter einem Krankheitsfall in der EBM-Abrechnung die Gesamtdauer einer Behandlung zu verstehen, die sich über mehr als drei und bis zu vier Quartale erstrecke. Frühestens mit Beginn des vierten Quartals, das auf das Kalendervierteljahr folge, in dem der Krankheitsfall eingetreten sei, könne von einem neuen Krankheitsfall ausgegangen werden, wenn eine weitere oder eine erneute Behandlung erforderlich seien. Dann sei auch die erneute Abrechnung der GOP 35140 EBM beim identischen Patienten möglich. Auch dies spreche dafür, die Abrechnungsfähigkeit der GOP 35140 nicht auf den Rahmen der probatorischen Sitzungen zu beschränken. Da das Problem der späteren Erbringung der Leistung bei der Klägerin nur in den beiden hier streitgegenständlichen Einzelfällen aufgetreten sei, möge dies therapeutische Gründe gehabt haben, sei aber jedenfalls im Rahmen der EBM-Vorgaben nicht durch die Beklagte sanktionierbar. Sofern die Beklagte mit ihren Einwänden der verspäteten Leistungserbringung ggfs. in Zweifel ziehe, dass die Klägerin die Leistung zweckmäßig im Sinne von § 12 SGB V erbracht habe, so sei im System des Vertragsarztrecht die Wirtschaftlichkeitsprüfung das geeignete Sanktionssystem, nicht jedoch die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Honorarabrechnung.

Hinsichtlich der Patienten P2, P5 und P6 ergebe sich die Rechtswidrigkeit der Absetzung bereits aus den dokumentierten Daten der Leistungserbringung und dem folgenden Antragsverfahren.

Die GOP 35141 laute:

35141 Zuschlag zu der Gebührenordnungsposition 35140 für die vertiefte Exploration

Obligater Leistungsinhalt
- Differentialdiagnostische Einordnung des Krankheitsbildes unter Einbeziehung der dokumentierten Ergebnisse der selbsterbrachten Leistungen entsprechend der Gebührenordnungsposition 35140 im Zusammenhang mit einem Antragsverfahren oder bei Beendigung der Therapie,
- Dauer mindestens 20 Minuten,

Die Gebührenordnungsposition 35141 ist im Krankheitsfall höchstens zweimal berechnungsfähig. Die Gebührenordnungsposition 35141 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 01210, 01214, 01216, 01218, 14220 bis 14222, 14310, 14311, 21220 bis 21222, 22220 bis 22222, 23220, 30702, 35100, 35110 bis 35113, 35120 und 35150 berechnungsfähig.

Zur Überzeugung des Gerichts verlange der Wortlaut der Ziffer einen zeitlichen Zusammenhang mit einem Antragsverfahren, der jedoch nicht näher definiert sei. Vorliegend liege zwischen Leistungserbringung und Antragstellung in den drei genannten Fällen ein Zeitraum von ca. 5 bis 7 Wochen. Die Klägerin erkläre diese zeitliche Verzögerung damit, dass die Patienten gelegentlich die für den Antrag notwendigen Konsiliarberichte nicht zügig anforderten oder diese nicht zügig erstellt würden. Zwar gehe die Kammer aus eigenem Wissen davon aus, dass die Erledigung von Konsiliarberichtsanforderungen grundsätzlich ein Geschäft sei, das von den Ärzten zeitnah im Praxisablauf erledigt werde. Jedoch sei es äußerst nachvollziehbar, dass nicht alle Patienten dies zeitnah erledigten. Jedenfalls im vorliegenden Fall handele es sich um einzelne Fälle, in denen auch noch die Weihnachtszeit in den 5 bis 7 Wochen gelegen habe, was weitere Verzögerungen begründen könne. Bei Zeiträumen von wenigen Wochen vermöge die Kammer jedenfalls nicht zu erkennen, dass ein Zusammenhang mit einem Antragsverfahren nicht mehr bestehen könne. Vielmehr werde auch in diesen Fällen der zeitlichen Verzögerung die Leistung der GOP 35141 erbracht, um das folgende Antragsverfahren vorzubereiten, so dass auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift kein Grund für eine Absetzung zu erkennen sei. Sofern die Beklagten den Zusammenhang aufgrund des Quartalswechsels, der im Rahmen der 5 bis 7 Wochen jeweils eingetreten sei, nicht erkennen habe können, so hätte sie dies spätestens mit den im Hinblick auf die Abrechnungskorrekturvorgaben rechtzeitigen Erläuterungen der Klägerin im Schreiben vom 25. März 2008 bemerken und auch noch korrigieren können, da der Honorarbescheid IV/07 erst am 29. August 2005 erstellt worden sei.

Im Übrigen sei die Klage abzuweisen gewesen, da bei den Patienten P3 und P4 kein Zusammenhang mit einem Antragsverfahren festzustellen sei. Es sei jeweils gar kein Antragsverfahren durchgeführt worden.

Die Kostenentscheidung beruhe auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Berufung sei wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Auslegung der streitgegenständlichen EBM-Bestimmungen zuzulassen gewesen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. April 2014 zugestellte Urteil am 6. Mai 2014 Berufung eingelegt.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung rechtswidrig sei. Aus der Kommentierung von Wezel/Liebold zum EBM ergebe sich, dass die Leistung der GOP 35140 EBM nicht während einer laufenden Psychotherapie zur Abrechnung kommen könne. Es handele sich um eine vorausgehende diagnostische Maßnahme. Die Erhebung des psychodynamischen Status bzw. verhaltensanalytischen Status (Statuserhebung) sei notwendig, um zu klären, ob eine Psychotherapie sinnvollerweise durchgeführt werden solle. Die hinsichtlich des Patienten P1 bewilligte Kurzzeittherapie mit 25 Sitzungen habe am 22. Oktober 2007 geendet. Am 3. November 2007 habe die Klägerin die Nr. 35201 EBM (Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Langzeittherapie, Einzelbehandlung) abgerechnet, so dass zu diesem Zeitpunkt die Langzeittherapie begonnen habe. Erst danach, am 21. November 2011, also nach Beginn der Psychotherapie, habe die Klägerin die Nr. 35140 EBM angesetzt. Bei der Patientin P7 sei die Nr. 35201 EBM am 1. Oktober 2009 abgerechnet worden, und erst am folgenden Tag die Nr. 35140 EBM. Das vom Sozialgericht genannte Begrenzungsmerkmal der einmaligen Abrechnungsmöglichkeit pro Krankheitsfall sei ein eigenständiges Kriterium und habe keinen Einfluss darauf, welche weiteren zusätzlichen Anforderungen für die Abrechnung einer Gebührenordnungsposition gestellt würden. Es liege auch keine Abrechnung im Rahmen der Umwandlung der Kurz- in eine Langzeittherapie vor. Bei der Patientin P7 habe die Kurzzeittherapie im Quartal III/09 geendet.

Auch die Absetzungen bei den Patienten P2, P5 und P6 betreffend die Ziffer 35141 seien zu Recht erfolgt. Obligater Leistungsinhalt dieser Ziffer sei die differentialdiagnostische Einordnung des Krankheitsbildes unter Einbeziehung der dokumentierten Ergebnisse der selbsterbrachten Leistungen entsprechend der Gebührenordnungsposition 35140 im Zusammenhang mit einem Antragsverfahren oder bei Beendigung einer Therapie. In den "Allgemeinen Bestimmungen" I, Kapitel 2, Abschnitt 2.1 des EBM sei bestimmt, dass eine Leistung nur berechnungsfähig sei, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden sei. Dazu gehöre bei einem Leistungskomplex, dass die obligaten Leistungsinhalte erbracht und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten erfüllt worden seien. Die in einer Überschrift zu einer Leistung bzw. einem Leistungskomplex aufgeführten Leistungsinhalte gehörten zu den obligaten Leistungsbestandteilen. Fakultativ erbrachte Leistungen müssten dokumentiert werden. Der Abschnitt 2.1.2 stelle außerdem klar, dass auch fakultative Leistungsinhalte Bestandteil des Leistungskatalogs seien und damit nicht gesondert berechnet werden könnten. Ohne einen Hinweis in den eingereichten Abrechnungsunterlagen sei zum Zeitpunkt der Bearbeitung seitens der Beklagten nicht ersichtlich, ob eine erstmalige Therapie, eine Umwandlung oder eine Fortsetzung der Therapie beantragt bzw. die Ziffer im Zusammenhang mit der Beendigung einer Therapie abgerechnet worden sei. Demzufolge sei die Nr. 35141 EBM immer dann abzusetzen, wenn dem entsprechenden Behandlungsschein keine weiteren Therapieleistungen nach Kapitel 35.2 EBM an einem späteren Behandlungstag zu entnehmen seien (dann könne ein Erstantrag unterstellt werden) und keine zusätzliche Angabe (z. B. Erstantrag, Beendigung der Therapie, Umwandlung KZT/LZT o. ä.) auf dem Behandlungsschein erfolgt sei. Außerdem sei in den "Allgemeinen Bestimmungen" I, Kapitel 2, Abschnitt 2.1 des EBM (Stand Oktober 2007) unter Satz 4 ausgeführt, dass eine Leistung oder ein Leistungskomplex auch dann berechnungsfähig sei, wenn eine als Bestandteil des Leistungsinhalts vorausgesetzte Berichterstattung oder Übermittlung einer Befundkopie bei Überschreitung der Quartalsgrenze bis zum 14. Tag im Anschluss an die vollständige Erbringung der sonstigen Leistungsinhalte der Leistung oder des Leistungskomplexes erfolge. Auch ausgehend von dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift bestehe kein Zusammenhang mit einem Antragsverfahren. Hinsichtlich des Patienten P6 sei der Ansatz der Ziffer 35141 EBM zur Abrechnung am 11. Dezember 2007 erfolgt. Der Antrag auf Bewilligung der Kurzzeittherapie sei den Angaben der Klägerin zufolge aber erst am 29. Januar 2008, also über 1,5 Monate später und in einem anderen Abrechnungsquartal, abgesandt worden. Vergleichbares gelte bei den Patientinnen P5 (Abrechnung der Ziffer 35141 EBM am 28. Dezember 2007, Antrag auf Bewilligung der Kurzzeittherapie am 19. Januar 2008 abgesandt) und P2 (Abrechnung der Ziffer 35141 EBM am 4. Dezember 2007, Antrag auf Bewilligung der Kurzzeittherapie am 19. Januar 2008 abgesandt). Bei der Patientin P2 seien sowohl am 6. als auch am 27. Dezember 2007 außerdem die Ziffer 35150 (Probatorische Sitzung) angesetzt worden. Nach § 23a Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie) seien vor der ersten Antragstellung bis zu 5, bei der analytischen Psychotherapie bis zu 8 probatorische Sitzungen möglich.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. Februar 2014 aufzuheben, soweit der Klage stattgegeben wurde, und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung rechtmäßig sei. Soweit sich die Beklagte auf die "Allgemeinen Bestimmungen" I, Kapitel 2, Abschnitt 2.1 des EBM, Satz 4, beziehe, sei diese Regelung im vorliegenden Fall ohne Relevanz, denn sie betreffe nur die Abrechenbarkeit von Leistungen, wenn die Leistung nur nach der Erstattung eines Berichts oder der Vorlage einer Befundkopie abrechnungsfähig sei. Eine solche Fallgestaltung liege hier nicht vor. Sie sei schon seit langem hinsichtlich der Berichtspflicht bei Beantragung der Kurzzeittherapie von der Genehmigungspflicht im Gutachterverfahren befreit. Auch habe sie die Beklagte rechtzeitig vor der Erstellung der Quartalsabrechnung über den Abrechnungszusammenhang hinsichtlich der abgerechneten Leistungen gemäß Ziffer 35141 EBM aufgeklärt. Die Annahme der Beklagten, ein Antrag auf Bewilligung der Psychotherapie sei nicht mehr zulässig, wenn nach der Antragstellung eine weitere probatorische Sitzung stattfinde, sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen sei bei der Patientin P2 nach dem Zeitpunkt der ersten Beantragung der Psychotherapie keine probatorische Sitzung mehr abgerechnet worden. Weder in den Psychotherapie-Richtlinien noch im EBM noch in einem sonstigen Regelwerk gebe es eine Festlegung dahingehend, dass probatorische Sitzungen nur vor einer vertieften Exploration gemäß Ziffer 35141 EBM stattfinden dürften.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Behördenvorgänge. Sämtliche dieser Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen, denn sie ist zwar zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden, aber unbegründet. Die sozialgerichtliche Entscheidung ist, soweit sie angegriffen wurde, nicht zu beanstanden.

Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Honorarbescheid vom 9. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2012 sowie der Honorarbescheid vom 27. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2013 insoweit rechtswidrig sind und aufzuheben waren, als die von der Klägerin gegenüber den Patienten P1, P2, P5, P6 und P7 in diesen Quartalen nach den Ziffern 35140 bzw. 35141 EBM erbrachten Leistungen bei der Berechnung des klägerischen Honorars nicht berücksichtigt wurden.

Der Klägerin stand Honorar nach der GOP 35140 EBM sowohl für die gegenüber ihrem Patienten P1 im Quartal IV/07 erbrachten und am 21. November 2011 abgerechnete Leistungen als auch für die gegenüber ihrer Patientin P7 im Quartal IV/09 erbrachten und am 2. Oktober 2009 abgerechneten Leistungen zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst vollumfänglich Bezug auf die entsprechenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich die Beklagte für ihre Rechtsauffassung auch nicht auf den von ihr zitierten Kommentar Wezel/Liebold berufen kann. Denn dort wird gerade nicht angenommen, dass eine Berechnung der Nr. 35140 während einer laufenden Psychotherapie generell ausscheide, sondern nur gefordert, dass sie auf einzelne plausible Fälle beschränkt bleiben müsse (s. Wezel/Liebold, Kommentar zu EBM und GOÄ, 8. Aufl. 43. Lief. Stand 1. Juli 2015, Nr. 35140 S. 35 - 18/1). Um solche handelt es sich hier.

Auch für die gegenüber den Patienten P2, P5 und P6 im Quartal IV/07 erbrachten und auf Grundlage der GOP 35141 am 4. Dezember 2007 (P2), 28. Dezember 2007 (P5) und 11. Dezember 2007 (P6) abgerechneten Leistungen ist der Klägerin Honorar zu zahlen. Zur Begründung verweist der Senat auch hier auf die zutreffenden Darlegungen des Sozialgerichts. Weder aus der Gebührenziffer selbst noch aus sonstigen Bestimmungen des EBM lässt sich entnehmen, dass für die Zuerkennung von Honorar nach dieser GOP sämtliche Anspruchsvoraussetzung bereits bei erstmaliger Einreichung der Abrechnung dargelegt worden sein müssten. Für die von Beklagtenseite angenommene Präklusion fehlt es damit schon an einer gesetzlichen Grundlage. Die von ihr genannten Vorschriften enthalten bereits dem Wortlaut nach keine Regelungen, die auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar sind und aus denen sich ergibt, dass Vortrag, der erst nach der erstmaligen Abrechnung erfolgt, nicht mehr zu berücksichtigen wäre. Auch am Bestehen eines (zeitlichen) Zusammenhangs zwischen erbrachter Leistung und Antragsverfahren bestehen aus Sicht des Senats in den vorliegenden Fällen keine Zweifel.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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