L 2 RI 160/03

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 RI 160/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 21.5.2003 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die Beklagte berechtigt war, die Durchführung der von ihr der Klägerin bewilligten Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik H /Z abzulehnen.

Die 1954 geborene Klägerin befand sich wegen ihrer Alkoholabhängigkeit im März 2001 in der R -M -Klinik A zur stationären Behandlung.

Unter Vorlage einer Bescheinigung der Ärzte für Innere Medizin Dres G /K aus K vom Mai 2001 beantragte die Klägerin am 30.5.2001 die Gewährung medizinischer Leistungen für Alkoholabhängige gemäß § 15 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI).

In dem Sozialbericht der Psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängige in Koblenz vom Juni 2001 heißt es ua: Als Behandlungsstätte werde die Fachklinik für suchtkranke Frauen in H /Z vorgeschlagen, weil sich die Klägerin vor Ort mit dem Konzept und der Einrichtung auseinandergesetzt habe und für diese stationäre Entwöhnungsbehandlung motiviert sei. Nach Überzeugung der Beratungs- und Behandlungsstelle könnten die Störungen in einer eingeschlechtlichen Einrichtung am Ehesten behandelt und aufgelöst werden. Im Übrigen wünsche die Klägerin eine Behandlung in einer katholischen Einrichtung, weil es eine Reihe von religiösen Fragen gebe, die ihres Erachtens nur in einer konfessionsgebundenen Einrichtung "aufgelöst und behandelt" werden könnten.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 7.8.2001 eine medizinische Leistung zur Rehabilitation in ihrer Fachklinik in E. Dem Bescheid war der Hinweis beigefügt, dass dem Wunsch der Klägerin, die Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik für suchtkranke Frauen in H /Z durchzuführen, nicht entsprochen werden könne, weil dort eine Adaption (Vorbereitung zum Wiedereinstieg in das Arbeits- und Berufsleben) nicht durchgeführt werden könne; der Fachdienst der Beklagten halte für die Bearbeitung der Probleme der Klägerin einen gemischtgeschlechtlichen Ansatz für vorzugswürdig; die Fachklinik E habe im Rahmen dieses Ansatzes ein frauensensibles Konzept erarbeitet. In der Klinik stehe eine evangelische Pfarrerin zur seelsorgerischen Betreuung zur Verfügung.

Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend: Für sie komme nur eine Maßnahme in einer Fachklinik für suchtkranke Frauen in Betracht. Der Verlust ihres Lebenspartners – die Klägerin war im Juni 1999 von ihrem Ehemann geschieden worden – sei für sie so schmerzhaft, dass sie sich nur eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik in einer Fachklinik für suchtkranke Frauen vorstellen könne. Überhaupt sei es für sie eine wichtige Lebenserfahrung, dass sie mit Frauen leichter über ihre Probleme reden könne; sie sei davon überzeugt, dass sie in einer Fachklinik für Frauen ihre Krankheit Alkoholismus leichter zu akzeptieren lerne. Wenn sie religiöse Fragen habe, wolle sie diese gern in einer konfessionsgebundenen Einrichtung behandelt wissen.

Die Klägerin verwies auf eine weitere Bescheinigung des Internisten Dr G vom August 2001. Darin heißt es, aufgrund der derzeit noch vorliegenden psychischen Labilität mit erhöhtem Rückfallrisiko bei Alkoholkrankheit werde die Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme in einer sog eingeschlechtlichen Einrichtung, zB in H /Z , befürwortet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.1.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hieß es: Im angefochtenen Bescheid sei der Klägerin ausführlich dargelegt worden, aus welchen Gründen ihrem Wunsch nicht habe entsprochen werden können. Stationäre medizinische Leistungen zur Rehabilitation würden in Einrichtungen erbracht, die entweder vom Rentenversicherungsträger selbst betrieben würden oder mit denen ein Vertrag nach § 21 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) bestehe. Mit der Fachklinik für suchtkranke Frauen in H /Z sei keine vertragliche Vereinbarung getroffen worden. Aus diesem Grunde sei es ermessensgerecht, der Durchführung der Entwöhnungsbehandlung in dieser Einrichtung nicht zuzustimmen.

Am 14.2.2002 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin hat erklärt: Sie sei nicht bereit, sich in eine gemischtgeschlechtliche Therapie zu begeben. In einer solchen Einrichtung könne sie sich nicht öffnen. Als Katholikin wünsche sie im Übrigen eine konfessionsgebundene Einrichtung. Seit Anfang 2001 sei sie "trocken"; die Stabilisierung ihres Zustandes mache aber eine entsprechende Maßnahme erforderlich.

Die Beklagte hat angeführt: Das erforderliche Therapiekonzept sei nicht religiös geprägt. Eine seelsorgerische Betreuung könne die Klägerin auch erreichen, indem sie sich in eine externe Betreuung durch einen Geistlichen ihrer Konfession begebe. Sie, die Beklagte, halte sich im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens, wenn sie der Vorbereitung der beruflichen Eingliederung durch die Adaption einen hohen Stellenwert gebe.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte vorgeschlagen, das Heilverfahren in der Klinik für suchtkranke Frauen in A durchzuführen. Die Klägerin hat sich im Beisein ihres Sohnes und von Herrn W von der Psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle in K diese Klinik angesehen und dazu vorgetragen: Sie habe den Gesamteindruck gewonnen, dass in dieser Klinik ein unpersönliches und unfreundliches Klima herrsche. Insgesamt sei sie auf eine ablehnende Haltung gestoßen. Dies sei eindrucksvoll dadurch dokumentiert worden, dass die Unterredungen mit ihr ausschließlich auf dem Flur stattgefunden hätten. Die gesamte Klinik und die Art und Weise, wie sie behandelt worden sei, hätten in keiner Weise einladend und vertrauensbegründend gewirkt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21.5.2003 hat die Klägerin beantragt, den angefochtenen Bescheid unter Berücksichtigung des Vergleichsangebots vom 7.2.2003 (weisung in die Klinik für suchtkranke Frauen in A ) dahingehend abzuändern, dass die Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik für suchtkranke Frauen in H /Z durchgeführt werde.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 21.5.2003 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Durchführung der Entwöhnungsbehandlung in H /Z. Bezüglich des "Wie" einer Rehabilitationsmaßnahme stehe dem Versicherten nur ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung zu. Die Nichtberücksichtigung von Wünschen der Betroffenen begründe für sich keinen Ermessensfehler. Die Kammer vermöge nicht zu erkennen, dass die von der Beklagten vorgenommene Auswahl der Klinik für suchtkranke Frauen in A völlig fehlerhaft sei und dass für die Klägerin nur die Durchführung der Maßnahme in H /Z in Betracht komme. Da die Beklagte nicht beabsichtige, mit dieser Klinik einen Vertrag gemäß § 21 SGB IX zu schließen und dort "wohl" auch keine berufsintegrierenden Angebote durchgeführt würden, bestünden hinsichtlich der von der Klägerin ausgewählten Einrichtung gravierende "Belegungsschwierigkeiten", die die Durchführung der stationären Maßnahme in dieser Einrichtung verhinderten. Der Klägerin sei anzuraten, sich von ihrer Fixierung auf die Klinik in H /Z zu lösen.

Gegen dieses ihr am 28.5.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.6.2003 beim SG Koblenz eingelegte Berufung der Klägerin.

Die Klägerin trägt vor: Sie verweise nach wie vor auf den schlechten Eindruck, den sie von der Klinik in A gewonnen habe, was auch Herr W bestätigen könne. Die Beklagte habe keine Abwägung der anfallenden Kosten zwischen den Kliniken in E und H /Z vorgenommen. Tatsache sei, dass die Kosten der Rehabilitation in der Fachklinik H /Z niedriger seien als in der Klinik in E. Zu beachten sei auch, dass die Erfolgsaussichten einer Rehabilitation höher seien, wenn ihren Wünschen entsprochen werde. Sie, die Klägerin, habe zu keinem Zeitpunkt eine Adaption im Anschluss an die Entwöhnungsbehandlung beantragt. Das SG habe in seine Entscheidung Aspekte eingebracht, die nicht Gegenstand der Begründung im angefochtenen Bescheid gewesen seien. Es werde bestritten, dass die Klinik H /Z nur vertragliche Beziehungen zur Krankenversicherung habe, wovon das SG ausgegangen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Koblenz vom 21.5.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7.8.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2002 dahingehend abzuändern, dass die Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik für suchtkranke Frauen in H /Z durchgeführt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Ein Rechtsanspruch auf Unterbringung in einer Fachklinik mit in den Tagesablauf integrierter katholischer Seelsorge bestehe nicht. Ein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages mit einer bestimmten Einrichtung könne allenfalls dann gegeben sein, wenn keine gleichwertigen Behandlungsmöglichkeiten gegeben seien. Darauf, ob der Kostenansatz in der Fachklinik H /Z niedriger sei als derjenige der Fachklinik E könne es nicht ankommen, da sie, die Beklagte, durch einen geringeren Kostenansatz bei der gewünschten Einrichtung keine Einsparungen erziele. Dadurch trete nämlich nur eine "ganz geringfügige Entlastung bei den Sachkosten (Lebensmittel, Wäschereinigung)" ein. Die übrigen Kosten fielen "unabhängig davon an, ob die Klägerin an der Therapie teilnehme oder nicht". Mithin führe die Durchführung der Entwöhnungsbehandlung in einer anderen Klinik zwingend zu Mehrbelastungen. Die Adaption sei Bestandteil einer Entwöhnungsbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Art und Weise der Durchführung der Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation steht im Ermessen des Versicherungsträgers (§ 13 Abs 1 SGB VI). Der Antrag der Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, die Leistungen zur Teilhabe in H /Z durchzuführen, könnte nur dann Erfolg haben, wenn das diesbezügliche Ermessen auf Null reduziert ist. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann im Hinblick auf einen berechtigten Wunsch des behinderten Menschen iSd § 9 SGB IX gegeben sein. Dies ist jedoch vorliegend zu verneinen.

Ein Wunsch ist iSd § 9 SGB IX nicht berechtigt, wenn der behinderte Mensch Leistungen in einer Einrichtung erhalten möchte, die nicht vom Rehabilitationsträger betrieben wird und mit welcher dieser keinen Vertrag geschlossen hat. Dass außerhalb solcher Einrichtungen eine Rehabilitation nicht in Betracht kommt, folgt aus § 15 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Daran ändert auch das Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten nach § 9 SGB IX nichts. Dies geht eindeutig aus der Gesetzesbegründung zu § 9 SGB IX hervor (abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB IX, M 010, S 191), worin es heißt, ein Wunsch könne nur berechtigt sein, wenn er sich ua im Rahmen des Leistungsrechts und sonstiger Vorgaben wie etwa der Pflicht hält, Leistungen nur in Einrichtungen zu erbringen, mit denen ein Vertrag nach § 21 SGB IX besteht. Auch im Schrifttum wird dementsprechend darauf hingewiesen, dass das Fehlen eines Vertrages der Berechtigung des Wunsches grundsätzlich entgegensteht (Welti, SGb 2003, 379, 385).

Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, aus dem Wunschrecht des behinderten Menschen könne sich die Pflicht zum Vertragsabschluss durch den Rehabilitationsträger ergeben, wenn dem keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, also insbesondere die Einrichtung geeignet ist und Gewähr für wirksame und wirtschaftliche Leistungserbringung bietet (Welti, aaO mwN). Eine solche Pflicht kann jedoch nach Überzeugung des Senats im Regelfall nicht aus dem Begehren eines einzelnen Versicherten hergeleitet werden, weil dies letztlich dazu führen könnte, dass der Versicherungsträger mit einer Unzahl von Einrichtungen Verträge abschließen müsste, obwohl das entsprechende Leistungsangebot voll durch andere Einrichtungen abgedeckt ist. Für eine so weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit des Rehabilitationsträgers ergeben sich aus den Vorschriften des SGB IX keine Anhaltspunkte.

Bei dieser Sachlage bestünde eine Pflicht der Beklagten zum Abschluss eines Vertrages mit der Einrichtung in H /Z allenfalls dann, wenn die im Rahmen von Alkoholentwöhnungsheilbehandlungsverfahren anfallenden Leistungen nicht ausreichend durch andere Einrichtungen abgedeckt wären. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Wie die Beklagte angegeben hat, belegt sie für solche Heilverfahren neben ihrer Fachklinik in E weitere 8 Fachkliniken (davon eine im Saarland). Unter diesen acht Kliniken befindet sich auch die Klinik in A , eine Klinik, in der lediglich Frauen behandelt werden, und deren Angebot im Wesentlichen demjenigen in H /Z entspricht.

Ohne Erfolg hat die Klägerin im vorliegenden Zusammenhang vorgetragen, sie habe bei der Besichtigung der Klinik in A den Eindruck gewonnen, dass dort ein unpersönliches und unfreundliches Klima herrsche. Ob diese subjektive Einschätzung eine gewisse objektive Berechtigung hat, kann für die Entscheidung des Rechtsstreits offen bleiben. Die Beklagte mag gehalten sein, im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass die Behandlung in den von ihr belegten Rehabilitationskliniken in einer angemessenen Atmosphäre stattfindet. Keinesfalls kann aus dem Eindruck eines einzigen Versicherten ein Rechtsanspruch eines Versicherten darauf erwachsen, dass der Rehabilitationsträger einen Vertrag mit einer anderen Einrichtung abschließen müsste. Anhaltspunkte dafür, dass im Hinblick auf Beschwerden anderer Versicherter oder aus anderen Gründen allgemein gravierende Bedenken dagegen bestehen, dass die Beklagte Rehabilitationsverfahren in A durchführt, hat weder die Klägerin vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.

Da ein ungünstiger Eindruck der Klägerin von der Klinik in A die Annahme nicht zu begründen vermag, die Beklagte sei rechtlich zu einem Vertragsabschluss mit der Klinik in H /Z verpflichtet, ist die Vernehmung von Herrn W als Zeuge zu den von der Klägerin in A gewonnenen Eindrücken nicht erforderlich.

Auf die Fragen, ob der angefochtene Bescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die Beklagte der Klägerin keine Maßnahme in einer lediglich Frauen behandelnden Einrichtung und keine Maßnahme in einer Einrichtung mit katholischer Seelsorge bewilligt hat, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Entscheidend ist allein, dass die Beklagte nicht zur Durchführung der Maßnahme in H /Z verpflichtet ist, weil sie mit der dortigen Klinik keinen Vertrag abgeschlossen hat und einen solchen auch nicht abschließen musste.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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