L 2 ER 59/03 U

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 ER 59/03 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 23.6.2003 insoweit aufgehoben, als die Beklagte eine Beitragsnachforderung für die Jahre 1999 bis 2001 festgesetzt hat. Insoweit wird die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Instanzen hat die Beschwerdeführerin 1/4 und die Beschwerdegegnerin 3/4 zu tragen. Der Beschwerdewert wird auf 19.946,43 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens sind die Beitragsbescheide der Beschwerdegegnerin vom 28.1.2003 bezüglich der Beiträge für 1999, 2000 und 2001 sowie der Beitragsbescheid vom 23.4.2003 hinsichtlich des Beitrages für 2002, mit denen die Beschwerdeführerin zu Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen worden ist.

Die Beschwerdeführerin betreibt ein Unternehmen für Ingenieurdienstleistungen. Im Februar 1995 teilte ihr Steuerberater der Beschwerdegegnerin mit, dass bei ihr Arbeitnehmer beschäftigt würden.

Nachdem die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin zunächst nach der Gefahrtarifstelle 04 des ab 1.1.1998 geltenden Gefahrtarifs als "Ingenieurbüro" veranlagt hatte (Bescheid vom 31.3.1998), teilte die Beschwerdeführerin ihr im Februar 2000 mit, dass sie ein "Ingenieurunternehmen für technische Dienstleistungen" sei und auf Anfrage Arbeitnehmer beim Kunden vor Ort im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung einsetze; diese Arbeitnehmerüberlassungstätigkeiten entsprächen der Gefahrtarifstelle 48; die erforderlichen Angaben seien im Entgeltnachweis 1999 getrennt aufgeführt worden. In diesem bezifferte die Beschwerdeführerin das Arbeitsentgelt hinsichtlich des "Ingenieurbüros 04" auf 2.188.330,-- DM und hinsichtlich der "Arbeitnehmerüberlassung 48" auf 417.484,-- DM.

Mit Bescheid vom 23.2.2000 veranlagte die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin ausgehend von dem ab 1.1.1998 geltenden Gefahrtarif nach der Gefahrtarifstelle 04 (Ingenieurbüro, Gefahrklasse 0,67), der Gefahrtarifstelle 48 (Arbeitnehmerüberlassung - kaufmännisch, verwaltend; Gefahrklasse 0,57) und der Gefahrtarifstelle 49 (Arbeitnehmerüberlassung – gewerblich, Gefahrklasse 10,66).

Mit Beitragsbescheid für 1999 vom 25.4.2000 wurde unter Zugrundelegung der Angaben der Beschwerdeführerin im Entgeltnachweis 1999 ein Gesamtbeitrag für 1999 in Höhe von 7.829,05 Euro festgesetzt, wobei die Arbeitnehmer der Beschwerdeführerin mit einem Bruttoarbeitsentgelt von 213.456,18 Euro in der Gefahrklasse 0,57 und mit einem Bruttoarbeitsentgelt von 1.118.857,36 Euro in der Gefahrklasse 0,67 berücksichtigt wurden.

Im Beitragsbescheid vom 25.4.2001 für 2000 wurde die Beschwerdeführerin, ausgehend von einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 493.844,56 Euro in der Gefahrklasse 0,57 und einem Bruttoarbeitsentgelt von 1.652.738,22 Euro in der Gefahrklasse 0,67, zu einem Gesamtbeitrag in Höhe von 11.958,42 Euro herangezogen.

Unter Berücksichtigung des ab 1.1.2001 geltenden neuen Gefahrtarifs erfolgte ab 1.1.2001 mit Bescheid vom 27.6.2001 eine Neuveranlagung. Nunmehr kam es zu einer Einstufung in die Gefahrtarifstelle 04 (Ingenieurbüro; Gefahrklasse 0,80 für 2001 bzw 0,88 ab 2002), die Gefahrtarifstelle 52 (Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung bezüglich Beschäftigter, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten; Gefahrklasse 0,56), und in die Gefahrtarifstelle 53 (Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung bezüglich Beschäftigter, die nicht die in der Gefahrtarifstelle 52 genannten Voraussetzungen erfüllen; Gefahrklasse 10,66).

Mit Bescheid vom 24.4.2001 setzte die Beschwerdegegnerin für das Jahr 2001 einen Gesamtbeitrag von 17.192,36 Euro fest (ausgehend von einem Bruttoarbeitsentgelt von 483.636,10 Euro in der Gefahrklasse 0,56 und einem Bruttoarbeitsentgelt von 2.095.787,98 Euro in der Gefahrklasse 0,80).

Am 12.12.2002 fand bei der Beschwerdeführerin eine Betriebsprüfung durch die Beschwerdegegnerin statt. Dabei gelangte der Betriebsprüfer zu dem Ergebnis, die Einstufung der als Leiharbeitnehmer eingruppierten Beschäftigten der Beschwerdeführerin als kaufmännisch Tätige sei fehlerhaft gewesen; diese hätten vielmehr in die Gefahrtarifstelle für nicht rein kaufmännisch Tätige eingestuft werden müssen, da sie nicht ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen eingesetzt würden und nicht ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichteten.

Die Beschwerdegegnerin erließ unter dem 28.1.2003 ua für die Jahre 1999 bis 2001 neue Beitragsbescheide, wobei sie eine Zuordnung zu den Gefahrtarifstellen 49 bzw 53 und somit zu einer höheren Gefahrklasse vornahm. Dadurch ergab sich für 1999 ein Gesamtbeitrag von 22.154,80 Euro (und somit ein Restbeitrag von 14.325,75 Euro), für 2000 ein Gesamtbeitrag von 35.378,01 Euro (und damit ein Restbetrag von 23.419,59 Euro) und für 2001 ein Gesamtbeitrag von 38.838,-- Euro (und somit ein Restbeitrag von 21.645,64 Euro).

Gegen die Beitragsbescheide vom 28.1.2003 für die Jahre 1999 bis 2001 legte die Beschwerdeführerin Widerspruch ein: Es treffe zwar zu, dass die Meldung der Lohnsummen mit dem tatsächlichen Sachverhalt nicht übergestimmt habe, jedoch nur insoweit, als eine Meldung nach der Gefahrtarifstelle 52 anstelle der eigentlich zutreffenden Gefahrtarifstelle 04 vorgenommen worden sei. Die Unterteilung des Unternehmens in zwei Betriebsteile sei fehlerhaft. Es gebe bei ihr nur ein Unternehmen und einen Betriebszweck. Unter Berücksichtigung dessen hätte die gesamte Lohnsumme der Gefahrtarifstelle 04 zugeordnet werden müssen. Unterstelle man jedoch die Aufspaltung des Unternehmens in ein Ingenieurbüro und einen Teil, der Dienstleistungen durch Leiharbeit erbringe, als zutreffend, wäre hinsichtlich der Leiharbeit die Meldung zur Gefahrtarifstelle 48 bzw 52 zutreffend.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.3.2003 wies die Beschwerdegegnerin die Widersprüche gegen die Beitragsbescheide für 1999 bis 2001 zurück. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Klage erhoben (S 5 U 74/03). Außerdem hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (Az S 5 ER 15/03 U). Sie hat ua vorgetragen, sie habe einen Antrag nach § 44 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) auf Überprüfung der Veranlagung in die drei Gefahrtarifstellen gestellt.

Unter dem 23.4.2003 erließ die Beschwerdegegnerin einen Beitragsbescheid für 2002 über einen Gesamtbeitrag in Höhe von 43.793,92 Euro, wobei eine Zuordnung der Lohnsummen in die Gefahrklassen 10,66 (bezüglich eines Bruttoarbeitsentgelts von 391.480 Euro) und 0,88 (bezüglich eines Bruttoarbeitsentgelts von 2.325.993 Euro) erfolgte. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben und beim SG (Az S 5 ER 17/03 U) beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23.4.2003 anzuordnen. Das SG hat die beiden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Beschwerdeführerin hat erstinstanzlich vorgetragen: Es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Die Einstufung in die Gefahrklassen 49 bzw 53 entspreche nicht der gesetzlichen Ermächtigung des § 157 Abs 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII), wonach die Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken zu bilden seien. Das von ihr ausgehende Gefährdungsrisiko entspreche allenfalls dem Risiko der Gefahrtarifstelle 04 und sei dem Risiko gewerblicher Arbeit nicht vergleichbar. Im Übrigen sei eine Aufspaltung des Unternehmens nicht zulässig; Gegenstand des Unternehmens seien Ingenieurdienstleistungen, an welchem Ort die Leistung auch erbracht werde. Der Markt erfordere es, dass Aufträge nicht (nur) im eigenen Büro erledigt würden, sondern bisweilen auch im Bereich des Auftraggebers durch Überlassung von Arbeitnehmern. Diese Form der Arbeitnehmerüberlassung könne nicht mit derjenigen einer Zeitarbeitsfirma verglichen werden, bei der es von vornherein darauf ankomme, Arbeitnehmer einzustellen, um sie dann Dritten zu überlassen. Sachgerecht erscheine die Eingruppierung in die Ingenieurbüros betreffende Gefahrtarifstelle. Wenn man jedoch eine Unternehmensaufspaltung für zutreffend halte, seien die angefochtenen Bescheide gleichfalls aufzuheben. Die in Rede stehenden Arbeiten seien rein geistige Arbeiten, die der Arbeit eines Buchhalters im Bereich der kaufmännischen Tätigkeiten oder der Arbeit eines Sachbearbeiters, der verwaltend tätig werde, in allen Punkten, insbesondere was die Unfallgefährdung anbelange, gleichstehe. Es handele sich um keine technisch geprägte Tätigkeit. Im vorliegenden Fall komme daher, wenn überhaupt von Leiharbeit auszugehen sei, nur die Gefahrtarifstelle 48 bzw 52 in Betracht. Die sofortige Zahlung der Nachforderungen würde eine unbillige Härte bedeuten. Eine Einbeziehung der erhöhten Kosten für die Vergangenheit sei bei der aktuellen Preisgestaltung nicht möglich. Zwar sei möglicherweise die wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet. Gleichwohl entstünden Kosten durch den betriebswirtschaftlich nicht eingeplanten Kapitalbedarf, die später bei Rückzahlung nicht ausgeglichen werden könnten.

Durch Beschluss vom 23.6.2003 hat das SG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bereits dann vorlägen, wenn der Erfolg des Rechtsmittels in der Hauptsache mindestens ebenso wahrscheinlich sei wie der Misserfolg, oder ob insoweit erforderlich sei, dass der Erfolg des Rechtsmittels in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Denn vorliegend sei ein Erfolg der Beschwerdeführerin in den Hauptsacheverfahren eher unwahrscheinlich. Über die Rechtmäßigkeit der Veranlagungsbescheide sei nicht zu entscheiden, da diese bestandskräftig seien. Zwar habe die Klägerin diesbezüglich einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt; über diesen sei jedoch, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden, sodass das Gericht von einer Zuordnung zu den Gefahrtarifstellen, wie sie bisher von der Beschwerdegegnerin vorgenommen worden sei, auszugehen habe. Ausgehend von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz sei der Gefahrtarif der Beschwerdegegnerin rechtmäßig. Nach den derzeitigen Unterlagen scheide eine alleinige Zuordnung der Lohnsummen zur Gefahrtarifstelle 04 ("Ingenieurbüro") ebenso aus wie eine Zuordnung zur Gefahrtarifstelle 52. Es spreche nämlich viel dafür, dass es sich nicht um ein reines Ingenieurbüro handele, sondern dass zum Teil auch gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung betrieben werde. Aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Arbeitnehmerüberlassungsverträgen, den Arbeitsverträgen der betreffenden Arbeitnehmer, der Erlaubnisurkunde des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland, den Werbeunterlagen der Beschwerdeführerin und deren eigenen Angaben ergebe sich eindeutig, dass zumindest bezüglich einzelner Arbeitnehmer Arbeitnehmerüberlassung betrieben werde. Zwar sei auch außerhalb der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ein zeitweiser Einsatz von Arbeitnehmern in fremden Unternehmen denkbar. Die Beurteilung hänge jedoch von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab. Diese spreche zum gegenwärtigen Zeitpunkt dafür, dass sich ein Teil der Arbeitnehmer im Sinne der Gefahrtarifstellen 48/49 bzw 52/53 betätige. Die im Bereich Arbeitnehmerüberlassung der Beschwerdeführerin tätigen Arbeitnehmer seien nicht ausschließlich mit kaufmännischen und verwaltenden Tätigkeiten beschäftigt. Eine erweiternde Auslegung der Gefahrtarifstellenbeschreibung auch für (reine) Bürotätigkeiten im technischen Bereich sei nicht möglich. Soweit die Beschwerdegegnerin für die Jahre 1999 bis 2001 die früheren Beitragsbescheide zu Ungunsten der Beschwerdeführerin aufgehoben habe, sei dies nach § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII bei summarischer Prüfung zulässig gewesen. Eine unbillige Härte, welche die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide rechtfertigen könne, liege nicht vor. Diesbezüglich sei die Darlegung und Glaubhaftmachung einer über die durch die Verpflichtung zur sofortigen Zahlung üblicherweise entstehenden Nachteile hinausgehenden erheblichen Belastung zu fordern. Eine solche sei hier nicht zu erkennen.

Gegen diesen ihr am 5.7.2003 zugegangenen Beschluss richtet sich die am 21.7.2003 beim SG Mainz eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin, der das SG nicht abgeholfen hat.

Die Beschwerdeführerin trägt vor: Soweit der angefochtene Beschluss auf Entscheidungen des LSG Rheinland-Pfalz Bezug genommen habe, hätten diese zu der Frage Stellung genommen, ob die fehlende Differenzierung zwischen den verschiedenen gewerblichen Tätigkeiten hinzunehmen sei; sie seien insoweit mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Es werde im Übrigen darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.9.2002 (Az L 3 U 291/99) eine andere Betrachtung in Frage komme, wenn sich spezialisierte Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung im gewerblichen Bereich herausbildeten. Wenn bei einer Verleihfirma eine Spezialisierung in dem Sinne gegeben sei, dass nur eine Tätigkeit, der bereits eine bestimmte Gefährdung zugeordnet sei, in Betracht komme, sei durchaus zu prüfen, ob dann auch nicht nur die für diese Tätigkeit vorgesehene Gefährdungsklasse Anwendung finden könne und die pauschale Eingruppierung nicht mehr der gebotenen Differenzierung nach Gefährdung entspreche. Dies gelte umso mehr, wenn, wie vorliegend, eine Bürotätigkeit aufgrund der Auffangfunktion der zweiten Gruppe in den Topf der gewerblichen Tätigkeiten falle, wo sie nach Art der Tätigkeit nicht hingehöre, und dies nur deshalb, weil bei Festlegung der Gruppen als Bürotätigkeit offenbar nur die verwaltenden und kaufmännischen Tätigkeiten ins Blickfeld geraten seien. Dies sei nicht mehr sachgerecht, seitdem es der Computer ermögliche, Arbeiten im Büro zu erledigen, die früher nur im Betrieb zu leisten gewesen seien. Die vom SG zitierten Urteile des LSG Rheinland-Pfalz stellten im Übrigen weitgehend darauf ab, dass es unterschiedliche Einsatzarten der verliehenen Arbeitnehmer gebe. Dies sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Die Arbeitnehmer würden ausschließlich in einem Tätigkeitsbereich, im Bereich Ingenieurarbeiten, verliehen. Es fehle also an einem wichtigen Argument, mit dem die bisherige Einteilung für akzeptabel gehalten worden sei. Hätte die Beschwerdegegnerin ihr im Rahmen des § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII bestehendes Ermessen ausgeübt, hätte sich ergeben müssen, dass ihr Vertrauensschutz (dh derjenige der Beschwerdeführerin) Vorrang haben müsse. Die Beschwerdegegnerin habe die entstehenden Probleme selbst zu verantworten, weil sie sich auf die Gefahrtarifstellen 48 und 52 festgelegt habe, obwohl diese nach ihrer eigenen Meinung nie in Betracht gekommen seien.

Die Beschwerdegegnerin hat darauf aufmerksam gemacht, das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 24.6.2003 die Einstufung des Bereichs Arbeitnehmerüberlassung mit zwei Gefahrtarifstellen in dem vom 1.1.1998 bis zum 31.12.2000 gültigen Gefahrtarif für rechtmäßig gehalten.

II.

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als es um eine Beitragsnachforderung für die Zeit von 1999 bis 2001 geht. Insoweit war gemäß § 86 b Abs 1 Nr 2 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Im Übrigen – hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23.4.2003 - hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Soweit es die Beitragsnachforderung für die Zeit von 1999 bis 2001 betrifft, sprechen mehr Gründe dafür als dagegen, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts iSd im Rahmen des § 86 b Abs 1 Nr 2 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 86 a Abs 3 Satz 2 SGG bestehen. Hinsichtlich des Streitgegenstandes im Übrigen ist ein Unterliegen der Beschwerdeführerin in dem Hauptsacheverfahren wahrscheinlich; insoweit fehlt es an ernstlichen Zweifeln in diesem Sinne. Maßgebend für die Beurteilung ist die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende summarische Prüfung des Sach- und Streitstandes. Offenbleiben kann im vorliegenden Verfahren, ob ernstliche Zweifel erfordern, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg, oder ob es genügt, dass der Erfolg ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl Meyer-Ladewig, SGG, § 86 a, Rz 27).

Die Beschwerdegegnerin hat gemäß § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII in den Bescheiden vom 28.1.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2003 eine Beitragsnachforderung festgesetzt. Nach dieser Vorschrift darf der Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Beitragspflichtigen aufgehoben werden, wenn der Lohnnachweis unrichtige Angaben enthält.

Die Entscheidung nach § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII ist eine Ermessensentscheidung. Rechtsprechung, in der diese Frage problematisiert wurde, gibt es, worauf die Beteiligten hingewiesen wurden, - soweit ersichtlich – bisher nicht. Das LSG Niedersachsen hat in seinem Urteil vom 29.7.1997 (Az L 3 U 223/97) zu der Vorgängervorschrift des § 749 Reichsversicherungsordnung (RVO) ohne Begründung ausgeführt, es handele sich um eine gebundene Entscheidung. In der Literatur hat zu dieser Frage – soweit ersichtlich – nur Freischmidt (in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 168 Rz 7) Stellung genommen, wobei sich seine Ausführungen allerdings nur auf § 168 Abs 2 Nr 1 SGB VII beziehen. Freischmidt ist der Auffassung, es sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. Es wäre – so Freischmidt (aaO) – ermessensfehlerhaft, eine Aufhebung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGB VII folgenlos zu lassen. Nur soweit mit einer erfolgreichen Verjährungseinrede des Beitragspflichtigen zu rechnen sei, könne von einer im Ergebnis nutzlosen Rücknahme des Beitragsbescheides abgesehen werden.

Der Auffassung von Freischmidt (aaO) ist insoweit zu folgen, dass im Rahmen des § 168 Abs 2 SGB VII eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Dafür spricht eindeutig der Wortlaut des § 168 Abs 2 SGB VII ("darf"). Dieser Auslegung stehen Sinn und Zweck der Vorschrift nicht entgegen. Die Vorschrift stellt eine Sonderregelung zu § 45 SGB X dar, die auf der Erwägung beruht, für schutzwürdiges Vertrauen im Sinne des § 45 Abs 2 SGB X sei kein Raum (Freischmidt, aaO). Wenn der Gesetzgeber eine Vertrauensschutzprüfung entsprechend § 45 Abs 2 SGB X nicht für erforderlich hält, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass auch kein Ermessen auszuüben sei. Im Übrigen würde die gegenteilige Auslegung die Grenzen der möglichen Wortlautinterpretation des § 168 Abs 2 SGB VII überschreiten.

Demgegenüber folgt der Senat der Ansicht von Freischmidt (aaO), soweit er der Auffassung ist, Ermessen sei bei Entscheidungen nach § 168 Abs 2 SGB VII nur auszuüben, wenn mit einer erfolgreichen Verjährungseinrede des Betroffenen zu rechnen sei, sofern seine Ausführungen so zu verstehen sein sollten, nicht. Für eine solche Einschränkung des Erfordernisses der Ermessensausübung gibt der Wortlaut des § 168 Abs 2 SGB VII keine Stütze. Auch die Entstehungsgeschichte – soweit entsprechendes Material dem Senat zur Verfügung steht – gibt hierfür nichts her. Wenn die Verwaltung nur in dem von Freischmidt skizzierten Fall Ermessen auszuüben hätte, liefe die vom Gesetzgeber der Verwaltung eingeräumte Ermessensbefugnis im Ergebnis leer, da bei erfolgreicher Einrede der Verjährung ein Beitragsanspruch ohnehin nicht durchsetzbar ist.

Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null hat die Beschwerdegegnerin nicht vorgebracht; für eine solche ist auch sonst nichts ersichtlich. Auch im Rahmen des § 45 SGB X geht die Rechtsprechung - abgesehen von den für Versorgungsrecht zuständigen Senaten des BSG – einhellig davon aus, dass zumindest im Regelfall Ermessen auszuüben ist und es besonderer Gründe bedarf, um eine Reduzierung des Ermessens auf Null anzunehmen.

Im Rahmen der Ermessensentscheidung kann es im Einzelfall genügen, wenn der Unfallversicherungsträger darauf hinweist, dass er nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit Beiträge, soweit rechtlich zulässig, erhebt und Gründe, die es rechtfertigen, davon abzusehen, nicht ersichtlich sind. Da die Beschwerdegegnerin aber eine Ermessensentscheidung in den Beitragsnachforderungsbescheiden vollkommen unterlassen bzw das Erfordernis einer solchen nicht gesehen hat, sind die in Rede stehenden Bescheide, soweit es um eine Beitragsnachforderung geht, rechtswidrig.

Soweit es um den Beitragsbescheid für 2002 geht, ist der betreffende Bescheid der Beschwerdegegnerin demgegenüber bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes nicht zu beanstanden.

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens, in dem es nicht um die Rechtmäßigkeit eines Gefahrtarifbescheides, sondern um Beitragsbescheide geht, hat der Senat von der Bindungswirkung der ergangenen Gefahrtarifbescheide auszugehen. Unabhängig davon sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Gefahrtarifbescheide ersichtlich. Die für die Entscheidung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens maßgebenden autonomen Rechtsnormen, die Gefahrtarife der Beschwerdegegnerin 1998 und 2001, sind rechtmäßig. Dies hat das LSG Rheinland-Pfalz für den Gefahrtarif 1998 entschieden (Urt v 20.9.2002, Az L 3 U 213/98). Zu demselben Ergebnis ist jüngst das BSG in seinem Urteil vom 24.6.2003 (Az B 2 U 21/02 R) gelangt. Die Grundsätze, welche für den Gefahrtarif 1998 maßgebend sind, sind entsprechend für den Gefahrtarif 2001 heranzuziehen. Anhaltspunkte für die Nichtigkeit des Gefahrtarifs sind bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erkennbar.

Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide – insoweit geht es speziell um den Beitragsbescheid für das Jahr 2002, da – wie dargelegt – die Beitragsnachforderungsbescheide für die Jahre 1999 bis 2001 bereits wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig sind – ist von Bedeutung, ob die Beschwerdegegnerin die Entgelte zutreffend den festgelegten Gefahrklassen zugeordnet hat.

Die Beschwerdegegnerin hat zu Recht danach differenziert, ob die für die Beitragsfestsetzung berücksichtigten Tätigkeiten unmittelbar in dem Unternehmen der Beschwerdeführerin einerseits oder im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung andererseits anfielen. Dies ergibt sich daraus, dass der Gefahrtarif nach Tätigkeiten gegliedert ist. Daher kommt es insoweit nicht darauf an, ob es sich im unternehmensrechtlichen Sinne insgesamt um ein Unternehmen handelt.

Der Gefahrtarifstelle 52 können nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gefahrtarifs der Beschwerdegegnerin nur Beschäftigte zugeordnet werden, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten. Es würde die Wortlautgrenzen des Gefahrtarifs überschreiten, wenn auch die Tätigkeiten von Arbeitnehmern im technischen Bereich hierzu gezählt würden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die betreffenden Arbeitnehmer überwiegend oder sogar ausschließlich am Schreibtisch arbeiten. Die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Argumente rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte iSd § 86 a Abs 3 Satz 1 SGG ist nicht gegeben. Eine solche liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Leistung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können (Meyer-Ladewig, aaO, § 86 a Rz 27). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 193, 197a SGG. Der Senat hält es für sachgerecht, wenn die Beschwerdegegnerin ¾ und die Beschwerdeführerin ¼ der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes übernimmt. Die Beitragsnachforderung für die Jahre 1999 bis 2001 beträgt insgesamt 59.390,98 Euro. Für das Jahr 2002 hat die Beschwerdegegnerin (abzüglich des Beitragszuschlages) 27.166,70 Euro (s Bescheid v 23.4.2003) verlangt; bei Einbeziehung aller Arbeitsentgelte zur Gefahrklasse 0,56 – wie von der Beschwerdeführerin verlangt – ergäbe sich für 2002 (ohne Beitragszuschlag) eine Beitragsforderung von 6.771,94 Euro, sodass hinsichtlich des Jahres 2002 ein Beitrag von 20.394,76 Euro umstritten ist. Von der zwischen den Beteiligten streitigen Beitragsforderung von insgesamt 79.785,74 Euro hat die Beschwerdeführerin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Höhe von 59.390,98 Euro obsiegt. Bei dieser Sachlage ist es angemessen, dass die Beschwerdegegnerin ¾ der Kosten des Verfahrens übernimmt.

Hinsichtlich des Streitwertes (79.785,74 Euro im Hauptsacheverfahren) ist nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl v 18.12.2002, Az L 2 ER-U 18/02) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von ¼ des Beschwerdewerts des Hauptsacheverfahrens auszugehen, demgemäß von ¼ x 79,785,74 Euro = 19.946,43 Euro.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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