L 5 KR 151/16 KL ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 151/16 KL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Anordnung der Streichung einer durch eine andere, vormals zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigte Satzungsregelung.
Auf den Antrag der Antragstellerin wird die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 14. November 2016 (L 5 KR 148/16 KL) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2016 mit der Maßgabe angeordnet, dass die Antragstellerin keine neuen Mitglieder in den hier streitigen Wahltarif nach § 16f ihrer Satzung aufnimmt und keine entsprechende Akquise mehr insoweit betreibt. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 14. November 2016 gegen die Anordnung der Antragsgegnerin vom 19. Okto¬ber 2016 zur Streichung von § 16f "Tarif nach § 53 Abs. 4 SGB V Kostenerstattung bei Zahnersatz".

Die Antragstellerin, eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in Lübeck, ergänzte im Jahre 2007 ihre Satzung durch Einführung eines Wahltarifs nach § 16f dahingehend, dass Versicherte für sich einen Tarif für die Erstattung von Kosten bei medizinisch notwendigem Zahnersatz wählen konnten. Mit Bescheid vom 6. September 2007 genehmigte das damals aufsichtsführende Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein die entsprechende Satzungsänderung, ebenso wie nachfolgende geringfügige Änderungen des Wahltarifs. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 15. März 2015 (B 1 A 10/13 R) entschieden hatte, dass es sich bei der Antragstellerin um eine bundesunmittelbare Krankenkasse handelt, welche der Aufsicht der Antragsgegnerin unterliegt, forderte Letztere die Antragstellerin durch Schreiben im Februar und März 2016 dazu auf, die Regelung des § 16f der Satzung bei nächster Möglichkeit ersatzlos zu streichen und verwies zur Begründung auf das rechtskräftige Urteil des beschließenden Senats vom 16. Juli 2008 (L 5 KR 36/08). In diesem Urteil hatte der Senat die Klage einer anderen Krankenkasse, die sich gegen die Ablehnung der Genehmigung einer entsprechenden Satzungsregelung durch die Antragsgegnerin richtete, abgewiesen. Dies lehnte die Antragstellerin ab und wies auf die ihr von der Landesaufsicht erteilte Genehmigung sowie auf ein schützenswertes Vertrauen ihrer Versicherten an dem Fortbestand der Satzungsregelung hin. Dem entgegnete die Antragsgegnerin, dass sie an Genehmigungen der Landesaufsicht nicht gebunden sei und räumte der Antragstellerin mit Hinweis auf § 195 Abs. 2 SGB V Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Die Antragstellerin lehnte weiterhin eine Streichung bzw. Ergänzung der streitgegenständlichen Satzungsregelung ab, woraufhin die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. August 2016 ein Verfahren nach § 195 Abs. 2 und 3 SGB V einleitete. Eine Änderung ihrer Satzung nahm die Antragstellerin weiterhin nicht vor, sondern wandte sich mit Schreiben vom 18. August 2016 an das Bundesministerium für Gesundheit mit der Bitte um Prüfung des Sachverhalts.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2016 ordnete die Antragsgegnerin der Antragstellerin gegenüber an,

im Termin der nächsten Verwaltungsratssitzung am 15. Dezember 2016 in der Satzung der IKK Nord vom 1. Januar 2006 in der Fassung des 61. Nachtrags in Abschnitt 4 "Beiträge" § 16f "Tarif nach § 53 Abs. 4 SGB V Kostenerstattung bei Zahnersatz" mit Wirkung zum 1. Januar 2017 ersatzlos zu streichen.

Zur Begründung führte sie aus: In rechtskräftigen Urteilen hätten das LSG Schleswig-Holstein sowie das LSG Hamburg (22. April 2010 – L 1 KR 1/09 KL) die Rechtswidrigkeit der streitigen Satzungsregelung festgestellt und damit die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin bestätigt. Als nunmehr zuständige Behörde, die an vorherige Genehmigungen nicht gebunden sei, habe sie die Antragstellerin aufgefordert, die streitgegenständliche Satzungsregelung zu streichen. Vertrauensschutz der davon betroffenen ca. 625 Wahltarifteilnehmer bestehe nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur während des laufenden Leistungsbezugs. Ansonsten sei der Satzungsgeber jederzeit dazu ermächtigt bzw. verpflichtet, das Satzungsrecht für die Zukunft zu ändern. Dem Kompromissvorschlag der Antragstellerin in Form einer unbefristeten Besitzschutzregelung für eingeschriebene Versicherte könne die Antragsgegnerin nach Würdigung der Gesamtumstände nicht entsprechen. Die Rechtslage sei hier eindeutig. Die Satzungsregelung stehe nicht im Einklang mit geltenden Rechtsvorschriften und sei zu streichen. Opportunität stehe der Antragsgegnerin als Mitwirkungsbehörde bei der Genehmigung von Satzungen nach § 195 Abs. 1 i.V.m. § 194 SGB V nicht zu. Auch aus Gleichbehandlungsgrundsätzen gegenüber anderen bundesunmittelbaren Krankenkassen sei das Vorgehen der Antragsgegnerin gerechtfertigt bzw. erforderlich. Die Befugnis der Antragsgegnerin ergebe sich ergänzend aus § 195 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB V. Der danach geforderte Umstand sei bei einem nachträglich eingetretenen Wechsel der Aufsichtszuständigkeiten anzunehmen.

Gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2016 richtet sich die Klage der Antragstellerin, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 14. November 2016 (L 5 KR 148/16 KL). Am 22. November 2016 hat sie darüber hinaus die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2016 beantragt und zur Begründung ausgeführt: Dem Aussetzungsantrag sei stattzugeben, da das Aussetzungsinteresse gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiege. Es bestehe die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Klage Erfolg habe, da die Anordnung vom 19. Oktober 2016 rechtswidrig sei und sie, die Antragstellerin, in ihren Rechten verletze. Die Voraussetzungen des § 195 Abs. 2 und 3 SGB V seien nicht erfüllt, da der streitgegenständliche Wahltarif zu Recht damals genehmigt worden sei und später keine Umstände hinzugetreten seien, infolge derer diese Satzungsregelung hätte gestrichen werden müsse. Die in der Satzungsregelung enthaltene Beschränkung auf Einzelleistungen müsse im Rahmen der Satzungsautonomie möglich sein, um den vom Gesetzgeber gewollten Wettbewerb auch insoweit zu fördern, als sie in Konkurrenz zu privaten Krankenkassen stehe. Die Voraussetzungen des § 195 Abs. 3 SGB V lägen nicht vor, weil ein Wechsel in der Aufsichtszuständigkeit keinen nachträglichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Hier fehle es an einem kausalen Zusammenhang zwischen dem nachträglich eingetretenen Umstand und der nicht mehr bestehenden Genehmigungsfähigkeit der betroffenen Satzungsregelung. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin das ihr von der Vorschrift eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. So verkenne sie, dass die Aufsicht nicht bei jeder Rechtsverletzung tätig werden müsse. Hier könne allenfalls von einer geringfügigen Rechtswidrigkeit mit der Folge ausgegangen werden, dass nach dem insoweit geltenden Opportunitätsgrundsatz ein nachträgliches Tätigwerden nicht erforderlich sei. Im Übrigen betreffe die streitige Regelung nur eine geringe Anzahl von Versicherten und es müsse berücksichtigt werden, dass wegen der unterschiedlichen Genehmigungspraxis der Genehmigungsbehörden anderen Krankenkassen eine entsprechende Regelung genehmigt worden sei. Auch greife die Aufhebung der Satzungsregelung in das Vertrauen der Versicherten, die von ihr Gebrauch gemacht hätten, ein. Im Übrigen verletze die Maßnahme den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die von ihr der Antragsgegenerin angebotene Besitzschutzregelung in der Form, dass der Wahltarif für die Zukunft geschlossen und keine entsprechende Akquise mehr betrieben werde, die bereits teilnehmenden Versicherten jedoch im Wahltarif verbleiben dürften, stelle ein gleich geeignetes Mittel mit geringeren Auswirkungen auf die Beteiligten dar. Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung dürften die Interessen der Versicherten an dem Erhalt des Wahltarifs nicht unberücksichtigt bleiben. Diese hätten im Vertrauen auf einen entsprechenden Versicherungsschutz im Leistungsfall fortlaufend Beiträge in nicht unerheblichem Umfang geleistet. Der ersatzlose Wegfall der Satzungsregelung ließe auch den Versicherungsschutz ersatzlos wegfallen, so dass das schützenswerte Vertrauen bei Vollziehung der gegenständlichen Anordnungen in nicht hinnehmbarer Art und Weise enttäuscht würde. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie, die Antragstellerin, bei einer zeitweisen Aufrechterhaltung des ungesetzmäßigen Zustandes anderen im Wettbewerb stehenden gesetzlichen Krankenkassen gegenüber im Vorteil stünde, sei sie ohne jedes Zögern bereit, sich gegenüber der Antragsgegnerin zu verpflichten, ab sofort keine neuen Mitglieder in den Wahltarif aufzunehmen und keine entsprechende Akquisen mehr zu betreiben.

Die Antragsgegnerin weist in ihrer Erwiderung zunächst darauf hin, dass der am 23. November 2016 von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Aussetzung nach § 86a Abs. 3 SGG von ihr, der Antragsgegnerin, mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 abgelehnt worden sei. Sie sei nach wie vor der Auffassung, dass der Bescheid vom 19. Oktober 2016 rechtmäßig sei, da es um die Aufhebung einer rechtswidrigen Satzungsregelung, wie aus den Entscheidungen der zitierten Landessozialgerichte ersichtlich, handele. Daran ändere auch nichts die unterschiedliche Behandlung durch verschiedene Aufsichtsbehörden. Diese hätten vielmehr die hier streitige Satzungsregelung nicht genehmigen dürfen. Die jetzige Regelung führe zu einer unzulässigen Bevorzugung der Antragstellerin gegenüber anderen Kassen. Der Bescheid vom 19. Oktober 2016 enthalte keinen Ermessensfehler und keinen Verstoß gegen das Opportunitätsprinzip, weil es sich um eine rechtswidrige Satzungsregelung handele, die nicht hätte genehmigt werden dürfen. Vorliegend werde dem Ermessen der Antragsgegnerin aufgrund der Rechtswidrigkeit der Satzungsregelung eine Grenze gesetzt. Eine Untätigkeit der Aufsichtsbehörde wäre angesichts der eindeutigen rechtskräftigen obergerichtlichen Rechtsprechung, der Gleichbehandlung anderer bundesunmittelbarer Kassen und der daraus resultierenden Selbstbindung der Verwaltung nicht gerechtfertigt. Eine Abstufung nach dem Grad der Rechtswidrigkeit könne nicht vorgenommen bzw. berücksichtigt werden. Es seien keine Aspekte erkennbar, wonach das Aussetzungsinteresse überwiege. Das bestimme § 195 Abs. 2 Satz 3 SGB V bereits vom Grundsatz her. Gewichtige Gründe dagegen habe die Antragstellerin nicht vorgetragen. Die bloße Sorge um den Vertrauensverlust der betroffenen Wahltarifnehmer und die Spekulation einer möglichen Abwanderung von einigen wenigen Versicherten rechtfertigten die Perpetuierung eines rechtswidrigen Zustandes nicht.

II.

Der Antrag der Antragstellerin nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist zulässig. Soweit es noch an einem Rechtsschutzinteresse bei Stellung des Antrags gefehlt haben sollte, weil die Antragstellerin sich nicht vor dem Rechtsschutzersuchen an das Gericht mit dem Begehren einer Entscheidung nach § 86a Abs. 3 SGG an die Verwaltung gewandt hat, ist dieser Mangel durch den späteren Antrag und die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin, eine sofortige Vollziehung des Bescheides vom 19. Oktober 2016 selbst auszusetzen, geheilt (Ablehnung durch Bescheid vom 1. Dezember 2016).

Der Senat ist für den Rechtsstreit gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG erstinstanzlich zuständig. Danach entscheidet das Landessozialgericht im ersten Rechtszug u. a. über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden. Um eine solche Aufsichtsangelegenheit handelt es sich hier. Die Vorschrift findet auch auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Anwendung (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, § 29 Rz. 4).

Der Antrag ist auch in der beschlossenen Form begründet. Nach der im Rahmen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vorzunehmenden Interessenabwägung ist der Senat der Auffassung, dass für die Dauer des Hauptsacheverfahrens L 5 KR 148/16 KL die aufschiebende Wirkung mit der Auflage anzuordnen ist, dass die Antragstellerin keine neuen Mitglieder in den Wahltarif aufnimmt und keine entsprechende Akquise betreibt. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat aufgrund folgender Erwägungen:

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Voraussetzungen liegen vor, da nach § 195 Abs. 2 Satz 3 SGB V Klagen gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörden nach den Sätzen 1 und 2 keine aufschiebende Wirkung haben und damit die grundsätzliche geltende Regelung des § 86a Abs.1 Satz1 SGG, wonach Anfechtungsklagen aufschiebende Wirkung haben, verdrängt. Für die Prüfung des Gerichts nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG gelten dabei grundsätzlich dieselben Grundsätze wie für die entsprechende Entscheidung der Verwaltung (z. B. Beschluss des Senats vom 4. April 2011 – L 5 KR 117/10 B ER). Nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG soll eine Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen nach ganz überwiegender Auffassung dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Hinsichtlich des dabei notwendigen Überzeugungsgrades bezüglich der zu klärenden Rechtsfragen ist aber zu beachten, dass es nach Sinn und Zweck des Eilverfahrens grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte sein kann, schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen; denn damit würde die Effektivität dieses Verfahrens und damit das gerichtliche Rechtsschutzinteresse insgesamt geschwächt (Beschluss des Senats vom 20. April 2012 – L 5 KR 20/12 B ER). Dies gilt insbesondere bei einer unzureichenden Tatsachengrundlage oder bei schwierigen Rechtsfragen, bei denen eine abschließende rechtliche Prüfung in einem Eilverfahren gar nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund und der im Eilverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers kann eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG nach Auffassung des beschließenden Senats auch dann vorliegen, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes von einer Mehrzahl von Voraussetzungen abhängt, deren Prüfung die Klärung schwieriger Rechtsfragen beinhaltet (Beschluss des Senats vom 20. April 2012, a.a.O.). Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind nach Auffassung des Senats die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, ergänzt um die Verpflichtung der Antragstellerin, keine weiteren Mitglieder in den Wahltarif aufzunehmen, erfüllt.

Rechtsgrundlage der hier streitigen Anordnung der Antragsgegnerin, den Wahltarif in § 16f der Satzung der Antragstellerin aufzuheben, ist § 195 Abs. 2 SGB V. Ergibt sich danach nachträglich, dass eine Satzung nicht hätte genehmigt werden dürfen, kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass die Krankenkasse innerhalb einer bestimmten Frist die erforderliche Änderung vornimmt. Kommt die Krankenkasse der Anordnung nicht innerhalb dieser Frist nach, kann die Aufsichtsbehörde die erforderliche Änderung anstelle der Krankenkasse selbst vornehmen. Welche Voraussetzungen die Vorschrift im Einzelnen damit bestimmt, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht eindeutig geklärt. Dies bezieht sich zunächst auf die Frage, welche Prüfungskompetenz bei der Ausübung staatlicher Mitwirkungsrechte besteht, insbesondere ob die Vorschrift eine Befugnis allein zur Rechtskontrolle oder auch darüber hinaus zur Zweckmäßigkeitskontrolle ermöglicht. In seinem Urteil vom 24. April 2002 (B 7/1a 4/00 R) hat das BSG hierzu die Auffassung vertreten, dass die Aufsichtsbehörde in Anwendung des § 195 Abs. 2 SGB V auf eine Rechtskontrolle beschränkt ist und bei der Genehmigung der Satzung von Krankenkassen keine Zweckmäßigkeitsprüfung vorzunehmen berechtigt ist. Diese Frage braucht hier allerdings nicht entschieden zu werden, da die Antragsgegnerin die Aufhebung der streitigen Satzungsregelung allein damit begründet, dass sie den Vorschriften des SGB V widerspricht. Diese Auffassung hat auch der beschließende Senat in seinem Beschluss vom 16. Juli 2008 (L 5 KR 36/08 KL) vertreten, in dem Streitgegenstand die Aufnahme der entsprechende Regelung in die Satzung einer anderen Krankenkasse und ihre Genehmigung war. Der Senat sieht auch nach dem Vortrag der Antragstellerin keinen Grund, von seiner Auffassung abzuweichen, der sich im Übrigen auch das Landessozialgericht Hamburg in seinem Urteil vom 22. April 2010 (L 1 KR 1/09 KL) angeschlossen hat.

Ob allerdings allein die spätere Feststellung der Rechtswidrigkeit ausreicht, um die Aufhebung der Satzungsregelung im Rahmen des § 195 Abs. 2 SGB V anzuordnen, ist zweifelhaft. § 195 SGB V beschränkt sich nicht allein darauf, dass "nachträglich eingetretene Umstände" die Änderung notwendig machen. Dies bestimmt allein die Regelung in § 195 Abs. 3 SGB V und verweist für die Rechtsfolgen auf § 195 Abs. 2 SGB V. Diese Vorschrift regelt umfassender als Abs. 3 die Änderungsanordnung, indem es nach ihr allein ausreicht, dass eine Satzung nicht hätte genehmigt werden dürfen. Die Vorschrift enthält keine Regelung darüber, welche Gründe allein die Aufsichtsbehörde berechtigen, eine nachträglich festgestellte Rechtswidrigkeit zu sanktionieren. Der Senat geht daher davon aus, dass hiervon auch der hier streitige Fall erfasst wird, dass, etwa nach einem Wechsel der Aufsichtsbehörde, eine Neubeurteilung zu einer Bewertung der Satzung als rechtswidrig führt.

Weiterhin nicht eindeutig geklärt ist, zu welchen Folgen § 195 Abs. 2 SGB V die Aufsichtsbehörde hinsichtlich der Anordnung bei Feststellung einer rechtswidrigen Satzungsregelung berechtigt. In der Literatur zu dieser Vorschrift wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass durch die Verwendung des Wortes "kann" der Aufsichtsbehörde ein Ermessen bei ihrer Entscheidung eingeräumt wird (Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, § 195 Rz. 7; Finkenbusch, Die Träger der Krankenversicherung, 5. Aufl. 2004, S. 134; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 195 SGB V Rz. 6). In der Rechtsprechung ist diese Frage bisher noch nicht geklärt. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. Juni 2014 – L 6 KR 35/14 ER) spricht von einer dem Ansatz nach gebundenen Entscheidung und lässt offen, ob es übergeordnete, die Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung oder einen Träger betreffende Gesichtspunkte oder andere gesetzliche verankerte Aspekte geben kann, die es rechtfertigen, eine rechtswidrige Satzung für eine Zeit aufrecht zu erhalten. Das BSG hat in seinem Urteil vom 24. April 2002 (B 7/1a 4/00 R) ausdrücklich offen gelassen, ob § 195 Abs. 2 SGB V wegen des darin verwendeten Wortes "kann" die Beklagte zur Ermessensbetätigung verpflichtet oder ob die Vorschrift im Anschluss des bis zum 31. Dezember 1988 geltenden § 326 RVO, dem sie nach der Gesetzesbegründung inhaltlich entspricht (BT Drucks. 11/2237, S. 218 zu § 204 Abs. 2), als reine Ermächtigungsnorm aufzufassen ist.

Darauf, ob es sich bei § 195 Abs. 2 SGB V um eine Ermessensvorschrift handelt, kommt es allerdings nach Auffassung des Senats nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung hier für die Beurteilung der Frage an, ob der von der Antragstellerin angefochtene Bescheid vom 19. Oktober 2016 rechtswidrig ist oder nicht. Denn diesem Bescheid ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Vielmehr heißt es auf Seite 8 des Bescheides (vorletzter Absatz): Soweit die Kasse in ihrem Schreiben vom 19. Mai 2016 einen Kompromiss in Form einer unbefristeten Besitzschutzregelung für eingeschriebene Versicherte anregt, vermag das BVA dem nach Würdigung der Gesamtumstände nicht zu entsprechen. Die Rechtslage ist hier eindeutig. Die Satzungsregelung steht nicht im Einklang mit geltenden Rechtsvorschriften und ist zu streichen. Opportunität steht dem BVA als Mitwirkungsbehörde bei der Genehmigung von Satzungen nach § 195 Abs. 1 i.V.m. § 194 SGB V nicht zu.

Indem die Aufhebungsverfügung damit allein mit der Rechtswidrigkeit der Satzungsvorschrift begründet wird, lässt dies nur den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin, jedenfalls für den Fall, von einer gebundenen Entscheidung im Rahmen des § 195 Abs. 2 SGB V ausgegangen ist. Dass bei der Prüfung des § 195 Abs. 2 SGB V das Opportunitätsprinzip Anwendung findet, wird in der Literatur teilweise bestätigt (Debus in Berchthold u. a., Gesundheitsrecht, § 195 Rz. 12; Finkenbusch a.a.O.; Engelhard a.a.O.).

Von einer Ermessensreduzierung auf Null kann hier nach Auffassung des Senats nicht ausgegangen werden. Zum einen handelt es sich nicht um eine offensichtliche Rechtswidrigkeit mit erheblichen Einwirkungen auf die Konkurrenzlage zwischen den Krankenkassen und den Versicherten. Das zeigt zum einen der Umstand, dass lediglich ca. 600 Versicherte von dieser Regelung betroffen sind und die streitgegenständlichen Satzungsregelungen von Landesaufsichtsbehörden genehmigt wurden.

Darüber hinaus hält der Senat die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch zur Vermeidung von endgültigen Ergebnissen für notwendig. Ohne die Anordnung wäre die Antragstellerin zur Satzungsänderung bereits ab 2017 verpflichtet bzw hat die Antragsgegnerin angekündigt, die Änderung gemäß § 195 Abs. 2 Satz 2 SGB V selbst vorzunehmen. Das hätte zur Folge, dass die Versicherten, die diesen Tarif gewählt haben, hiervon zukünftig ausgeschlossen wären. Damit wäre, jedenfalls für den Zeitraum des Klageverfahrens, eine unumkehrbare endgültige Regelung getroffen. Vor diesem Hintergrund und der im Rahmen des § 86b Abs. 1 SGG vorzunehmenden Abwägungsentscheidung zwischen dem Aussetzungsinteresse und dem Vollzuginteresse (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG § 86b Rz 12) sieht der Senat die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage als erfüllt an. Im Hinblick darauf, dass der Senat nach seinem Urteil vom 16. Juli 2008 von der Rechtswidrigkeit der Satzungsregelung ausging und auch weiter ausgeht, mithin diese nicht hätte genehmigt werden dürfen im Sinne des § 195 Abs. 2 SGB V, hat der Senat die von der Antragstellerin in ihrem Antrag selbst angebotene eingeschränkte Fortsetzung der streitigen Satzungsregelung als Nebenbestimmung in den Tenor des Beschlusses mitaufgenommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 184 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts auf 5.000,00 EUR folgt aus § 52 Abs. 2 GKG, da der Sacht- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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