L 1 KR 207/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1678/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 207/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. April 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2014 in der Gestalt des Bescheides vom 17. April 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2014 aufgehoben wird. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungsbescheides im Streit.

Auf ihren Antrag vom 4. Oktober 2010 hat die Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2011 die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) wegen ihrer Zugehörigkeit zum Personenkreis der selbständigen Künstler und Publizisten in der Renten-, Kranken- und in der Pflegeversicherung ab dem 4. Oktober 2010 festgestellt. In dem Antrag hatte die Klägerin angegeben, als Videodokumentatorin "für und über Institutionen, Vereine, Einzelpersonen für Öffentlichkeitsarbeit und Werbezwecken" im Bereich der Bildenden Kunst/Design tätig zu sein.

Mit Schreiben vom 14. November 2013 unterrichtete die Klägerin die Beklagte über die Erweiterung ihres Tätigkeitsbereichs. Sie sei nunmehr auch als Filmemacherin und in der kulturellen Bildung tätig. Auf die Nachfrage der Beklagten erläuterte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2013 unter Vorlage weiterer Unterlagen diese Tätigkeitsbereiche. Unter anderem legte sie eine ausführliche Beschreibung eines Projektes in einem Mädchenzentrum mit dem Titel "H" vor. Ihr jährliches Einkommen aus der künstlerischen Tätigkeit für das Jahr 2014 prognostizierte sie auf insgesamt 7.000 EUR.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2014 setzte die Beklagte daraufhin die monatlich ab dem 1. Januar 2014 zu zahlenden Beiträge auf 55,12 EUR fest. Sie gab an, dass Bemessungsgrundlage das voraussichtliche Jahreseinkommen der Klägerin in Höhe von 7.000 EUR sei. Mit Schreiben vom 3. März 2014 bat die Beklagte die Klägerin um die Angabe, welche "Prozent-Anteile ihres Einkommens auf die verschiedenen Arbeitsbereiche" entfielen. Die Klägerin antwortete mit am 14. März 2014 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 13. März 2014 und gab an, dass sich das Einkommen wie folgt auf diese Arbeitsbereiche aufteile:

Videodokumentation für und über Institutionen, Vereine, Einzelperson für Öffentlichkeitsarbeit und Werbezwecke ca. 20 % Filmemacherin ca. 30 % Tätigkeit im Bereich Kulturelle Bildung ca. 50 %

Ohne die Klägerin anzuhören, nahm die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 19. März 2014 ihren Bescheid vom 17. Januar 2014 ohne Angabe einer Rechtsgrundlage teilweise zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin angegeben habe, 50 % ihres Einkommens aus der Tätigkeit im Bereich kulturelle Bildung zu erzielen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liege eine Lehre von darstellender Kunst nur vor, wenn Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Ausübung von darstellender Kunst im Sinne des KSVG gelehrt würden. Zwar würden im Projekt "H" beispielsweise auch Kenntnisse über die Herstellung von Filmen vermittelt. In erster Linie beziehe sich das Projekt jedoch auf die Herausarbeitung bestimmter kultureller Gegebenheiten und ggf. deren Veränderung (Thematisierung des alltäglichen Lebens und Denkens der Jugendlichen in B und B, Neuinterpretation und Aufbrechen von Klischees und Vorurteilen). Ein Angebot im allgemein-pädagogischen Bereich falle jedoch nicht unter die Versicherungspflicht nach dem KSVG. Aufgrund der Einkommensaufteilung werde das Jahreseinkommen daher um 50 % gekürzt, so dass der Beitragsberechnung für das Jahr 2014 ein Einkommen in Höhe von 3.500,00 EUR zugrunde gelegt werde.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie führte aus, dass die "Kategorisierung des Projekts "H" als ein Angebot im allgemein-pädagogischen Bereich unzutreffend sei. Es handele sich um ein Projekt der kulturellen Bildung.

Mit weiterem Bescheid vom 17. April 2014 setzte die Beklagte die ab April 2014 zu zahlenden monatlichen Beiträge auf monatlich 74,38 EUR fest. Als Bemessungsgrundlage legte sie ein voraussichtliches Jahreseinkommen in Höhe von 3.500 EUR zugrunde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie wiederholte und vertiefte ihre Begründung des Ausgangsbescheides, gab aber auch in diesem Bescheid keine Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 17. Januar 2014 an.

Auf die Klage der Klägerin vom 7. August 2014 hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 15. April 2015 den "Bescheid der Beklagten vom 19. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Juli 2014 aufgehoben." Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei, weil es sich bei dem Beitragsbescheid vom 17. Januar 2014 um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt handele. Dieser Bescheid sei aber nicht rechtswidrig. Die Beklagte habe zu Recht das von der Klägerin im Jahr 2014 prognostizierte Einkommen aus ihrer Tätigkeit als selbständige Künstlerin von 7.000,00 EUR als Bemessungsgrundlage der Beitragsfestsetzung zugrunde gelegt. Auch bei der Tätigkeit der Klägerin im Bereich der kulturellen Bildung handele es sich um eine künstlerische Tätigkeit.

Gegen das ihr am 11. Mai 2015 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 4. Juni 2015. Zwischen den Beteiligten sei streitig, ob es sich bei Arbeit der Klägerin mit Jugendlichen unter Einsatz filmischer Mittel um die Lehre von Kunst im Sinne von § 2 Satz 1 KSVG handele. Bei dem Projekt "H" handele es sich nicht um Lehre in diesem Sinne, sondern um klassische Jugendarbeit mit vorrangig pädagogischem Charakter. Für einen pädagogischen Charakter spreche insoweit auch, dass dieses Projekt im Rahmen der allgemeinen Tätigkeit der Jugendeinrichtung stattgefunden habe. Ebenso verhalte es sie in einem Club mit Mädchen und jungen Frauen. Dabei gehe es um Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung sowie der Unterstützung beim Erwachsenwerden. Das sei keine künstlerische Tätigkeit.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat im Ergebnis zutreffend die angefochtene Entscheidung der Beklagten aufgehoben. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Streitgegenständlich ist aber nicht ausschließlich der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2014, wie das Sozialgericht angenommen hat, sondern auch der Beitragsbescheid vom 17. April 2014, mit dem die Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 19. März 2014 geändert hat und den monatlichen Beitragssatz ab April 2014 auf der Basis einer Bemessungsgrundlage von nunmehr 3.500 EUR neu festgesetzt hat. Damit ist dieser Bescheid nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist wegen des Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X rechtswidrig. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann hiervor lediglich unter bestimmten – hier jedoch nicht einschlägigen – Ausnahmen abgesehen werden.

§ 24 SGB X dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll den Betroffenen vor Überraschungsentscheidungen schützen (Urteil des BSG vom 15. August 2002 – B 7 AL 38/01 R – zitiert nach juris). Die Behörde hat vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes den Beteiligten zu den entscheidungserheblichen Tatsachen anzuhören. Entscheidungserheblich sind dabei alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, das heißt die Tatsachen, auf die sich die Verwaltung im maßgeblichen Fall tatsächlich auch gestützt hat bzw. stützen will (Siefert in von Wulffen/Schütze SGB X, 8. Auflage 2014, § 24 RdNr. 13). Der Aufhebungsanspruch wegen einer unterbliebenen Anhörung steht einem sachlich-rechtlichen Fehler gleich und begründet damit eine uneingeschränkte Pflicht zur Aufhebung (§ 42 Satz 2 SGB X).

Die Beklagte hat die Klägerin vor Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht angehört. Nach Eingang des Schreibens der Klägerin mit der Auskunft über die jeweiligen Prozent-Anteile ihres Einkommens auf die verschiedenen Arbeitsbereiche am 14. März 2014 hat die Beklagte ohne zeitlichen Verzug und ohne der Klägerin Gelegenheit zu gegeben, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, mit Bescheid vom 19. März 2014 ihren Bescheid vom 17. Januar 2014 teilweise aufgehoben. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu denen die Klägerin angehört hätte werden müssen, gehört im vorliegenden Fall aber insbesondere auch der Hinweis, ob die Behörde ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, so wie hier im Fall der Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X (siehe dazu unten) damit der Beteiligte auch zu den aus seiner Sicht in die Ermessenserwägungen einzustellenden Interessen vortragen kann (Mutschler in Kasseler-Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 91. EL./September 2016, § 24 RdNr. 11a).

Diese fehlende Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs. 2 SGB X in Verbindung mit § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Danach können Handlungen nach Abs. 1 Nr. 2 – 6, also auch die erforderliche Anhörung (Nr. 3) bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dabei hängen die an diesen Nachholungsakt zu stellenden Anforderungen von dem Stadium ab, in dem der Mangel geheilt werden soll. Insoweit ersetzt zunächst das Widerspruchsverfahren die förmliche Anhörung, wenn dem bis dahin nicht ausreichend angehörten Beteiligten in diesem Rahmen im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X "Gelegenheit – gegeben" worden ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern. Dazu reicht es indes nicht aus, dass ein Widerspruchsverfahren überhaupt Gelegenheit zur Äußerung geboten hat. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit der Äußerung zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen. Heilende Wirkung kommt den Äußerungsmöglichkeit im Widerspruchsverfahren daher nur zu, wenn den Beteiligten bis dahin diejenigen Informationen erteilt worden sind, die von der Behörde im Rahmen ihrer Pflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X zu geben gewesen wären. Hierzu ist es nach der Rechtsprechung des BSG notwendig, dass der Verwaltungsträger die entscheidungserheblichen Tatsachen den Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggf. nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde sachgerecht äußern kann (Schütze in von Wulffen/Schütze, a. a. O., § 41 RdNr. 15).

An diesen Grundsätzen bemessen hat die Beklagte die Klägerin im Widerspruchsverfahren nicht ordnungsgemäß angehört. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Beklagte auf das am 31. März 2014 bei ihr eingegangene Widerspruchsschreiben der Klägerin vom 28. März 2014 nicht Kontakt mit der Klägerin aufgenommen und die nach ihrer Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Tatsachen dargelegt hat, sondern sogleich den Widerspruch mit Bescheid vom 8. Juli 2014 zurückgewiesen hat.

Hat ein Widerspruchsverfahren keine Heilung bewirkt, kann das rechtliche Gehör nach § 41 Abs. 2 SGB X bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz, das heißt in der Regel bis zu der mündlicher Verhandlung nachgeholt werden. Voraussetzung einer wirksamen Heilung während des Gerichtsverfahrens ist ein "mehr oder minder" förmliches Verwaltungsverfahren, in dem regelmäßig die beklagte Behörde dem Beteiligten in einem gesonderten Anhörungsschreiben alle Haupttatsachen mitzuteilen hat, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will, ihm dabei eine angemessene Frist zur Äußerung setzt und schließlich dessen Vorbringen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (Schütze, a.a.O., § 41 RdNr.17, m.w.Nachw.).

Ein solches förmliches Anhörungsverfahren hat weder vor dem Sozialgericht noch vor dem Landessozialgericht stattgefunden. Die Beteiligten haben ihre Argumente lediglich im Rahmen des Rechtstreits mittels Klage- bzw. Berufungsschrift und Klage- bzw. Berufungserwiderung ausgetauscht. Dabei beschränkte sich der Meinungsaustauch lediglich auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des teilweise aufgehobenen Bescheides, also ob es sich bei dem neuen Tätigkeitsbereich der Klägerin um Lehre von Kunst im Sine von § 2 KSVG handelt. Auf welcher Rechtsgrundlage der angefochtene Bescheid ergangen ist und ob dessen Voraussetzungen vorliegen, wurde zwischen den Beteiligten bisher nicht erörtert, geschweigen denn, dass die Klägerin hierzu in der gebotenen Art und Weise hierzu angehört worden ist.

Die angefochtene Entscheidung ist weiterhin auch deshalb rechtswidrig, weil sie ermessensfehlerhaft ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtwidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer den Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dabei hat das Gericht nur zu prüfen, ob die Behörde ihr Ermessen überhaupt ausgeübt, sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Urteil des BSG vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall hat die Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt. Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht § 44 SGB X, sondern § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtwidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei dem teilweise zurückgenommenen Bescheid vom 17. Januar 2014 handelt es sich um einen solchen begünstigenden Verwaltungsakt. Denn er beinhaltet Regelungen mit für die Klägerin vorteilhaften und nachteiligen Wirkungen. Nachteilig ist die Wirkung insoweit, als dieser Bescheid der Klägerin eine Beitragspflicht auferlegt. Vorteilhaft ist er insoweit, als mit diesen Beiträgen die Klägerin u. a. Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt. Hinsichtlich dieser Begünstigung steht dem Adressaten des Bescheides grundsätzlich Vertrauensschutz zu. Diese einen Vertrauensschutz begründende Wirkung geht der Empfänger nicht dadurch verlustig, weil der Bescheid zugleich nachteilige Wirkungen aufweist. § 45 SGB X ist insoweit Vertrauensvorschrift. Sie knüpft an das Vertrauen an, eine gewährte vorteilhafte Rechtsposition auch dann behalten zu dürfen, wenn sie sich als anfänglich rechtswidrig erweist. Dieser Vertrauensschutz kann nicht deshalb geringer wiegen, weil der zu korrigierende Bescheid neben vorteilhaften zugleich nachteilige Regelungswirkung äußert (Schütze, a.a.O., § 45 RdNr. 23, m. w. Nachw.).

Ob ein Verwaltungsakt begünstigend ist oder nicht, richtet sich deshalb auch nach der gegenwärtigen subjektiven Sicht des Betroffenen (Steinwedel in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 90. EL/ Juni 2016, § 44 RdNr. 14, m. w. Nachw.). Auch hieran gemessen handelt es sich bei der aufgehobenen Entscheidung um einen für die Klägerin begünstigenden Verwaltungsakt. Denn sie hat selbst beantragt, die Bemessung ihrer Beiträge der veränderten Einkommenssituation im Jahre 2014 anzupassen. Ihr Begehren hat sich darauf gerichtet, dass dieser Beitragsbemessung nunmehr ein Jahresgehalt von 7.000,00 EUR zugrunde gelegt wird. Im Vordergrund dieser Entscheidung steht insoweit der Erwerb von zusätzlichen Rentenanwartschaften.

Ist damit Rechtsgrundlage der Entscheidung der Beklagten § 45 SGB X, ist zwingend Ermessen (" darf ") auszuüben. Hiervon hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Die Begründung des Ausgangsbescheides und auch des Widerspruchsbescheides lassen nicht die Gesichtspunkte erkennen, von denen die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Die Beklagte hat offensichtlich kein Ermessen ausgeübt. Denn eine Rechtsgrundlage nennt die angefochtene Entscheidung nicht. Die Beklagte ist von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen.

Ein Fall einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor. Das würde voraussetzten, dass nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen. Ein derartiger Sachverhalt liegt hier nicht vor.

Die Entscheidung der Beklagten ist daher rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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