S 38 KA 5002/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5002/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L12 KA 5055/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist die Degressi-onskürzung 2010 (Zeitraum 01.03.2010 bis 14.07.2010) in Höhe von EUR 24.963,37. Die Klägerin betrieb in diesem Zeitraum eine Berufsausübungsgemeinschaft / Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im folgenden GBR) mit 14 Vertragszahnärzten, 17 angestellten Zahnärzten und 8 Assistenten. Im vorausgehenden Zeitraum (01.01.2010 bis 28.02.2010) waren 11 Vertragszahnärzte, 14 angestellte Zahnärz-te und 7 Assistenten für die GBR tätig.

Die Beklagte begründete die Degressionskürzung unter Hinweis auf die Rechts-grundlage für die Degressionsberechnung (§ 85 Abs. 4b SGB V) und die hierzu ergangene Rechtsprechung der Obergerichte (BVerfG, Entscheidung vom 21.06.2001, Az. 1 BVR 1762/00; BSG, Urteil vom 14.03.1997, Az. 6 RKa 25/96; BSG, Urteil vom 13.05.1998, Az. B 6 KA 39/97; BSG, Urteil vom 21.05.2003, Az. B 6 KA 25/02 R; BSG, Urteil vom 16.12.2009, Az. B 6 KA 10/09 R ; BSG, Urteil vom 13.10.2010, Az. B 6 KA 32/09 R). Die Degressionsberechnung im streitgegenständlichen Verfahren wurde zeitanteilig und nicht jahresbezogen vorgenommen. Dabei bezog sich die Beklagte auf die Entscheidung des BSG vom 05.05.2010 (Az. B 6 KA 21/09 R). Dort habe das BSG ausgeführt, dass sich bei Teilzeit- oder nicht ganzjähriger Beschäftigung eines Zahnarztes in der Praxis die zusätzlich zu berücksichtigende Punktmenge entsprechend der Beschäftigungsdauer verringere. Dieser Grundsatz gelte auch für eine nur zeitweise Tätigkeit eines Partners in einer Gemeinschaftspraxis. Im Nachgang verwies die Beklagte auf eine jüngst ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 6 KA 3/13 R). Diese Ent-scheidung (Terminbericht Nr.51/13 vom 31.10.2013; Urteil lag zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts noch nicht vor) spreche ebenfalls dafür, dass eine jahresbezogene Degressionsberechnung in bestimmten Fällen nicht zwingend sei. Im Übrigen könne bei Änderungen der Gesellschafter ein Jahresbezug nicht berechnet werden. Unbekannt sei auch, ob und in welchem Umfang der ausgeschiedene Zahnarzt vor Eintritt in die Gemeinschaftspraxis be-ziehungsweise im Anschluss an sein Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis tätig war oder ist.

Die Beigeladene zu 1 machte darauf aufmerksam, dass eine Vergleichbarkeit mit Begrenzungen im Rahmen des sog. Job-Sharings im vertragsärztlichen Bereich gegeben sei.

Zur Begründung der Klage wurde zunächst auf § 85 Abs. 4b SGB V und § 1 Ziff. 1 der Degressionsvereinbarung hingewiesen. Dort sei die Rede von einem "kalenderjahrbezogenen praxisindividuellen Punktmengenkonto". Der Wechsel einer ABE-Nummer im Zusammenhang mit einem Gesellschafterwechsel könne nicht dazu führen, von einer kalenderjahrbezogenen Degressionsberechnung abzurücken. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 21/09 R; BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 6 KA 3/13 R) seien auf das vorliegende Verfahren nicht anzuwenden. Denn unabhängig von einem Gesellschafterwechsel bestehe die GBR noch fort. Es liege somit kein Wechsel in der Rechtspersönlichkeit vor. Die zeitanteilige Degressionsberechnung durch die Beklagte habe auch zur Folge, dass ein Ausgleich nicht möglich sei. So habe bei der Klägerin in der Zeit vom 15.07.2010 bis 31.12.2010 eine Überschreitung der Punktmengengrenzen nicht vorgelegen, was aber nicht berücksichtigt werde.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte in der mündlichen Verhandlung folgenden Antrag:

Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 02. Dezember 2011 Degressionskürzung 2010, ABE Nr. 11014673 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, über den Widerspruch der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Der Vertreter der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Die Vertreterin der Beigeladenen zu 1 stellte keinen Antrag.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 25.11.2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Die Degressionsregelungen auf der Basis von § 85 Abs. 4b SGB V und der jewei-ligen Degressionsvereinbarung waren mehrmals Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2009, Az. B 6 KA 10/09 R). Da-nach sind sie mit Art. 3,12 Grundgesetz und dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren. Ziel der Regelungen ist es, Einsparungen bei den Krankenkassen zu erreichen und die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Außerdem sollen sie Fehlentwicklungen bei der Qualität der zahnärztlichen Versorgung entgegensteuern. Die Degressionsregelungen gelten auch für Gemeinschaftspraxen.

Strittig ist in dem streitgegenständlichen Verfahren, dass die Degressionsberech-nung nicht kalenderjahresbezogen vorgenommen wurde, sondern für einen Zeit-abschnitt (hier: 1.03.2010 bis 14.07.2010), in dem die Klägerin (GBR) in gleicher Besetzung (Gesellschafter) bestand. Diese Berechnungsweise der Beklagten ist nach Auffassung des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden.

Das BSG hat in den von der Beklagten zitierten Entscheidungen (BSG, Urteil vom 5.5.2010, Az. B 6 KA 21/09 R; BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 6 KA 3/13 R) zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber (vgl. Wortlaut von § 85 Abs. 4b SGB V: "je Kalenderjahr") grundsätzlich vom Jahresbezug ausgeht, dies aber nicht ausnahmslos gelte. So war Gegenstand des Verfahrens B 6 KA 21/09 R die Anwendung des Jahresbezugs bei Eintritt eines Zahnarztes in eine GBR innerhalb eines Kalenderjahres. Im Verfahren B 6 KA 3/13 R beschäftigte sich das BSG mit der Frage des Jahresbezugs bei einem Wechsel von einer GBR in eine Einzelpraxis. In beiden Verfahren wurde die Ansicht vertreten, dass sachliche Gründe vorlägen, von dem Jahresbezug abzurücken. Abgestellt wurde unter anderem auf die unterschiedlichen Rechtspersönlichkeiten (Einzelpraxis: GBR), aber auch auf die Haftungsproblematik (beim Übergang von Einzelpraxis auf eine GBR: sachlich nicht gerechtfertigte Erweiterung des Kreises der Schuldner).

Auch im streitgegenständlichen Verfahren ist ein Abrücken vom Jahresbezug aus Sachgründen geboten. Dafür sprechen auch einzelne Passagen des Urteils vom 05.05.2010 (BSG, Az. B 6 KA 21/09 R). Dort wird wie folgt ausgeführt:

"So ist eine "Gesamtdegressionsberechnung" –d.h. eine jahresbezogene Berechnung unter Einbeziehung sämtlicher Leistungen aller im Laufe des Jahres in der Praxis tätigen Zahnärzte - von vornherein nicht durchführbar, wenn auch nur einer der Zahnärzte innerhalb desselben Jahres verschiedenen Gemeinschaftspraxen angehörte. Wäre er bei beiden Gemeinschaftspraxen mit seinen Jahreswerten zu durchsichtigen, würde die Degressionsberechnung durch die Mehrfachberücksichtigung insgesamt verfälscht."

Allein eine Änderung der ABE-Nummer reicht allerdings nicht aus, um eine Aus-nahme vom Jahresbezug aus Sachgründen zu rechtfertigen. Gleichzeitig räumt das Sozialgericht ein, dass es hier zu einem Wechsel der Rechtspersönlichkeit der GBR nicht gekommen ist, sondern vielmehr zu einer Änderung im Gefüge derselben (Wechsel des/der Gesellschafter). Die Klägerseite kann jedoch im Ergebnis mit ihren gesellschaftsrechtlichen Überlegungen nicht durchdringen, da die Degressionsregelungen von einem anderen Ansatz ausgehen und vorrangig zu beachten sind. In Anwendung von § 85 Abs. 4b SGB V und der Degressionsvereinbarung auf eine GBR verändert sich nämlich mit jedem zusätzlichen oder ausscheidenden Gesellschafter die ohne Abstaffelung zuerkannte Gesamtpunktmenge. Dies hat zur Folge, dass - wie die Beklagte ausführt - ein Jahresbezug nicht hergestellt werden kann. Unbekannt ist auch, ob und in welchem Umfang der ausgeschiedene Zahnarzt vor Eintritt in die Gemeinschaftspraxis beziehungsweise im Anschluss an seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis tätig war oder ist. Es ist somit nicht auszuschließen, dass die je Vertragszahnarzt in § 85 Abs. 4b SGB V ohne Abstaffelung zuerkannte Gesamtpunktmenge mehrfach in Ansatz kommt. Insofern würden bei einer jahresbezogenen Degressionsberechnung die Ziele der (Erzielen von Einsparungen bei den Krankenkassen) nicht erreicht, ungeachtet dessen, dass eine jahresbezogene Degressionsberechnung überhaupt nicht möglich ist.

Außerdem stellt sich auch hier die in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 21/09 R) angesprochene Haftungsproblematik. Gesellschafter einer Berufsausübungsgemeinschaft/BGB-Gesellschaft sind Gesamtschuldner nach § 421 BGB. Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem Gesellschafter ganz oder zu einem Teil fordern. Bei einer ka-lenderjahresbezogenen Degressionsberechnung würde ein später eingetretener Gesellschafter gegebenenfalls für die Überschreitungen der Punktmenge ganz oder teilweise einzustehen haben, die von ihm nicht zu verursacht wurden. Dies wäre haftungsrechtlich nicht vertretbar. Somit kommt im Falle des Gesellschafterwechsels bei einer GBR innerhalb eines Kalenderjahres nur eine zeitanteilige Degressionsberechnung in Betracht. Eine Benachteiligung von GBR´s gegenüber Einzelpraxen (Verstoß gegen Art. 3 GG) ist bei Anwendung einer zeitanteiligen Degressionsberechnung nicht ersichtlich. Wer sich für die Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis entschieden hat, partizipiert nicht nur an den sich daraus ergebenden Vorteilen, sondern hat auch etwaige abrechnungstechnische Nachteile in Kauf zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 21/09 R, Rdnr 16). Dabei steht außerdem nicht fest, ob die zeitanteilige Berechnungsweise stets mit Nachteilen verbunden ist. Während bei kalenderjahresbezogener Berechnungsweise ein Ausgleich der Punktmenge im Jahr erfolgen kann, bestehen hier zwar nur Ausgleichsmöglichkeiten innerhalb des jeweiligen Zeitraums. Dafür kann ein Ausgleich der Punktmenge zwischen den einzelnen Gesellschaftern ( Punktmenge der Gesellschafter, die unter der Begrenzung liegen mit der Punktmenge der Gesellschafter, bei denen eine Überschreitung vorliegt) stattfinden.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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