L 2 R 298/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 540/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 298/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 31/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juni 2015 aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Bescheide vom 7. und 22. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2012 auch für die Zeit vom 2. März 2011 bis 8. November 2011 und vom 24. Januar bis 31. März 2012 aufgehoben hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klage- und Berufungsverfahren zu tragen. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung einer Rentenbewilligung sowie die Rückforderung zu viel gezahlter Rentenbeträge.

Die 1954 geborene Klägerin arbeitete seit April 1978 als Arzthelferin. Im Dezember 2008 beantragte sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 2009 und gewährte der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Januar 2009. Die Klägerin verdiente in der Zeit von März 2011 bis Oktober 2011 1.500,70 Euro monatlich. Für die Zeit vom 1. bis 8. November 2011 erhielt sie wegen der Gewährung von Weihnachtsgeld ein Gehalt in Höhe von 1.826,07 Euro (Bl. 442 der Rentenakte). Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wurde im gesamten Zeitraum von März 2011 bis März 2012 gezahlt. Ab 28. September 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig und bezog Krankengeld vom 9. November 2011 bis 23. Januar 2012. Zum 31. Januar 2012 beendete sie ihre Berufstätigkeit, die sie in einem Umfang von vier Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche ausgeübt hatte.

Im Februar 2011 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Während des Rentenverfahrens überprüfte die Beklagte die Rentenberechtigung für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und berechnete die Rente der Klägerin ab 1. Dezember 2010 neu (Neuberechnungsbescheid vom 4. Mai 2011, der nach Rücknahme des Widerspruchs bindend geworden war). Mit Bescheid vom 21. Juni 2011 lehnte die Beklagte zunächst den Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin half die Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2012 ab. Sie bewilligte der Klägerin anstelle der bisherigen Rente eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. März 2011. Es ergab sich eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. März 2012 in Höhe von 6.671,26 Euro.

Unter dem 7. Juni 2012 (Bl. 487 der Rentenakte) erteilte die Beklagte der Klägerin einen Bescheid über die Abrechnung der Rentennachzahlung und Rückforderung. Sie hob den Bescheid vom 4. Mai 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit ab 2. März 2011 bis 31. März 2012 nach § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) auf. Dabei stützte sich die Beklagte konkret auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Der Zahlungsanspruch auf die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei für die Zeit, für die ein Anspruch auf die neu bewilligte Rente bestehe, entfallen (Zeit von März 2011 bis März 2012) Die Beklagte errechnete eine Überzahlung in Höhe von 5.097,94 Euro. Aus dem Rentennachzahlungsbetrag sei zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs der Barmer GEK für die Zeit vom 9. November 2011 bis 23. Januar 2012 ein Betrag in Höhe von 1 658,78 Euro und an die Klägerin ein Betrag in Höhe von 1 776,35 Euro überwiesen worden. Der zur Verfügung stehende Nachzahlungsbetrag vermindere sich auf 3.236,13 Euro (Bl. 486 der Rentenakte). Den überzahlten Betrag habe die Beklagte mit der Nachzahlung verrechnet. Die restliche Überzahlung betrage somit noch 1.861,81 Euro, der von der Klägerin zurückzuzahlen sei.

Mit Bescheid vom 22. Juni 2012 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin wegen voller Erwerbsminderung ab 1. März 2012 neu.

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 7. Juni 2012 wies die Beklagte mit Bescheid vom 13. September 2012 zurück. Die mit Bescheid vom 3. Februar 2012 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dar. Damit seien die Aufhebungsvoraussetzungen für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben. Ein atypischer Fall, der eine Ermessensentscheidung erforderlich mache, läge nicht vor. Die Aufhebung für die Vergangenheit sei deshalb uneingeschränkt vorzunehmen.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 12. Oktober 2012 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt. Sie vertrat die Auffassung, dass sie sich nach der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung durch den Abzug des Krankengeldes schlechter stelle, als sie beim vorherigen Zustand - teilweise Erwerbsminderung plus Krankengeld – gestanden habe, und bat um Überprüfung.

Demgegenüber trug die Beklagte vor, die zuständige Krankenkasse habe ihren aufgrund der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung entstandenen Erstattungsanspruch zutreffend auf der Grundlage des Bruttokrankengeldes beziffert. Die Erstattung an die Krankenkasse im Rahmen des § 103 SGB X sei nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X bestünden in Höhe des erfüllten Erstattungsanspruchs der Krankenkasse Zahlungsansprüche der Rentenberechtigten gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund folglich nicht mehr. Eine Erstattung nach § 26 Abs. 2 SGB IV der aufgrund des Krankengeldbezuges gezahlten Rentenversicherungsbeiträge sei nicht möglich.

Mit Urteil vom 22. Juni 2015 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2012 auf. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Sozialgericht aus, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X lägen nicht vor. Der Bescheid vom 4. Mai 2011 über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei ein Dauerverwaltungsakt und bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen. Im Mai 2011 habe die Klägerin nur einen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gehabt. Durch die nachträgliche Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, weil diese Rente zum Wegfall der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt habe und die Beklagte den Bewilligungsbescheid über die teilweise Erwerbsminderungsrente unter geänderten Verhältnissen nicht mit unverändertem Inhalt habe erlassen dürfen. Bei konkurrierenden Rentenansprüchen blieben beide Rentenansprüche dem Grunde nach bestehen, nach § 89 SGB VI entfalle der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Der Beginn des Anrechnungszeitpunkts von Einkommen gelte als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Erst ab Dezember 2011 stelle die Zahlung der vollen Erwerbsminderungsrente anstelle der teilweisen Erwerbsminderungsrente Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dar. Ob die von der Beklagten gegenüber der Krankenkasse beglichenen Erstattungsansprüche in vollem Umfang zur Fiktion des § 107 Abs. 1 SGB X geführt hätten, könne offen bleiben, da die angegriffenen Bescheide aus anderem Grund aufzuheben gewesen seien. Hinsichtlich des Zeitraums bis November 2011 liege schon keine Einkommenserzielung vor, denn die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis einschließlich November 2011 sei nicht höher gewesen als die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, so dass sich die Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente auf den Auszahlungsanspruch der Höhe nach nicht ausgewirkt habe. Der Bescheid vom 4. Mai 2011 habe daher erst ab 1. Dezember 2011 aufgehoben werden dürfen. Für den Zeitraum davor sei aus Sicht des Gerichts für die Aufhebung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei nachträglicher Bewilligung einer, was den Auszahlungsbetrag angehe, jedenfalls nicht höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung kein Aufhebungstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt.

Der angegriffene Verwaltungsakt sei wegen Ermessensnichtgebrauch aufzuheben. Vorliegend sei ein atypischer Fall gegeben. Ein mitwirkendes Fehlverhalten der Beklagten, das zu der Überzahlung beigetragen habe, liege darin, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente nicht darauf hingewiesen worden sei, dass eine Überzahlung eintreten könne, die vom Versicherten zu ersetzen sei. Zur Wahrung ihres Wahlrechts habe die Klägerin bei der Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente darauf hingewiesen werden müssen, dass es bis zur Abrechnung der Rentennachzahlung ratsam sein könne, Widerspruch gegen den Bescheid über die Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente einzulegen, und dass ihr die Befugnis zustehe, den Rentenbeginn auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Diese Beratungspflicht folge aus Sicht des Gerichts aus § 14 SGB I.

Mit ihrer am 18. September 2015 eingelegten Berufung richtet sich die Beklagte gegen das ihr am 20. August 2015 zugestellte Urteil. Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte vorgetragen, sie halte das angefochtene Urteil für nicht zutreffend. Die Klägerin habe nach Erlass des Bescheides über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung Einkommen in Form der Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten, das zum vollständigen Wegfall des Zahlungsanspruchs auf die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt habe. Die Aufhebung könne vollständig auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt werden, da die Rente wegen voller Erwerbsminderung im genannten Zeitraum genauso hoch gewesen sei wie die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Dies ergebe sich aus der Vorschrift des § 89 SGB VI. Für die Zeit vom 1. März 2011 bis 30. November 2011 habe die Klägerin keinen finanziellen Nachteil erlitten, da die Zahlungsansprüche im Wesentlichen gleich gewesen seien. Für die Zeit ab 1. Dezember 2011 sei das Gericht davon ausgegangen, dass ein atypischer Fall vorliege, der die Ausübung von Ermessen erforderlich gemacht habe. Hierbei habe sich das Gericht auf einen Fehler der Beklagten bezogen. Ein Beratungsmangel werde von der Beklagten jedoch nicht gesehen. Hierbei bezieht sich die Beklagte auf ein Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. März 2014 (S 12 R 1385/12). Ferner bezieht sich die Beklagte auf Urteile und Gerichtsbescheide verschiedener Sozialgerichte, insbesondere des Sozialgerichts Kassel, des Sozialgerichts Aachen sowie dies Sozialgerichts Konstanz, des Sozialgerichts Augsburg, die sie in Kopie vorgelegt hat.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat sich trotz Erinnerung im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil lediglich teilweise zu Recht entschieden, dass die Beklagte keinen Anspruch auf die Erstattung zu viel ausgezahlter Rentenansprüche hat.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2012, mit dem die Beklagte den Bescheid vom 4. Mai 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 2. März 2011 bis 31. März 2012 nach § 48 SGB X zurückgenommen hat.

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit eine der Nummern 1 bis 4 des Abs. 1 von § 48 SGB X vorliegt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse u.a. aufgehoben werden, wenn nach Erlass der Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall des Anspruchs geführt haben würde. Diese Vorschrift ist hier anzuwenden.

Unzweifelhaft handelt es sich bei dem Bescheid vom 4. Mai 2011 um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er eine Rentengewährung zum Inhalt hat. "Wesentlich" bedeutet eine rechtserhebliche Änderung. Hierbei wird eine Änderung vorausgesetzt, die zur Folge hat, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt so nicht hätte erlassen dürfen, etwa weil der im Bescheid festgestellte Anspruch materiell-rechtlich nicht mehr besteht (vgl. BSG in SozR 1300 § 48 Nr. 22).

Vorliegend ist eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten, weil die Klägerin durch die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen erzielt hat, das nach § 89 SGB VI zum Wegfall des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt hat. Die Regelung des § 89 SGB VI bestimmt in Abs. 1, dass bei dem Bestehen von Ansprüchen auf mehrere Renten für denselben Zeitraum nur die höchste Rente geleistet wird. Bei gleich hohen Renten geht der Anspruch auf Leistung der Rente wegen voller Erwerbsminderung dem Anspruch auf Leistung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vor (§ 89 Abs. 1 S. 2 SGB VI). Mit der Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab März 2011 ist der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung entfallen. Es liegt auch eine nachträgliche Änderung vor, denn die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezog die Klägerin bereits seit Januar 2009, die hinzugetretene Rente wegen voller Erwerbsminderung seit März 2011 (vgl.: BSG, Urteil vom 7. April 2016 – B 5 R 26/15 R m.w.H.).

Die Klägerin hat neben dem Bezug der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung Einkommen in Höhe der für die Zeit von März 2011 bis März 2012 gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung erzielt. Dieses Einkommen lässt den Anspruch auf die gezahlte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 89 SGB VI für die Zeit von März 2011 bis März 2012 nachträglich entfallen, auch wenn die Rente nicht höher gewesen ist, als die bereits geleistete Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin hat die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ferner im gesamten streitigen Zeitraum erhalten. Die Berechnung des infolgedessen zu viel gezahlten Betrages in Höhe von 5.097,94 Euro durch die Beklagten ist richtig (Bl. 486 RS der Rentenakte). Der noch streitige Rückforderungsbetrag (1.861,81 Euro) ergibt sich infolge der Verrechnung mit dem Nachzahlungsbetrag aus der rückwirkenden Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aus der Nachzahlung hat die Beklagte u.a. zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs an die zuständige Krankenkasse ausgezahlt. Die Erstattung entspricht den gesetzlichen Vorgaben (§§ 103, 107 SGB X).

Gleichwohl ist die Beklagte nicht berechtigt, den Bescheid über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die gesamte Zeit von März 2011 bis März 2012 aufzuheben. Denn für den Zeitraum, in dem die Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Krankengeld erhielt (9. November 2011 bis 23. Januar 2012), ergibt sich durch die rückwirkende Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung die Situation, dass die Klägerin wirtschaftlich schlechter gestellt ist, als sie bei dem Bezug der niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (zuzüglich Krankengeld) gestanden hat. Bei diesem Sachverhalt, mit dem die Klägerin nicht rechnen musste, ist ein atypischer Fall gegeben, so dass die Beklagte insoweit verpflichtet gewesen wäre, bei ihrer Aufhebungsentscheidung Ermessen auszuüben. Zwar kann und muss ein Sozialleistungsträger nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bei Vorliegen der in den Nrn. 1 bis 4 genannten Voraussetzungen im Regelfall eine Aufhebung des rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ab Änderung der Verhältnisse vornehmen, ohne dass es einer Ermessensentscheidung bedarf. In atypischen Fällen, zu dem der vorliegende gehört, ist jedoch eine Ermessensentscheidung erforderlich. Die durch die nachträgliche Gewährung der höherrangigen Rente eingetretene wirtschaftliche Schlechterstellung der Klägerin in der Zeit von November 2011 bis Januar 2012 begründet einen atypischen Fall (so auch: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Februar 2016 – L 7 R 133/15). Da es für diesen Zeitraum an einer Ermessensentscheidung der Beklagten aber fehlt, sind die Bescheide vom 7. Juni 2012 und 22. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2012 insoweit aufzuheben. Für die übrigen Zeiträume ist die Beklagte jedoch berechtigt, die Gewährung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch ohne Ermessensentscheidung aufzuheben und zu viel gezahlte Rentenbeträge nach § 50 SGB X zurückzufordern, denn insoweit ist der Regelfall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben. Für diese Zeiten hat die Klägerin durch die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung keinen Nachteil erlitten, der einen atypischen Fall begründet.

Nach alledem hat die Berufung der Beklagten nur teilweise Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision aus den Gründen des § 160 Abs. 2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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