S 137 AS 14835/16 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
137
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 137 AS 14835/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
 Es bestehen ersthafte Zweifel, ob die Vorgaben des § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III (Sicherstellung der Finanzierung des Lebensunterhaltes im letzten Drittel der Ausbildung) auch im Grundsicherungsrecht anzuwenden sind (Anschluss an: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. August 2016 – L 25 AS 1611/16 B ER –, juris)
 Soweit eine Behörde aus Ermessensgründen von einer Rücknahme eines begünstigen rechtswidrigen Verwaltungsaktes absieht, hat sie, soweit sie sich zu einem späteren Zeitpunkt doch zu einer Rücknahme entscheidet, bei der Rücknahmeentscheidung grundsätzlich wiederum Ermessen auszuüben und zwar auch dann, wenn die einschlägige Rechtsgrundlage von Gesetzes wegen keine Ermessensausübung vorsieht (hier: § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X).
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 01. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten vorliegend über die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage, die sich gegen die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden – zwecks Förderung und Teilnahme an Maßnahmekosten – richtet. Der Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II und nimmt an einer Weiterbildungsmaßnahme zum staatlich anerkannten Sozialassistenten bei der c.GmbH teil. Sozialassistenten und -assistentinnen arbeiten in der Familien-, Heilerziehungs- und Kinderpflege, wo sie hilfsbedürftige Personen betreuen, unterstützen und fördern.

Die Beteiligten schlossen am 02. Oktober 2015 eine Eingliederungsvereinbarung (gültig bis: 31. Oktober 2017). Unter Ziffer 1 regelten die Beteiligten Folgendes: "Das Jobcenter fördert Ihre Teilnahme an der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme [ ]. Bildungsziel "staatlich anerkannter Sozialassistent" [ ] Der Teilnahme an dem letzten Drittel der Weiterbildung vom 06.01.2017 – 06.09.2017 stimmt das Jobcenter zu, übernimmt hierfür aber nicht die Lehrgangskosten, da ein anderer Leistungsträger vorrangig die Kosten bewilligt. [ ]." Mit Schreiben vom 02. Oktober 2015 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er die Notwendigkeit einer beruflichen Qualifikation festgestellt habe. Er übersandte einen entsprechenden Bildungsgutschein. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2015 bewilligte der Antragsgegner die entsprechenden Kosten für den Zeitraum 05. Oktober 2015 bis 05. Januar 2017. Am 18. März 2016 entzog die zuständige Zertifizierungsstelle dem o.g. Träger die entsprechende Maßnahmezulassung. Als Grund führte der Antragsgegner an, dass die Finanzierung des letzten Drittels der Maßnahme nicht auf Grund von bundes- oder landesrechtlicher Regelungen gesichert sei. Mit Schreiben vom 18. März 2016 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er für die Teilnehmenden der o.g. Maßnahme "eine hausinterne Lösung aufgestellt" habe. Hierzu teilte er mit, dass er die entsprechende Bewilligung nach § 45 SGB X nicht zurücknehmen werde. Ein "Kennen müssen" der Rechtswidrigkeit der Zusicherung liege nicht vor. Die Abbrüche würden daher rückgängig gemacht – so der Antragsgegner. Mit Schreiben vom 22. März 2016 teilte der Antragsgegner mit, dass die entsprechenden Zahlungen wieder aufgenommen würden. Mit Bescheid vom 14. Juli 2016 bewilligte der Antragsgegner weitere Kosten – für den Zeitraum 01. November 2015 bis 31. Juli 2016. Mit Aufhebungsbescheid vom 01. August 2016 hob der Antragsgegner nach Anhörung des Antragstellers die Bewilligungsbescheide vom 29. Oktober 2015 und 14. Juli 2016 auf und zwar für den Zeitraum 04. August 2016 bis 05. Januar 2017. Zur Begründung führte er aus, dass aufgrund des o.g. Zertifizierungsentzuges die entsprechenden Bescheide nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X aufzuheben seien.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Antragsteller hiergegen Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er ist insbesondere der Auffassung, dass der entsprechende Entzug der Zertifizierung im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X inzident zu prüfen und die Entziehung der Zertifizierung rechtswidrig sei. So seien die Vorgaben des § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III im Rahmen des SGB II nicht anwendbar.

Er beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 01. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass der Entzug der Zertifizierung nicht im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X inzident zu prüfen und die Entziehung der Zertifizierung im Übrigen rechtmäßig sei. So spreche insbesondere der Wortlaut des § 16 SGB II sowie der Sinn und Zweck des § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III für eine Anwendbarkeit.

II.

I. Der Antrag hat Erfolg.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der erhobene Widerspruch nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes. Danach gilt: Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist das Interesse am Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzugs abzuwägen. Das Aussetzungsinteresse überwiegt stets, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist oder zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, weil ein Interesse am Vollzug solcher Verwaltungsakte regelmäßig nicht besteht. Auch ansonsten kommt es auf die Erfolgsaussichten einer gedachten Anfechtungsklage in der Hauptsache an, die in die Interessenabwägung einzustellen sind.

Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessensabwägung zugunsten des Antragstellers aus.

1. Zunächst ist hier auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hinzuweisen (Beschluss vom 11. August 2016 – L 25 AS 1611/16 B ER –,juris), der auf den vorliegenden Sachverhalt teilweise übertragbar und den Beteiligten auch bekannt ist. Vereinfacht gesagt geht es in diesem Beschluss vor allem um die zwei (bereits oben genannten) – Streitpunkte:

Erstens: Lässt sich der Entzug der Zertifizierung im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X inzident überprüfen? Der 25. Senat kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass eine Inzidentprüfung angezeigt sei ("nach summarischer Einschätzung inzident zu prüfen" – Rn. 9, juris). Dies zum einen aus dem Grund, dass es sich bei dem Zertifizierungsentzug um keinen Verwaltungsakt handele ("privat-rechtliche Willenserklärung" – Rn. 10, juris) und damit auch keine Tatbestandswirkung eintreten könne ("grundsätzlich nicht" – Rn. 10, juris). Zum anderen verweist der Senat auf die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG ("Entzug einer bereits erworbenen öffentlich-rechtlichen Rechtsposition").

Zweitens: Ist § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III über § 16 SGB II anwendbar? Hieran hat der 25. Senat ernste Zweifel ("Für eine Übertragung [ ...] kein Anlass" – Rn. 12, juris). So könne der Teilnehmer im Falle des vorzeitigen Abbruchs auch weiterhin Leistungen nach dem SGB II beziehen ("Finanzierung des Lebensunterhaltes grundsätzlich durch die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II erfolgt" – Rn. 14, juris). Der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 5 SGB II sei in diesem Fall nicht einschlägig ("greift bei einer Weiterbildungsmaßnahme nach Sinn und Zweck der Regelung nicht ein" – Rn. 14, juris, mit Bezugnahme auf: BSG, Urteil vom 30. August 2010 – B 4 AS 97/09 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 19).

Während sich der Antragsteller die Ausführungen im Wesentlichen zu eigen macht, hält der Antragsgegner die Argumentation für fehlerhaft: Gegen eine Inzidentprüfung spräche die Tatbestandswirkung eines Entzugs der Zertifikation. Ebenso sei die Argumentation des 25. Senats hinsichtlich der fehlenden Anwendbarkeit des § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III nicht tragbar. So spreche hiergegen insbesondere der Wortlaut des § 16 SGB II sowie der Sinn und Zweck des § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III.

Die Kammer kommt hierbei zu folgendem Ergebnis:

a. Eine Inzidentprüfung ist vorliegend zulässig (so auch: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Januar 2010 – L 6 AL 167/09 B ER –, Rn. 24, juris). So würde es nämlich im Falle der Tatbestandswirkung für den Antragsteller nicht die Möglichkeit geben, den wesentlichen Grund eines für ihn belastenen Verwaltungsaktes zu überprüfen. Dies würde auch aus Sicht der Kammer – wie vom 25. Senat zutreffend herausgestellt – nur schwer mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sein. Dies insbesondere im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Soweit die Behörde nämlich zu dem Ergebnis kommt, dass eine wesentliche Veränderung eingetreten ist, die Voraussetzung für eine Rücknahme ist (Pohl in: Eichenhofer/Wenner, § 48 SGB X, Rn. 3 ff), muss der Adressat auch aus Sicht der Kammer grundsätzlich die Möglichkeit haben, diesen wesentlichen Grund gerichtlich überprüfen zu lassen. So enthält diese Vorgabe des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4) nämlich den sog. Grundsatz der vollständigen Rechtskontrolle, d.h. der Rechtsweg muss grundsätzlich die vollständige Nachprüfung der angegriffenen Verwaltungsentscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ermöglichen (Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 179, Juli 2014, Lfg. 72; Papier in: Isensee/Kirchoff, Handbuch des Staatsrechts,3 § 177 Rn. 68 ff).

Selbst wenn es hierbei auch Ausnahmen gibt, wie etwa die Überprüfung von Ermessensentscheidungen oder bzw. von Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum (siehe hierzu: Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184, Juli 2014, Lfg. 72), gilt dennoch der vom BVerfG ausgestellte Grundsatz: "Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie der Tatbestandswirkung von Hoheitsakten schließt dies grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, aus" (BVerfG, Beschluss vom 08. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 –, BVerfGE 61, 82-118, Rn. 79, "Sasbach"). Auch wenn es daher speziell im Sozialrecht zu einer Tatbestandswirkung kommen sollte, wie etwa bei einem Rentenbewilligungsbescheid im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosengeld (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1991 – 7 RAr 24/91 –, BSGE 70, 51-56, SozR 3-4100 § 118 Nr. 3, SozR 3-1200 § 46 Nr. 4) kann sich dies – zum einen – nur auf Verwaltungsakte (Kainz, NZS 2015, 767, 768) beziehen und erfordert – zum anderen – angesichts der Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG einen hohen Begründungsaufwand. Derart überzeugende Argumente sind nach Auffassung der Kammer hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebenso handelt es sich – wie vom 25. Senat zutreffend herausgestellt – bei dem Entzug der hier fraglichen Zertifizierung gerade nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine privat-rechtliche Willenserklärung.

b. Die Kammer hat starke Zweifel, ob die gesetzlichen Vorgaben des § 180 Abs. 4. S. 2 SGB III auch im Rahmen des SGB II anzuwenden sind.

Die Argumentation des Antragsgegners überzeugt das Gericht jedenfalls nicht. So lässt sich aus Sicht der Kammer hier weder mit Wortlaut noch Gesetzessystematik argumentieren. Zwar stimmt die Kammer der Auslegungsregel grundsätzlich zu, dass der Wortlaut der Norm die Grenze der Gesetzesauslegung bildet (vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 321). Vorliegend zeigt jedoch ein Blick in die Geschichte der Verweisungsnorm des § 16 SGB II, dass der Gesetzgeber hier zahlreiche Änderungen und Klarstellungen vorgenommen hat bzw. musste (siehe etwa: Abs. 1 neu gefasst durch Art. 1 KomOptG v 30.7.2004 BGBl I, 2014; Abs. 1 geändert und Abs. 1a und 1 b eingefügt, Abs. 2 S 1 erweitert, Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S 2 sowie Abs. 4 geändert durch Art. 1 GSiFoG v. 20.7.2006 BGBl I, 1706; Abs. 1 S.&8202;6 geändert durch Art. 2 VBäMG v 19.4.2007 BGBl I, 538; Abs. 1 S 2 geändert durch Art. 1a DRAnpGBA vom 19.7.2007 BGBl I, 1457; Abs. 1 geändert durch Art 2 SGB III ÄndG 4 v 10.10.2007 BGBl I, 2329; Abs. 2 S 2. Nr. 7 neu eingefügt durch Art. 1 SGB II ÄndG 2 v 10.10.2007 BGBl I, 2326; Abs. 2 S. 2 Nr. 6 gestrichen durch Art. 3 SGB IV ua ÄndG v 19.12.2007 BGBl I, 3024; § 16 neu gefasst durch Art. 2 Nr. 5 NeuAusRG v 21.12.08 BGBl I, 2917; Abs. 1 S. 2 geändert durch Art 8 Nr. 2 StabSiG v 2.3.09 BGBl I, 416; Abs. 1 S. 2 geändert durch Art. 9 StabSiG v 2.3.09 BGBl I, 416 mWv 1.8.09).

Dies überrascht auch angesichts der Funktion der Norm nicht.

So liegt es nämlich bei derartigen generellen Verweisungsregelungen quasi in der Natur der Sache, dass es zu Auslegungsproblemen kommt. So kann nämlich kein Gesetzgeber jede erdenkliche Anwendungsmöglichkeit an dieser Stelle vordenken bzw. antizipieren. Vielmehr ist der übliche Weg, dass sich durch Rechtsprechung, Verwaltungspraxis, Gesetzgebung und Literatur der jeweilige Anwendungsbereich nach und nach herausbildet und immer wieder zu überprüfen ist (siehe etwa zur Anwendung der ZPO über die Generalverweisung des § 173 VwGO: Nolte, Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Grund und Grenzen der Anwendung des Zivilprozessrechts im Verwaltungsprozess, Habil., 2015). Dies insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um eine sog. dynamische Verweisung handelt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 7/13 R –, SozR 4-4200 § 16 Nr 14, SozR 4-4300 § 53 Nr 5, Rn. 14).

Ebenso lässt sich an dieser Stelle auch nicht mit dem Sinn und Zweck argumentieren. So erfolgte nämlich die fragliche Änderung in § 180 Abs. 4 S. 2 SGB III vor allem deshalb, weil nach den "Erfahrungen der Vergangenheit [ ...] individuelle Finanzierungsformen zu Problemen geführt" und damit wohl "zusätzlichen Verwaltungsaufwand" produziert haben (BR-Drucks. 313/11 S. 218; ebenso: Brandt in: Brand SGB III § 180 Rn. 19). Gleichzeitig steht folgender Gedanke hinter der verkürzen Dauer: So geht der Gesetzgeber nämlich hier davon aus, dass Arbeitnehmer, die an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, gegenüber Auszubildenden über eine größere Lebens- und Berufserfahrung verfügen, so dass sie das Bildungsziel im Allgemeinen zielstrebiger und schneller erreichen können (Bülow in: Eicher/Schlegel, § 180 SGB III, Rn. 68 143. Ergänzungslieferung, März 2016; siehe ferner: Baar in: Mutschler u.a. § 180 Rn. 21; Kühl in: Hauk/Noftz § 180 Rn. 16, Lfg. 3/15 IV/15).

Diese Erwägungen mögen für das Arbeitsförderungsrecht zutreffen. Für das Grundsicherungsrecht erscheinen diese Erwägungen ggf. zu streng.

Ausgehend von der Grundidee des SGB II ein Hilfesystem für "Erwerbsfähige" zu installieren (Gagel/S. Knickrehm SGB II § 1 Rn. 16 beck-online), stellt sich die Kammer hier die Frage, ob die entsprechende Verringerung der Ausbildungsmöglichkeiten nicht dem Zwecke des SGB II entgegenstehen (kritisch hierzu auch: Deutscher Verein, S. 4, Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins anlässlich der Anhörung am 9. Mai 2016 im Ausschuss für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenversicherungsschutz und Weiterbildungsstärkungsgesetz – AWStG; sowie: Deutscher Verein, Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Eingliederungsleistungen im SGB II, S. 11). Im Übrigen hat der Gesetzgeber bereits für die Pflege- und Gesundheitsberufe erkannt, dass die hier streitige Regelung die Ausbildungsnachfrage für diese Berufe "stark bremst" (BR-Drucks. 65/1/16, S. 5) und daher in § 131b SGB III inzwischen eine entsprechende Ausnahmeregelung geschaffen. Dabei kann die Kammer aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 56/16; BT-Drucks. 18/8042; BT-Drucks. 18/8647) nicht erkennen, dass es zwingend bei dieser einen Ausnahme bleiben soll.

In dieses Bild passt auch die neue Härtefallregelung in § 27 Abs. 3 SGB II (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, Gesetz vom 26.Juli 2016 - Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 37 29. Juli 2016 S. 1824). Neu ist hierbei die Möglichkeit, auch an Auszubildende, welche wegen Überschreitens der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung mehr haben und allein deshalb auch vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II erfasst werden, Leistungen nicht als Darlehen, sondern als Zuschuss zu erbringen, vgl. § 27 Abs. 3 S. 2 SGB II (Sehmsdorf, infoalso 2016, 205, beck-online). Diese Regelung verdeutlicht nach Ansicht der Kammer, dass es zentrales Anliegen des SGB II ist, Leistungsempfänger durch abgeschlossene Aus- und Weiterbildung (wieder) in den Ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

2. Diese Frage – wie die der Inzidentprüfung – dürfte jedoch letztlich hier offen bleiben können, da das Gericht starke Zweifel dahingehend hat, ob der Antragsgegner vorliegend nicht ausnahmsweise hätte Ermessen ausüben müssen.

Insoweit ist hier ernsthaft zu besorgen, dass es vorliegend zu einem Ermessensnichtgebrauch gekommen ist. Mit der Kategorie der Ermessensunterschreitung bzw. des Ermessensnichtgebrauch werden die Verkennung des Ermessenstatbestandes bzw. zu kurz greifende Ermessenserwägungen angesichts des gesetzlichen Normprograms bezeichnet (Schönenbroicher in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG 2014 § 40 Rn. 223; Jeastedt, Ehlers,/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 61). Zwar ist bei der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 SGB X kein Ermessen auszuüben (KassKomm/Steinwedel SGB X § 48 Rn. 34, beck-online; BeckOK SozR/Heße SGB X § 48 Rn. 19, beck-online). Allerdings gibt es hiervon auch Ausnahmen, wie etwa für den Fall das Mittel für die berufliche Aus- und Fortbildung nicht auf der Grundlage eines Gesetzes, sondern durch Vergaberichtlinien bzw. geprägte Verwaltungspraxis vergeben werden (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – B 11 AL 25/99 R –, BSGE 85, 92-97, SozR 3-1300 § 48 Nr. 68, SozR 3-4100 § 3 Nr. 3, Rn. 27; siehe auch: Landessozialgericht für das Land Niedersachsen, Urteil vom 28. April 1999 – L 3 P 45/98 –, Rn. 45, juris).

Vorliegend hat der Antragsgegner zwar die entsprechende Bewilligung zunächst anhand von gesetzlichen Vorschriften nach dem SGB III und SGB II vergeben. Allerdings hat der Antragsgegner am 18. März 2016 gegenüber dem Antragsteller mitgeteilt, dass er eine sog. "hausinterne Lösung aufgestellt" habe. Dabei heißt es im Schreiben weiter, dass trotz der nicht gesicherten Finanzierung des letzten Drittels der Maßnahme die "Abbrüche [ ] rückgängig gemacht" würden. Am 22. Oktober 2016 hat der Antragsgegner dem Antragsteller weiter mitgeteilt, dass die entsprechenden Zahlungen wieder aufgenommen würden.

Daher geht die Kammer davon aus, dass der Antragsgegner aus Ermessensgründen die Weiterbildung weiter bewilligt hat, obwohl er von dessen Rechtswidrigkeit ausging. Zwar ist er wohl der Auffassung gewesen, dass eine Rücknahme nach § 45 SGB X und nicht nach § 48 SGB X zu erfolgen hätte, dessen (§ 45 SGB X) Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Allerdings bewertet die Kammer die Entscheidung "hausinterne Lösung" des Antragsgegners dennoch in erster Linie als Zweckmäßigkeitsentscheidung. So lässt das Schreiben nämlich deutlich erkennen, dass es sich um eine generelle Entscheidung handelt, die mehrerer Leistungsbezieher betroffen haben muss – nämlich alle Teilnehmer der hier genannten Maßnahme. Insoweit liegt es aus Sicht der Kammer nahe, dass der Antragsgegner vor dem Hintergrund der erfolgten Entziehung der o.g. Zertifizierung alle Teilnehmer einheitlich behandeln wollte. Zwar ist dies aus Sicht der Kammer – insbesondere mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG – durchaus nachvollziehbar. Allerdings: Soweit der Antragsgegner davon ausging, dass die entsprechenden Bewilligungen jeweils rechtswidrig gewesen sind, hätte er eigentlich das Normprogramm des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X gegenüber jedem Teilnehmer gesondert prüfen müssen. So kann sich danach nämlich ein Begünstigter dann nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Um dies beurteilen zu können, ist auf die individuelle Einsichtsfähigkeit abzustellen (BeckOK SozR/Heße SGB X § 45 Rn. 24, beck-online).

Hiervon hat der Antragsgegner allerdings wohl abgesehen und aus Ermessensgründen eine generelle "eigene" Lösung gewählt, d.h. nicht vom jedem Leistungsbezieher die individuelle Einsichtsfähigkeit zu prüfen. Dies mag durchaus ein gangbarer Weg gewesen sein. Allerdings hätte der Antragsgegner aus Sicht der Kammer diesen Weg auch bei der hier streitigen Rücknahmeentscheidung berücksichtigen müssen. So war nämlich Gegenstand der Rücknahmeentscheidung nicht nur die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung, sondern im Ergebnis auch die "hausinterne Lösung". Diese Entscheidung erfolgte allerdings gerade nicht aufgrund von gesetzlichen Vorschriften, sondern – wie gesagt – aus Ermessensgründen. Insoweit wäre es aus Sicht der Kammer hier angezeigt gewesen, bei der Rücknahme wiederum Ermessen auszuüben. Dies insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass zwischen der hausinternen Lösung und der hier streitigen Aufhebungsentscheidung bereits knapp fünf Monate verstrichen waren – aus Sicht der Kammer jedenfalls kein unerheblicher Zeitraum.

Im Übrigen stellt sich für die Kammer hier sowieso die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Regelung in § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X auch das behördliche Ermessen für den Fall ausschließen wollte, dass sich die Behörde im Falle der Rücknahme einer Maßnahmenförderung nicht damit auseinandersetzen muss, ob dies vor dem Hintergrund der bisher getätigten eigenen Aufwendungen und der eingesetzten Lebenszeit eines Maßnahmeteilnehmers zweckmäßig ist. Nach den entsprechenden Gesetzesmateriealien zur Folge, hatte der Gesetzgeber jedenfalls bei der Einführung der Regelung wohl in erster Linie die Intention, die Rücknahme von laufenden Geldleistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht ins Ermessen der zuständigen Behörde zu stellen (BT-Drucks. 8/2034, S. 35 hier noch unter § 46 SGB X).

Da es sich nach Auffassung der Kammer hierbei um einen sog. Ermessensnichtgebrauch handelt, war es dem Antragsgegner auch nicht mehr möglich, hier entsprechend nachzubessern. Dabei kann es vorliegend offenbleiben, inwieweit die Behörde überhaupt in gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht im Unterschied zum Verwaltungsgericht Gründe nachschieben kann (siehe hierzu: Meyer-Ladewig, SGG § 54 Rn. 36 beck-online), da auch vor dem Verwaltungsgericht solch ein Ermessensfehler aufgrund von § 114 S. 2 VwGO nicht mehr heilbar ist (BVerwG, Urteil vom 05. September 2006 – 1 C 20/05 –, juris).

3. Vor diesem Hintergrund fällt auch – wie gesagt – die hier vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Dabei überzeugt auch hier die vom 25. Senat vorgenommene weitere Interessenabwägung (Beschluss vom 11. August 2016 – L 25 AS 1611/16 B ER –,juris). So lässt sich nämlich hier – ähnlich wie im zitierten Beschluss – aufseiten des Antragstellers anführen, dass dieser bereits seit Oktober 2015 an der fraglichen Maßnahme teilnimmt. Daher wäre auch hier zu besorgen, dass der Antragsteller – im Falle der fehlenden Suspendierung – bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, die Maßnahme bereits abbrechen musste. Damit wären die bisherigen Anstrengungen des Antragstellers im Grunde für ihn nutzlos. Demgegenüber stehen hingegen lediglich fiskalische Interessen, die diese Belange hier nicht aufwiegen können.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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