L 11 SF 51/15 EK

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SF 51/15 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
keine Entschädigung der Pflegeperson für die überlange Dauer eines Gerichtsverfahrens des Pflegebedürftigen

1. Zur fehlenden Aktivlegitimation der Pflegeperson für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen Überlänge eines vom Pflegebedürftigen gegen die Pflegekasse geführten Gerichtsverfahrens.
2. Ein anlässlich einer Klage gegen die Pflegekasse etwaig entstehender Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG kann vom Pflegebedürftigen vor dem Abschluss des Ausgangsverfahrens nicht wirksam an die Pflegeperson abgetreten werden.
3. Ob einem Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB I wie einem Erben ein Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG auch für die Zeit vor seinem Eintritt als Kläger in das Ausgangsverfahren zusteht, kann offenbleiben.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 3.660,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Entschädigung für die Dauer des Gerichtsverfahrens S 26 P 6 ... vor dem Sozialgericht Leipzig (SG).

Die Klägerin pflegte seit Januar 2013 H ... (im folgenden: Pflegebedürftiger), einen Bekannten, den sie dazu in ihre Wohnung aufgenommen hatte. Nachdem dessen im Januar 2013 gestellter Antrag auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung abgelehnt worden war, erhob er am 24.05.2013 vertreten durch einen Rechtsanwalt beim SG A ... Klage gegen die Pflegekasse (Az. S 26 P 6 ...). In diesem Klageverfahren holte das SG ein Sachverständigengutachten vom 16.02.2014 ein und legte die Pflegekasse ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 08.05.2014 vor, das zur Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I sowie zusätzlichen Betreuungsleistungen ab April 2014 führte. Hinsichtlich der vorhergehenden Zeit wurde bis September 2014 ein letztlich erfolgloser Schriftwechsel zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits geführt.

Mit Schreiben vom 19.05.2015 an das SG zum Az. S 26 P 6 ... forderte die Klägerin Schadensersatz von der Pflegekasse für die Verweigerung der Pflegestufe I in der Zeit vom 11.01.2013 bis 30.12.2013 in Höhe von 3.660,00 EUR; auch sei es an der Zeit, über die Klage zu entscheiden. Am 24.07.2015 reichte die Klägerin beim SG ein Schreiben an die Pflegekasse ein, aus dem der zwischenzeitliche Tod des Pflegebedürftigen hervorging und in dem die Klägerin von dieser an sich die Zahlung einer Entschädigung von 3.660,00 EUR für die von ihr erbrachten Pflegeleistungen anmahnte. Auf Anfrage des SG an den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt erklärte dieser, eine Verzögerungsrüge nicht zu erheben, und beantragte wegen des Todes des Pflegebedürftigen die Aussetzung des Verfahrens; letzterem kam das SG mit Beschluss vom 24.09.2015 nach.

Am 28.09.2015 ist beim SG ein Schreiben der Klägerin eingegangen, in dem diese vorbrachte, Bevollmächtigte des Pflegebedürftigen über dessen Tod hinaus zu sein. Das SG habe 25 Monate nicht entschieden. Ihr stehe Schadensersatz wegen zu langer Verfahrensdauer zu. Sie habe den Pflegebedürftigen ein Jahr umsonst ohne Pflegegeld an sie gepflegt. Ihr sei wegen der Nichtverurteilung der Pflegekasse zeitlicher und finanzieller Schaden von 3.660,00 EUR entstanden. Das SG hat dieses Schreiben dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) vorgelegt, weil damit wohl eine Entschädigungsklage erhoben worden sei. Dies hat die Klägerin dem Senat mit Schreiben vom 11.11.2015 bestätigt. Mit Schreiben vom 20.12.2015 hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass eine Vollmacht der Ansprüche des Pflegebedürftigen über den Tod hinaus bestehe, was vor allem die Pflegeleistungen betreffe.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin wegen unangemessener Dauer des unter dem Aktenzeichen S 26 P 6 ... vor dem Sozialgericht Leipzig geführten Verfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von 3.660,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Eine Entschädigungsklage nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sei unzulässig. Denn zum einen sei nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nur ein Verfahrensbeteiligter anspruchsberechtigt; Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens sei aber der verstorbene Pflegebedürftige gewesen, dessen Erbe die Klägerin nicht geworden sei. Zum anderen fehle es an einer wirksamen Verzögerungsrüge oder sei zumindest die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht eingehalten worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Senatsakte sowie der beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Für die erhobene Entschädigungsklage fehlt der Klägerin die erforderliche Aktivlegitimation (die entgegen der Auffassung des Beklagten im Rahmen der Begründetheit zu prüfen ist, vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2010 - B 8 SO 11/09 R - juris RdNr. 11; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [SGG], 11. Aufl., § 69 RdNr. 4). Denn ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer des Gerichtsverfahrens kann nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nur einem Verfahrensbeteiligten zustehen. Darunter ist zwar nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG jede Partei und jeder Beteiligter eines Gerichtsverfahrens zu verstehen. Dies sind aber nur Personen, die kraft eigenen Rechts gestaltend auf den Prozessgegenstand des Ausgangsverfahrens einwirken können (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 198 RdNr. 10). Daher sind aktivlegitimiert, d.h. berechtigt, eine Entschädigung wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens für sich geltend zu machen, nur die Beteiligten des Ausgangsverfahrens (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris RdNr. 28). Dazu zählen in sozialgerichtlichen Verfahren neben Kläger und Beklagten auch Beigeladene (vgl. § 69 SGG), nicht aber andere gegebenenfalls in das Ausgangsverfahren einbezogene Personen wie Zeugen, Sachverständige oder Prozessbevollmächtigte (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 23). Beteiligter des Ausgangsverfahrens S 26 P 6 ... war hier nicht die Klägerin, sondern der Pflegebedürftige bis zu dessen Tod. An der fehlenden Beteiligtenstellung der Klägerin im Ausgangsverfahren hat sich durch den Tod des Pflegebedürftigen nichts zugunsten der Klägerin geändert, da sie weder dessen Sonderrechtsnachfolgerin noch dessen Erbin wurde.

Die Klägerin war – wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat – Bekannte des Pflegebedürftigen und nicht dessen Angehörige im Sinne des § 16 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch. Weil sie nicht Angehörige des Pflegebedürftigen war, konnte die Klägerin auch nicht gemäß § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dessen Sonderrechtsnachfolgerin geworden sein, obwohl sie seit Januar 2013 mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Nach ihrem eigenen Vorbringen ist die Klägerin auch nicht Erbin des Pflegebedürftigen geworden, dessen Erbe von seinen Kindern wegen Überschuldung ausgeschlagen worden sei. Wäre die Klägerin Rechtsnachfolgerin des Pflegebedürftigen geworden, hätte sie das nach dessen Tod auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgesetzte Ausgangsverfahren wieder aufnehmen können (vgl. § 239 Abs. 1 ZPO). Als Erbin wäre sie auch berechtigt, eine Entschädigung für die Zeit vor ihrem Eintritt als Klägerin in das Ausgangsverfahren gerichtlich geltend zu machen, da der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG vererblich ist (dazu Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2014 - X K 9/13 - juris RdNr. 41 f.; Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 267). Ob gleiches für Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB I zu gelten hat, diesen also ein Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG nicht erst für die Zeit ab ihrem Eintritt in das Ausgangsverfahren kraft eigener Beteiligtenstellung zustehen kann, sondern auch für die vorhergehende Zeit aufgrund der Sonderrechtsnachfolge, obwohl diese nach § 56 SGB I an sich nur Sozialleistungsansprüche betrifft, kann letztlich offenbleiben, weil die Klägerin nicht Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Pflegebedürftigen geworden ist.

Das Vorbringen der Klägerin, Bevollmächtigte des Pflegebedürftigen über dessen Tod hinaus zu sein, vermag ihre Aktivlegitimation für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG ebenfalls nicht zu begründen. Wenn schon – wie ausgeführt – eine Prozessvollmacht die für die Aktivlegitimation erforderliche Beteiligtenstellung im Ausgangsverfahren nicht zu begründen vermag, so gilt dies erst recht für eine sonstige Bevollmächtigung. Für die Vollmacht, die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde, haben sie und der Pflegebedürftige ein von den Stadt Leipzig zur Verfügung gestelltes Formular für eine Vorsorgevollmacht (vgl. http://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/ aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-und-dienstleistungen/dienstleistung/rechtliche-betreuung-beantragen-52b2d2c46ff77/) verwandt, das einer von den Justizministerien entwickelten bundesweit einheitlichen Mustervollmacht entspricht (vgl. https://www.justiz. sachsen.de/agl/download/Vorsorgevollmacht.pdf und http://www.bmjv.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Formulare/Vorsorgevollmacht.pdf? blob=publicationFile&v=5). Die vom Pflegebedürftigen am 11.01.2013 und 15.05.2013 unterzeichnete Vorsorgevollmacht gestattet – so sie denn trotz dessen im Ausgangsverfahren bereits ab Januar 2013 behaupteten Demenzerkrankung überhaupt wirksam zustande gekommen ist – der Klägerin zwar, stellvertretend für den Pflegebedürftigen in dessen Namen zu handeln. Dies gilt insbesondere für die im Ausgangsverfahren streitigen Ansprüche. Doch werden diese Ansprüche weder in der Vorsorgevollmacht an die Klägerin abgetreten noch wird die Klägerin durch die Vorsorgevollmacht zur Abtretung von Ansprüchen des Pflegebedürftigen an sich selbst ermächtigt, da die Vollmacht eine Gestattung derartiger Insichgeschäfte im Sinne des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch nicht enthält. Selbst wenn der Pflegebedürftige der Klägerin gegen die Pflegekasse nicht allein eine Vollmacht erteilt, sondern ihr auch die Weiterleitung etwaiger Pflegegeldleistungen zugesagt oder diese sogar abgetreten hätte, führte dies letztlich zu keinem anderen Ergebnis. Denn ein anlässlich einer Klage gegen die Pflegekasse etwaig entstehender Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG konnte vom Pflegebedürftigen nicht wirksam an die Klägerin abgetreten werden, weil ein solcher Anspruch nach § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens nicht übertragbar ist (näher dazu Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 264 ff.). Rechtskräftig abgeschlossen ist das Ausgangsverfahren aber nicht, sondern lediglich entsprechend § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO ausgesetzt.

Im Übrigen ist auch nicht die sechsmonatige Wartefrist zwischen Verzögerungsrüge und Erhebung der Entschädigungsklage (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG) eingehalten. Denn eine Verzögerungsrüge kann frühestens in dem Schreiben der Klägerin vom 19.05.2015 an das SG zum Az. S 26 P 6 ... erblickt werden. Entschädigungsklage hat die Klägerin aber spätestens mit ihrem Schreiben vom 11.11.2015 erhoben, mit dem sie klarstellte, dass ihr am 28.09.2015 beim SG eingegangenes Schreiben in diesem Sinne zu verstehen sei. Selbst wenn sie die Verzögerungsrüge nicht nur stellvertretend für den Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben haben sollte, sondern dies auch – was erforderlich wäre (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 179) – wirksam im eigenen Namen geschehen wäre, hätte die Klägerin die sechsmonatige Wartefrist nicht eingehalten. Die Nichteinhaltung der Wartefrist ist aber seit dem 01.01.2015 auch in der Sozialgerichtsbarkeit nicht heilbar (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 18 ff.). Eine – wie hier – vor Ablauf der Wartefrist erhobene Entschädigungsklage wird daher auch nicht nach Ablauf der Frist zulässig. Die Nichteinhaltung der Wartefrist ist nur dann unbeachtlich, wenn das Ausgangsverfahren bereits vor Fristablauf beendet wurde (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.05.2014 - III ZR 355/13 - juris RdNr. 17; Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 18 f.; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.02.2015 - 5 C 5/14 D - juris RdNr. 18 ff.). Einer Beendigung steht jedoch die Aussetzung des Ausgangsverfahrens (hier nach § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO) nicht gleich. Von daher ist die von der Klägerin erhobene Entschädigungsklage nicht nur unbegründet, sondern auch unzulässig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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