L 4 SO 5/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 184/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 5/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung ihrer Eltern zu Unterhaltsleistungen durch die Beklagte.

Die 1971 geborene Klägerin ist seelisch behindert. Sie erhält seit 2002 von der Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII). Die Klägerin hatte vor Beginn der Maßnahmen wiederholt darum gebeten, ihre dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Eltern nicht zu einer Kostentragung heranzuziehen, da diese für ihre frühkindliche Traumatisierung verantwortlich seien und damit die in Rede stehende Eingliederungshilfemaßnahme notwendig gemacht hätten. Die Beklagte erklärte zunächst, dem Wunsch der Klägerin nachzukommen, trat dann aber gleichwohl schriftlich an deren Eltern heran und zog sie zur Erbringung von Unterhaltsleistungen heran. Jedenfalls seit Dezember 2008 erbrachten die Eltern sodann Unterhaltsleistungen an die Beklagte; im Jahr 2011 in Höhe von monatlich 54,97 Euro.

Mit einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 6. August 2011 beantragte die Klägerin, künftig auf die Heranziehung ihrer Eltern zu verzichten. Zur Begründung legte sie eine ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums H. vor, in dem die Einbeziehung der Eltern zu diesem Zeitpunkt als therapeutisch kontraproduktiv bezeichnet wurde. Mit Schreiben vom 22. August 2011 erklärte die Beklagte, dass kein Härtefall i.S.d. § 94 Abs. 3 SGB XII gegeben sei, sodass von einer Heranziehung der Eltern nicht abgesehen werde.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die Einstellung der Heranziehung ihrer Eltern und erklärte ihre grundsätzliche Bereitschaft, den bislang von den Eltern gezahlten Kostenbeitrag künftig selbst zu zahlen. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 20. Juli 2012 mit, nach einer erneuten Prüfung der Sachlage sei sie bereit, ab dem 1. Juli 2012 auf eine Heranziehung der Eltern zur Unterhaltsleistung zu verzichten, da die Heranziehung eine unbillige Härte für die Klägerin bedeute.

Mit Schreiben vom 16. August 2012 beantragte die Klägerin nunmehr auch eine rückwirkende Korrektur. Sie wollte erreichen, dass die in der Vergangenheit von den Eltern geleisteten Unterhaltszahlungen diesen zurückerstattet werden; zudem forderte sie die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes an sich selbst. Die Beklagte lehnte das Begehren der Klägerin mit Schreiben vom 26. September 2012 ab. Sie drückte ihr Bedauern aus und entschuldigte sich dafür, dass trotz anderer Absprache die Eltern beteiligt worden waren. Die Beklagte führte weiter aus, dass die Unterhaltszahlungen der Eltern für die Vergangenheit durch rechtmäßige Verwaltungsakte festgelegt worden seien, die nur für die Zukunft widerrufen werden könnten. Dies sei geschehen; eine rückwirkende Korrektur sei nicht möglich. Hinsichtlich des von der Klägerin angesprochenen Schmerzensgeldes wurde ihr geraten, "sich anwaltlich beraten zu lassen".

Mit Schreiben vom 5. November 2012 beantragte die Klägerin eine Aufhebung der Bescheide über die Heranziehung ihrer Eltern mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (im Folgenden: SGB X). Sie führte weiter aus, sie halte auch ihre Forderung nach einem angemessenen Schmerzensgeld aufrecht. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 12. November 2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Festsetzungs- wie auf der Aufhebungsbescheid sei gegenüber den Eltern der Klägerin ergangen. Es werde keine Veranlassung gesehen, diese abzuändern. Sofern die Eltern der Klägerin mit diesen Entscheidungen nicht einverstanden seien, müssten sie ihre Rechte selbst geltend machen. Die Beklagte lehnte auch die Gewährung von Schmerzensgeld ab.

Die Klägerin legte dagegen mit Schreiben vom 26. November 2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 2014 zurückwies. Das Widerspruchsverfahren sei bereits unzulässig, da es der Antragstellerin an der erforderlichen Widerspruchsbefugnis fehle. Durch die Inanspruchnahme ihrer Eltern sei die Klägerin, die in diesem Verwaltungsrechtsverhältnis lediglich Dritte sei, nicht in eigenen Rechten verletzt. Eine Antragsbefugnis Dritter gebe es im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X nicht. Im Übrigen seien dessen Voraussetzungen auch nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung könne nicht im Wege eines verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens geltend gemacht, sondern nur auf dem Zivilrechtsweg eingeklagt werden.

Dagegen hat die Klägerin am 27. März 2014 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Das Sozialgericht hat am 24. November 2014 einen Erörterungstermin durchgeführt. Darin haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, in dem sich die Beklagte verpflichtet hat, die Heranziehung der Eltern der Klägerin rückwirkend ab März 2010 aufzuheben und erbrachte Leistungen an die Eltern der Klägerin zurückzuzahlen. Der Vergleich war mit einem Rücktrittsvorbehalt für die Beklagte versehen. Mit Schreiben an das Sozialgericht vom 26. November 2014 hat die Klägerin mitgeteilt, dass es ihr nicht in erster Linie um eine Rückzahlung an ihre Eltern gehe. Vielmehr gehe es ihr darum, dass das Fachamt für Eingliederungshilfe mit dem Herantreten an ihre Eltern einen Fehler gemacht habe, der gravierende Auswirkungen auf ihre Gesundheit gehabt habe. Sie wolle, dass das Fachamt sich zu dem Vorgang äußere, seinen Fehler einräume und sich entschuldige. Daraufhin ist die Beklagte von dem im Erörterungstermin geschlossenen Vergleich zurückgetreten.

Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Dezember 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe die rückwirkende Aufhebung der Heranziehung der Eltern der Klägerin zu Unterhaltsleistungen zu Recht abgelehnt. Es gebe keine Rechtsgrundlage für das entsprechende Begehren der Klägerin. Die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden § 44 SGB X seien nicht erfüllt. Eine Aufhebung nach § 44 SGB X scheitere bereits daran, dass der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern im Wege einer cessio legis auf die Beklagte übergegangen sei, ein Verwaltungsakt gegenüber den Eltern der Klägerin daher nicht ergangen sei und auch nicht hätte ergehen müssen bzw. dürfen. Zudem fehle es der Klägerin an einer Antragsbefugnis. Einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X könne nur der Adressat eines Verwaltungsakts stellen. Hier sei aber nicht die Klägerin Adressatin der in Rede stehenden Maßnahme der Beklagten, sondern deren Eltern. Die Klägerin sei im Verfahren der Heranziehung der Eltern zu Unterhaltsleistungen nicht Beteiligte, sie sei hierdurch in ihrer Rechtsposition nicht betroffen. Schließlich seien aber auch die weiteren Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht erfüllt, insbesondere sei die Heranziehung der Eltern nicht rechtswidrig gewesen.

Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 18. Dezember 2015 zugestellt worden. Am 14. Januar 2016 hat sie Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie sei durch den Verwaltungsakt, mit dem ihre Eltern zur Unterhaltsgewährung herangezogen werden, in ihren Rechten beschwert. Es liege eine Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit vor, denn die Kenntnis, dass ihre Eltern einen Kostenbeitrag an die Beklagte zahlen, habe tiefgreifende Auswirkungen auf ihre Gesundheit gehabt. Die Heranziehung ihrer Eltern sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da durchgängig eine unbillige Härte vorgelegen habe. Die Forderung von Schmerzensgeld mache sie im sozialgerichtlichen Verfahren nicht weiter geltend.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sämtliche Bescheide, mit denen ihre Eltern zur Beteiligung an den Kosten der ihr gewährten Eingliederungshilfe herangezogen worden sind, mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und auf den Widerspruchsbescheid.

Mit Beschluss vom 15. Februar 2016 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und bei der Beratung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hat.

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Heranziehung ihrer Eltern zu Unterhaltsleistungen mit Wirkung für die Vergangenheit rückgängig macht.

Dabei musste der Senat nicht entscheiden, ob die Heranziehung der Eltern der Klägerin zu Unterhaltsleistungen durch die Beklagte rechtmäßig war oder nicht. Denn unabhängig davon kann die Klägerin nicht deren Rückgängigmachung verlangen. Es fehlt ihr insoweit schon an einer Antragsbefugnis, da sie durch die Heranziehung der Eltern nicht in ihrer Rechtsposition betroffen ist. Der Senat nimmt insoweit gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids. Die mittelbaren Auswirkungen auf ihre Gesundheit, die die Klägerin geltend macht, liegen außerhalb der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten und sind schon deshalb nicht geeignet, eine Betroffenheit in eigenen Rechten zu begründen.

Die Berufung wäre auch dann unbegründet, wenn man die Klage entgegen dem ausdrücklich formulierten Klagantrag als Feststellungsklage auslegt, gerichtet auf die Feststellung, dass die Heranziehung der Eltern der Klägerin rechtswidrig war bzw. dass Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Eltern nicht nach § 94 SGB XII auf die Beklagte übergegangen sind. Denn es fehlt jedenfalls an dem nach § 55 Abs. 1 SGG erforderlichen berechtigten Feststellungsinteresse. Zwar ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, mit der Feststellungsklage das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen einem Dritten und dem Beklagten geltend zu machen, Voraussetzung ist dann jedoch, dass der Kläger hierdurch in seinen rechtlichen Interessen berührt wird (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 55 Rn. 15d). Das ist hier nicht der Fall, wie oben ausgeführt wird die Klägerin durch die Inanspruchnahme ihrer Eltern nicht in eigenen Rechten betroffen.

Soweit es der Klägerin eigentlich darum geht, dass sich neben dem Bezirksamt auch das Fachamt für Eingliederungshilfe zu dem Vorfall äußert und sich entschuldigt, kann sie dies im Klagewege nicht erreichen. Es wird aber darauf hingewiesen, dass sowohl die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration als fachlich zuständige Behörde der Beklagten ihr Bedauern über die der Klägerin entstandenen Schwierigkeiten ausgedrückt hat (Schreiben an die Klägerin vom 20. Juli 2012) als auch das Bezirksamt Altona sich für das Herantreten an die Eltern ausdrücklich entschuldigt hat (Schreiben vom 26. September 2012).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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