L 5 KR 154/16 ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 154/16 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, wenn ein Antragsteller ohne schwerwiegenden Grund weder seinen Wohnsitz, Aufenthalts- oder Beschäftigungsort angibt. Das gilt auch bei Obdachlosigkeit.
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Senat wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung/Fortsetzung von Krankenversicherungsschutz durch die Antragsgegnerin.

Der Antragsteller hat am 2. November 2015 beim Sozialgericht Itzehoe Klage (S 27 KR 460/15) erhoben, mit der er die Gewährung/Fortsetzung des Krankenversicherungsschutzes gegenüber der Antragsgegnerin begehrt. Gleichzeitig hat er einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 27 KR 74/15 ER) gestellt und auf seine chronischen Erkrankungen, insbesondere seine Blutgerinnungsstörung, hingewiesen, die eine ärztliche Betreuung und Versorgung mit Medikamenten überlebenswichtig machten. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat er seinen Vortrag dahingehend ergänzt, dass die Angabe einer Anschrift nicht möglich sei, da er sich an verschiedenen Orten im Kreise Dithmarschen aufhalte. Er sei aber über eine Fax-Nummer (via Internet) erreichbar. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, die Mitgliedschaft des Antragstellers sei beendet worden, da dieser unbekannt verzogen sei und auf mehrere Anfragen keine Adresse mitgeteilt habe.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 3. Dezember 2015 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig verworfen und nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2016 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Gerichtsbescheid – weitestgehend identisch mit dem Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – ausgeführt:

"Nach § 90 SGG ist ein Antrag schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim zuständigen Gericht zu erheben. Das Ersuchen um Rechtsschutz "soll" gemäß § 92 Satz 1 und 2 SGG unter anderem die "Beteiligten" bezeichnen und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein.

Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird (BSG, Beschluss vom 18. November 2003 – B 1 KR 1/02 S –, SozR 4-1500 § 90 Nr 1, SozR 4-1500 § 92 Nr 1, Rn. 4).

Nach dieser Rechtsprechung des BSG fehlt es in derartigen Fällen jedenfalls an einer wesentlichen ungeschriebenen weiteren Sachurteilsvoraussetzung. Auch wenn ein Computerfax die vom Gesetz geforderte Schriftform wahrt, setzt ein zulässiges Rechtsschutzbegehren mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird. Das steht im Einklang damit, dass eine formlos und ohne Unterschrift erhobene Klage nur dann wirksam erhoben ist, wenn die Person des Klägers feststeht und nichts dafür spricht, dass das Schriftstück ohne seinen Willen an das Gericht gelangt ist.

Auch in dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formenstrenge auszeichnenden sozialgerichtlichen Verfahren ist es nach der Ansicht des BSG aber in mehrfacher Hinsicht geboten, §§ 90, 92 SGG nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie den Rechtsuchenden zumindest dazu verpflichten, eine Anschrift zu nennen. Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtsuchenden bedarf es - ähnlich wie in anderen Gerichtszweigen - bereits, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 Abs. 1 bis 3 SGG (bzw. nach Sonderregelungen in den einzelnen Sozialleistungsbereichen) feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen "gesetzlichen Richters" im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu gewährleisten. Da im Sozialgerichtsverfahren die örtliche Zuständigkeit nicht disponibel ist (vgl. § 59 SGG), diese Zuständigkeit umstritten sein kann und gerade im vorliegenden Fall einer Faxnummer aus dem Internet eine Zuständigkeitsbestimmung unmöglich ist, liegt auch hier das Bedürfnis nach Offenlegung einer Anschrift auf der Hand. In gleicher Weise ist das Anschrifterfordernis unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl. § 63 Abs. 2 SGG iVm §§ 166 ff Zivilprozessordnung (ZPO)). Dass auf das verfahrensrechtliche Mittel einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts des Betroffenen (§ 185 Nr. 1 ZPO) zurückgegriffen werden könnte, steht dem nicht entgegen. Diese Zustellungsart kommt nach ihren strengen Voraussetzungen wegen der Gefahr der möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht; als Regelzustellung bei planmäßigem, nicht gerechtfertigtem Schweigen eines Betroffenen über seinen Aufenthalt ist sie nicht vorgesehen.

Weiter sprechen kostenrechtliche Gründe (§ 193 SGG) sowie die Notwendigkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Rechtsschutzsuchenden wegen der Sachermittlung für die oben vertretene Ansicht. Mit der Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens begibt sich der Rechtsuchende in eine Rolle, die trotz des hier geltenden Amtsermittlungsprinzips regelmäßig ein Mindest¬maß an aktiver Mitwirkung erfordert (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2, § 106 Abs. 1, § 111 Abs. 1 SGG); dies ist ohne sichere, auch für den Prozessgegner transparente Kommunikationsmöglichkeiten mit ihm (vgl. § 128 Abs. 2 SGG) nicht gewährleistet.

Diese Rechtsmeinung wird auch von der Kommentierung vertreten (so: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 90 Rn. 4 und § 92 Rn. 4). Ebenso vertritt das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 31.08.2010, Az.: L 13 R 3865/09) die Ansicht, dass eine Klage, in der der Kläger weder seinen Wohn-sitz, Aufenthaltsort oder Beschäftigungsort angibt, regelmäßig unzulässig ist.

Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist (z.B. bei einem besonderen schützenswerten Geheimhaltungsinteresse in einem Adoptionsverfahren, vgl. BGHZ 102, 332, 336). Solche Umstände hat der Kläger weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzbedürfnis nicht ersichtlich. Denn der Kläger hat es selbst in der Hand, über die Angabe seiner Anschrift bei der Beklagten zumindest eine Prüfung, wenn nicht sogar eine Wiederherstellung seines Krankenversicherungsschutzes zu ermöglichen. Gerichtlicher Hilfe bedarf er hierfür nicht."

Gegen den durch öffentliche Zustellung zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Antragstellers (L 5 KR 93/16), eingegangen beim Schleswig-Holsteini-schen Landessozialgericht am 25. Juli 2016. Darin bleibt er bei der Auffassung, dass ein Gerichtsverfahren auch dann durchzuführen sei, wenn keine Anschrift angegeben werde. Einen Wohnsitz oder einen Beschäftigungsort könne er mangels festen Wohnsitzes und Beschäftigung nicht angeben. Der Aufenthaltsort sei bestmöglich mit dem Kreis Dithmarschen von ihm angegeben. Das LSG Baden-Württemberg stütze seine Entscheidung in dem Beschluss vom 12. Mai 2015 (L 7 SO 1150/16 ER–B).

Am 28. November 2016 beantragt der Antragsteller beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung "aufgrund festgestellter akuter Erkrankung". Da die menschliche Gesundheit rückwirkend nicht wiederherstellbar und der Tod als Krankheitsfolge irreversibel sei, könne ein Schadensersatzanspruch nicht verwirklicht werden. Somit sei antragsgemäß zu entscheiden. Die Antragsgegnerin beantragt die Abweisung des Antrags.

II.

Der Antrag ist unzulässig. Zwar ist der Senat als Gericht der Hauptsache gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG grundsätzlich erstinstanzlich für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig, da über die streitige Rechtsfrage des Krankenversicherungsschutzes ein Berufungsverfahren (L 5 KR 93/16) anhängig ist. Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil der Antragsteller sich weiterhin weigert, eine Anschrift mitzuteilen. Da mit gleicher Begründung das Sozialgericht bereits den dort gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt und die dort erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2016 mit zutreffender Begründung abgewiesen hat, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt des Gerichtsbescheides und des Beschlusses vom 3. Dezember 2015. Dort gibt das Sozialgericht weitestgehend wortidentisch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18. November 2003 (B 1 KR 1/02 S) wieder, wonach ein zulässiges Rechtsschutzbegehren im Regelfall erfordert, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird und die bloße Angabe einer E-Mail-Anschrift und/ oder einer Mobilfunk-Telefonnummer nicht ausreichend ist. Diese Rechtsprechung findet vollinhaltlich auf den hier anhängigen Rechtsstreit Anwendung. Hinsichtlich der vom Sozialgericht angesprochenen kostenrechtlichen Gründe weist das BSG in der zitierten Entscheidung ergänzend darauf hin, dass sozialgerichtliche Verfahren zwar für eine natürliche Person grundsätzlich kostenfrei und in der Regel auch nicht mit der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Prozessgegners verbunden seien. Als Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit könnten jedoch einem uneinsichtigen Rechtsuchenden nach § 192 SGG die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstandenen Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden. Dieses Mittel liefe leer, wenn die Vollstreckung der auf dieser Grundlage festgesetzten Kosten gefährdet werde, nur weil der Rechtsuchende sich durch bloßes Verschweigen seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn betreffenden Kostenlast entziehen könnte.

In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht vermag der Senat auch beim Antragsteller keine "schwerwiegenden beachtenswerten Gründe" erkennen, die eine Ausnahme von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, begründen können. Um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 Abs. 1 bis 3 SGG zu bestimmen, ist nicht zwingend der Wohnsitz oder der Beschäftigungsort anzugeben. Insoweit reicht nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG auch die Angabe des Aufenthaltsortes und damit den Ort der faktischen Anwesenheit, ohne insoweit einen "gewöhnlichen" Aufenthaltsort anders als § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zu verlangen (Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O., SGG-Kom-mentar, § 57 Rz. 7). Ein solcher besteht auch bei Obdachlosigkeit.

Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des LSG Baden-Württemberg findet hier keine Anwendung, da die dortigen Ausführungen zum Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfe erfolgten.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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