L 32 AS 2616/16 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 129 AS 15465/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2616/16 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2016 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerinnen begehren von dem Beklagten höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 29. Februar 2012 von insgesamt 2,66 Euro und für März 2012 von 80,16 Euro.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 30. September 2016 die Klage abgewiesen: Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ergebe sich kein um 2,66 Euro höherer Anspruch für die Monate Januar und Februar 2012 aufgrund des Arbeitgeberanteils der vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von monatlich 13,30 Euro. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 9. November 2010 (B 4 AS 7/10 R) entschieden, dass der Beitragszuschuss des Arbeitgebers im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung, der nicht vom Entgelt des Arbeitnehmers, sondern vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer direkt an die Pensionskasse abgeführt werde, eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II sei, die nicht als Einkommen berücksichtigt werde. Dadurch, dass es sich erst gar nicht um berücksichtigungsfähiges Einkommen handele, könne es weder bei dem Brutto- noch beim Nettogehalt berücksichtigt werden, sondern falle komplett bei der Berechnung des anzurechnenden Einkommens heraus. Diese Wertung sei auch für den streitgegenständlichen Zeitraum übertragbar. Hinsichtlich des Urlaubsgeldes, das der Klägerin zu 2 im März 2012 zugeflossen sei, handele es sich um Einkommen, das im Zuflussmonat zu berücksichtigen gewesen sei. Es habe hierbei offenbleiben können, ob es sich bei dem Urlaubsgeld um eine einmalige Einnahme oder laufendes Einkommen handele, denn auch bei einer einmaligen Einnahme habe der Beklagte das Urlaubsgeld im Zuflussmonat anrechnen können. So habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 25. Juni 2014 - L 2 AS 2373/13 - entschieden: Der wesentliche Zweck der Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II bestehe in der Verwaltungsvereinfachung bei der Berücksichtigung von Einkommen. Sie komme dann zur Anwendung, wenn dieser Zweck erreicht werden könne. In all den Fällen, in denen der Zufluss einer Einnahme der Verwaltung erst zu einem Zeitpunkt bekannt werde, zu dem eine Berücksichtigung für den Folgemonat nicht mehr möglich sei, verbleibe es bei den allgemein gültigen Regelungen, insbesondere dem Zuflussprinzip, und der Rückabwicklung in Form eines Rücknahme- bzw. Aufhebungs- und Erstattungsverfahrens. Die Kammer schließe sich dem an.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Diese Rechtsfrage muss im konkreten Rechtsstreit klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, § 144 Rdnr. 28; Kummer, Neue Zeitschrift für Sozialrecht [NZS] 1993, 337, 341/342). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, soweit sie im Falle der Zulassung der Berufung insbesondere entscheidungserheblich wäre (vgl. auch Bundessozialgerichts – BSG -, Beschlüsse vom 29. November 2006 – B 6 KA 23/06 B, vom 27. Juli 2006 – B 7a AL 52/06 B, vom 24. Mai 2007 – B 3 P 7/07 B, vom 19. September 2007 – B 1 KR 52/07). Auch bei fehlender gesicherter Rechtsprechung ist die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht (BSG, Beschluss vom 04. Juni 1975 – 11 BA 4/75, abgedruckt in BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160 a Nr. 4; BSG, Beschluss vom 22. August 1975 – 11 BA 8/75, abgedruckt in BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160 a Nr. 11), sie insbesondere unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist oder sie überhaupt oder so gut wie unbestritten ist (BSG, Beschluss vom 14. August 1981 – 12 BK 15/81, abgedruckt in SozR 1300 § 13 Nr. 1).

Eine Abweichung liegt vor, wenn der Entscheidung des Sozialgerichts eine Rechtsauffassung zugrunde liegt, die zu einer aktuellen, inzwischen nicht überholten älteren Rechtsansicht eines dem Sozialgericht übergeordneten Gerichts im Widerspruch steht und die Entscheidung des Sozialgerichts auf dieser Abweichung beruht (Meyer Ladewig, a. a. O., § 144 Rdnr. 30, § 160 Rdnr. 10 ff; Kummer, a. a. O., Seite 342).

Ein Verfahrensmangel ist gegeben, wenn infolge einer unrichtigen Anwendung oder Nichtanwendung einer Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, das Verfahren des Sozialgerichts bis zum Erlass einschließlich des Urteils fehlerhaft abgelaufen ist. Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor, wenn unter anderem die Anwendung des materiellen Rechts oder die Beweiswürdigung fehlerhaft ist (Meyer Ladewig, a. a. O., § 144 Rdnr. 32, 34a, 32a, 36, 37, 35; Kummer, a. a. O., Seite 342).

Die genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es ist insbesondere eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht zu entscheiden, denn die Antwort steht praktisch außer Zweifel.

Nach § 11 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGB II gilt: Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, gilt § 11 Abs. 3 SGB II entsprechend.

§ 11 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB II bestimmt: Einmalige Einnahmen sind in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen. Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. Es kann dem Sozialgericht insoweit folgend dahinstehen, ob das Urlaubsgeld eine laufende Einnahme oder eine einmalige Einnahme darstellt. Sofern das Urlaubsgeld eine laufende Einnahme ist, fließt es jedenfalls in größeren als monatlichen Zeitabständen zu, so dass in beiden Fällen § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II maßgebend ist.

§ 11 Abs. 2 und 3 SGB II regeln aufgrund der Streichung der bisherigen Vorschrift in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung den Zufluss laufender und einmaliger Einnahmen, ohne dass die Gesetzesbegründung weitere Ausführungen zum Zufluss- oder Folgemonat enthält (vgl. Bundestag-Drucksache 17/3404, S. 94). Die Begründung des Entwurfs einer Ersten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (www.bmas.de/ .../verordnung-berechnung-einkommen-arbeitslosengeld-2-sozialgeld) führte zum neuen Satz 2 ("Abweichend von Satz 1 ist eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind") aus, dass dieser zu einer deutlichen Verminderung des Verwaltungsaufwandes in den Fällen führt, in denen beim Zufluss von einmaligen Einnahmen die Leistungen für den Zuflussmonat bereits im Voraus erbracht worden sind.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, das im März 2012 gezahlte Urlaubsgeld sei im April 2012 anzurechnen und nicht, wie mit Änderungsbescheid vom 4. März 2014 geschehen, im März 2012.

Die Klägerinnen weisen zu § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II zutreffend darauf hin, dass der Wortlaut (in ihrem Sinne) eindeutig ist.

Die Anwendung dieser Vorschrift gemäß ihrem Wortlaut entspricht der einhelligen Ansicht in der Kommentarliteratur. Bei § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II handelt es sich um eine vom Zuflussprinzip abweichende normative Zuordnung, die nach dem Wortlaut zwingend ist (so Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, Stand 27. Dezember 2016, § 11 Rdnr. 68; Schmidt in Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage, § 11 Rdnr. 36; Klaus in Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Dezember 2011, § 11 Rdnrn. 176, 177, 165; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Kommentar, ErgL. 6/14, § 11 Rdnr. 477, 480; so wohl auch Geiger in Münder, SGB II, 5. Auflage, § 11 Rdnr. 40 trotz "erlaubt"; vgl. insoweit auch Geiger, Leitfaden zum Arbeitslosengeld II, 12. Auflage 2016, S. 540). Der von den Klägerinnen mit ihrer Beschwerde angeführte Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Dezember 2014 – L 11 AS 1352/14 B ER, Rdnr. 13, zitiert nach juris), wonach Einnahmen, auf die § 11 Abs. 3 SGB II Anwendung finde, auch dann im Folgemonat des Zuflusses zu berücksichtigen seien, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Einkommenszufluss dem SGB II-Leistungsträger erst so spät bekannt werde, dass eine Berücksichtigung auch im Folgemonat nicht mehr möglich sei, fügt sich in diese Auffassung ein. Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2014 – L 2 AS 2373/13 ist insoweit nicht von Bedeutung, denn die von diesem Landessozialgericht vertretene Rechtsauffassung ist nicht entscheidungserheblich gewesen. Dazu hat das BSG mit seinem Urteil vom 24. April 2015 – B 4 AS 32/14 R (Rdnr. 15, zitiert nach juris) entschieden, dass es sich bei der dort streitigen Nachzahlung nicht um eine einmalige Einnahme, sondern um eine laufende Einnahme gehandelt habe, so dass schon deshalb § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht in Betracht komme.

Es ist offensichtlich, dass der Zweck der Verwaltungsvereinfachung nicht in allen Fällen einer einmaligen Einnahme oder einer in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließende laufenden Einnahme erreicht werden kann, wenn nämlich Leistungen auch im Folgemonat bereits erbracht worden sind. Dies kann dem Gesetzgeber (bzw. dem Verordungsgeber) nicht verborgen geblieben sein. Gleichwohl ist im Gesetz für diesen durchaus nahe liegenden Fall keine Rückausnahme von § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II vorgesehen, mit der dem Zuflussprinzip Geltung verschafft worden wäre. Angesichts dessen verbietet sich eine insoweit einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II.

Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ist mithin insoweit nicht zu entscheiden.

Wegen des Arbeitgeberanteils der vermögenswirksamen Leistungen ist im Hinblick auf das vom Sozialgericht genannte Urteil des BSG eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ebenfalls nicht zu entscheiden. Mit ihrer Beschwerde tragen die Klägerinnen Entsprechendes auch nicht vor. Es ist zudem keine Entscheidung der genannten Gerichte ersichtlich, von der das Urteil des Sozialgerichts hinsichtlich seiner Rechtsauffassung abweicht.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen rechnet schon nicht zu diesen Gerichten, da es nicht dem Sozialgericht Berlin übergeordnet ist.

Schließlich haben die Klägerinnen auch keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die Entscheidung des Sozialgerichts beruhen kann.

Mit ihrem Beschwerdevorbringen begründen die Klägerinnen ausschließlich, warum die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts ihrer Ansicht nach fehlerhaft ist. Auf eine tatsächlich oder vermeintlich fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts kann die Beschwerde jedoch nicht gestützt werden.

Die Beschwerde muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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