S 12 KA 258/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 258/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nach der Neufassung der §§ 36, 37 BedarfsplRL gilt, dass für die Ermittlung des Sonderbedarfs allein auf den Einzugsbereich der Praxis, unabhängig von den Planungsbereichsgrenzen, abzustellen ist (§ 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL).
1. Unter Aufhebung des Beschlusses des Beklagten vom 30.05.2016 wird der Beklagte verurteilt, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 8) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

2. Der Beklagte und die Beigeladene zu 8) haben die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers jeweils zu ½ zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Sonderbedarfszulassung des Klägers als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit einem hälftigen Versorgungsauftrag für die vertragsärztliche Tätigkeit in A-Stadt im Planungsbereich A-Kreis.

Der 1970 geb. und jetzt 46-jährige Kläger ist seit 2008 Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und hat die Zusatzweiterbildung Pädiatrische Pneumologie. Er ist seit Oktober 2013 angestellter Kinder- und Jugendarzt in einem MVZ in E-Stadt und möchte in A-Stadt im Planungsbereich A-Kreis mit einer bereits dort niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin eine Berufsausübungsgemeinschaft gründen. Zwischenzeitlich ist er mit einem hälftigen Versorgungsauftrag zugelassen worden und besteht bereits die Berufsausübungsgemeinschaft mit Frau Dr. E. Frau Dr. E. hat einen hälftigen Versorgungsauftrag zurückgegeben, auf den der Kläger dann zugelassen wurde, sodass die Berufsausübungsgemeinschaft insg. nur über einen Versorgungsauftrag verfügt. Die Beigeladene zu 8) ist eine aus zwei Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin bestehende Berufsausübungsgemeinschaft mit Praxissitz in der angrenzenden Gemeinde C-Stadt im Planungsbereich F-Stadt.

Der Kläger beantragte am 18.11.2015 beim Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eine Sonderbedarfszulassung für einen hälftigen Versorgungsauftrag mit Wirkung zum 01.04.2016 mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße. Der Kläger teilte mit, er beabsichtige, mit Frau Dr. med. E. eine Berufsausübungsgemeinschaft zu gründen. Zur Begründung des Sonderbedarfs führte er zusammen mit ihr im Schreiben vom 10.11.2015 aus, es gehe um die Sicherstellung der Versorgung im westlichen A-Kreis. Frau Dr. E. habe die Kinder- und Jugendarztpraxis 1993 gegründet und bereits nach einem Jahr hessische Durchschnittszahlen erreicht. Seit mehr als 15 Jahren versorge die Praxis über 1.500 Patienten pro Quartal, im Winter bis zu 1.800 Patienten zzgl. Privatpatienten und Notdienst-Patienten. Es bestehe eine umfangreiche Diagnostik, sodass Über- und Einweisungen nur selten erforderlich seien. Die Vorsorge-Untersuchungen nähmen ein großes zeitliches Kontingent der Praxis in Anspruch, die Zunahme von Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen bedeuteten einen erhöhten Gesprächsbedarf, weitere Vernetzungen mit anderen Professionen seien erforderlich und zeitintensiv. Bereits seit zwei Jahren fänden Asthma-Schulungen statt. Die Praxis stehe seit mehreren Jahren als Sentinentalpraxis für Influenza, Varicellen und bis vor kurzem auch Masern mit dem Robert-Koch-Institut in enger Zusammenarbeit. Die Auslastung lasse zur Zeit kaum noch Hausbesuche zu, selbst Besuche bei Neugeborenen zur Vorsorgeuntersuchung U2 fänden höchstens abends oder am Wochenende statt. Die zusätzliche Arbeitsbelastung durch die Versorgung der Flüchtlinge sei noch nicht überschaubar. Frau Dr. E. sei bereits in die Versorgung der Überlaufeinrichtung in G-Stadt und A-Stadt eingebunden. Dank guter Terminplanung bestünden bislang kurze Wartezeiten. Dies sei unter den gegebenen Umständen kaum noch aufrecht zu erhalten. Bisher habe kein Aufnahmestopp stattgefunden. In der näheren Umgebung bestehe in vielen Praxen ein Aufnahmestopp. Frau Dr. E. sei in vielen Kindergärten der Region durch intensive Fortbildungs- und Informationsabende engagiert. Zur Aufrechterhaltung des pädiatrischen Standards sei die Zulassung für Herrn Dr. A., den Kläger, erforderlich. Hinzu komme, dass Dr. F. die Praxis von Dr. C1 und Dr. C2, der Beigeladenen zu 8), in C-Stadt verlasse und seinen Praxissitz in das 27 km entfernte H-Stadt verlege. Bereits jetzt meldeten sich nahezu täglich Patienten aus der C-Städter Praxis, die in A-Stadt weiter behandelt werden möchten. Die Praxis versorge die Gemeinden A-Stadt, I-Stadt, G-Stadt, J-Stadt und die nach A-Stadt liegenden Teile K-Stadt und L-Stadt, sowie aus dem B-Kreis große Teilbereiche der Städte C-Stadt und M-Stadt. Ferner kämen immer mehr Patienten aus entfernteren Regionen Richtung F-Stadt (B-Gemeinde und A-Gemeinde), da die Kollegen der F-Stadt durch Aufnahmestopps keine Patienten mehr aufnehmen würden.

Die zu 1) beigeladene KVH beantragte unter Datum vom 13.01.2016, dem Antrag stattzugeben. Sie wies darauf hin, dass in C-Stadt (B-Kreis), welches direkt an den A Kreis angrenze, ein Kinderarzt seinen Vertragsarztsitz zum 01.01.2016 in das 33 km entfernte H-Stadt verlegen werde, weshalb sie die Versorgung im B-Kreis bzw. konkret in F-Stadt berücksichtige. Der Planungsbereich A-Kreis sei mit Beschluss des Landesausschusses vom 16.11.2015 bei einer Überversorgung von 144,61 % gesperrt. Rechne man die Ermächtigten entsprechend ihrem Leistungsanteil hinzu, würde sich der Versorgungsgrad nicht verändern. Im Planungsbereich A-Kreis mit 16.XXX Einwohnern unter 18 Jahren (Stand: XX.XX.2014) seien sieben Kinder- und Jugendmediziner mit insgesamt sechs Versorgungsaufträgen ansässig (Stand: XX.XX.2015). Je ein Vertragsarztsitz befinde sich in A-Stadt, N-Stadt (ca. 22 km von A-Stadt entfernt), O-Stadt (ca. 33 km) und P-Stadt (ca. 50 km), zwei Vertragsarztsitze in Q-Stadt (ca. 25 km). In C Stadt seien derzeit 3 Kinderärzte mit jeweils einem vollen Versorgungsauftrag niedergelassen, von denen einer seinen Sitz verlegen werde. Sie habe alle Kinder- und Jugendärzte im Planungsbereich um eine Stellungnahme gebeten. Insgesamt hätten fünf von ihnen eine solche abgegeben. Alle Ärzte gäben an, über freie Kapazitäten zu verfügen. Wartezeiten würden hauptsächlich keine bestehen. Ein Arzt gebe an, dass die Wartezeit ein bis zwei Tage betragen würde. In einer weiteren Praxis seien ebf. kurzfristige Termine möglich, bei Vorsorgeuntersuchungen lägen die Wartezeiten bei ca. vier Wochen. Drei der fünf Ärzte sprächen sich gegen eine kinderärztliche Sonderbedarfszulassung in A-Stadt aus. Im Wesentlichen würden die Ablehnungen dahingehend begründet, dass durch die Verlegung des KV-Sitzes von C-Stadt nach H Stadt keine Mehrbelastung auf andere Praxen zukommen würde. Die verbliebenen Ärzte könnten ihren Praxisstamm komplett weiterversorgen. Zwei Ärzte hätten sich für eine Sonderbedarfszulassung ausgesprochen. Die in C-Stadt verbleibenden Kinder- und Jugendmediziner hätten mitgeteilt, dass sie ohne Weiteres die bisher von dem weggehenden Kollegen betreuten Patienten mitversorgen könnten. Die Fahrzeiten betrügen mit dem PKW nach N-Stadt 28 min und nach C-Stadt 11 Minuten, mit dem öffentlichen Personennahverkehr 2 bis 3 Stunden nach N-Stadt (Umstieg in F-Stadt und R-Stadt notwendig) bzw. 6 Minuten nach C-Stadt. Eine Abrechnungsanalyse habe ergeben, dass das Abrechnungsvolumen der Praxis in A-Stadt mit ca. 134 % deutlich über dem hessischen Durchschnitt liege. Im Quartal I/15 stammten ca. 31 % der Patienten aus A-Stadt, weitere 29 % aus C-Stadt sowie den sich C-Stadt angrenzenden Gemeinden M-Stadt, B-Gemeinde und J-Stadt. Der in N-Stadt niedergelassene Arzt verfüge über keine freien Kapazitäten, das Abrechnungsvolumen liege bei ca. 117 %. Ca. 37 % der Patienten stammten aus N-Stadt, ca. 24 % aus R-Stadt und ca. 10 % aus S-Stadt. Aus A-Stadt stammten lediglich 0,33 % der Patienten. Hinsichtlich der drei in C Stadt niedergelassenen Kinderärzte könne festgestellt werden, dass die Fallzahlen eines Kinderarztes marginal unter dem Hessischen Durchschnitt lägen. Die Fallzahlen der beiden weiteren Kinderärzte lägen über dem hessischen Durchschnittswert, sodass auch hier keine freien Kapazitäten festgestellt werden könnten. Der Hauptteil der Patienten der Praxis in C-Stadt stamme mit 30 % aus C-Stadt. Weitere 30 % stammten aus den angrenzenden Gemeinden M-Stadt, B-Gemeinde und J-Stadt. Aus A-Stadt stammten ca. 9 % der Patienten. Für den westlichen Teil des Planungsbereiches sei durchaus ein pädiatrischer Versorgungsbedarf festzustellen. Dies verdeutliche eine Arzt-Einwohner-Statistik. So kämen im nord-östlichen Teil des Planungsbereiches auf einen pädiatrischen Versorgungsauftrag 2.XXX Einwohner unter 18 Jahren, während es sich im süd-westlichen Bereich um 4.XXX Einwohner unter 18 Jahren handele.

Der Zulassungsausschuss ließ mit Beschluss vom 02.02.2016, ausgefertigt am 08.02.2016, den Kläger zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags mit Wirkung zum 01.04.2016 zu. Der Zulassungsausschuss schloss sich im Wesentlichen den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an.

Hiergegen legte die Beigeladene zu 8) am 21.03.2016 Widerspruch ein. Sie trug vor, durch die Sonderbedarfszulassung habe sie nicht nur eine geringfügige Schmälerung der Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten. Nach ihrer Berechnung stammten 560 ihrer insg. 3.041 Patienten im Quartal I/16, was 18,4 % entspreche, aus dem Einzugsbereich A Kreises. Hiervon stammten allein 272 Patienten (8,9 %) direkt aus A-Stadt. Im Quartal IV/15 stammten von insg. 2.735 Patienten 560 bzw. 18,2 % aus dem A-Kreis, davon 255 Patienten bzw. 9,3 % direkt aus A-Stadt. Die Praxen seien zudem weniger als 10 Straßen-Kilometer voneinander entfernt. Auf Grund ihres umfassenden Leistungsspektrums sei mit erheblichen Überschneidungen der Leistungsbereiche des Klägers zu rechnen. Veränderungen in einem benachbarten Planungsbereich seien nicht geeignet, einen Sonderbedarf zu begründen. Der Zulassungsausschuss habe die Verlegung des Vertragsarztsitzes genehmigt, was nur möglich sei, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstünden. Von einer unzureichenden Versorgungslage, welche einen Sonderbedarf rechtfertigen würde, könne daher nicht ausgegangen werden. In dem Planungsbereich A-Kreis seien die Kinder- und Jugendmediziner gleichmäßig verteilt. Nahezu der gesamte A-Kreis könne im Umkreis von 30 km mehrere Kinderärzte in Anspruch nehmen. Der nächstgelegene Kinderarzt sei nicht 23 km entfernt, sondern befinde sich am gleichen Standort. Die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe werde nicht angegeben. Allein aus dem Umstand, dass ein Arzt mehr arbeite, als der Durchschnitt seiner Kollegen, könne noch nicht geschlossen werden, dass keine freien Kapazitäten in der Praxis vorhanden seien und dass ein Sonderbedarf bestehe. Die Anforderungen an eine unzureichende Versorgungslage gingen deutlich über einen allgemeinen Versorgungsbedarf anhand einer Arzt-Einwohner-Statistik hinaus und seien gerade von der Beigeladenen zu 1) festgestellt worden. Eine Umfrage bei den niedergelassenen Ärzten habe einstimmig ergeben, dass diese über freie Kapazitäten verfügten. Lange Wartezeiten würden keine bestehen. Der Kläger habe Sprechzeiten von lediglich 10,5 Stunden angegeben. Es handele sich um das Minimum eines hälftigen Versorgungsauftrags. Ob dies geeignet sei, einen vermeintlichen Sonderbedarf zu beheben, werde von der Beigeladenen zu 1) nicht näher ausgeführt. Zur Dauerhaftigkeit des Versorgungsbedarfs fänden sich keine Erwägungen. Wegen fehlenden Sonderbedarfs werde sie in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit beeinträchtigt. Im Umkreis von 25 km vom beantragten Vertragsarztsitz seien bereits zwei Ärzte niedergelassen. Unzumutbare Wartezeiten lägen nicht vor. Der A-Kreis sei dem Kreistyp 5 zugeordnet, die Verhältniszahl betrage 3.859 Patienten. Nach den Berechnungen der Beigeladenen zu 1) werde diese Verhältniszahl rechnerisch lediglich um 51 überschritten, was eine Sonderbedarfszulassung nicht rechtfertigen könne.

Ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen führte die Beigeladene zu 1) aus, für die Feststellung des Bedarfs sei die Abgrenzung einer Region vorzunehmen, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden solle, weshalb sich die Versorgungsregion nicht zwangsläufig im Planungsbereich erschöpfen müsse. Bei der zu versorgenden Region, die sich hier auf den westlichen Teil des A-Kreises und den östlichen Teil des Landkreises B-Kreis erstrecken lasse, sei ebf. ein Sonderbedarf für das Gebiet der Kinder- und Jugendmedizin festzustellen. Leistungserbringer in einer Entfernung von mehr als 25 km seien nicht zu berücksichtigen. Die Fallzahlen der Beigeladenen zu 8) hätten den hessischen Fachgruppendurchschnitt in den zurückliegenden Quartalen III/15 und IV/15 überschritten. Durch die Verlegung des Vertragsarztsitzes habe sich die Versorgungssituation nochmals verschlechtert. Herr Dr. F. habe einen Rechtsanspruch auf Verlegung des Sitzes gehabt. Die Bevölkerungsdaten der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren stellten sich wie folgt dar:

Gemeinde Einwohner unter 18 Jahren
A-Stadt: 1.XXX
T-Stadt: 4XX
I-Stadt: 3XX
G-Stadt: 1.XXX
K-Stadt 50%: 2XX 50 %, weil nur teilweise Einzugsgebiet
L-Stadt 50%: 2XX 50 %, weil nur teilweise Einzugsgebiet
Gesamt: 3.XXX
Quelle (Stat. Landesamt zum Stichtag XX.XX.2014 auf Basis der Rückrechnung Zensus 201X).
Die Praxis in N-Stadt sei keine zumutbare Alternative auf Grund der Verkehrsverbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Versorgung.

Der Beklagte gab mit Beschluss vom 27.04.2016 dem Widerspruch statt und hob den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 02.02.2016 auf. Zur Begründung führte er aus, die Praxis der Beigeladenen zu 8) liege ca. 6 km entfernt von dem geplanten Praxissitz des Klägers und sei mit dem PKW in der Regel in weniger als 10 Minuten erreichbar. Demgemäß liege angesichts der identischen Fachgebiete ein faktisches Konkurrenzverhältnis auf der Hand. Hierfür bedürfe es keiner weiteren Ermittlungen. Bei der Prüfung des Bedarfs sei auf die Versorgungssituation im Planungsbereich A-Kreis allein abzustellen. Im Übrigen habe Herr Dr. F-Stadt eine Genehmigung der Verlegung seines Vertragsarztsitzes erhalten, was nur möglich sei, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung der Verlegung nicht entgegenstünden. Für den westlichen Bereich des A-Kreises, also für den Bereich der Stadt A-Stadt und ihrer Umgebung, könne die für die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung erforderliche quantitative Versorgungslücke nicht nachvollzogen werden. Für den vom Kläger angegebenen Bereich ergebe sich eine maßgebliche Bevölkerungszahl von 3.XXX. Damit wäre die maßgebliche Verhältniszahl für Kinderärzte nur geringfügig überschritten. Zusätzlich sei zu beachten, dass nach seinen Erfahrungen und auf Grund der fachkundigen Besetzung keineswegs sämtliche Jugendliche, die noch von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin behandelt werden könnten, diese Fachärzte auch aufsuchten. Vielmehr bestünde eine starke Tendenz älterer Jugendlicher, sich im Bedarfsfall bereits im Rahmen der hausärztlichen Versorgung betreuen zu lassen. Es sei ebf. zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 8) bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehrere Patienten aus dem Bereich des Planungsbereichs A-Kreis behandelten. Auf den Umstand, dass Frau Dr. E. gegenwärtig fast 1.800 Patienten pro Quartal betreue, komme es nicht an. Zum einen handele es sich nach deren eigenen Angaben um keinen neuen Sachverhalt, zum anderen stelle die hohe, über der landesdurchschnittlichen Anzahl von Patienten in einer Praxis keine Rechtfertigung für eine Sonderbedarfszulassung dar, sofern die tatsächliche Bedarfssituation auf der Seite der Versicherten nicht durch weitere Belege gestützt werde. Eine solche tatsächliche Bedarfssituation habe aber bei einer statistischen Betrachtungsweise nicht festgestellt werden können. Flüchtlinge würden jedenfalls teilweise nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung behandelt werden. Es könne auch aus der derzeitigen Behandlung von Flüchtlingen nicht auf einen dauerhaften Bedarf geschlossen werden, da deren langfristige Ansiedlung in der genannten Region keineswegs abgesichert sei.

Hiergegen hat der Kläger am 23.06.2016 die Klage erhoben. Er ist der Auffassung, es müsse auch die Versorgungssituation im benachbarten Planungsbereich F-Stadt berücksichtigt werden. Warum bei der starren Betrachtungsweise des Beklagten überhaupt die Belange der Beigeladenen zu 8) zu berücksichtigen sein sollten, sei nicht ersichtlich. Die von Frau Dr. E. dargestellte Situation ihrer Praxis habe der Beklagte nicht angemessen zur Kenntnis genommen. Er habe auch die Patientenströme aus C-Stadt nach A-Stadt nicht berücksichtigt. Es würden sich weiterhin zunehmend Patienten der Beigeladenen zu 8) an die Praxis Dr. E. wenden, weil ihre Behandlung abgelehnt worden sei bzw. sie auf einen längerfristigen Termin verwiesen worden seien. Die statistischen Hinweise des Beklagten seien unzureichend, es fehle jegliche Befassung mit den regionalen und infrastrukturellen Gegebenheiten. Der Beklagte habe nicht seiner Ermittlungspflicht genügt. Der Hinweis, keineswegs sämtliche Jugendliche ließen sich noch von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin behandeln, sei ohne statistische Substanz. Der Beklagte habe nicht nur keine "Bedarfsumfrage" angestellt, sondern schlicht überhaupt keine Bedarfsanalyse vorgenommen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27.04.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 8) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er teilt mit, weder er noch der Zulassungsausschuss hätten bei den niedergelassenen Ärzten eine Bedarfsumfrage durchgeführt. Hierzu sei er nicht verpflichtet. Lediglich die Beigeladene zu 1) habe eine solche durchgeführt, deren Ergebnis in deren Stellungnahme eingeflossen sei. Aufgrund der topographischen Verhältnisse des Planungsbereichs und angesichts der Tatsache, dass die Lokalisierung der Sitze innerhalb dessen bekannt sei, bedürfte es insb. im Hinblick auf den detaillierten Vortrag der seinerzeitigen Drittwiderspruchsführerin und der weiteren Beteiligten sowie der vorhandenen statistischen Daten keiner weiteren Befragung der niedergelassenen Kinderärzte. Er habe sich hiervon keine weiteren Erkenntnisse versprochen. Er könne unterstellen, dass die im Planungsbereich niedergelassenen Pädiater über keine freien Kapazitäten verfügten und eine Sonderbedarfszulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag befürworteten. Selbst dann wäre er zu dem Ergebnis gelangt, eine Sonderbedarfszulassung des Klägers sei aus den angeführten statistischen Gründen nicht angezeigt. Allein der Umstand, dass die Praxis Dr. E. einen erheblichen Patientenzulauf verzeichne, stelle keinen Grund für die Erteilung der Sonderbedarfszulassung dar. Maßgeblich komme es auf den Planungsbereich an, nur bei Konkurrenzverhältnissen sei auch ein benachbarter Planungsbereich zu bewerten. Wegen der Maßgeblichkeit des Planungsbereichs seien Patientenströme nicht zu berücksichtigen. Der Kläger mache keine Aussage darüber, welche regionalen und infrastrukturellen Gegebenheiten er hätte beachten müssen. Er sei mit drei Ärzten besetzt gewesen, weshalb er eine Aussage zum Verhalten von Jugendlichen bzgl. der

ärztlichen Versorgung treffen könne. Auch bestehe hierzu aufgrund langjähriger Spruchpraxis ein Erfahrungswissen. Seine Entscheidung stütze sich keineswegs auf einen Beteiligtenvortrag, sondern auf mathematisch-statistische Fakten.

Die Beigeladene zu 8) beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe alle im Verwaltungsverfahren angestellten Erwägungen berücksichtigt. Er habe ausreichend ermittelt. Die Sonderbedarfszulassung sei wie die Bedarfsplanung auf den Planungsbereich bezogen. Die von der Beigeladenen zu 1) ermittelten Daten ergäben eine gleichmäßige Verteilung innerhalb des Planungsbereichs. Auch der Kläger trage vor, in der Praxis Dr. E. bestünden kurze Wartezeiten. Sie bestreite, dass in ihrer Praxis die Behandlung von Patienten abgelehnt oder sie auf einen längerfristigen Termin verwiesen würden. Ihre Ärzte seien zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr erreichbar, mittwochs und freitags bis 14:00 Uhr. Auch seien die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Patienten nach dem Weggang von Dr. F. vermehr die Praxis in A-Stadt aufsuchten. Akut erkrankte Patienten würden am gleichen Tag behandelt, dringende Termine würden in derselben Woche vergeben werden, elektive Termine wie Vorsorgetermine innerhalb von 14 Tagen. Es würden auch weiterhin neue Patienten aufgenommen werden. Der Kläger sei im Umfang von 20 Wochenstunden in einem MVZ angestellt und nehme bereits jetzt einen hälftigen Versorgungsauftrag bei Frau Dr. E. wahr. Für eine weitere hälftige Zulassung dürfte er daher nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die übrigen Beigeladenen haben sich zum Verfahren schriftsätzlich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 24.06.2016 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 3) bis 7) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 27.04.2016 ist rechtswidrig. Er war aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung des Widerspruchs der Beigeladenen zu 8) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Der Klage war daher stattzugeben.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Sonderbedarfszulassung ist § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 36 BedarfsplRL. Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien Bestimmungen über Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze, soweit diese zur Gewährleistung der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind, um einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf insbesondere innerhalb einer Arztgruppe zu decken. Diesem Auftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss mit der Richtlinie über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) in der Neufassung vom 20. Dezember 2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT v. 31.12.2012, B7), in Kraft getreten am 1. Januar 2013, nachgekommen, wobei er mit Beschluss vom 16.05.2013 (BAnz AT 03.07.2013 B5) die §§ 36 und 37 BedarfsplRL neu gefasst hat, die seitdem nicht geändert wurden.

Nach § 36 BedarfsplRL darf der Zulassungsausschuss unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss dem Zulassungsantrag eines Arztes der betreffenden Arztgruppe auf Sonderbedarf nach Prüfung entsprechen, wenn die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind und die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes unerlässlich ist, um die vertragsärztliche Versorgung in einem Versorgungsbereich zu gewährleisten und dabei einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf zu decken. Sonderbedarf ist als zusätzlicher Versorgungsbedarf für eine lokale Versorgungssituation oder als qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf festzustellen (§ 101 Absatz 1 Nr. 3 SGB V). Die Feststellung dieses Sonderbedarfs bedeutet die ausnahmsweise Zulassung eines zusätzlichen Vertragsarztes in einem Planungsbereich trotz Zulassungsbeschränkungen (§ 36 Abs. 1 BedarfsplRL). Bei der Feststellung von Sonderbedarf sind folgende Mindestbedingungen zu beachten:
1. Abgrenzung einer Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll und Bewertung der Versorgungslage (Feststellung einer unzureichenden Versorgungslage).
2. Der Ort der Niederlassung muss für die beantragte Versorgung geeignet sein (Erreichbarkeit, Stabilität u.a.): Der Ort der Niederlassung muss strukturelle Mindestbedingungen erfüllen; der Einzugsbereich muss über eine ausreichende Anzahl an Patienten verfügen; dabei sind die Auswirkungen auf bestehende Versorgungsstrukturen zu berücksichtigen (§ 36 Abs. 3 BedarfsplRL).

Der Zulassungsausschuss hat bei der Ermittlung aller entscheidungsrelevanten Tatsachen eine umfassende Ermittlungspflicht. Die Feststellung soll der Zulassungsausschuss auch unter Zuhilfenahme von geografischen Informationen, die die räumlichen Interaktionen zwischen Ärzten und Patienten abbilden, treffen. Ein lokaler oder qualifikationsbezogener Sonderbedarf setzt voraus, dass aufgrund von durch den Zulassungsausschuss festzustellenden Besonderheiten des maßgeblichen Planungsbereichs (z.B. in Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geografische Besonderheiten, Verkehrsanbindung, Verteilung der niedergelassenen Ärzte), ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet ist und aufgrund dessen Versorgungsdefizite bestehen. Bei der Beurteilung ist den unterschiedlichen Anforderungen der Versorgungsebenen der §§ 11 bis 14 Rechnung zu tragen (§ 36 Abs. 4 BedarfsplRL). Die Sonderbedarfszulassung setzt ferner voraus, dass der Versorgungsbedarf dauerhaft erscheint. Bei vorübergehendem Bedarf ist von der Möglichkeit der Ermächtigung Gebrauch zu machen (§ 36 Abs. 5 BedarfsplRL). Die Zulassung wegen qualifikationsbezogenem Sonderbedarf hat mit der Maßgabe zu erfolgen, dass für den zugelassenen Vertragsarzt nur die ärztlichen Leistungen, welche im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand stehen, abrechnungsfähig sind (§ 36 Abs. 6 BedarfsplRL). Bei der Prüfung auf Sonderbedarf nach Absatz 3 bleibt eine mögliche stationäre Leistungserbringung in Krankenhäusern außer Betracht. Die Vorgaben des § 22 und des geltenden Bedarfsplans zur Anrechnung angestellter und ermächtigter Ärzte und Einrichtungen bleiben unberührt (§ 36 Abs. 9 BedarfsplRL), was hier allerdings dahingestellt bleiben kann.

Wesentliche Voraussetzung ist danach ein zusätzlicher lokaler oder qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf, der dauerhaft erscheint.

Bei der Feststellung eines besonderen Versorgungsbedarfes steht den Zulassungsgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. BSG, Urt. v. 13.08.2014 - B 6 KA 33/13 R - SozR 4-2500 § 101 Nr. 16, juris Rdnr. 19; BSG, Urt. v. 02.09.2009 - B 6 KA 21/08 R - SozR 4-2500 § 101 Nr. 6, juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 34 jeweils m.w.N.). Zur Ermittlung der Bedarfssituation ist es sachgerecht und statthaft, die bereits niedergelassenen Ärzte nach ihrem Leistungsangebot und der Aufnahmekapazität ihrer Praxen zu befragen. Diese Befragung hat sich grundsätzlich auf die gesamte Breite eines medizinischen Versorgungsbereichs und nicht nur auf einzelne spezielle Leistungen zu beziehen. Die Angaben der Ärzte sind aber als potentielle künftige Konkurrenten des Bewerbers um einen zusätzlichen Praxissitz nicht ohne weiteres als Entscheidungsgrundlage geeignet, sondern müssen sorgfältig ausgewertet, soweit möglich durch weitere Ermittlungen ergänzt und so objektiviert werden. Hierfür ist es erforderlich, etwa die Anzahlstatistiken der in Frage kommenden Vertragsärzte beizuziehen, um festzustellen, inwieweit im Bereich des streitigen Sonderbedarfs von diesen Ärzten Leistungen erbracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.2008 - B 6 KA 56/07 R - BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 3, juris Rdnr. 18; BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 36 u. 38 -; LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.07.2004 - L 11 KA 21/04 - GesR 2004, 526, juris Rdnr. 18; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.02.2007 L 11 KA 82/06 - juris Rdnr. 21). Die Ermittlungen dürfen sich ferner auch auf die gesamte jeweilige Gruppe der Gebietsärzte beziehen, die nach dem einschlägigen Weiterbildungsrecht befugt sind, die Leistungen eines streitigen Teilgebiets zu erbringen. Es kommt in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich an, was nicht ausschließt, dass die sachkundigen Zulassungsgremien diesen Planungsbereich (analog § 12 Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV) im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete überschreiten und auch die an den untersuchten räumlichen Bereich angrenzende Gebiete in ihre Überlegungen mit einbeziehen (vgl. BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 36; LSG Sachsen, Beschl. v. 26.05.2005 - L 1 B 31/05 KA ER - juris Rdnr. 18; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 25.04.2007 - L 10 KA 48/06 - juris Rdnr. 46).

Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Entscheidungen der Zulassungsgremien sind daher hinzunehmen, wenn sie sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung halten (vgl. BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 34 m.w.N.; vgl. auch zuletzt BSG v. 09.02.2011 - B 6 KA 3/10 R - BSGE 107, 230 = SozR 4-5525 § 24 Nr. 2, juris Rdnr. 22).

Zutreffend geht der Beklagte von der Zulässigkeit des Widerspruchs aus.

Die Prüfung der Begründetheit von Drittanfechtungen vertragsärztlicher Konkurrenten erfolgt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen hier die Kammer keine Veranlassung hat, zweistufig. Danach ist zunächst zu klären, ob der Vertragsarzt berechtigt ist, die dem konkurrierenden Arzt erteilte Begünstigung anzufechten. Ist das der Fall, so muss geprüft werden, ob die Entscheidung in der Sache zutrifft. Voraussetzung einer Berechtigung von Vertragsärzten, zugunsten anderer Ärzte ergangene Entscheidungen anzufechten (sog. defensive Konkurrentenklage) ist erstens, dass der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, weiterhin dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt werden, und ferner der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig ist (vgl. BSG, Urt. v. 28.10.2015 - B 6 KA 43/14 R - SozR 4-5540 § 6 Nr. 2, juris Rdnr. 26 m.w.N.). Eine Sonderbedarfszulassung eröffnet dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Auch ist der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig, da eine Sonderbedarfszulassung nur bedarfsabhängig erteilt werden kann.

Bei unterschiedlichen Planungsbereichen müssen von dem Konkurrenten in einem für den Wettbewerb bedeutsamen Umfang auch Patienten aus dem Einzugsgebiet der Praxis des anfechtenden Arztes behandelt werden und müssen deshalb für den niedergelassenen Arzt wesentliche Einkommenseinbußen entstehen (vgl. BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 6 KA 42/06 R BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr. 4, juris Rdnr. 20 und 22). Soweit der Kläger und die Beigeladene zu 8) gleiche Leistungen anbieten, was aufgrund der Fachgebietsgleichheit beider der Fall ist, muss hinzukommen, damit ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegt, durch das plausibel wird, dass der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat, dass es ins Gewicht fallende Überschneidungen gibt. Davon ist auszugehen, wenn die Zahl der von dem Konkurrenten mit den gleichen Leistungen behandelten Patienten 5 % der durchschnittlichen Gesamtfallzahl einer Praxis überschreitet (vgl. BSG, Urt. v. 28.10.2015 - B 6 KA 43/14 R - a.a.O., Rdnr. 27 m.w.N.).

Aufgrund der geringen Entfernung der Praxisstandorte von 6 km und der guten Verkehrsanbindung kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegt. Dafür spricht auch die Feststellung der Beigeladenen zu 1), dass ca. 9 % der Patienten der Praxis des Beigeladenen zu 8) aus A-Stadt stammten und der Vortrag des Klägers, die Praxis in A-Stadt versorge große Teilbereiche der Städte C-Stadt und M-Stadt.

Der Beklagte musste keine Befragung der niedergelassenen Ärzte durchführen. Aus der Analyse der Beklagten zu 1) folgt, dass die neben Frau Dr. E. weiter im Planungsbereich A-Kreis niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin für die Versorgung im hier maßgeblichen westlichen Bereich ohne Bedeutung sind. Bzgl. der Situation der Praxis der Frau Dr. E. hat diese selbst mit dem Kläger im Verwaltungsverfahren ausführlich vorgetragen. Weiter von Bedeutung für die Versorgung im westlichen Bereich ist aus dem benachbarten Planungsbereich allein die Praxis der Beigeladenen zu 8), die als Widerspruchsführerin bereits am Verwaltungsverfahren selbst beteiligt war und sich auch geäußert hat.

Der angefochtene Beschluss ist aber rechtswidrig, soweit der Beklagte nicht hinreichend den tatsächlichen Patientenzustrom im Einzugsbereich der Praxis des Klägers ermittelt und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, was in den Bescheidgründen entsprechend darzulegen ist. Erst in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Durchschnittsfallzahlen der Vergleichsgruppe genannt und den Behandlungsumfang der Beigeladenen zu 8) konkretisiert. Insofern teilt die Kammer nicht die Auffassung des Beklagten, bei der Prüfung des Bedarfs sei allein auf die Versorgungssituation im Planungsbereich A-Kreis abzustellen.

Jedenfalls nach der Neufassung der §§ 36, 37 BedarfsplRL gilt, dass für die Ermittlung des Sonderbedarfs allein auf den Einzugsbereich der Praxis, unabhängig von den Planungsbereichsgrenzen, abzustellen ist. So verlangt § 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL, unabhängig von der Größe des Planungsbereichs, dass die Feststellung einer unzureichenden Versorgungslage durch die Abgrenzung einer Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll, und Bewertung der Versorgungslage zu erfolgen hat.

Soweit Patienten von außerhalb des Planungsbereichs kommen, ist zu prüfen, ob nicht auch außerhalb des Planungsbereichs eine Versorgung möglich ist. Immer dann, wenn besondere Bedarfe zu prüfen sind, hat die Prüfung nicht allein anhand des Bedarfs des Planungsbereichs allein zu erfolgen. Bei ergänzenden Zulassungen oder Ermächtigungen ist die Versorgung in angrenzenden Bereichen einzubeziehen, da die vermeintliche Versorgungslücke von Leistungserbringern anderer Planungsbereiche gedeckt werden kann. Die Versorgung in benachbarten Planungsbereichen ist zu berücksichtigen, weil es auf die lokalen und insoweit nicht durch die Grenzen des Planungsbereiches beschränkten Gegebenheiten ankommt (vgl. LSG Sachsen, Urt. v. 30.07.2009 - L 1 B 786/08 KA-ER - juris Rdnr. 62; SG Marburg, Urt. v. 10.09.2008 S 12 KA 49/08 - juris Rdnr. 37; SG Köln, Urt. v. 07.11.2008 - S 26 KA 4/08 - juris Rdnr. 12; Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 101 SGB V Rdnr. 72; Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV. Kommentar, 2017, § 101 SGB V, Rdnr. 33). Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die zwar grundsätzlich auf den Planungsbereich abstellt (vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 96 SGB V Rdnr. 34), kommt es zwar auch bei einer Sonderbedarfszulassung in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich an, was es aber nicht ausschließt, dass die sachkundigen Zulassungsgremien diesen Planungsbereich im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete überschreiten und auch die an den untersuchten räumlichen Bereich angrenzenden Gebiete in ihre Überlegungen miteinbeziehen (vgl. BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 36; LSG Sachsen, Beschl. v. 26.05.2005 - L 1 B 31/05 KA-ER - juris Rdnr. 18; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 25.04.2007 - L 10 KA 48/06 - juris Rdnr. 46).

Der Beklagte hat zunächst anhand der Verhältniszahl nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL (Kreistyp 5: 1 Arzt auf 3.859 Einwohner (Kinder und Jugendliche)) dargelegt, dass für den Einzugsbereich des Standorts des Kläger mit 3.XXX Einwohnen sich über den vorhandenen Vertragsarztsitz hinaus kein nennenswerter Bedarf ergibt. Hieraus kann aber lediglich ein Indiz für die Versorgungssituation getroffen werden. Maßgeblich ist auf den tatsächlichen Versorgungsbedarf im Einzugsbereich der Praxis abzustellen. Dieser ist nicht an Planungsbereichsgrenzen gebunden. Zu berücksichtigen sind vielmehr die tatsächlichen Patientenströme, die sich unabhängig von Planungsbereichsgrenzen entwickeln können. Der Vertragsarzt ist nicht auf die Behandlung der Versicherten in seinem Planungsbereich beschränkt, insb. steht es dem Versicherten frei, welchen Arzt er aufsucht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Soweit sich die Versorgungsbereiche der benachbarten Praxen in A-Stadt und C-Stadt überlappen, muss der Versorgungsbedarf hier anhand beider Praxen geprüft werden. Für die Patienten bestehen aufgrund der räumlichen Struktur keine Behandlungsalternativen in zumutbaren Entfernungen, insb. bestehen solche Behandlungsalternativen nicht im Planungsbereich A-Kreis. Für den westlichen Bereich A-Kreis ist die Praxis am Standort des Klägers, der bereits mit Frau Dr. E. eine Berufsausübungsgemeinschaft bildet, die einzige in Betracht kommende Praxis. Ergänzende Versorgungsmöglichkeiten bestehen nur im angrenzenden C-Stadt durch die Praxis der Beigeladenen zu 8). Insofern unterscheidet sich die Situation von Ballungsräumen, in der im Regelfall neben "überlaufenen" Praxen weitere Praxen bestehen, die mit unterdurchschnittlichen Fallzahlen noch freie Kapazitäten haben.

Bei durchschnittlichen Fallzahlen in Hessen für Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin im Jahr 2015 in den einzelnen Quartalen von 1.292, 1.171, 1.160 und 1.226 Patienten, also über die Quartale hinweg von durchschnittlich 1.212 Patienten, hat der Kläger für die Praxis Dr. E. bereits im Verwaltungsverfahren 1.500 bis 1.800 Patienten angegeben und damit eine Auslastung von 125 % bis 150 %. Zwar kommt es für die Berücksichtigung der Versorgungssituation nicht auf die Situation einer einzelnen Praxis, sondern auf die Situation der Versicherten im Planungsbereich an. Selbst für den Begriff der "Versorgungsverbesserung" im Sinne einer Zweigpraxisgenehmigung (§ 24 Abs. 3 Ärzte-ZV) hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass ein Versorgungsbedarf nicht mit der Situation der eigenen Praxis begründet werden kann. Die Frage der Versorgungsverbesserung ist nicht für die spezielle Patientenschaft einer Praxis zu beurteilen, sondern abstrakt bezogen auf die im Einzugsbereich lebenden Versicherten als solche (vgl. BSG, Urt. v. 05.06.2013 - B 6 KA 29/12 R - BSGE 113, 291 = SozR 4-5520 § 24 Nr. 9, juris Rdnr. 30). Auch kann nicht generell unterstellt werden, dass eine Praxis mit durchschnittlichen oder leicht überdurchschnittlichen Fallzahlen bereits objektiv voll ausgelastet ist. Die weiter zur Versorgung in Betracht zu ziehende Praxis der Beigeladenen zu 8) rechnete nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung im Quartal I/16 3.107 Behandlungsfälle ab, was sich in dieser Größe mit deren eigenen Angaben deckt. Von daher ist im Einzugsbereich A-Stadt/C-Stadt von ca. 4.600 bis 4.900 Behandlungsfällen im Quartal auszugehen, bei drei Versorgungsaufträgen insgesamt entfallen damit auf einen Versorgungsauftrag 1.533 bis 1.633 Behandlungsfälle und besteht, gemessen an der durchschnittlichen Fallzahl von 1.212 Patienten eine Auslastung von 126 % bis 135 %.

Der Beklagte hat daher den Sachverhalt im Einzelnen weiter aufzuklären durch Heranziehung der Fallzahlen über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Soweit sich kontinuierlich überdurchschnittliche Fallzahlen ergeben, ist u. U. ein zeitliches Quartalsprofil heranzuziehen, um prüfen zu können, ob und ggf. in welchem Umfang noch tatsächlich freie Kapazitäten bestehen. Nach dem in dieser Weise aufgeklärten Sachverhalt ist es dem Beklagten überlassen, ob er - zugunsten von mehr Sonderbedarfszulassungen - über das notwendige Minimum an Versorgung hinausgehen will und auch dann, wenn in C-Stadt ein an sich gerade noch ausreichendes Versorgungsangebot besteht und in zumutbarer Weise erreichbar ist, auch in A-Stadt als dem Standort des westlichen A-Kreises für ein eigenständiges Versorgungsangebot sorgen will (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 22/09 R - SozR 4-2500 § 101 Nr. 8, juris Rdnr. 27 m.w.N.).

Soweit der Beklagte davon ausgeht, es bestünde eine starke Tendenz älterer Jugendlicher, sich im Bedarfsfall bereits im Rahmen der hausärztlichen Versorgung betreuen zu lassen, so teilt die Kammer grundsätzlich dieses allgemeine hausärztliche Erfahrungswissen des Beklagten. Allerdings kann es hierauf nicht ankommen, da dies für das gesamte Bundesgebiet gilt und insofern in den Verhältniszahlen nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL berücksichtigt ist.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt (§ 197a SGG i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO). Von dieser Möglichkeit ist Gebrauch zu machen, wenn der Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt hat, wenn er allein oder mit anderen Beteiligten gesiegt hat oder das Verfahren wesentlich gefördert hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2004, § 197a, Rdnr. 29). Zu berücksichtigen ist, ob der Beigeladene sich während des Verfahrens geäußert und auch Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urt. v. 14.11.2002 – B 13 RJ 19/01 R - SozR 3-5795 § 10d Nr. 1, juris Rdnr. 44).
Rechtskraft
Aus
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