L 7 VE 19/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 VE 3/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 19/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 19/17 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Der Kläger war am 26. November 2001 im Rahmen seiner damaligen selbstständigen Tätigkeit als Inhaber einer Bäckerei auf der Bundesstraße 187 von Sch. in Richtung H. unterwegs, um Backwaren auszuliefern. Beifahrerin war seine damals jugendliche Tochter Ch. H ... Er fuhr mit seinem Pkw zunächst vor einem vom Zeugen L. geführten Transporter. Nach zunächst erfolglosen Überholversuchen gelang es dem Zeugen L., den Kläger vor dem Ortseingang von H. zu überholen. In H. stoppten der Zeuge L. und der Kläger ihre Fahrzeuge und verließen diese. Im unmittelbaren Anschluss kam es zwischen ihnen zu einer körperlichen Auseinandersetzung, welche der in dem zum Vorfall geführten Zivilverfahren vernommene Zeuge K. beendete, indem er beide voneinander trennte.

Der Kläger erhob vor dem Landgericht (LG) Dessau am 3. Januar 2003 Klage und machte gegen den hiesigen Zeugen L. als dortigem Beklagten ein Schmerzensgeld geltend. Zur Begründung trug er vor: Nach mehrfachen (aggressiven) Überholversuchen des Zeugen L. habe er vor dem Ortseingangsschild seinen Pkw auf 50 km/h abgebremst. Daraufhin habe der Zeuge L. ihn überholt, sich mit seinem Transportfahrzeug vor das Fahrzeug des Klägers gesetzt und ihn zum Anhalten genötigt. Der Zeuge L. sei aus dem Transporter ausgestiegen und zum Fahrzeug des Klägers gerannt. Nachdem der Kläger die Tür geöffnet habe, habe der Zeuge den Kläger aus dem Pkw herausgezogen und ihn heftig gegen die Fahrertür geschubst. Der Kläger habe dann versucht, weitere Angriffe gegen den Oberkörper passiv abzuwehren, woraufhin der Zeuge L. ihn mehrfach mit der bloßen Faust auf den oberen Brustbereich geschlagen, heftige Tritte gegen beide Schienbeine versetzt und ihn in das Gesicht geschlagen habe. Schließlich habe der Zeuge dem Kläger einen so schweren Schlag gegen den Kopf versetzt, dass dieser das Bewusstsein verloren habe. Der Kläger habe eine Platzwunde über der linken Augenbraue, oberflächliche Hautabschürfungen am linken Ellenbogen, Prellungen der unteren Lendenwirbelsäule und am Übergang Halswirbelsäule/Brustwirbelsäule erlitten. Eine Röntgenuntersuchung habe eine Schädelbasis- bzw. Karlottenfraktur ergeben. Weiterhin hätten sich eine depressive Psychose und ein Augenzucken eingestellt. Der Kläger habe begonnen zu hinken. Es sei zu Verrenkungen und Entzündungen der Schulter und zu einer Schultersteife gekommen. Weiterhin sei eine wiederkehrende Blockierung in der Hals- und Brustwirbelsäule festzustellen gewesen, ebenso wie symptomatische Stressreaktionen, migräneartige Kopfschmerzen, eine akute Halswirbelsäulenblockierung mit Drehschwindel und eine Quetschung des linken Knies. Unfallbedingte Krankschreibungen und fehlende Konzentrationsfähigkeit bedingten eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers insbesondere auch im beruflichen Bereich. Im Übrigen habe der Kläger wegen der Halswirbelverletzung zeitweise in Lebensgefahr geschwebt.

Der Zeuge L. trug in seiner Klageerwiderung vor, der Kläger habe durch seine Fahrweise Überholversuche vereitelt, indem er sein Fahrzeug insgesamt dreimal jeweils dann beschleunigt habe, wenn er (der Zeuge) sich mit seinem Kleintransporter auf gleicher Höhe befunden habe. Nach einem schließlich doch erfolgreichen Überholvorgang habe er den Kläger angehalten, um ihn zur Rede zu stellen. Als er aus seinem Transporter ausgestiegen sei, habe der Kläger bereits sein Fahrzeug verlassen und sei auf ihn zugelaufen. Keinesfalls habe er den Kläger aus dem Auto gezerrt und gegen sein Fahrzeug gestoßen. Vielmehr sei der Kläger "ohne Vorwarnung" auf ihn losgegangen, habe ihn am Arm gezerrt und "dabei wie wild um sich" geschlagen, wobei er den Zeugen mehrfach im Gesicht getroffen habe. Um weiteren Schlägen zuvorzukommen, habe er (der Zeuge) sich seinerseits durch einen Schlag gegen den Kläger gewehrt. Dem Zeugen K. sei es schließlich gelungen, beide Personen auseinander zu bringen und den Streit zu schlichten.

Das LG führte Parteivernehmungen durch und erhob Beweis durch Vernehmung der Zeugen M. Sch., H. K. und Ch. H ... Die Zeugin Sch. gab an, sie sei sehbehindert. Sie wohne an der Bundestraße und habe die Auseinandersetzung zuhause mitbekommen und daraufhin ihr Fenster geöffnet. Den Anfang der Auseinandersetzung habe sie nicht gesehen. Sie habe sich zu einem Auto begeben, in dem jemand gesessen habe, dem Blut am Mundwinkel entlang gelaufen sei. Es habe auf sie aber nicht wie eine starke Verletzung gewirkt. Der Mann habe ihr mitgeteilt, er wolle Anzeige erstatten. Sie habe daraufhin die Polizei gerufen. Alle Beteiligten hätten auf das Eintreffen der Polizei gewartet. In der Zwischenzeit habe ihr ein anderer (jüngerer) Mann gesagt, "der andere Autofahrer habe ihn behindert", er habe ihn daraufhin überholt und zur Rede gestellt. Auf Nachfrage stellte die Zeugin klar, dass sie nach dem Öffnen des Fensters "nichts gesehen", sondern "nur Stimmen gehört" habe. Sie könne daher auch nicht sagen, ob und gegebenenfalls wer auf wen eingeschlagen habe. Sie habe auch niemanden am Boden liegen sehen.

Der Zeuge K. sagte aus, dass vor einem Bahnübergang Fahrzeuge mittig auf der Straße gestanden hätten. Die dahinter befindlichen Fahrzeuge seien nach und nach vorbeigefahren, "so dass letztlich nur noch ein Kleintransporter und ein Audi übrig geblieben" seien. Die Tochter des Klägers sei auf ihn zugelaufen und habe hysterisch geschrien, "man solle sie trennen". Er habe dann gesehen, "dass sich die beiden Personen in einer Auseinandersetzung befanden". Er habe daraufhin die beiden getrennt und festgestellt, dass der Kläger schon eine Platzwunde gehabt habe. Der Zeuge L. sei zugänglich, der Kläger hingegen aufgeregt gewesen. Zu der Auseinandersetzung könne er sagen, "dass sich die beiden kappelten und sich hin- und her schubsten". Für ihn habe es sich so dargestellt, "dass beide ihr Scherflein zu der Auseinandersetzung beigetragen" hätten. Er könne niemanden ausmachen, der "besonders intensiv" gehandelt hätte. Der Zeuge L. habe ihm erzählt, dass ihn der Kläger mehrfach am Überholen gehindert habe. Nach einem schließlich doch erfolgreichen Überholvorgang habe der Kläger mehrfach gehupt und "ihm Fernlicht gegeben". Daraufhin habe er das Fahrzeug abgebremst und sei ausgestiegen, um mit dem Kläger zu sprechen. Der Kläger sei auf ihn (den Zeugen L.) losgegangen.

Die Zeugin Ch. H. bekundete, im Fahrzeug des Klägers (ihres Vaters) gesessen zu haben. Der Zeuge L. sei dicht aufgefahren und habe überholen wollen, was aber wegen des Gegenverkehrs nicht möglich gewesen sei. Nach der Einfahrt in H. habe der Kläger das Auto abgebremst. Der Zeuge L. habe daraufhin überholt, relativ stark gebremst und sei aus dem Auto ausgestiegen. Der Kläger habe die Tür geöffnet und etwas gefragt "und dann fing schon das Gerangel an". Wie der Kläger aus dem Auto gelangt sei, könne sie nicht sagen. Bei dem Gerangel sei der Zeuge L. der dominantere gewesen. Sie habe gesehen, dass dieser Schläge gegen den Kläger ausgeführt habe, der sich wiederum "mehr in der Abwehrhaltung" befunden habe. Der Kläger sei an die Fahrertür gepresst worden und habe "so richtige Schläge, wie die von Herrn L., nicht vorgenommen".

Darüber hinaus holte das LG ein fachorthopädisches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. R., Berufsgenossenschaftliche Kliniken B. H., ein. Nach dem Ergebnis des Gutachtens seien sämtliche vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden nicht Folge des Geschehens vom 26. November 2001. Allenfalls könnten migräneartige Kopfschmerzen hierauf zurückgeführt werden. Spätfolgen seien nicht zu erwarten. In seiner Beurteilung sei der Gutachter von den ärztlich attestierten Verletzungen ausgegangen. Die vor dem Unfall vorliegenden Beschwerden, insbesondere im Hinblick auf eine Herzerkrankung, seien durch das Geschehen nicht verstärkt worden. Es sei indes nicht auszuschließen, dass die depressive Grundstimmung des Klägers in ihrer Ausprägung und der Häufigkeit des Auftretens verstärkt worden sei. Eine Schädelbasis- oder Kalottenfraktur habe nicht vorgelegen. Ebenso wenig sei eine Halswirbelsäulenverletzung gegeben gewesen, so dass für den Kläger auch zu keiner Zeit Lebensgefahr bestanden habe.

Mit Urteil vom 9. Februar 2004 verurteilte das LG den (hiesigen) Zeugen L., an den Kläger 1.000,00 EUR Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Der Zeuge L. habe dem Kläger rechtswidrig und schuldhaft mindestens einen Schlag auf den Kopf versetzt, wodurch das körperliche Wohlbefinden des Klägers nicht nur unerheblich beeinträchtigt worden sei. Dem Zeugen L. sei es nicht gelungen, den Nachweis zu führen, dass er in Notwehr gehandelt habe. Die Aussagen der Zeuginnen H. und Sch. seien unergiebig gewesen. Der Zeuge K. habe angegeben, er habe nicht gesehen, wer die Prügelei begonnen habe. Jedoch habe ihm der Zeuge L. im Anschluss erzählt, dass der Kläger auf ihn losgegangen sei. Er selbst habe den Eindruck gehabt, dass beide Parteien "ihr Scherflein zur Auseinandersetzung beigetragen haben". Der Zeuge schildere insoweit jedoch keine unmittelbare eigene Wahrnehmung und schöpfe "ausschließlich aus dem Bericht" des Zeugen L ... Der Kläger habe durch die Körperverletzung einen ersatzfähigen kausalen Schaden erlitten in Form einer 1,5 mal 1 cm großen Platzwunde über der linken Augenbraue und migräneartiger Kopfschmerzen. Weitere – vom Kläger geltend gemachte – gesundheitliche Folgen seien nicht bewiesen.

Des Weiteren hatten der Kläger und der Zeuge L. bereits am Tag des Ereignisses (26. November 2001) wechselseitige Strafanzeigen gestellt. Die Staatsanwaltschaft D. erhob am 27. Januar 2003 Anklage gegen den Zeugen L. (Tatvorwurf: vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch [StGB]). In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht W. am 12. Mai 2003 ließ dieser sich dahingehend ein, dass er mehrfach versucht habe, den Pkw des Klägers zu überholen, dieser dann jedoch jeweils beschleunigt habe und der Überholvorgang habe abgebrochen werden müssen. Nach einem schließlich doch erfolgreichen Überholvorgang sei der Kläger "permanent" aufgefahren und habe "Lichthupe" gesetzt. Er habe dann beim Kläger nachfragen wollen, "was es für Probleme" gebe. Der Kläger habe ihn daraufhin aber sofort beschimpft und angegriffen und dabei "stets in Richtung Fahrbahn" geschubst. Aus Notwehr habe er den Kläger dann ins Gesicht geschlagen. Die Rangelei sei vom Kläger ausgegangen. Das Amtsgericht W. stellte das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) – gegen die Auflage der Ableistung von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit – vorläufig ein. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2003 stellte das Amtsgericht W. das Verfahren nach Erfüllung der Auflagen endgültig ein.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde durch die Staatsanwaltschaft D. am 7. März 2003 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 12. Februar 2003 beim zuständigen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft N. und G.) die Anerkennung des Geschehens vom 26. November 2001 als Arbeitsunfall. Der Unfallversicherungsträger erkannte mit Bescheid vom 3. Juni 2003 das Ereignis als Arbeitsunfall an. Als gesundheitliche Folgen stellte er fest: folgenlos ausgeheilte Verletzungen in Gestalt einer Kopfplatzwunde über der linken Augenbraue und Hautabschürfungen im Bereich des linken Ellenbogens, des rechten Knies, der linken Schulter und der Brustwirbelsäule. Weitere Unfallfolgen wurden nicht anerkannt. Eine Verletztenrente wurde nicht gewährt.

Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, erstattete Chefarzt Dr. med. Z., Städtisches Klinikum D., im Widerspruchsverfahren ein Gutachten vom 20. April 2004, in welchem er als Unfallfolgen eine reizlos abgeheilte Platzwunde im Bereich der linken Augenbraue, einen Zustand nach Prellung der linken Schulter sowie des Ellenbogens bei Vorschädigung, eine Prellung des rechten Kniegelenks mit Verdacht auf Innenmeniskusläsion und einen Zustand nach traumatischer Subarachnoidalblutung konstatierte. Er bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Dauer eines Monats mit 20 vom Hundert (v. H.), danach mit weniger als 10 v. H. In einem psychologischen Zusatzgutachten vom 30. April 2004 führte der Diplom-Psychologe W. aus, beim Kläger liege ein erhebliches depressives Syndrom vor, wobei eine depressive Grundstimmung bereits vor dem Unfall bestanden habe. Nach einem neurologischen Gutachten vom 3. Mai 2004 liege die MdE auf neurologischem Gebiet wegen posttraumatischer Kopfschmerzen bei 10 v. H.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2004 wies der Unfallversicherungsträger den Widerspruch zurück: Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht, da nicht von einer unfallbedingten MdE von mindestens 20 v. H. ausgegangen werden könne. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau (Aktenzeichen: S 3 U 71/04) blieb erfolglos. Die gegen das abweisende Urteil eingelegte Berufung wurde zurückgenommen.

Parallel hierzu stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 3. Juni 2003 (in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2004) und berief sich auf psychische sowie Herzbeschwerden, die als Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. November 2001 eine Verletztenrente rechtfertigen würden. Mit Bescheid vom 5. November 2010 lehnte die Berufsgenossenschaft die Bewilligung einer Verletztenrente erneut ab. Auch das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. In dem daraufhin geführten sozialgerichtlichen Verfahren (Aktenzeichen des SG D.-R.: S 23 U 19/11) wurde ein psychiatrisches Sachverständigengutachten des PD Dr. med. Sch., L., vom 10. Juni 2013 eingeholt. Er stellte auf psychiatrischem Gebiet folgende Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, derzeit schwer, und leichte kognitive Störung bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma nach traumatischer Subarachnoidalblutung. Im Hinblick auf die leichte kognitive Störung seien die Ereignisse vom 26. November 2001 als ursächlich anzusehen. Die alleinige Rückführung der affektiven Symptomatik auf eine mit dem Unfallereignis im Zusammenhang zu sehende hirnorganische Störung sei indes nicht mit letzter Sicherheit möglich. Der Gutachter setzte für die leichte kognitive Störung eine MdE von 20 v. H. und für die schwere Depression von 10 v. H. an, woraus eine Gesamt-MdE von 25 v. H. zu bilden sei.

Darüber hinaus stellte der Kläger am 27. März 2007 beim Beklagten einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Im Verfahren vor dem SG (Aktenzeichen: S 5 SB 187/08) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach beim Kläger ab Februar 2009 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen sei. Zu den ggf. maßgeblichen Einzel-GdB verhält sich der Vergleich nicht. Das zentrale Leiden, welches der Kläger geltend gemacht hatte, war ein Herz-Kreislauf-Leiden.

Der Kläger beantragte am 18. Mai 2010 beim Beklagten Entschädigungsleistungen nach dem OEG, weil er im Zusammenhang mit der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft auf die entsprechende Möglichkeit aufmerksam geworden sei. Er sei aufgrund des Geschehens vom November 2001 nicht mehr arbeitsfähig. Er erhalte nur eine kleine Rente und einen "Aufstockungsbetrag" nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auch habe er Insolvenz anmelden müssen.

Mit Bescheid vom 9. November 2012 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG ab, weil für die anspruchsbegründenden Tatsachen kein Beweis habe erbracht werden können.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 12. November 2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2013 zurück: Es könne dahingestellt bleiben, wie sich das Geschehen am 26. November 2001 konkret dargestellt habe und ob insoweit von einer "objektiven Beweislosigkeit" auszugehen sei. Denn es hätten jedenfalls im Zeitpunkt der Antragstellung (Mai 2010) keine Gesundheitsstörungen mehr vorgelegen, die kausal auf die damaligen Verletzungen zurückzuführen seien und einen Rentenanspruch begründen könnten. Die Platzwunde und verschiedene Hautabschürfungen seien zwischenzeitlich ausgeheilt. Die Kopfverletzung habe keine neurologischen Ausfallerscheinungen oder sonstigen psychopathologischen Erscheinungen hinterlassen.

Hiergegen hat der Kläger am 22. Januar 2013 Klage vor dem SG Dessau-Roßlau erhoben: Er habe "aufgrund des Zusammenschlagens" eine "weitere tief greifende psychische Beeinträchtigung" erlitten. Aus dem im Unfallversicherungsverfahren eingeholten Gutachten des PD Dr. med. Sch. vom 10. Juli 2013 ergebe sich, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen seinen Leiden und dem Unfallhergang gebe.

Der Beklagte hat im Verfahren vor dem SG eine versorgungsmedizinische Stellungnahme von Dipl.-Med. S.-S. vom 26. August 2013 vorgelegt. Diese hat Bezug genommen auf das neurologische Gutachten für die Berufsgenossenschaft (Untersuchung im Februar 2004), in dem der Verdacht auf ein organisches Psychosyndrom mit Aufmerksamkeitsstörungen geäußert worden sei; auf das psychologische Gutachten für die Berufsgenossenschaft – Untersuchungen im Februar und März 2004 – (welches leichte kognitiven Störungen bestätige), auf das chirurgische Gutachten für die Berufsgenossenschaft vom April 2004 (mit dem Schädigungsfolgen auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet ausgeschlossen worden seien), auf das nervenärztliche Gutachten für die Rentenversicherung vom November 2004 (mit welchem ein Leistungsbild von unter 3 Stunden täglich konstatiert worden sei), auf das internistische Gutachten für die Rentenversicherung von März 2007 (nach welchem ein vollschichtiges Leistungsbild mit qualitativen Einschränkungen gegeben sei) sowie auf ein nervenärztliches Gutachten für die Berufsgenossenschaft von Oktober 2009 mit einer Erwiderung des beratungsärztlichen Dienstes der Berufsgenossenschaft von November 2010. Hinzugekommen sei nunmehr das psychiatrische Gutachten von PD Dr. med. Sch. Bei der dortigen Begutachtung habe der Kläger eingeschätzt, dass die Herzerkrankung im Jahr 2006 (dilatative Kardiomyopathie) ebenfalls Folge des Geschehens vom November 2001 sei. Die Annahme eines solchen Kausalzusammenhangs entbehre indes jeglicher Grundlage: Der Kläger habe noch nie eine psychiatrische Behandlung in Anspruch genommen. Ein neurologisches Funktionsdefizit habe sich auch bei der Begutachtung im Juni 2013 nicht erkennen lassen. Testpsychologische Untersuchungen seien wegen fehlender Offenheit des Klägers nur bedingt zu verwerten. Es sei "im Klartext" davon auszugehen, dass der Kläger Testergebnisse zu seinen Gunsten zu "optimieren" suche. PD Dr. med. Sch. sehe die leichte kognitive Störung ausschließlich als Folge des streitgegenständlichen Ereignisses. Für die depressive Symptomatik, die bereits vor der Schlägerei bestanden habe, sei eine alleinige Verursachung durch die im November 2001 erlittene Hirnblutung auszuschließen, eine Verschlimmerung "jedoch als Verdachtsmoment auch in Zukunft fortzuführen". Wenn PD Dr. med. Sch. vor diesem Hintergrund von einem Gesamt-GdS von 25 v. H. ausgehe, könne dem nicht gefolgt werden. Von einem messbaren GdS für eine Hirnschädigung sei nicht auszugehen: Bezüglich der leichten kognitiven Störungen sei ein Überschreiten des altersentsprechenden Ausmaßes nicht belegt und die Ursache bleibe offen. Darüber hinaus sei die Annahme einer Verschlimmerung der vorbestehenden depressiven Störung infolge der Schlägerei rein spekulativ. Der Kläger habe weder vor noch nach der Schlägerei jemals psychiatrische Behandlung in Anspruch genommen. Es habe indes eine Fülle schädigungsunabhängiger Lebensbelastungen (Privatinsolvenz, Ehescheidung, Konflikte mit dem Sohn) gegeben, die den Krankheitsverlauf hinreichend begründen könnten.

Mit Urteil vom 6. November 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es fehle am Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs. Es habe sich um eine Schlägerei mit gegenseitigen – nicht aufzuklärenden – Anschuldigungen gehandelt. Es bestehe objektive Beweislosigkeit über den Tathergang, insbesondere den Beginn der tätlichen Auseinandersetzung. Es bleibe unklar, wie sich der Sachverhalt tatsächlich zugetragen habe. Es deute vieles auf eine gegenseitige Prügelei infolge angestauten Ärgers über das Verhalten des jeweils anderen. Das Fehlen entsprechender Nachweise gehe zu Lasten des Klägers.

Gegen das ihm am 11. Dezember 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Dezember 2013 Berufung eingelegt: Nach den zivil- und strafrechtlichen Entscheidungen sei die "These einer gegenseitigen Prügelei" nicht zu halten. Nach den wechselseitigen Anzeigen wegen Körperverletzung und Nötigung sei lediglich gegen den Zeugen L. Anklage erhoben worden, und zwar wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 StGB. Die schließlich erfolgte Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO scheide bei erwiesener Unschuld aus. Demgegenüber habe die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen ihn gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, also keine Anhaltspunkte für seine Täterschaft gesehen. Auch das LG sei im zivilrechtlichen Verfahren von einer bewiesenen Körperverletzung durch den Zeugen L. ausgegangen. Demgegenüber habe die bloße Behauptung des Zeugen, er sei angegriffen worden und habe sich in Notwehr verteidigt, zur Überzeugung des Gerichts nicht festgestanden. Im Hinblick auf seine körperliche Konstitution einerseits und die des Zeugen L. andererseits sowie seine gesundheitliche Verfassung sei dieser Vortrag ohnehin unglaubhaft. Von einer nicht bewiesenen Täterschaft des Zeugen L. könne "nicht einmal im Ansatz die Rede sein". Es sei nicht vorstellbar, dass im sozialrechtlichen Bereich die Beweislastregeln zu seinen Lasten zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Im Übrigen sei das Urteil des LG rechtskräftig, so dass zwischen den dortigen Parteien verbindlich feststehe, dass der Zeuge L. ihn durch eine vorsätzliche rechtswidrige Handlung körperlich verletzt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteils des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 6. November 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 9. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem OEG seit dem 18. Mai 2010 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, es treffe nicht zu, dass in den straf- und zivilrechtlichen Verfahren eine vollständige Aufklärung des Tathergangs erfolgt sei. Es lasse sich hieraus nicht schlussfolgern, dass sich das Geschehen so zugetragen habe, wie nunmehr vom Kläger behauptet werde. Hinsichtlich der Kausalitätsbeurteilung werde auf die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers Bezug genommen, wonach die im Zusammenhang mit dem Ereignis erlittenen Gesundheitsstörungen folgenlos ausgeheilt seien.

Der Senat hat schriftliche Aussagen der Zeuginnen M. Sch. und E. E. eingeholt.

Die Zeugin Sch. hat in ihrer schriftlichen Aussage vom 25. November 2016 angegeben, sie könne zu einer körperlichen Auseinandersetzung keine Angaben machen, da sie bereits damals sehbehindert gewesen sei und die Handlungen der beteiligten Personen nicht habe erkennen können. Die Zeugin E. hat in ihrer schriftlichen Aussage vom 24. November 2016 angegeben, sie habe gesehen, wie der Fahrer eines roten PKW den Fahrer eines weißen Transporters "raus gezogen" und versucht habe, ihn auf die Gegenfahrbahn zu stoßen. Der Fahrer des weißen Transporters habe sich dagegen nicht gewehrt. Da sich der Vorfall vor 15 Jahren zugetragen habe, sei sie sich allerdings hinsichtlich ihrer "Aussagen nicht sicher". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftlichen Zeugenaussagen (Blatt 230, 228 der Gerichtsakte) verwiesen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2016 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L. und H.-J ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll (Blatt 237 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Darüber hinaus ist der Kläger informatorisch angehört worden. Auch insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 9. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf eine Beschädigtenversorgung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit dem BVG wegen der Folgen eines tätlichen Angriffs am 26. November 2001.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

a) Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein.

b) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zu Grunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Beweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Ergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht.

Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R, juris; Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R, juris; Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B, juris).

2. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung von Versorgungsleistungen wegen der Folgen eines tätlichen Angriffs vom 26. November 2001. Zur Überzeugung des Senats ist ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auf den Kläger nicht bewiesen.

a) Zwar läge auf Grundlage des Vorbringens des Klägers ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff des Zeugen L. vor. Nach dieser Schilderung hätte der Zeuge L. den Kläger mit Schlägen und Tritten attackiert, ohne dass eine Notwehrlage vorgelegen hätte, so dass auch von einer rechtsfeindlichen Gesinnung auszugehen wäre. Eine vorangegangene "Provokation" hätte ebenso wenig vorgelegen. Zur Überzeugung des Senats konnte durch die Beweiserhebung jedoch nicht im Sinne des Vollbeweises geklärt werden, dass sich das Geschehen so ereignet hat, wie es vom Kläger vorgetragen worden ist.

b) Nach den Angaben des Zeugen L. – sowohl als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als auch als Beklagter im Zivilverfahren vor dem LG – hätte der Kläger die "Prügelei" nicht nur durch sein vorangegangenes Verhalten im Sinne eines grob verkehrsrechtswidriges Verhaltens "provoziert", indem er in einer mit erheblichen Gefahren für den Zeugen verbundenen Weise mehrfach dessen Überholversuche vereitelt hätte, als dieser sich mit seinem Pkw schon auf der Gegenfahrbahn befunden hatte (s. hierzu später unter Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Vielmehr wäre – auf Grundlage der Angaben des Zeugen im zivilgerichtlichen Verfahren – auch der eigentliche tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG als solcher vom Kläger ausgegangen und er selbst hätte sich hiergegen lediglich gewehrt und mit einem Faustschlag in einer Notwehrsituation im Sinne von § 32 StGB einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Klägers abgewehrt bzw. "beendet". In seiner Zeugenvernehmung vor dem Senat hat er den Ablauf des Geschehens allerdings dergestalt geschildert, dass eher von einer wechselseitigen Schlägerei – im Anschluss an eine vorangegangene wechselseitige "Schubserei" auszugehen wäre. Auch nach dieser Aussage würde es sich aber jedenfalls nicht um einen Angriff des Zeugen als Täter gegen den Kläger als Opfer handeln. Vielmehr hätten beide an der Auseinandersetzung Beteiligte gewissermaßen eine "Zwischenstellung" eingenommen. Damit entspräche aber die "Rolle" des Klägers auch innerhalb des so beschriebenen Geschehens zur Überzeugung des Senats nicht dem besonderen Schutzzweck des OEG im Hinblick auf die Opfer von Gewalttaten.

c) Welche der beiden grundlegend voneinander abweichenden Schilderungen zutreffend ist (bzw. ob "die Wahrheit in der Mitte" liegt), lässt sich für den Senat auch nach umfassender Würdigung der Beweisaufnahme im hiesigen Verfahren sowie der Auswertung des Inhalts der beigezogenen Akten (insbesondere aus dem Zivilverfahren vor dem LG) nicht mehr in der Weise aufklären, dass – auf Grundlage des Vortrags des Klägers – ein tätlicher Angriff des Zeugen L. in einer dem Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unterfallenden Weise als bewiesen angenommen werden könnte.

Dies resultiert insbesondere daraus, dass sowohl die Aussage der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugin H.-J. als auch die schriftlichen Aussagen der Zeuginnen E. und Sch. sowie die Aussage des Zeugen K. vor dem LG für die hier maßgeblichen Tatsachen letztlich unergiebig sind.

Zwar hat die Zeugin E. in ihrer schriftlichen Aussage im Grundsatz die Schilderungen des Klägers bestätigt, wonach eine der an der Auseinandersetzung beteiligten Personen von der anderen aus dem Fahrzeug "raus gezogen" und attackiert worden sei. Bezüglich der Beschreibung der Fahrzeuge wäre insofern nach dieser Aussage allerdings von einer "umgekehrten" Konstellation auszugehen. Denn hiernach hätte der Fahrer des "roten Pkw mit einer Beifahrerin" und einem J.er Kennzeichen (also der Kläger) "den Fahrer vom weißen Transporter mit D.er Kennzeichen" (also den Zeugen L.) attackiert. Ein solcher Ablauf, nach dem der Zeuge L. eher das Opfer und der Kläger eher der Täter gewesen wäre, ist jedoch noch nicht einmal vom Zeugen L. selbst beschrieben worden. Die Angaben der Zeugin E. könnten insofern zwar möglicherweise auf einer bloßen "Verwechslung" beruhen. Aus der tatsächlichen Schilderung eines Geschehens, welches nach dem Ergebnis der übrigen Beweisaufnahme so jedenfalls nicht stattgefunden haben kann, ist jedoch abzuleiten, dass die Erinnerungen der Zeugin inzwischen so "verschwommen" sind, dass hierauf eine Aufklärung des Sachverhalts nicht gestützt werden kann. Im Übrigen ist die (schriftliche) Aussage der Zeugin auch schon deshalb im Wesentlichen unergiebig, weil sie selbst klargestellt hat, sich aufgrund des Zeitablaufs hinsichtlich ihrer Erinnerungen nicht mehr sicher zu sein. Außerdem konnte sie auch keine Angaben machen zu Einzelheiten des eigentlichen Angriffsgeschehens durch die "Schläge".

Die schriftliche Aussage der Zeugin Sch. ist gänzlich unergiebig. Sie hat mitgeteilt, zu der körperlichen Auseinandersetzung keine Angaben machen zu können. Dies entspricht im Wesentlichen auch ihrer Aussage im Zivilprozess vor dem LG.

Die Aussage der Zeugin H.-J. ist ebenfalls unergiebig. Sie hat gleich zu Beginn ihrer Aussage klargestellt, dass sie (wegen des Zeitablaufs und ihres damaligen jugendlichen Alters) sich "nicht mehr besonders gut an alles erinnern" könne. So konnte die Zeugin wegen des der körperlichen Auseinandersetzung vorangegangenen Verkehrsgeschehens in der Tat lediglich nur auf noch rudimentäre Erinnerungen zurückgreifen. Auch aus ihren Angaben zur eigentlichen "Prügelei" lässt sich zwar entnehmen, dass ihr Vater (der Kläger) aufgrund körperlicher Unterlegenheit "einige wirksame Schläge" habe einstecken müssen. Zur konkreten "Entstehung" der "Schlägerei" konnte sie jedoch keine näheren Angaben machen. Den für den Kläger nachteiligen "Verlauf" der Auseinandersetzung konnte sie letztlich nur aus dem für sie ersichtlichen "objektiven Ergebnis" schlussfolgern. Daraus ergeben sich jedoch für den Senat keine näheren Erkenntnisse bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, für die es insbesondere auch auf die Umstände des Beginns der Auseinandersetzung ankommt.

Bezüglich des im zivilrechtlichen Verfahren vor dem LG vernommenen Zeugen K. können die dort von ihm getätigten Aussagen auch im hiesigen sozialgerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt und verwertet werden. Diesbezügliche Feststellungen erübrigen eine gesonderte Vernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren jedenfalls dann, wenn der Aufklärungspflicht genügt ist und die Beteiligten die Beweisaufnahme auch im sozialgerichtlichen Verfahren gelten lassen wollen (BSG, Urteil vom 24. April 1980 – 9 RVg 1/79). Hiervon kann der Senat ausgehen, da seitens der Beteiligten keine Einwendungen gegen den Verzicht auf die Vernehmung des zunächst geladenen Zeugen K. (dessen ladungsfähige Anschrift trotz intensiver Bemühungen des Senats nicht ermittelt werden konnte) vorgebracht worden sind und die Beteiligten vielmehr nach der Vernehmung der Zeugen L. und H.-J. sowie der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ihre Sachanträge gestellt haben.

Der Senat konnte somit in der vorliegenden Konstellation entscheiden, ohne alle zivilgerichtlich gehörten Zeugen erneut zu vernehmen und sich (hinsichtlich des nicht nochmals vernommenen Zeugen) auf die in den Zivilprozessakten befindlichen Aussagen sowie die Feststellungen des LG stützen. Eine über die Beiziehung der Zivilprozessakten hinausgehende Ermittlungspflicht des LSG bestünde insoweit lediglich dann, wenn neue, Erfolg versprechende Ansatzpunkte aufgetaucht wären. Dies ist indes – gerade auch unter Berücksichtigung der Aussagen der nochmals (mündlich und schriftlich) vernommenen Zeugen – nicht der Fall. Auch die unterschiedlichen Verfahrensregeln in Zivil- und Sozialgerichtsverfahren sind allein kein Grund, dass die Beweisaufnahme in jedem Fall vollständig zu wiederholen wäre (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Oktober 2012 – L 11 VG 7/12, juris).

Das sozialgerichtliche Verfahrensrecht verlangt nicht, ausnahmslos alle unmittelbaren Beweismittel (hier also die Einvernahme aller weiteren Zeugen) auszuschöpfen. Eine Regelung wie in § 251 StPO, die es den Strafgerichten nur in enumerativ aufgezählten Ausnahmefällen erlaubt, etwa die Verlesung von Niederschriften als Beweismittel zuzulassen und auf die persönliche Einvernahme zu verzichten, existiert im Sozialprozessrecht nicht. Überdies gibt es nach herrschender Meinung nicht einmal im Strafprozessrecht einen so weit reichenden Grundsatz, dass allgemein bei der Beweisaufnahme das sachnächste Beweismittel genutzt werden müsste (Bayerisches LSG, Urteil vom 18. Mai 2015 – L 15 VG 17/09 ZVW). Entsprechend den Vorschriften des sozialgerichtlichen Verfahrens ist die Verwertung der Niederschrift über eine Zeugenaussage in einem anderen gerichtlichen Verfahren oder in einem Verwaltungsverfahren im Wege des Urkundenbeweises möglich. Grundsätzlich hat die Verwertung einer Urkunde in der Regel zwar einen geringeren Beweiswert als eine unmittelbare Zeugenaussage, weil das Gericht keinen unmittelbaren Eindruck vom Zeugen erhält. Ob das Gericht aber einen Zeugen erneut vernimmt, liegt in seinem Ermessen. Die über § 202 SGG anwendbaren Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten keine Regelung, welche die Verwertung von Zeugenaussagen aus anderen Gerichtsverfahren anstelle der unmittelbaren Zeugenvernehmung verbieten würde. Vielmehr gilt auch hier, dass Beweisergebnisse aus anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises eingeführt werden dürfen (Bayerisches LSG, a. a. O., juris; vgl. auch Greger in: Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 355 Rn. 4).

Der Zeuge K. hat gemäß der dortigen Sitzungsniederschrift vor dem LG angegeben, der Kläger und der Zeuge L. hätten sich "gekappelt" und sich hin und her geschubst; nach seinem Eindruck hätten "beide ihr Scherflein zu der Auseinandersetzung beigetragen". Er habe niemanden ausmachen können, der "besonders intensiv" gehandelt hätte. Zwar hat der Zeuge insoweit keine Angaben zum Beginn der Auseinandersetzung (wer hat "angefangen"?) machen können. Seine Schilderungen sprechen aber zumindest dafür, dass es im Verlauf der Auseinandersetzung wechselseitige "Tätlichkeiten" von beiden Seiten gegeben hat. Der Zeuge hat auch seinen Eindruck geschildert, dass letztlich beide einen maßgeblichen Anteil an der Auseinandersetzung hatten. Eine klare "Zuordnung" von Angreifer/Täter und Angegriffenem/Opfer kann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Nach alldem verbleibt es dabei, dass vor dem Hintergrund der erheblich voneinander abweichenden Schilderungen der beiden unmittelbar beteiligten Personen sowie der Unergiebigkeit der Aussagen der sonstigen Zeugen der im Recht der sozialen Entschädigung (in Bezug auf den schädigenden Vorgang) erforderliche Vollbeweis nicht erbracht werden konnte. Dies gilt sowohl für die konkrete Tathandlung als auch für die Qualifizierung des Lebenssachverhaltes als in rechtsfeindlicher Willensrichtung vom Zeugen L. ausgehendes Geschehen.

Selbst eine etwaige Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Vorbringens des Klägers würde insoweit nicht genügen. Unabhängig davon geht der Senat allerdings wegen des dargestellten Ergebnisses der Beweisaufnahme ohnehin auch nicht von einer größeren Wahrscheinlichkeit der vom Kläger geschilderten Sachverhaltsvariante aus. Es wäre insoweit nämlich für den Senat schwerlich nachvollziehbar, weshalb es seitens des Zeugen L. überhaupt zu solch einer anlasslosen Eskalation ("Ausbremsen" des Klägers und anschließendes "Einschlagen" auf ihn) gekommen sein sollte. Nach dem Vortrag des Klägers hätte für den Zeugen, der auf den Senat in der mündlichen Verhandlung einen durchaus besonnenen Eindruck gemacht hat, keinerlei Veranlassung zu einem derart rabiaten und rechtswidrigen Verhalten bestanden, wie es nunmehr vom Kläger geltend gemacht wird. Im Übrigen hat auch der Zeuge K. vor dem LG ausgesagt, dass zwar der Kläger "aufgeregt", der Zeuge L. indes "zugänglich" gewesen sei. Dies stützt die Einschätzung des Senats zu dem eher besonnenen Auftreten des Zeugen, das ihn nicht als einen Menschen erscheinen lässt, der völlig grundlos eine Schlägerei mit einem ca. 20 Jahre älteren Mann, der gemeinsam mit seiner damals minderjährigen Tochter unterwegs war, "anzetteln" würde. Für den Senat drängt sich insofern der Eindruck auf, dass die Schilderungen des Klägers zu der körperlichen Auseinandersetzung einerseits und dem vorangegangenen Geschehen im Straßenverkehr andererseits nicht "zusammenpassen" und somit der vom Kläger wiedergegebene Lebenssachverhalt insgesamt als wenig plausibel erscheint. Dass sich etwas anderes im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen ließ, geht aus den bereits dargelegten Gründen zu Lasten des Klägers, der insoweit die objektive Beweislast trägt.

3. Entgegen der Ansicht des Klägers ändert sich an dieser Bewertung auch nichts durch das Urteil des LG, welches eine rechtswidrige und schuldhafte Körperverletzung durch den Zeugen L. im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme bejaht hat. Dabei ist zu beachten, dass für das soziale Entschädigungsrecht ein eigener Beweismaßstab (siehe oben) maßgeblich ist, so dass eine bloße Übertragung der in einem Zivilverfahren getroffenen Feststellungen schon deshalb nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus ist der Senat – abgesehen von den differenzierten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einerseits und des § 1 OEG andererseits – ohnehin nicht an die Feststellungen gebunden, die das Gericht eines anderen Gerichtszweiges getroffen hat, welches sich ebenfalls mit dem hier in Rede stehenden Lebenssachverhalt zu befassen hatte. Deshalb sei nur ergänzend darauf hingewiesen, dass die Tatbestandswirkung, von der der Kläger im Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Zeugen L. ausgeht, im hiesigen Verfahren ohnehin nicht von Relevanz ist. Denn vorliegend ist bereits eine abweichende Beteiligtenkonstellation gegeben: Das sozialgerichtliche Verfahren richtet sich nicht gegen den Zeugen L., sondern gegen das beklagte Land. Da der hiesige Beklagte nicht Beteiligter des Zivilprozesses war, kommt eine ihn betreffende Bindungswirkung des dortigen Urteils schon unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Diese Erwägungen sind entsprechend auf die von der Staatsanwaltschaft D. geführten Ermittlungsverfahren sowie das Strafverfahren vor dem Amtsgericht W. zu übertragen. Im Übrigen beinhaltet eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO gerade keinen Schuldspruch und auch keine diesbezüglich bindenden Tatsachenfeststellungen.

4. Eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers greift ebenfalls nicht ein. Die Voraussetzungen des § 15 KOVVfG liegen nicht vor. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese besondere Beweiserleichterung kommt hier aber nicht in Betracht. § 15 KOVVfG sollte ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten. Die Beweiserleichterung ist jedoch auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 – 3 RVg 3/89, juris). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Hier liegen indes umfangreiche Zeugenaussagen vor, sowohl aus dem Zivil- als auch aus dem sozialgerichtlichen Verfahren. Diese haben lediglich den erforderlichen Vollbeweis für den schädigenden Vorgang nicht erbringen können; eine Konstellation der Beweisnot im Sinne der Grundsätze des § 15 KOVVG liegt hierin nicht.

Nach alldem verbleibt es dabei, dass es vorliegend bereits an der für einen Anspruch des Klägers notwendigen Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG fehlt.

5. Selbst wenn jedoch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bejahen gewesen wären, könnte der Kläger einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nicht mit Erfolg geltend machen. Denn in diesem Falle würde der Anspruch am Vorliegen eines Versagungsgrundes gemäß § 2 Abs. 1 OEG scheitern.

a) Nach § 2 Abs. 1 sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 OEG). Bei der 1. Alternative handelt es sich um einen Sonderfall der in der 2. Alternative genannten Unbilligkeit; sie ist daher stets zuerst zu prüfen (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 –9 RVg 2/89, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. März 2013 – L 6 VG 4354/12, juris). § 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG regelt abschließend, wann die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten Leistungen ausschließt. Eine Verursachung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 OEG kann nur angenommen werden, wenn der Tatbeitrag des Opfers nach der auch im Opferentschädigungsrecht anwendbaren Theorie von der wesentlichen Bedingung nicht nur ein nicht hinweg zu denkender Teil der Ursachenkette, sondern wesentlich, d.h. eine annähernd gleichwertige Bedingung neben dem Beitrag des rechtswidrig handelnden Angreifers ist. Auf dem Gebiet des OEG führt bereits eine etwa gleichwertige Verursachung zur Versagung der Entschädigung. Nicht erforderlich ist, wie etwa im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, ein deutlich überwiegendes selbst geschaffenes Risiko (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989, a. a. O.).

Ein Leistungsausschluss ist unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung vor allem dann gerechtfertigt, wenn das Opfer in der konkreten Situation in ähnlich schwerer Weise wie der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen hat, wobei subjektive Gesichtspunkte nicht außer Betracht gelassen werden dürfen (BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R, juris; LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Eine Mitverursachung kann jedoch auch in der schuldhaften Herausforderung des Angriffs, zum Beispiel durch eine Provokation liegen. Eine Provokation des Täters durch das Opfer kann den Entschädigungsanspruch ausschließen, wenn das Opfer die Schädigung bewusst angestrebt oder billigend in Kauf genommen oder sich zumindest leichtfertig in die Gefahr einer solchen Schädigung begeben hat (BSG, Urteil vom 15. August 1996 – 9 RVg 6/94, juris). Eine Mitverursachung kann ebenfalls angenommen werden, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl ihm dies zumutbar und möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00 R, juris). Ein Hauptzweck des § 2 Abs. 1 Alternative 1 OEG ist es gerade, diejenigen von der Versorgung auszuschließen, die sich selbst bewusst oder leichtfertig in hohem Maße gefährden und dadurch einen Schaden erleiden. Wer bewusst oder leichtfertig ein hohes Risiko eingeht, hat die Folgen selbst zu tragen; das Opferentschädigungsrecht schützt ihn dann nicht. Das BSG hat im Opferentschädigungsrecht die bewusste oder leichtfertige Selbstgefährdung in Fällen einer hohen Gefahr immer als Leistungsausschlussgrund beurteilt. Die bewusste Selbstgefährdung hat das BSG nur dann nicht dem Opfer angelastet, wenn für sie ein beachtlicher Grund vorlag, so dass die Selbstgefährdung nicht missbilligt werden konnte. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich das Opfer nach der besonderen Fallgestaltung für andere eingesetzt hat (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 5/95, juris). Eine leichtfertige Selbstgefährdung in diesem Sinne setzt nach der Rechtsprechung des BSG einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit voraus, der etwa der groben Fahrlässigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechtes entspricht (BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00, juris). Es gilt jedoch im Gegensatz zum bürgerlichen Recht nicht der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 267 BGB, sondern ein individueller Maßstab, der auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellt. Voraussetzung ist, dass das Opfer in hohem Maße vernunftwidrig gehandelt und es in grob fahrlässiger Weise unterlassen hat, einer höchstwahrscheinlich zu erwartenden Gefahr auszuweichen (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 4/97, juris). Zu prüfen ist danach, ob sich das Opfer auch hätte anders verhalten können oder müssen und ob es sich der erkannten oder grob fahrlässig nicht erkannten Gefahr nicht entzogen hat, obwohl ihm dies zumutbar gewesen wäre. Dafür ist die gesamte tatnahe Situation, wie sie sich nach natürlicher Betrachtungsweise darstellt, zu würdigen (BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00, juris; LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Da es sich beim Versagungstatbestand des § 2 OEG letztlich um eine Ausnahme von § 1 OEG handelt, liegt die objektive Beweislast hierfür beim Beklagten (BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 VG 3/97 R).

b) Nach diesen Maßstäben hält es der Senat für erwiesen, dass sich der Kläger durch sein Verhalten vor und nach dem erfolgreichen Überholvorgang des Zeugen L. leichtfertig in die Gefahr einer Schädigung gegeben hat. Dieses Verhalten führte für den Zeugen L. eine erhebliche (zumindest abstrakte) Gefährdung herbei (möglicher Frontalzusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug). Wegen des Geschehens im Zusammenhang mit den vorangegangenen Überholversuchen folgt der Senat der Aussage des Zeugen L ... Dieser hat nachvollziehbar und plausibel geschildert, das er auf einer längeren Geraden vor der Ortseinfahrt H. mehrfach versucht habe, den Kläger zu überholen, welcher sein Fahrzeug aber beschleunigt habe, als er sich (auf der Gegenfahrbahn) neben dem vom Kläger geführten Pkw befunden habe. Nach Abbruch des jeweiligen Überholvorganges habe der Kläger dann seinen Pkw wieder verlangsamt. Die Beschreibung dieser Strecke als langer Gerade stimmt insofern auch mit den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung überein. Die Schilderungen des Zeugen zu den mehrfachen (zunächst erfolglosen) Überholversuchen sind – unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitablaufes – auch in einer Weise detailreich und authentisch wiedergegeben, dass sie zur Überzeugung des Senats jedenfalls in den hier relevanten Grundzügen auf dem tatsächlichen Erleben des Zeugen beruhen. Entsprechendes gilt auch für das vom Zeugen angegebene Verhalten des Klägers nach dem schließlich erfolgreichen Überholvorgang (Dauerhupe, Lichthupe). Letzteres ist auch deshalb plausibel, weil der Zeuge überzeugend und nachvollziehbar schildert, dass – offenkundig durch dieses (lautstarke) Verhalten des Klägers – die Anwohner auf das Geschehen aufmerksam geworden seien. Dies korrespondiert mit den aus den Akten ersichtlichen Anhaltspunkten für ein in einem kleinen Ort wie H. ungewöhnlichen Geschehen, welches bei den in der Nähe befindlichen Personen starke Beachtung gefunden hat. So hat der Zeuge K. vor dem LG angegeben, dass "einige Leute aus den Häusern" gekommen seien. Eine solche öffentliche Aufmerksamkeit, die die Anwohner geradezu "auf die Straße treibt", setzt aber zuvor ein in wirklich herausgehobener Weise "bemerkbares" Verhalten mindestens einer der am Geschehen beteiligten Personen voraus, wie es etwa in einem akustisch besonders prägnanten "Dauerhupen" zu sehen wäre.

Darüber hinaus kommt auch in Bezug auf die Herbeiführung der späteren Schädigung durch ein mindestens leichtfertiges (provokatives) Vorverhalten seitens des Klägers wiederum dem Umstand eine erhebliche Bedeutung zu, dass nach Auffassung des Senats das anschließende Geschehen ("Schlägerei") nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar zu erklären wäre, wenn sich der Kläger zuvor nicht in der vom Zeugen beschriebenen Weise verhalten hätte. Es wäre nicht verständlich, weshalb der Zeuge andernfalls im unmittelbaren zeitlichen Anschluss den Kläger überhaupt hätte "zur Rede stellen" wollen.

Auch aus der Aussage der Zeugin H.-J. folgt insoweit nichts anderes, da sie keine relevanten Erinnerungen mehr an den Ablauf vor dem schließlich "erfolgreichen" Überholvorgang des Zeugen L. hatte. Nach alldem ist im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme von einem derart erheblichen vorwerfbaren Verhalten auszugehen, dass dem Kläger eine leichtfertige Mitverursachung anzulasten ist und eine Entschädigung nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 OEG aus in seinem eigenen Verhalten liegenden Gründen unbillig wäre.

c) Darüber hinaus könnte insbesondere die Aussage des Zeugen K. vor dem LG dafür sprechen, dass die Unbilligkeit einer Entschädigung im Sinne von § 2 Abs. 1 OEG – zusätzlich – auch noch aus einem (ggf. möglichen) fehlenden "Ausweichen" des Klägers abzuleiten wäre, nachdem der Zeuge L. zu seiner Attacke "angesetzt" hätte. Der Kläger wäre danach einem Angriff nicht etwa ausgewichen, sondern hätte sich – mit ähnlicher Intensität – "gleichberechtigt" in die "Prügelei" hinein begeben. Ob dieser Aspekt im Ergebnis durchgreifen würde oder (etwa auf Grundlage der Aussage der Zeugin H.-J.) ein entsprechender Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könnte, kann hier allerdings dahinstehen. Das Vorliegen eines Versagungstatbestandes gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG ist jedenfalls schon aus den unter lit. b) dargelegten Gründen zu bejahen.

Damit kommen Leistungen nach dem OEG sowohl wegen des nicht zu erbringenden Vollbeweises für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG als auch im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats feststehende Eingreifen eines Versagungstatbestandes im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht in Betracht. Auf die von den Beteiligten ebenfalls erörterte Frage, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers in medizinischer Hinsicht ggf. kausal auf das Ereignis vom 26. November 2001 zurückzuführen sind, kommt es nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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