S 28 KR 217/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
28
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 217/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 922,57 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 v.H. seit dem 15.01.2010 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf EUR 922,57 festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die nachträgliche Korrektur einer Schlussrechnung der Klägerin um Euro 922,57.

Die bei der Beklagten versicherte, 2004 geborene, A.M. befand sich vom 23.09.2009 bis 20.10.2009 in stationärer Behandlung bei der Klägerin. Die Klägerin erstellte zunächst die Rechnung vom 26.10.2009 in Höhe von Euro 23.292,62. Diese wurde am 30.10.2009 bei der Beklagten im Wege des DTA verarbeitet und fristgerecht beglichen. Mit weiterer Rechnung vom 29.12.2009 korrigierte die Klägerin den Rechnungsbetrag auf Euro 24.215,19 und forderte nun wegen bisher nicht abgerechneter Beatmungsstunden, welche zwischen den Beteiligten unstreitig sind, eine weitere Vergütung von der Beklagten in Höhe der streitigen Klageforderung von Euro 922,57. Diese lehnte es mit Schreiben vom 15.01.2010 ab, die Nachforderung zu begleichen, da eine Rechnungskorrektur durch das Krankenhaus nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur innerhalb von sechs Wochen nach Erstellung der Schlussrechnung möglich sei. Diese Frist sei hier überschritten. Mit Schreiben vom 01.03.2010 verwies die Klägerin auf die Regelung in § 11 Abs. 2 des ab 01.01.2003 geltenden Vertrages Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (im Folgenden: Hamburger Landesvertrag), der zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und ua. der Beklagten abgeschlossen sei und forderte die Beklagte erneut unter Fristsetzung auf, die restliche Vergütung in Höhe von Euro 922,57 zu begleichen. Hierzu äußerte sich die Beklagte nicht.

Die Klägerin hat am 02.03.2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und trägt vor,

dass ihre Nachforderung nach § 11 Abs. 2 des zwischen den Beteiligten bestehenden Landesvertrages noch innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden könne. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Rechtsprechung des BSG hier nicht anwendbar, weil die dortigen Entscheidungen vorbehaltlich einer abweichenden landesgesetzlichen Regelung ergangen seien, welche hier vorliege. Sie sei daher, auch nach Treu und Glauben, berechtigt, die hier sachlich und medizinisch gerechtfertigte weitere Vergütung mit der streitigen Rechnung vom 29.12.2009 noch nachzufordern.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 922,57 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 v.H. seit dem 15.01.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Zahlungsregelungen des Hamburger Landesvertrages hier wegen der seit dem 01.04.2007 bestehenden Fristenreglung in § 275 Abs. 1c SGB V nicht für anwendbar. Soweit danach Prüfungen der Krankenkassen innerhalb von 6 Wochen durchzuführen seien, müsse diese Frist aus Gründen der Gleichbehandlung und wegen der "Waffengleichheit" auch für die Nachberechnungen seitens der Krankenhäuser gelten. Eine Ausweitung der Fristen i.S. der Regelungen des Hamburger Landesvertrages würde anderenfalls auch gegen das vom BSG postulierte Beschleunigungsgebot verstoßen. Die Regelungen des Hamburger Landesvertrages seien zudem bereits vereinbart worden, als es eine zeitliche Begrenzung hierfür im Gesetz noch nicht gegeben habe.

Das Gericht hat die in der Sitzungsniederschrift genannten Akten beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer gemacht. Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Vergütungsnachforderung in Höhe von weiteren Euro 922,57 zu. Rechtsgrundlage des hier geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist §§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für das Jahr 2009 sowie dem am 01.01.2003 in Kraft getretenen Hamburger Landesvertrag nach § 112 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V). Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses entsteht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG unabhängig von einer Kostenzusage mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Dies bedeutet, dass der Anspruch begründet ist, wenn beim Versicherten bei Aufnahme in das Krankenhaus die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit i.S. von § 39 SGB V vorlagen. Das dies vorliegend der Fall war, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und es ergeben sich auch sonst nach der Aktenlage hierfür keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist weiterhin, dass die Klägerin für die der Versicherten der Beklagten in der Zeit vom 23.09.2009 bis 20.10.2009 erbrachten Krankenhausleistungen unter Berücksichtigung der Fallpauschalenvereinbarung 2009 iVm dem Fallpauschalen-Katalog die DRG A13D in Höhe von Euro 24.215,19 abrechnen durfte. Die Klägerin ist auch entgegen der Auffassung der Beklagten hier berechtigt, trotz der am 30.10.2009 erteilten DTA Rechnung in Höhe von Euro 23.292,62 mit weiterer DTA Rechnung vom 29.12.2009 restliche Vergütung in Höhe von Euro 922,57 nachzufordern. Rechtsgrundlage dafür ist § 11 Abs. 2 des Hamburger Landesvertrages. Danach können Beanstandungen rechnerischer und sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden, nachdem die in § 301 SGB V vorgeschriebenen Daten der Krankenkasse zugeleitet worden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1). Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 gilt die gleiche Frist auch für Nachforderungen der Krankenhäuser. Soweit die hier streitige Nachforderung der Klägerin somit noch innerhalb der in § 11 Abs. 2 Satz 2 genannten Frist von sechs Monaten bei der Beklagten im Rahmen der in § 11 Abs.1 Satz 1 vereinbarten Zahlungsregelung des Hamburger Landesvertrages durch Übermittlung der Rechnung geltend gemacht worden ist, war die Klägerin somit nicht mit ihrer Nachforderung vom 29.12.2009 nach der ersten Endabrechnung vom 30.10.2009 ausgeschlossen. Hierbei handelt es sich nach der Überzeugung der Kammer um eine nach ihrem Wortlaut und Sinn eindeutige und klare Regelung für Nachforderungen seitens der Krankenhäuser, welche hier uneingeschränkt Anwendung findet. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist hier die seit dem 01.4.2007 geltende Regelung des § 275 Abs. 1 c SGB V nicht vorrangig anwendbar und ist die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 Hamburger Landesvertrages mit der Rechtsprechung des BSG nicht unvereinbar. § 275 Abs. 1c SGB V regelt ausschließlich die Aufgaben des Medizinischen Dienstes und ist daher auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar. Das BSG hat sich zwar in mehreren Entscheidungen zur Frage der Rechtmäßigkeit und Voraussetzungen von Nachforderungen von Krankenhäusern befasst (vgl. BSG Urteile vom 17.12.2009 B 3 KR 12/08 R; 22.11.2012 B 3 KR 1/12 R; 08.09.2009 B 1 KR 11/09 R; 13.11.2012 B 1 KR 6/12 R, zitiert nach Juris). Bei den dort entschiedenen Fällen handelte es sich jedoch ausnahmslos um Sachverhalte, bei denen nach den zugrunde zu legenden landesvertraglichen Verträgen nach § 112 SGB V gerade keine (eindeutigen) Regelungen zu den Voraussetzungen für Nachforderungen durch die Krankenhäuser enthalten waren. Insoweit hatte das BSG allein zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Nachforderungen mangels vertraglicher Regelung unter Berücksichtigung des über § 69 SGB V anzuwendenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach Treu und Glauben überhaupt infrage kommen (vgl. BSG 08.09.2009 a.a.O., Rdnr. 15f, zitiert nach Juris). In diesem Zusammenhang hat das BSG auch bereits mehrfach entschieden, dass die allgemeinen Grundsätze zur Auslegung von Gesetzen zwar Bundesrecht seien, ihnen jedoch gegenüber landesrechtlichen Vorschriften, bei deren Auslegung sie angewendet werden, keine eigenständige Bedeutung zukomme. Dies bedeute, dass die Auslegungsgrundsätze dann Teil des irrevisiblen Landesrechts seien, so dass die Rüge der Verletzung der Auslegungsgrundsätze eine irrevisible Norm nicht revisibel mache (BSG Urteil vom 22.07.2004 B 3 KR 20/03 R Rdnr. 15 mit weiteren Nachweisen –mwN-). Etwas anderes gelte nur, wenn durch die Auslegung des Landesrechts das Willkürverbot des Grundgesetzes verletzt sei, in diesem Fall sei zu prüfen, ob das Willkürverbot als höherrangiges Bundesrecht verletzt sei (vgl. BSG 220.07.2004 aaO; BSG Urteil vom 12.11.2003 B 3 KR 1/03 R). Nach der Überzeugung der Kammer bestehen aber hier im Hinblick auf die in § 11 Abs. 2 Satz 2 des Hamburger Landesvertrages enthaltene eindeutige Regelung, welche sich ausdrücklich auf Nachforderungen der Krankenhäuser bezieht, keine Zweifel daran, dass hier das Willkürverbot verletzt sein könnte. Soweit die Beklagte im Hinblick auf die in § 275 Abs. 1c SGB V enthaltene Fristenregelung von 6 Wochen aus Gründen der "Waffengleichheit" und des Beschleunigungsgrundsatzes diese auch für Nachforderungen des Krankenhauses anwenden möchte, ist es nach der Auffassung der Kammer auf der Ebene der generellen vertraglichen Regelung hier allein Aufgabe der Vertragspartner, diese ggfs. durch Weiterentwicklung der Abrechnungsbestimmungen zu beheben (vgl. auch BSG 08.09.2009, aaO, Rdnr. 18). Soweit dies hier (noch) nicht erfolgt ist, bedarf es durch das erkennende Gericht damit auch keiner Auslegung der Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 2 des Hamburger Landesvertrages unter Berücksichtigung bzw. unter Anwendung des nach Rechtsprechung des BSG allein beim Nichtvorliegen von vertraglichen Bestimmungen geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Im Übrigen ist unabhängig davon darauf hinzuweisen, dass die hier streitige Nachforderung auch nach der Rechtsprechung des BSG noch fristgerecht von der Klägerin geltend gemacht worden ist. Denn die Rechnung vom 29.12.2009 ist zwar später als sechs Wochen aber noch innerhalb des laufenden Haushaltsjahres und damit auch innerhalb der Verjährungsfrist erstellt worden (BSG 13.11.2012 aaO. Rdnr. 20f m.w.N.). Einer Auslegung der im Landesvertrag enthaltenen Regelung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bedarf es auch nicht im Hinblick auf die vom BSG festgelegten Mindestkorrekturbeträge von Euro 300,- bzw. 5 v.H. des Ausgangsrechnungswertes der korrigierten Rechnung (vgl. BSG 17.12.2009 aaO, Rdnr. 15f; 22.11.2012, aaO. Rdnr. 15f). Der Hamburger Landesvertrag enthält dazu zwar keine Regelung. Soweit die Vertragsparteien des Hamburger Landesvertrags die Frage der Nachforderung in § 11 Abs. 2 Satz 2 jedoch eindeutig geregelt haben, ist trotz fehlender Wertgrenzen nach der Auffassung der Kammer hier weder von einer Regelungslücke noch von einem Verstoß gegen das Willkürverbot auszugehen. Es gilt in diesem Zusammenhang festzustellen, dass der hier streitige Nachforderungsbetrag von Euro 922,57 jedenfalls den vom BSG in diesem Zusammenhang geforderten Mindestbetrag, den es in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V als Pauschale für den Verwaltungsaufwand auf Euro 300,- festgelegt hat, erreicht (vgl. BSG 22.11.2012 aaO. Rdnr. 15). Anders verhält es sich zwar mit dem Mindestwert i.H. von 5 v.H. des Ausgangswertes, das sind hier Euro 1.210,76 (= 5 v.H. von Euro 24.215,19), welcher mit der streitigen Klageforderung allerdings nicht erreicht wird. Allerdings erscheint es nach der Auffassung der Kammer nicht gerechtfertigt, bei Nachforderungen zusätzlich zum Mindestbetrag von Euro 300,- einen Mindestwert in Höhe von 5 v.H. des Ausgangsrechnungswertes zu verlangen, wie es der 3. Senat des BSG in seinen Urteilen entschieden und mit dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme begründet hat (vgl. BSG vom 17.12.2009 aaO, Rdnr. 15; vom 22.11.2012 (aaO; Rdnr. 15). Ausgehend davon, dass die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V typisierend den Verwaltungsaufwand für die Überprüfung einer Rechnung beschreibt, können Nachforderungen, die diesen Aufwand übersteigen, nicht als unverhältnismäßige Belastung der Krankenkasse angesehen werden, denn der zusätzliche Aufwand der Kasse ist in der Regel unabhängig von der Höhe der Nachforderung und fällt demgegenüber das Interesse des Krankenhauses an der Erlangung des Fehlbetrages ins Gewicht. Dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme wird nach Auffassung der Kammer schon dann Rechnung getragen, wenn der Nachforderungsbetrag höher ist als der Aufwand durch die weitere Rechnungsprüfung, so dass es keinen sachlichen Grund gibt, neben der Bagatellgrenze eine weitere Mindestgrenze einzuführen (vgl. dazu auch Knispel, Beschränkungen der nachträglichen Korrektur der Rechnung eines Krankenhauses? Eine kritische Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des BSG, NZS 2013, 685ff, 691). Nach allem war die Beklagte daher antragsgemäß zu verurteilen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 12,14 des Hamburger Vertrages nach § 112 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach trägt die Beklagte als Unterlegene die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert war gemäß § 197a SGG, § 52 Abs. 3 GKG vom Gericht festzusetzen. Er bemisst sich nach der sich aus dem Antrag der Klägerin bezifferter Geldleistung entsprechend der Höhe der Klagforderung und beträgt danach Euro 922, 57.
Rechtskraft
Aus
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