L 6 RI 311/03

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 RI 311/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 29.03.2003 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob dem Kläger eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer zu gewähren ist.

Der im Jahre 1953 geborene Kläger ist gelernter Bau- und Möbelschreiner. Zuletzt war er seit 1976 als Lkw-Fahrer tätig.

In der Zeit vom 02. bis zum 23.11.1999 nahm der Kläger an einer von der Beklagten bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik P in B O teil. Der Kläger wurde als arbeitsfähig und vollschichtig leistungsfähig für mittelschwere Arbeiten in sämtlichen Schichtformen entlassen.

Am 10.02.2000 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit, den die Beklagte mit Bescheid vom 28.04.2000 ablehnte.

Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. B in H vom 24.08.2000 ein. Dieser diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung leichterer Ausprägung und kam zu dem Ergebnis, der Kläger könne zwar als Kraftfahrer nur noch unter vollschichtig tätig sein, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig arbeiten. Daraufhin wies die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.2001 den Widerspruch zurück. Sie stufte den Kläger als Angelernten unteren Ranges ein.

Im sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte der Neurologen und Psychiater Dr. S in H vom 07.06.2001 und R vom 27.07.2001 eingeholt. Weiter hat das Sozialgericht Befundberichte des Dr. H , Radiologe in H , vom 19.02.2001 des Praktischen Arztes D in W vom 20.05.2001 und des Oberarztes der Neurochirurgischen Klinik des Westpfalzklinikums D vom 21.06.2001 aus einem Schwerbehindertenverfahren des Klägers beigezogen.

Weiter hat das Sozialgericht beim letzten Arbeitgeber des Klägers, der M -Großhandel Südwest AG in P , eine Arbeitgeberauskunft vom 07.11.2001 eingeholt. Der Kläger war dort sei Juni 1994 als Kraftfahrer beschäftigt. Außerdem hat das Sozialgericht den Haustarifvertrag des Unternehmens beigezogen.

Das Sozialgericht hat am 28.11.2001 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. B in H vom 28.02.2001 eingeholt. Dieser hat eine posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende Lumboischialgien bei Zustand nach Laminektomie LWK 4 sowie Nukleotomie und Foraminotomie LWK 4/5 und ein Cervikobrachialsyndrom festgestellt. Der Kläger könne noch leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten.

Danach hat das Sozialgericht ein orthopädisches Gutachten des Dr. H in K vom 26.02.2002 eingeholt. Dieser hat einen Zustand nach spinaler Dekompression, lumbosacrale Wurzelreizsymptomatik beidseits, muskuläre Insuffizienz der lumbalen Stützmuskulatur mit hieraus resultierender Minderbelastbarkeit und ein muskuläres Cervicalsyndrom ohne radikuläre Reiz- oder Ausfall-symptomatik festgestellt. Das Leistungsvermögen des Klägers sei derart eingeschränkt, dass ihm selbst leichte Tätigkeiten zumindest für eine begrenzte Zeitspanne nicht zugemutet werden sollten. Es müsse von einer richtungsweisenden Verschlechterung ausgegangen werden, die möglicherweise erneute operative Eingriffe erforderlich mache. Der Kläger sei nicht in der Lage, auch einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.07.2002 hat Dr. H darauf hingewiesen, dass der Gesundheitszustand des Klägers nur durch einen erneuten operativen Eingriff gebessert werden könne. Falls eine versteifende Operationstechnik Anwendung finde, sei von einer postoperativen Rehabilitationsphase von mindestens einem Jahr auszugehen. Danach sei es wahrscheinlich, dass der Kläger innerhalb eines halben Jahres nach der Operation mindestens wieder sechs Stunden täglich arbeiten könne.

Abschließend hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein orthopädisches Gutachten des Dr. B in O vom 14.12.2002 eingeholt. Dr. B hat ein lokales Lumbalsyndrom mit pseudoradikulärem Wurzelreizerscheinungen beidseits und hochgradige Segmentinstabilität L4/5 als Folge eines operativen Eingriffs in diesem Segment mit Bandscheibenentfernung, Erweiterung der knöchernen Begrenzung der Nervenaustritte sowie eine halbseitige Entfernung des Wirbelbogens, ein lokales Cervicalsyndrom mit mäßigen Funktionsstörungen, eine mäßige Funktionsstörung der Schultergelenke als Folge einer Sehnenansatzerkrankung im Supraspinatusbereich beidseits, eine unklare schmerzhafte Funktionsstörung in beiden Hüftgelenken und eine geringe Bewegungsstörung nach Exostosenabtragung im rechten Ellbogengelenk festgestellt. Nicht-orthopädischerseits läge eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Der Kläger sei nur noch in der Lage, weniger als zwei Stunden täglich zu arbeiten. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb der nächsten drei Jahre behoben werden könne. Im Gegenteil sei mit einer schleichenden Verschlechterung zu rechnen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 26.03.2003 hat Dr. B mitgeteilt, der beschriebene Gesundheitszustand läge seit 10.02.2001 vor, dem Zeitpunkt der Untersuchung im W K in K. Nach dieser Untersuchung wurde beim Kläger schließlich am 06.04.2001 eine Laminektomie durchgeführt.

Die Beklagte hat daraufhin ein Vergleichsangebot dahingehend unterbreitet, dass ausgehend vom Eintritt des Leistungsfalles am 10.02.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2001 bis zum 31.08.2004 geleistet werde. Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen.

Mit Urteil vom 02.09.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2001 bis zum 31.08.2004 zu gewähren. Zur Begründung für die Befristung hat das Sozialgericht ausgeführt, anders als nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht sei die Gewährung einer Zeitrente nunmehr der Regelfall, die Gewährung einer unbefristeten Rente die Ausnahme. Renten würden nur dann unbefristet geleistet, wenn es unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Hierzu habe Dr. H überzeugend ausgeführt, dass mit einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes beim Kläger noch gerechnet werden könne. Es seien die Ergebnisse einer gegebenenfalls noch durchzuführenden operativen Versorgung abzuwarten. Aus den Ausführungen des Dr. B ergebe sich zwar, dass ein solcher operativer Eingriff mit erheblichen Risiken verbunden sei. Jedoch könne nur eine operative Restabilisierung eine Besserung bringen. Wegen des relativ hohen Risikos des Misserfolges könne dem Kläger eine solche Operation nicht uneingeschränkt angeraten werden. Die Erklärung des Klägers, er wolle eine bestimmte Operation nicht durchführen lassen, sei für die Frage der Befristung oder Nichtbefristung nicht von Relevanz. Entscheidend sei nicht, ob die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werde, sondern ob sie behoben werden könne. Es genüge die abstrakte Möglichkeit der Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Es sei also abstrakt festzustellen, ob eine Besserung der Leistungsfähigkeit unwahrscheinlich sei oder nicht. Trotz aller Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten der Operation sei eine Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit jedenfalls nicht unwahrscheinlich. Die Rente könne also nur befristet gewährt werden.

Gegen das ihm am 06.10.2003 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger am 03.11.2003 eingelegte Berufung.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, die Rente sei auf Dauer zu gewähren. Es sei nicht entscheidungserheblich, ob die Minderung der Erwerbsfähigkeit wahrscheinlich behoben werden könne, sondern dass es sich hierbei um einen nicht duldungspflichtigen Eingriff handele. Dr. H habe auch darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für eine möglicherweise nach einer Operation wieder bestehende Erwerbsfähigkeit, ein komplikationsloser operativer und postoperativer Verlauf sei, wobei der Sachverständige selbst von einer erheblichen, andauernden, postoperativen Rehabilitationsphase von mindestens einem Jahr ausgehe, wenn die Operation gelinge. Er habe sich ärztlich beraten lassen und erfahren, dass bei einem solchen Eingriff ein erhebliches Operationsrisiko bestehe. Der Erfolg sei durchaus fraglich und er habe sich deshalb entschlossen, sich einer derartigen Operation nicht zu unterziehen. Er könne nicht auf sämtliche auch nur im Entferntesten Erfolg versprechenden Operationsmaßnahmen verwiesen werden.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren vergleichsweise angeboten, die Rente wegen Erwerbsminderung bis zum 28.02.2005 zu leisten.

Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot angenommen und verfolgt die Berufung im Übrigen weiter.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 02.09.2003 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 und in der Fassung des Vergleichs vom 25.02.2004 in vollem Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die über das Vergleichsangebot hinausgehende Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Gründe der angefochtenen Entscheidung.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der vergleichsweisen Einigung der Beteiligten noch die Frage, ob dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab Antragstellung und über den 28.02.2005 hinaus auf Dauer zusteht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer.

Der Senat nimmt zunächst auf die ausführliche und zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug, die er sich vollinhaltlich zu Eigen macht.

Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ist am 10.02.2001 eingetreten. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. B , insbesondere seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.03.2003. Auch vom Kläger wird dieser Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung nicht bestritten. Hieraus folgt, dass das seit 01.01.2001 geltende Rentenrecht zur Anwendung kommt.

Das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem seit 01.01.2001 geltenden neuen Recht die Gewährung einer Dauerrente der Ausnahmefall und folglich regelmäßig nur eine Rente auf Zeit zu gewähren ist. Eine Ausnahme gilt lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI. Danach werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.

Für die Frage, wie das Tatbestandmerkmal "unwahrscheinlich" auszulegen ist, muss in den Blick genommen werden, wie die gesetzliche Regelung bis zum 31.12.2000 aussah. Bis zum 31.12.2000 war die Gewährung einer Dauerrente der Regelfall; lediglich ausnahmsweise wurde die Rente nur auf Zeit geleistet. Nach altem Recht war die Rente auf Dauer zu leisten, wenn die "begründete Aussicht" bestand, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein konnte. Die Formulierung "begründete Aussicht" wurde so ausgelegt, dass die Behebung der Erwerbsminderung überwiegend wahrscheinlich war. Die bloße Möglichkeit einer Behebung der Leistungsminderung war nicht ausreichend (BSG Urteil vom 08.09.1982 - 5b RJ 38/81). Hieraus ergibt sich, dass mit dem neuen Recht eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht mehr erforderlich ist. Nach neuem Recht ist eine Rente nur dann auf Dauer und nicht nur auf Zeit zu leisten, wenn eine Besserung des Gesundheitszustandes und damit die Behebung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich ist. Hiervon ist dann auszugehen, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Krankheitsverlaufes und unter Berücksichtigung der vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten von einem Dauerzustand auszugehen ist. Bei der Frage nach den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten sind alle - auch die nicht duldungspflichtigen - Maßnahmen zu berücksichtigen. Nichts Anderes ergibt sich aus der Regelung des § 65 Abs. 2 SGB I. Die Vorschrift, die u.a. besagt, dass Behandlungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht ausgeschlossen werden kann, abgelehnt werden können, ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn es geht nicht darum, ob der hier in Betracht kommende operative Eingriff eine mitwirkungspflichtige Handlung darstellt, sondern um eine medizinische Prognose. Die Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen der Gewährung einer Zeitrente nach altem Recht unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflichten nach § 65 Abs 2 SGB I kann auf die Neuregelung in § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI daher keine Anwendung mehr finden (vgl zur alten Rechtslage BSG aaO).

Im vorliegenden Fall ist die Besserung des Gesundheitszustandes und die Behebung der Erwerbsminderung nicht unwahrscheinlich. Beim Kläger kann eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes durch eine Operation erreicht werden. Dr. H hat in seinem Sachverständigengutachten ausgeführt, es sei wahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb von drei Jahren behoben oder doch mindestens gebessert sein kann. Es handelt sich hierbei auch nicht nur um eine abstrakte Möglichkeit. Lässt der Kläger die Operation durchführen, ist eine Besserung seines Gesundheitszustandes nicht unwahrscheinlich. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Operation für den Kläger durchaus mit erheblichen Risiken verbunden ist und ein Erfolg nicht garantiert werden kann. Im Hinblick hierauf ist es nachvollziehbar, dass der Kläger die Operation, die einen nicht duldungspflichtigen Eingriff darstellt, ablehnt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass durch diese Operation die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den Erfolgseintritt bedarf es nach neuem Recht nicht mehr. Es steht dem Kläger frei, sich der Operation zu unterziehen oder nicht. Jedoch bleibt es bei der abstrakten Möglichkeit der Besserung des Gesundheitszustandes und damit der Möglichkeit der Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, so dass derzeit nur eine Rente auf Zeit zu leisten ist. Erst nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren ist davon auszugehen, dass es unwahrscheinlich ist, die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beheben. Erst dann steht ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu.

Daraus, dass die Rente im vorliegenden Fall aufgrund der Anwendbarkeit neuen Rechts nur befristet zu leisten ist, folgt zugleich, dass die Rentezahlung erst am 01.09.2001 beginnt (§ 101 Abs. 1 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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