S 14 KR 92/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 92/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Es wird festgestellt, dass der Antrag des Klägers vom 14.08.2015 auf Gewährung einer bariatrischen Operation als Sachleistung vom gem. § 13 Abs. 3a als genehmigt gilt.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V für eine bariatrische Operation.

Der 1968 geb. und jetzt 48-jährige Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 09.08., bei der Beklagten am 14.08.2015 eingegangen, unter Darlegung seiner Krankheitsgeschichte die Übernahme der Kosten für eine Operation, um die Folgen seines Übergewichts zu vermindern. Mit Datum vom 20.08.2015 teilte ihm die Beklagte mit, sie überprüfe gemeinsam mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, ob sie die Behandlungskosten übernehmen könne, und bat um die Einreichung verschiedener Unterlagen. Am 26.08.2016 reichte er den von der Beklagten übersandten "Fragebogen bei Antrag auf eine bariatrische Operation" ein.

Die Beklagte bat den MDK unter Datum vom 25.11.2015 um eine Prüfung der sozialmedizinischen Indikation. In ihrem Gutachten vom 17.12.2015 empfahl Frau Dr. C. aus psychiatrischer Sicht eine Richtlinienpsychotherapie vor Durchführung einer Operation, um eine psychotherapeutische Anbindung zu etablieren. Abschließend werde dann der bariatrische Eingriff befürwortet.

Die Beklagte teilte dem Kläger unter Hinweis auf das Gutachten mit Schreiben vom 22.12.2015 mit, wegen der noch fehlenden psychotherapeutischen Anbindung könne sie zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Kostenzusage geben.

Der Kläger reichte ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28.01.2016 ein. Hierauf gab Frau Dr. C. eine medizinische Stellungnahme ab. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 03.03.2016 erneut mit, dass eine Kostenzusage zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen könne.

Der Kläger hat am 03.05.2016 die Klage erhoben. Er trägt vor, sein Antrag sei erst am 03.03.2016 beschieden worden. Die Beklagte habe die Fünf-Wochen-Frist nicht eingehalten, ohne ihn hierüber zu informieren. Damit sei die Genehmigungsfiktion eingetreten. Dies gelte auch für einen Sachleistungsanspruch. Er habe sich am 31.05.2016 bei einer Psychotherapeutin vorgestellt. Diese sei nach einem einstündigen Gespräch zu dem Schluss gelangt, ihm nicht helfen zu können.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass sein Antrag auf Gewährung einer bariatrischen Operation als Sachleistung vom 14.08.2015 gem. § 13 Abs. 3a als genehmigt gilt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Bzgl. der Problematik des § 13 Abs. 3a SGB V seien noch zwei Revisionsverfahren anhängig. Die pauschale Angabe des Klägers, nach einem einstündigen Gespräch sei die Therapeutin zu dem Schluss gelangt, ihm nicht helfen zu können, reiche nicht aus, um die Feststellungen des MDK zu entkräften.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 23.01.2017 angehört.

Die erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Absatz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.

Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die begehrte Behandlung als genehmigt gilt, liegt vor. Ein Interesse ist berechtigt, wenn es nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigt ist; es kann rechtlicher oder als schutzwürdig anzuerkennender tatsächlicher, insb. wirtschaftlicher oder ideeller Art sein. Der Klägerin hat ein solches Feststellungsinteresse, weil mit der gerichtlichen rechtskräftigen Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion die Klägerin ohne Kostenrisiko sich die begehrten Leistungen selbst beschaffen und Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen kann. Ohne gerichtliche rechtskräftige Feststellung der Genehmigungsfiktion trägt er im Hinblick auf die grundsätzliche Einhaltung des Beschaffungsweges das Risiko, die Kosten für die Maßnahme selbst tragen zu müssen (vgl. SG Mainz, Urt. v. 25.07.2016 - S 12 KR 28/16 - juris Rdnr. 13 m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet. Der Antrag des Klägers auf Gewährung einer bariatrischen Operation als Sachleistung vom 14.08.2015 gilt gem. § 13 Abs. 3a als genehmigt.

Nach § 13 Absatz 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung hat, setzt der Erstattungsanspruch nach seinem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht (§ 13 Abs. 3a S. 5 SGB V) und dem Eintritt der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs. 3a S. 6 SGB V) voraus, dass die Krankenkasse keinen oder keinen hinreichenden Grund mitteilte. Nur die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die Krankenkasse zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut - ggf. wiederholt - mitteilen. Erst wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der letzten, hinreichend begründeten Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Weiter führt das BSG aus, dass die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch begründet. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (BSG, Urt. v. 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE (vorgesehen) = SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, juris Rdnr. 20 ff.).

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei bzw. fünf Wochen beschieden, ohne dem Kläger Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen. Die Frist von fünf Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des MDK eingeholt hat. Die Frist begann am 15.08.2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB) und endete am Freitag, dem 18.09.2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Die Entscheidung der Beklagten erging erst am 22.12.2015 und damit nach Fristablauf. Die Entscheidung ging damit ins Leere.

Der Antrag des Klägers war hinreichend bestimmt. Die Beklagte hat ihn jedenfalls so aufgefasst und den entsprechenden Fragebogen übersandt und weitere Unterlagen angefordert. Der Kläger durfte die Leistung auch für notwendig und erforderlich halten, weil sie ihm von seinen behandelnden Ärzten empfohlen worden war. Die Leistung gehört auch grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Genehmigungsfiktion gilt auch, was das BSG bereits entschieden hat, für einen Sachleistungsanspruch. Weitere Anforderungen an die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistung sind gerade nicht zu prüfen. Von daher sah die Kammer auch keine Veranlassung, die beiden weiteren anhängigen Revisionsverfahren abzuwarten. Die Beklagte hat die Genehmigung bisher auch nicht zurückgenommen.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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