L 11 KR 578/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 107/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 578/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 31.01.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme von Krankentransportleistungen zur Physiotherapie.

Die 1968 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. verordnete der Antragstellerin postoperativ wegen der Diagnose S83.50G (Bezeichnung für Verstauchung und Zerrung des Kniegelenkes: Nicht näher bezeichnetes Kreuzband) am rechten Knie Physiotherapie und die Krankenbeförderung zur Physiotherapiepraxis. Die Behandlung sollte mit einer voraussichtlichen Behandlungsfrequenz von zweimal wöchentlich über einen Monat stattfinden.

Am 11.01.2017 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin telefonisch mit, dass die Genehmigung für die Fahrten zur ambulanten Behandlung nicht erteilt werde.

Am 12.01.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und die umgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Genehmigung der ärztlich verordneten Krankenbeförderung gefordert. Seit Entlassung aus dem Krankenhaus am 04.01.2017 könne sie sich nur mit Hilfe von zwei Gehhilfen unter großer Kraftanstrengung innerhalb ihrer Wohnung fortbewegen. Sie müsse wöchentlich zwei bis drei physiotherapeutische Behandlungen wahrnehmen. Da sie die Praxis nicht selbstständig aufsuchen könne und auf Hilfe von Dritten angewiesen sei, habe ihr Hausarzt Krankenbeförderung verordnet. Weiteres Abwarten bedeute eine schwere Notlage, da sie die Leistung sofort benötige.

Am 15.01.2017 hat die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.01.2017 erhoben, über den noch nicht entschieden worden ist.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten und hat ausgeführt, dass sie die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.01.2017 darauf hingewiesen habe, dass die Fahrtkosten im Zusammenhang mit ambulanten Leistungen der Krankenkasse nicht übernommen werden könnten. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) sähen nur zwei Fallgestaltungen für die Ausnahmeregelung vor, die hier offensichtlich nicht erfüllt seien. Es sei auch kein Anordnungsgrund ersichtlich.

Mit Beschluss vom 31.01.2017 hat das SG den Antrag abgelehnt. Bereits ein Anordnungsanspruch iSv § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei zweifelhaft. Die Antragstellerin erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Übernahme der Fahrtkosten nach § 60 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Nr 1 bis 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Es gehe nicht um Fahrten im Zusammenhang mit einer stationären Behandlung, Rettungsfahrten oder Fahrten, während derer eine besondere Betreuung oder Ausstattung des Transportmittels erforderlich sei und auch nicht um Fahrten zu einer ambulanten Behandlung, die eine an sich gebotene voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung vermeiden oder verkürzen solle. Fahrten zu ambulanten Behandlungen würden gemäß § 60 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V nur nach vorheriger Genehmigung der Krankenkasse in besonderen Ausnahmefällen übernommen, die der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 1 Nr 12 SGB V festgelegt habe. Nach § 8 Abs 2 Krankentransportrichtlinie liege ein Ausnahmefall vor, wenn der versicherte Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise. Die hohe Therapiefrequenz sei durch wertungsmäßigen Vergleich mit den in § 8 Krankentransportrichtlinie normierten Regelbeispielen zu bestimmen. Weiterhin müsse die Behandlung oder der hierzu führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigen, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei. Solche Ausnahmefälle seien zB Dialysebehandlung oder onkologische Strahlen- und Chemotherapie (§ 8 Abs 2 Satz 2, 3 iVm Anlage 2 der Krankentransportrichtlinie). Weitere Ausnahmefälle seien ein Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung (aG)", "Blind (Bl)" oder "hilflos (H)", ein pflegeversicherungsrechtlicher Einstufungsbescheid in die Pflegestufe II oder III oder nach § 8 Abs 3 Satz 2 Krankentransportrichtlinie die Erfüllung der entsprechenden Sachkriterien. Bei der hier vorliegenden Diagnose mit voraussichtlicher Behandlungsdauer von zweimal wöchentlich über die Dauer von einem Monat handele es sich nicht um eine Erkrankung, die mit den in Anlage 2 der Krankentransportrichtlinie vergleichbar sei. Unabhängig davon fehle es an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin habe dargelegt, dass sie nicht selbstständig eine physiotherapeutische Praxis aufsuchen könne. Es sei nicht ersichtlich, dass sie nicht in der Lage wäre, die Kosten für Fahrten zunächst selbst zu tragen, welche sie bei Obsiegen im Hauptsacheverfahren erstattet bekäme. Wirtschaftliche Verhältnisse, die dies unzumutbar erscheinen ließen, habe sie nicht dargelegt.

Gegen den ihr am 03.02.2017 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 14.02.2017 Beschwerde eingelegt. Die Ablehnung ihres Antrags sei aufgrund einer Stellungnahme erfolgt, die nicht von der Antragsgegnerin selbst stamme, sondern einer anderen Krankenkasse (m.), die gar nicht Antragsgegnerin sei. Die Antragsgegnerin selbst habe somit versäumt, vor dem SG eine Stellungnahme abzugeben. Abgesehen davon sei der Schriftsatz auch nicht unterzeichnet gewesen oder habe einen entsprechenden Zusatz enthalten. Im Übrigen habe sie nachgewiesen, dass ihr schwerwiegende gesundheitliche Nachteile drohten, wenn keine regelmäßige physiotherapeutische Behandlung erfolge. Die Behauptung des SG, dass nur eine Behandlungsdauer von einem Monat vorliege, sei sachfremd und realitätsfern. Mitnichten sei die Behandlung zum aktuellen Zeitpunkt beendet, noch sei deren Ende absehbar.

Die Antragsgegnerin hat sich mit Schreiben vom 22.02.2017 entschuldigt, dass versehentlich die Adresse der m. in L. auf dem Briefkopf verwendet worden sei. Dieser bedauerliche Umstand habe jedoch auf die rechtliche Bewertung der Sache keinen Auswirkung.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 Satz 1 SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, denn das SG hat zu Recht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Nach § 86 Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige An-ordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen (Regelungsanordnung).

Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242).

Soweit die Antragstellerin rügt, eine Stellungnahme der Antragsgegnerin liege im Verfahren vor dem SG wegen der Verwendung des falschen Briefkopfs und fehlender Unterschrift gar nicht vor, spielt dies für das Verfahren keine Rolle. Das Gericht kann ohne weiteres auch entscheiden, wenn im Eilverfahren überhaupt keine Stellungnahme des Antragsgegners erfolgt. Die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin lagen dem SG (wie auch dem Senat) als Beurteilungsgrundlage vor.

Der Senat weist die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin weiterhin keinerlei Gründe geltend gemacht hat, die eine Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) begründen könnten. Ihrer Beschwerdebegründung ist zu entnehmen, dass sie offenbar die physiotherapeutische Behandlung aktuell durchführt. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie für die hierfür ggf anfallenden Fahrtkosten etwa bei Benutzung eines Taxis nicht vorläufig selbst aufkommen könnte. Hierzu hat sie auch nichts vorgetragen, obwohl das SG seine Entscheidung auch bereits auf diesen maßgebenden Gesichtspunkt gestützt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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