L 5 R 4024/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2166/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4024/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04.10.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1965 in K. geborene Kläger, gelernter Maschinentechniker, lebt seit 1988 in Deutschland. Vom 16.08.1988 bis 24.02.2013 war er im Unternehmen seiner Ehefrau (privates Alten- und Pflegeheim), von der er nach der Trennung im Jahr 2011 mittlerweile geschieden ist, als Haustechniker/Hausmeister versicherungspflichtig beschäftigt. Am 12.01.2013 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Seit 29.06.2014 bezog er Arbeitslosengeld.

Vom 16.04.2013 bis 21.05.2013 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der V. Klinik, Bad R ... Im Entlassungsbericht vom 10.06.2013 sind die Diagnosen mittelgradige depressive Episode, V.a. Omarthrose rechts, arterielle Hypertonie und Z.n. Knie-ASK wegen Kreuzbandriss festgehalten. Der Kläger könne als Haustechniker 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und in gleichem Umfang schwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten. Er werde arbeitsunfähig entlassen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers mit Hilfe einer erfolgreichen ambulanten Richtlinienpsychotherapie und einer weiteren psychiatrischen Mitbehandlung mittelfristig wieder hergestellt werden könne.

Am 14.08.2014 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Er halte sich wegen einer psychosomatischen Erkrankung, Depressionen und Bluthochdruck für erwerbsgemindert.

Die Beklagte zog Arztunterlagen bei und erhob das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. H. vom 25.11.2014. Dieser diagnostizierte auf Grund der Untersuchung des Klägers am 25.11.2014 eine länger dauernde und rezidivierende Anpassungsstörung, paranoide Persönlichkeitsmerkmale, eine Somatisierung mit Spannungskopfschmerzen, Schwankschwindel, Tinnitus und Magenbeschwerden, eine distale Polyneuropathie mit ausreichend sicherem Gehen und Stehen sowie Wirbelsäulenbeschwerden ohne relevante Einschränkung. Der Kläger konsultiere seit 2012 alle 3 Monate - zuletzt vor einem halben Jahr - einen Nervenarzt (kein neuer Termin vereinbart). Eine ambulante Psychotherapie habe er nicht absolviert; auch eine stationäre psychiatrische Behandlung habe nicht stattgefunden. Der Kläger nehme Blutdrucktabletten und das Schlafmittel Mirtazapin. Zum psychischen Befund führte der Gutachter (u.a.) aus, die Grundstimmung sei nicht depressiv. Affektive Schwingungsfähigkeit, Antrieb und Psychomotorik seien unauffällig. Es bestehe keine Affektlabilität, keine Agitation und keine Hemmung. Der Kläger habe sich nach eigenen Angaben - vergeblich - um eine Arbeitsstelle beworben. Nach seinen Angaben auf dem SFSS-Fragebogen (Strukturierter Fragebogen simulierter Symptome) sei von Aggravation auszugehen. Als Haustechniker könne der Kläger im Unternehmen seiner geschiedenen Ehefrau nicht (bzw. nur unter 3 Stunden täglich) arbeiten, die gleiche Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber aber 6 Stunden täglich und mehr und in gleichem Umfang mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen: keine Nachtschicht, kein erhöhter Zeitdruck) verrichten.

Mit Bescheid vom 10.12.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen am 09.01.2015 erhobenen Widerspruchs legte der Kläger Arztunterlagen vor (u.a. Attest der Allgemeinärztin - Hausärztin des Klägers - Dr. K. vom 03.03.2015: Gesundheitszustand des Klägers wegen eines inzwischen diagnostizierten Bandscheibenvorfalls verschlechtert).

Die Beklagte erhob das Gutachten des Orthopäden Dr. Sch. vom 11.05.2015. Dieser diagnostizierte auf Grund der Untersuchung des Klägers am 15.04.2015 ein Cervicalsyndrom bei Osteochondrose mit Uncarthrose HWK 5/6, 6/7, Periarthritis humeroscapularis linke Schulter mit Supraspinatustendinitis ohne Kapselmuster, Epicondylus radialis linker Ellenbogen, Ischiolumbalgie bei linkskonvexer thorakolumbaler Torsionsskoliose mit Osteochondrose L1 - L5 und einen altersentsprechenden Hüftbefund. Als Hausmeister könne der Kläger nur noch unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts aber (unter qualitativen Einschränkungen: Tätigkeit im Wechselrhythmus, überwiegend/zeitweise im Sitzen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 27.07.2015 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhob. Er sei wegen Bluthochdrucks, Tinnitus, einem Bandscheibenvorfall, Schmerzen im linken Arm und wegen eines Taubheitsgefühls in der linken Hand erwerbsgemindert.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids entgegen.

Das SG befragte behandelnde Ärzte. Der Neurologe und Psychiater B. gab im Bericht vom 15.02.2016 an, der Kläger werde seit 18.02.2013 behandelt (Behandlungstermine seit August 2014: 21.10.2014, 05.02.2015, 20.04.2015, 03.08.2015, 11.11.2015). Es sei jeweils eine leicht- bis mittelgradige depressive Störung festgestellt worden. Eine Leistungseinschätzung könne nicht abgegeben werden. Dr. K. teilte im Bericht vom 09.03.2016 mit, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit Mai 2015 bezüglich Schmerzen deutlich verschlechtert; deswegen sei auch die Depression stärker. Als Hausmeister könne der Kläger nicht mehr arbeiten und auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr verrichten. Der Orthopäde Dr. L. gab im Bericht vom 12.05.2016 an, er behandele den Kläger seit 03.02.2015 (bis 01.02.2016 insgesamt 7 Behandlungstermine). Die Gesundheitsstörungen des Klägers verminderten die Leistungsfähigkeit als Haustechniker. Leichte körperliche Tätigkeiten sollten (unter qualitativen Einschränkungen) aber mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten sein.

Das SG erhob das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. A. vom 12.07.2016. Diese diagnostizierte auf Grund der Untersuchung des Klägers am 06.07.2016 eine chronifizierte depressive Störung im Sinne einer Dysthymie (zum psychischen Befund u.a.: Stimmungslage überwiegend subdepressiv mit eingeschränkter affektiver Resonanz, positive Affizierbarkeit erhalten). Es bestehe ein ausgeprägtes Rückzugsverhalten mit Versorgungswünschen und fehlender Behandlungsmotivation; der Kläger benötige nach eigenen Angaben zunächst die Rente, dann könne er sich weitere (Behandlungs-)Schritte überlegen. Der Kläger nehme ein sedierendes Antidepressivum zur Nacht ein; hierunter sei der Schlaf gut. Weitere Behandlungen fänden nicht statt. Der Nervenarzt werde alle paar Monate aufgesucht. Der Kläger klage über Schulter-, Knie- und Rückenschmerzen. Das Ausmaß einer somatoformen Schmerzstörung werde aber nicht erreicht. Radikuläre Defizite gebe es nicht. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen: keine besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, keine Nachtarbeit) mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Sein Gesundheitszustand könnte bei entsprechender Motivation durch eine Intensivierung der therapeutischen Maßnahmen (nach Abschluss des Rentenverfahrens) gebessert werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.10.2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger könne Erwerbsminderungsrente (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) nicht beanspruchen. Er sei nicht erwerbsgemindert, weil er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne (§ 43 Abs. 3 SGB VI); die auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen hinderten ihn daran nicht. Das gehe aus den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erhobenen Rentengutachten der Dres. H., Sch. und A. sowie aus dem Bericht des Dr. L. hervor. Der abweichenden Auffassung der Dr. K. sei nicht zu folgen. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für den 1965 geborenen Kläger nicht in Betracht.

Gegen den ihm am 07.10.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.11.2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung bekräftigt er sein bisheriges Vorbringen. Die bei ihm vorliegenden Krankheiten (Nackenschmerzen links und Rückenbeschwerden, ACG-Arthrose links, sehr starke traumatisierte Depression, chronisches Schmerzsyndrom, arterielle Hypertonie) führten in der Gesamtheit zu einer rentenberechtigenden Leistungsminderung. Die Erkrankungen hätten eine Verschlimmerungstendenz.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04.10.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2015 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Er hat darauf keinen Anspruch.

Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist, und weshalb ihm danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend sei angemerkt:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht aus den Verwaltungsgutachten der Dres. H. und Sch. vom 25.11. 2014 bzw. 11.05.2015 und aus dem Gerichtsgutachten der Dr. A. vom 12.07.2016 schlüssig und überzeugend hervor. Stichhaltige Einwendungen gegen die rentenrechtliche Leistungsbeurteilung der Gutachter sind nicht erhoben worden. Die abweichende Auffassung der Dr. K. im Bericht vom 09.03.2016 stellt eine ärztliche Meinungsäußerung, jedoch keine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische (rentenrechtliche) Leistungseinschätzung dar. Die Erkrankungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet bedingen qualitative, jedoch keine rentenberechtigenden quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen. Gleiches gilt für die Erkrankungen des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet. Eine sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Erkrankung des depressiven Formenkreises liegt nicht vor; Dr. A. hat insoweit lediglich eine (hierfür nicht ausreichende) Dysthymie gefunden. Eine leitliniengerechte Depressionsbehandlung hat auch zu keiner Zeit stattgefunden; der Kläger hat nur sporadisch in mehrmonatigen Abständen einen Nervenarzt aufgesucht. Wenn (tatsächlich) eine sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Erkrankung des depressiven Formenkreises vorliegt, finden - schon wegen des entsprechenden Leidensdrucks - regelmäßig angemessene und multimodale psychopharmakologische, psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlungen (ambulant bzw. auch teilstationär und stationär) statt. Depressionserkrankungen führen zudem nicht unbesehen zur Berentung. Sie sind vielmehr behandelbar und auch zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI angenommen werden kann (vgl. etwa Senatsurteil vom 25.05.2016, - L 5 R 4194/13 -, in juris). Wie aus den einschlägigen Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Leitlinien, Stand 2012) hervorgeht, bedingt eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine ungünstige Prognose bezüglich der Erwerbsfähigkeit kommt danach (erst) in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: Eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulante und stationäre, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe (z.B. Lithium, Carbamazepin, Valproat), eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Komorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlung (Leitlinien S. 101 f.). Eine Fallgestaltung dieser Art liegt beim Kläger nicht vor.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen, nicht auf.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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