S 42 P 55/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
42
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 42 P 55/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 P 51/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2003 verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft anzunehmen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung.

Die Klägerin erhält seit dem 01.01.2003 von der Stadt E Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Sie beantragte am 25.03.2003 gegenüber der Beklagten den Beitritt zur sozialen Pflegeversicherung.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26.03.2003 ab. Zur Begründung ist ausgeführt, die Beitrittsmöglichkeit solle nach dem Gesetz denjenigen benachteiligten Personen eingeräumt werden, die sonst keinen Zugang zur Pflegeversicherung hätten. Die Klägerin hingegen könne bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit vergleichbare Ansprüche gegen den Träger der Sozialhilfe geltend machen. Das Beitrittsrecht sei ausdrücklich für solche Personen ausgeschlossen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhielten bzw. nicht selbst in der Lage seien, den Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, welchen sie damit begründete, dass sie Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz erhalte, nicht aber solche nach dem Bundessozialhilfegesetz. Ein Leistungsbezug nach dem Grundsicherungsgesetz stehe dem Beitritt zur sozialen Pflegeversicherung eindeutig nicht entgegen. Durch den Leistungsbezug sei sie auch sehr wohl in der Lage, einen Versicherungsbeitrag zu entrichten. Die Leistungshöhe liege über dem vergleichbaren Sozialhilfesatz.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 30.07.2003 als unbegründet zurück. Sie begründete diese Entscheidung damit, dass die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz funktionsgleich seien mit den Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Hiergegen richtet sich die am 07.08.2003 erhobene Klage.

Die Klägerin trägt vor, sie habe zwischen 1992 und 2002 Sozialhilfe bezogen und sei in dem betreffenden Zeitraum nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz seien eigenständig und vorrangig vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu realisieren. Der Ausschlusstatbestand hinsichtlich des Beitritts zur freiwilligen Pflegeversicherung gelte indessen abschließend nur für Sozialhilfeempfänger. Das Grundsicherungsgesetz habe gerade den Sinn und Zweck, ein Leben unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu ermöglichen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2003 zu verurteilen, ihren Antrag auf Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft anzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.

Das Gericht hat von der Stadt E eine Auskunft eingeholt über die Höhe der Leistungen an die Klägerin nach dem Bundessozialhilfegesetz und nach dem Grundsicherungsgesetz. Wegen des Inhalts dieser Auskunft wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.10.2003 verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2003 ist mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen. Die Beklagte ist verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft anzunehmen.

Personen mit Wohnsitz im Inland, die nicht pflegeversichert sind, weil sie zum Zeitpunkt der Einführung der Pflegeversicherung am 01. Januar 1995 trotz Wohnsitzes im Inland keinen Tatbestand der Versicherungspflicht oder der Mitversicherung in der sozialen oder privaten Pflegeversicherung erfüllten, sind nach § 26 a Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) berechtigt, die freiwillige Mitgliedschaft bei einer der nach § 48 Abs. 2 SGB XI wählbaren sozialen Pflegekasse zu beantragen. Die Klägerin zählt zu diesem Personenkreis. Sie war am 01. Januar 1995 nicht versicherungspflichtig zur Pflegeversicherung, denn sie war zu diesem Zeitpunkt nicht krankenversichert, vielmehr Empfängerin von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, wie ihr von der Beklagten nicht bestrittener Prozessvortrag ausweist. Auch in den Folgejahren ist Versicherungspflichtigkeit bei der Klägerin nicht eingetreten.

Ihre sonach bestehende Berechtigung, die freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten zu beantragen, hat die Klägerin wirksam realisiert. Sie hat die betreffende Beitrittserklärung fristgerecht der Beklagten gegenüber abgegeben. Zwar ist nach Maßgabe von § 26 a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 SGB XI der Beitritt gegenüber der gewählten Pflegekasse grundsätzlich bis zum 30. Juni 2002 zu erklären, wohingegen die Klägerin den hiesigen Beitrittsantrag erst am 25.03.2003 gefertigt hat, ab dem 01. Juli 2002 besteht nach § 26 a Abs. 3 Satz 1 SGB XI indessen ein Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung auch für nichtversicherungspflichtige Personen mit Wohnsitz im Inland, bei denen die Ausschlussgründe nach § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI weggefallen sind.

Dieser Ausnahmetatbestand greift im Falle der Klägerin ein. Mit der Inempfangnahme von Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 29.06.2001 (BGBl. I, S. 1335), in Kraft getreten zum 01.01.2003, ist der Ausschlussgrund nach § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI für die Klägerin weggefallen. § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI nimmt Personen vom Beitrittsrecht zur freiwilligen Pflegeversicherung aus, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz beziehen, sowie Personen, die nicht selbst in der Lage sind, einen Beitrag zu zahlen. Die Klägerin hat Hilfe zum Lebens unterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz hingegen nur bis zum 31.12.2002 bezogen und sie ist zur Überzeugung der Kammer jedenfalls seit dem 01.01.2003 auch in der Lage, einen Beitrag zur freiwilligen Pflegeversicherung zu entrichten. Letzteres ergibt sich unmittelbar aus dem Wechsel der Leistungen zur Jahreswende 2002/2003. Hat die Klägerin bis dahin monatliche Leistungen von 000,00 Euro in Empfang genommen, so wurde sie nach der Auskunft der Stadt E, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, mit dem Bezug von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz bessergestellt insofern, als sie nunmehr 000,00 Euro monatlich erhält. Allein durch den Differenzbetrag ist die Klägerin zur Überzeugung der Kammer unproblematisch in der Lage, den monatlichen Beitrag zur freiwilligen Pflegeversicherung zu zahlen, der nach eigener Einschätzung der Beklagten sich zwischen etwa 12 und 15 Euro bewegt.

Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, die von der Klägerin empfangenen Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz seien unter den ersten Ausschlusstatbestand des § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI zu subsumieren. Diese Rechtsauffassung findet keine Stütze im Gesetz. Der Wortlaut des § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI benennt vielmehr nur laufende Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz, nicht solche nach dem Grundsicherungsgesetz. Wenn die Beklagte den Antrag der Klägerin in dem Bescheid vom 26.03.2003 mit der Begründung abgelehnt hat, die Klägerin beziehe "laufende Hilfe zum Lebensunterhalt", so hat sie den Gesetzeswortlaut des § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI grob verkürzt wiedergegeben, insbesondere versäumt, den zutreffenden Wortlaut der Vorschrift zu zitieren, wonach diese Hilfe "nach dem Bundessozialhilfegesetz" empfangen werden muss. Im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte diese Begründung nicht aufrechterhalten und nunmehr darauf abgestellt, dass laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz und Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz funktionsgleich seien. Im Gesetz findet sich indessen gerade kein Hinweis darauf, dass auch "funktionsgleiche" Leistungen den Beitritt zur freiwilligen Pflegeversicherung verhindern sollen, und angesichts der Unmissverständlichkeit des Wortlauts der Vorschrift und ihres Regelungsgehalts scheidet auch eine analoge Erstreckung auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz aus. Der § 26 a SGB XI ist überhaupt erst in Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 (Az.: 1 BvR 81/98) ins Gesetz eingefügt worden. Die Einführung erfolgte erst durch Gesetz vom 14.12.2001 (BGBl. I, S. 3728). Zu diesem Zeitpunkt aber war das Grundsicherungsgesetz bereits beschlossen. Es ist gesetzgeberisch beschlossen worden als Bestandteil des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens, und zwar am 26.06.2001 (BGBl. I, S. 1310 ff.). Mit diesem Gesetz sind Anpassungen in anderen Gesetzen vorgenommen worden, etwa im Ersten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB I) oder im Wohngeldgesetz, um dem neuen Dualismus aus Sozialhilfe und Grundsicherung Rechnung zu tragen. Hätte der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Dualismus wenige Monate später bei Schaffung des § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz auf eine Stufe stellen wollen mit Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, so hätte er den Wortlaut dieser Vorschrift nur geringfügig erweitern müssen. Dies ist jedoch gerade unterblieben.

Gemäß § 26 a Abs. 3 Satz 2 SGB XI musste die Klägerin ihr Beitrittsrecht bis spätestens zum 31.03.2003 ausüben. Dies hat sie mit dem Beitritt vom 25.03.2003 erfüllt.

Der Klage war daher stattzugeben, wobei sich die Kostenentscheidung aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergibt.
Rechtskraft
Aus
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