S 20 SO 64/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 64/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die von ihm im Hilfefall N. U. vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 erbrachten Aufwendungen in Höhe von 50.811,83 EUR zu erstatten. Der Kläger trägt 77 v. H. , der Beklagte 23 v. H. der Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird für die Zeit vom 10.05. bis 24.11.2016 auf 220.815,89 EUR, für die Zeit ab 24.11.2016 auf 50.811,83 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten (zuletzt noch) über die Erstattungen der Aufwendungen des Klägers für Leistungen der Jugendhilfe zu Gunsten eines seelisch und geistig behinderten Kindes für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 in Höhe von 50.811,83 EUR.

Der am 02.10.2002 N. U. (im Folgenden: Hilfeempfänger/HE) ist seelisch und geistig behindert; bei ihm bestehen eine Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, ein Zustand nach Reaktion auf schwere Belastungen, Anpassungsstörungen sowie eine mittelgradige geistige Behinderung (IQ von 37 – 47, gemessen 2015).

Seit dem 15.08.2011 erhielt der HE Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII, zunächst von der Stadt Heinsberg, sodann – auf Grund eines Zuständigkeitswechsels – ab 01.12.2012 vom Kläger. Bereits seit dem 12.08.2012 war der HE in einem Heim untergebracht und erhielt entsprechende Hilfe gemäß § 34 SGB VIII. Im Hinblick auf die vorrangige Zuständigkeit des Beklagten, der den Leistungsfall ab 01.10.2016 übernommen hat, beendete der Kläger seine Leistungen zum 30.09.2016.

Mit Schreiben vom 28.10.2013, beim Beklagten eingegangen am 31.10.2013, stellte der Kläger einen "Antrag auf Erstattungsanspruch". Er führte aus, er leiste für den HE "ab dem 01.11.2013 eine vorläufige Sozialleistung gem. § 43 SGB I in Form der Eingliederungshilfe". Weiter heißt es in dem Schreiben: "Bereits seit dem 17.08.2012 erfolgte die Unterbringung des Kindes in Form der Heimerziehung gem. §§ 27 und 34 SGB VIII im Kinderdorf St. Josef, Heimverbund Region Heinsberg, 41844 Wegberg. Am 23.08.2013 wechselte N. in die Außenwohngruppe "Roetgen" des Agnesheim Stolberg, Jennepeter Strasse 38, 52159 Roetgen. Von dort wird ab dem 01.11.2013 auch die Leistung nach § 43 SGB I erbracht. Aufgrund des vorliegenden Gutachtens und der weiteren vorliegenden Unterlagen liegt bei N. eine geistige Behinderung vor. Aus diesem Grund beantrage ich die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII. Gleichzeitig melde ich gem. § 104 SGB X Erstattungsanspruch an. Ich darf Sie bitten, den Eingang dieses Antrages sowie meinen Erstattungsanspruches zu bestätigen. Sollte die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII vorliegen, bitte ich um Anerkennung Ihrer Kostenerstattungsverpflichtung ab dem 01.11.2013."

Mit Schreiben vom 11.11.2015 erkannte der Beklagte einen Erstattungsanspruch des Klägers ab dem 01.11.2013 dem Grunde nach an.

Mit Schreiben vom 23.11.2015, beim Beklagten eingegangen am 26.11.2015, wies der Kläger erneut darauf hin, dass der HE bereits seit August 2012 im Rahmen der Heimerziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII untergebracht sei und er – der Kläger – mit Datum vom 28.10.2013 Kostenerstattung beantragt habe; der Kläger bat daher unter Anwendung des § 111 SGB X um Anerkennung der Kostenerstattungspflicht ab 01.11.2012.

Da der Beklagte kein weitergehendes Kostenerstattungsanerkenntnis für den vor dem 01.11.2013 liegenden Zeitraum abgab, hat der Kläger am 10.05.2016 Klage auf Erstattung seiner Aufwendungen ab 01.12.2012 erhoben. Er hat die bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung entstandenen Aufwendungen auf "derzeit 188.090,58 EUR" beziffert. Er hat zunächst behauptet, der Beklagte habe "trotz vorliegender Kostenaufstellung" nicht gezahlt; aus dem Kostenanerkenntnis könne er keine Maßnahmen gegen den Beklagten einleiten; insofern sei Klage geboten. Nach Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten ab 01.10.2016 hat der Kläger seine Aufwendungen für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.09.2016 auf 220.815,89 EURO beziffert und den Beklagten aufgefordert, die Forderung bis 10.11.2016 zu begleichen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 28.03.2017 klargestellt, dass sein früherer Vortrag, der Beklagte habe "trotz vorliegender Kostenaufstellung" nicht gezahlt, so nicht richtig sei; er habe eine endgültige Kostenaufstellung und prüffähige Unterlagen erst nach Übernahme des Falles durch den Beklagten, d. h. nach dem 30.09.2016 vorlegen können und dies auch getan.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, bereits mit Schreiben vom 11.11.2015 den Erstattungsanspruch für die Zeit ab 01.11.2013 anerkannt zu haben, und erklärt, dieses Anerkenntnis habe weiter Bestand. Prüffähige Unterlagen bezüglich der Forderungen ab 01.11.2013 seien bei ihm erst am 12.11.2016 eingegangen.

Nach Eingang der prüffähigen Unterlagen für den gesamten, bis dahin streitbefangenen Zeitraum vom 01.12.2012 bis 30.09.2016 hat der Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 01.11.2013 bis 30.09.2016 Aufwendungen in Höhe von 169.544,06 EUR gezahlt. Im Übrigen hat er die Forderung des Klägers für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 in Höhe von 50.811,83 EUR der Höhe nach unstreitig gestellt. Am 24.11.2016 hat der Kläger das Teilkostenanerkenntnis des Beklagten für die Zeit vom 01.11.2013 bis 30.09.2016 angenommen und die Klage auf den Erstattungszeitraum vom 01.12.2012 bis 31.10.2013, die Erstattungsforderung auf 50.811,83 EUR beschränkt.

Der Kläger meint, die Ausschlussfrist des § 111 SGB X beginne erst nach Ablauf des letzten Tages, an dem die Leistung erbracht worden sei. Angewendet auf den vorliegenden Jugendhilfefall bedeute dies, dass die Frist noch gar nicht begonnen habe, da es sich um eine laufende Gesamtleistung handele. Insoweit verweist der Beklagte auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 19.08.2010 – 5 C 14/09.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm die im Eingliederungsfall N. U. für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 entstanden Kosten in Höhe von 50.811,83 EURO zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erkennt grundsätzlich im Hinblick auf die geistige Behinderung des HE seine gegenüber dem Kläger vorrangige Leistungsverpflichtung nach dem SGB XII auch für Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 an und bejaht daraus resultierend auch dem Grunde nach die Tatbestandsvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des Klägers nach § 104 Absatz 1 Satz 1 SGB X; allein wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist gemäß § 111 SGB X hält er jedoch den Erstattungsanspruch für die Zeit ab 01.12.2012 bis 31.10.2013 für ausgeschlossen. Er verweist darauf, der Kläger habe mit dem am 31.10.2013 eingegangenen Schreiben Kostenerstattung ausdrücklich ab 01.11.2013 geltend gemacht; daraufhin sei mit Schreiben vom 11.11.2015 die Erstattungsverpflichtung ab 01.11.2013 anerkannt worden. Erst mit dem am 26.11.2015 eingegangenen Schreiben habe der Kläger auch für den Zeitraum 01.11.2012, mit der Klage korrigiert auf die Zeit ab 01.12.2012, bis 31.10.2013 Erstattung beansprucht; dies sei nicht fristgerecht im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X gewesen. Der Beklagte hält die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung des BVerwG für nicht überzeugend und verweist auf die davon abweichenden Urteile des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 28.07.2015 (S 48 SO 551/14) und 18.04.2016 (S 2 SO 96/14) sowie der vom Vorsitzenden der 19. Kammer des SG Aachen im Verfahren S 19 SO 92/14 vertretenen Rechtsauffassung, auf Grund dessen die dortige Klage zurückgenommen worden sei. Zwar habe das BVerwG seine frühere Auffassung im Urteil vom 17.12.2015 (5 C 9/15) bestätigt; angesichts der differierenden verwaltungs- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei aber eine weitere gerichtliche Klärung geboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen der Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die den Hilfefall des HE betreffenden Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klage ursprünglich auch auf Erstattung der dem Kläger ab 01.11.2013 entstandenen Aufwendungen im Hilfefall des HE gerichtet war, war sie unzulässig. Denn es fehlte diesbezüglich am Rechtschutzbedürfnis. Der Kläger hätte seinen – vom Beklagten dem Grunde nach bereits mit Schreiben vom 11.11.2015 anerkannten – Erstattungsanspruch auf einfachere Weise als durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes verwirklichen können (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 41b i. V. m. Rn. 16a vor § 51). Er hätte die Aufwendungen, die ihm seit 01.11.2013 bereits entstanden waren, zeitnah unter Beifügung prüffähiger Unterlagen auflisten und den Beklagten zur Zahlung in angemessener Frist auffordern können. Dies hat er nicht getan. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei einem entsprechenden Vorgehen des Klägers die Bezahlung des nachvollziehbar belegten Erstattungsbetrages für die Zeit ab 01.11.2013 verweigert hätte. Erst wenn der Beklagte nach Bezifferung der (dem Grunde nach anerkannten) Forderung und Vorlage prüffähiger Unterlagen nicht gezahlt hätte, wäre eine Leistungsklage aufgrund des erklärten, aber nicht ausgeführten, Kostenerstattungsgrundanerkenntnisses für die Zeit ab 01.11.2013 zulässig gewesen.

Soweit der Kläger am 24.11.2016 die Klage auf den Erstattungszeitraum vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 und die Erstattungsforderung auf 50.811,83 EURO beschränkt hat, ist die Klage als (echte) Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet.

Der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Erstattung seiner seit dem 01.12.2012 nach dem SGB VIII erbrachten Leistungen der Jugendhilfe für den HE ergibt sich aus § 104 Abs. 1 SGB X. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger soziale Leistungen erbracht hat, grundsätzlich der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre. Die Leistungspflichten nach dem SGB VIII und nach dem SGB XII stehen in einem Konkurrenzverhältnis dergestalt, dass die Leistungen nach dem Jugendhilferecht des SGB VIII gegenüber den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nachrangig sind. Dies folgt aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Dieser kehrt die Regel des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, dass die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vorgehen, um und bestimmt, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die – wie der HE – körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen.

Der Beklagte hatte seine im Hinblick auf die geistige Behinderung des HE vorrangige Leistungsverpflichtung nach dem SGB XII bereits durch Schreiben vom 11.11.2015 für die Zeit ab 01.11.2013 dem Grunde nach anerkannt; er hat die dem Kläger ab diesem Zeitraum entstandenen Aufwendungen zwischenzeitlich auch erstattet. Der Beklagte erkennt grundsätzlich seine vorrangige Leistungsverpflichtung nach dem SGB XII auch für die davor liegende Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 an und bejaht auch dem Grunde nach die Tatbestandsvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X für diesen allein noch streitbefangenen Erstattungszeitraum. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser Erstattungsanspruch nicht wegen Ablaufs der Ausschlussfrist gem. § 111 SGB X ausgeschlossen.

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X über den frühesten Beginn des Laufs der Frist gelangt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung (vgl. dazu Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 111 Rn. 7 ff.). Bereits durch das am 31.10.2013 beim Beklagten eingegangene Schreiben des Klägers vom 28.10.2013 ist die 12-Monats-Frist des § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewahrt worden. Zwar hatte der Kläger im letzten Satz seines Schreibens um "Anerkennung Ihrer Kostenerstattungspflicht ab dem 01.11.2013" gebeten. Dies durfte der Beklagte aber nicht ohne weiteres als eine zeitliche Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs deuten. Denn zuvor hatte der Kläger bereits ausführlich geschildert, dass der HE "seit dem 17.08.2012 Heimerziehung gem. §§ 27 und 34 SGB VIII" in verschiedenen näher bezeichneten Heimen erhielt und dass er geistig behindert ist. "Aus diesem Grund" beantragte der Kläger sodann im Schreiben vom 28.10.2013 "die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII" und meldete gleichzeitig einen Erstattungsanspruch gem. § 104 SGB X an. Jedem sachkundigen Leser dieses Schreibens – und das Gericht geht davon aus, dass diese Qualifikation auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beklagten zutrifft – konnte und musste davon ausgehen, dass der Kläger auch die ihm in der Vergangenheit durch die Heimunterbringung des HE entstandenen Kosten erstattet haben wollte, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII, um deren Prüfung er ausdrücklich gebeten hatte, erfüllt waren. Die ausführliche Schilderung der Vorgeschichte zur Heimunterbringung ab August 2012, verbunden mit der Bitte um Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und Anmeldung des Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X ergäbe keinen Sinn und erschiene lebensfremd, wenn der Kläger mit dem Schreiben vom 28.10.2013 allein einen erst in der Zukunft liegenden, noch entstehenden Erstattungsanspruch anmelden wollte. Dass letztlich der Erstattungsanspruch des Beklagten im Hinblick auf dessen erst ab 01.12.2012 eingetretener Zuständigkeit auch erst ab diesem Zeitpunkt bestehen konnte, musste noch nicht mit der im Schreiben vom 28.10.2013 erfolgten allgemeinen Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X konkretisiert werden.

Der Begriff des Geltendmachens ist in der Gesetzessprache nicht eindeutig auf einen bestimmten Tatbestand hin festgelegt. Mit ihm kann sowohl die gerichtliche Anspruchsverfolgung als auch die außerhalb eines förmlichen Verfahrens einem Anderen gegenüber abzugebende Erklärung gemeint sein. Im Zusammenhang mit § 111 Satz 1 SGB X ist dem Wort "geltend machen" keine andere als die allgemeine Bedeutung beizulegen. Unabhängig von jedem besonderen rechtlichen Bezug wird darunter so viel wie "Vorbringen", "Anführen", "Behaupten", nicht aber zugleich auch "Darlegen in allen Einzelheiten" verstanden. Dabei muss jedoch der Wille, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Erklärung deutlich erkennbar zugrunde liegen. Die Anforderungen, die an das wirksame Geltendmachen eines Erstattungsanspruches zu stellen sind, bestimmen sich nach dem Zweck des § 111 SGB X, nämlich möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht. Danach muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruches ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret mitgeteilt sind (BSG, Urteil vom 22.08.2000 – B 2 U 24/99 R – m. w. N.). Dies trifft auf das Schreiben des Klägers vom 28.10.2013 auch für den noch streitbefangenen Erstattungszeitraum zu. Der Kläger hat darin dargelegt, dass bereits seit August 2012 eine Unterbringung des HE in Form der Heimerziehung gem. §§ 27 und 34 SGB VIII erfolgt war und dass beim HE eine geistige Behinderung vorlag. Hierzu hatte der Kläger das entsprechende medizinische Gutachten und weitere Unterlagen vorgelegt. Der Beklagte konnte durch einfache Prüfung und ohne weitere Nachforschungen daraus erkennen, dass er dem Grunde nach auch schon für den vor dem 01.11.2013 liegenden Zeitraum vorrangig leistungsverpflichtet war, wie er dies schließlich auch mit Schreiben vom 11.11.2015 für die Zeit ab 01.11.2013 anerkannt hat.

Selbst wenn man im Schreiben vom 28.10.2013 noch nicht im Sinne von § 111 SGB X die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs für vor dem 01.11.2013 erbrachten Aufwendungen sähe, sondern erst im späteren Schreiben des Klägers vom 23.11.2015, wäre – entgegen der Auffassung des Beklagten – der streitbefangene Kostenerstattungsanspruch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen.

Die 12-Monats-Frist des § 111 Satz 1 SGB X, ist zu deren Ablauf der Erstattungsanspruch geltend gemacht werden muss, um nicht zu verfallen, beginnt "nach Ablauf des letzten Tages", für den die Leistung erbracht wurde. Wird eine Leistung zeitabschnittsweise erbracht, so ist für den Ablauf des Leistungszeitraums auf den jeweiligen Teilzeitraum (Bewilligungszeitraum) abzustellen (so für Leistungsansprüche nach dem AsylbLG: LSG NRW, Urteil vom 04.06.2012 – L 20 AY 8/10). Die jugendhilferechtliche Leistung, um die es im vorliegenden Erstattungsverfahren geht, ist jedoch keine, die zeitabschnittsweise – Monat für Monat – erbracht wird. Vielmehr handelt es sich aus der Sicht des jeweiligen Hilfeempfängers um eine Gesamtleistung. Es gibt keine eigenständige Definition des Begriffs der Leistung im Sozialgesetzbuch, auf die im Rahmen des § 111 SGB X zurückgegriffen werden könnte. § 111 SGB X nimmt vielmehr Bezug auf die Leistung und den Leistungsbegriff des jeweiligen Sozialleistungsbereiches, in dem der geltend zu machende Anspruch auf Kostenerstattung im Einzelfall seine Rechtsgrundlage findet (BVerwG, Urteil vom 19.08.2010 – 5 C 14/09). Dabei sind ergänzend der jeweils einschlägige Erstattungsanspruch und die den Erstattungsanspruch begründenden Umstände bzw. Regelungen der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs in den Blick zu nehmen. Denn nur so kann der Entscheidung des materiellen Sozialrechts über die endgültige Kostentragung im Wege der Kostenerstattung angemessen Geltung verschafft werden (SG Dortmund, Urteil vom 16.06.2015 – S 41 SO 530/14).

Auf dieser Grundlage ist vorliegend der Leistungsbegriff des Jugendhilferechts maßgeblich, wie ihn das BVerwG in seinem Urteil vom 29.01.2004 (5 C 9/03) herausgearbeitet und in seinen Urteilen vom 19.08.2010 (5 C 14/09) und 17.12.2015 (5 C 9/15) in Erstattungsstreitigkeiten zwischen Leistungsträgerin im Rahmen des § 111 Satz 1 SGB X angewandt hat. Die Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung gem. §§ 27, 34 SGB VIII stellte sich aus Sicht des HE (Leistungsempfänger) nicht als eine Leistung dar, die Monat für Monat erbracht wurde, sondern als eine ganzheitliche Gesamtleistung ... Allein der Umstand, dass der jeweilige Heimträger seine Kosten gegenüber dem Kläger monatsweise abgerechnet hat, splittet die Jugendhilfeleistung für den HE nicht in abschnittsweise für (monatliche) Teilleistungszeiträume bewilligte und gewährte Leistungen auf. Die gegen die Rechtsprechung des BVerfG verschiedentlich vorgebrachten Bedenken, dass diese dazu führen könnte, dass unter Umständen auch nach Jahren oder gar Jahrzehnten noch Leistungen im Rahmen der Erstattung geltend gemacht werden könnten, teilt die Kammer nicht.

Die Gesamtleistung "Hilfe zur Erziehung" (Heimerziehung) gem. §§ 27, 34 SGB VIII war für den HE erst mit Ablauf des 30.09.2016 erbracht. Mithin begann die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X erst am 01.10.2016 und ist auch durch die mit Schreiben vom 23.11.2015 Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch den Kläger gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 155 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Kläger hatte ursprünglich mit der Klage die Aufwendungen für den gesamten Erstattungszeitraum vom 01.12.2012 bis (zuletzt) 30.09.2016 geltend gemacht und die Gesamtforderung auf zuletzt 220.815,89 EUR beziffert. Da die Klage im Hinblick auf das bereits mit Schreiben vom 11.11.2015 erklärte Kostenerstattungsanerkenntnis für die Zeit ab 01.11.2013 unzulässig war, hat der Kläger sie zurecht auf die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 und die Forderung auf 50.811,83 EUR beschränkt. Bezogen auf die Gesamtforderung war die – zulässige – Klage (nur) im Umfang von 23 v. H. erfolgreich. Dem trägt die Kostenquotelung Rechnung.

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war zu berücksichtigen, dass der Kostenerstattungsanspruch für die Zeit ab 01.11.2013 bereits vorprozessual anerkannt war. Da der Kläger seine Klage erst am 24.11.2016 auf den Zeitraum vom 01.12.2012 bis 31.10.2013 und die Forderung auf 50.811,83 EUR begrenzt hat, bis dahin aber die (zuletzt ) auf 220.815,89 EUR bezifferte Gesamtforderung streitbefangen war, ist eine gestaffelte Streitwertfestsetzung vorzunehmen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage 2014, § 52 GKG Rn. 16; LSG NRW, Beschluss vom 20.05.2008 – L 16 B 87/07 KR).
Rechtskraft
Aus
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