S 35 KR 165/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 35 KR 165/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Krankenversicherung (KR) Mitnahme von Kindern, die älter als 12 Jahre sind zu Mutter-Kind-Maßnahmen

Für die Altersbegrenzung der Mitnahme von Kindern zu Rehamaßnahmen nach § 41 SGB V gibt es keine Rechtsgrundlage. Die Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Reha kann den Rechtsanspruch der Mutter, der die Mitnahme der Kinder einschließt nicht beschränken.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2016 verurteilt, an die Klägerin 1260,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der von ihr selbst aufgebrachten Kosten für Mitnahme ihres Sohnes im Rahmen einer Mutter-Kind-Kur.

Die am ...1969 geborene Klägerin ist geschieden und alleinerziehend. Sie beantragte bei der Beklagten für sich und ihre Söhne ... (geboren am ...2001) und ... (geboren am ...2009) die Bewilligung einer medizinischen Vorsorgemaßnahme nach § 24 SGB V oder 41 SGB V.

In dem Antrag führte der Kinderarzt Dr ... zu der Behandlungsnotwendigkeit für den Sohn ... aus, bei ihm liege ein hohe psychische Belastung vor, die sich aus der Trennung der Eltern, der Berufstätigkeit der Mutter und des Besuches des Gymnasiums ergebe. Das Kind bedürfe der stationären Maßnahme, weil eine Trennung von der Mutter für die Dauer der Maßnahme nicht zu verantworten oder nicht zumutbar wäre. An bisherigen ärztlichen Interventionen seien symptomatische Behandlungen bei Infekten erfolgt. Besonders führte der Kinderarzt aus, die bestehenden Verlustängste beim Kind würden durch eine Trennung von Mutter und Bruder während der Reha-Maßnahme verstärkt und zu Behandlungsbedürftigkeit führen.

Der von der Beklagten eingeschaltete SMD befürwortete die Maßnahme als Vorsorgeleistung für die Klägerin, wobei auch die Mitnahme des Kindes ... aus sonstigen Gründen, (z.B. Trennung von Mutter nicht zumutbar, fehlende Unterbringungsmöglichkeit) erforderlich sei.

Bereits in der Anfrage an den SMD war der Sohn ... aus dem Begutachtungsauftrag ausgenommen worden, da er 2001 geboren sei und daher "raus fällt".

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 09.02.2016 die Maßnahme für die Klägerin und ihren Sohn ... und lehnte den Antrag betreffend den Sohn ... ab, da dieser fast 15 Jahre alt sei. Sie führte dazu aus, die Möglichkeit für eine Mitaufnahme für Kinder bestehe grundsätzlich bis zum Alter von zwölf Jahren. Diese Altersgrenze korrespondiere mit der Regelung zur Gewährung von Haushaltshilfe gemäß § 38 SGB V und sei seinerzeit vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung sowie dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) in der "Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation" geregelt worden. Die Unterbringung eines Kindes für die Dauer einer stationären Maßnahme, das die vorgenannten Altersgrenzen überschreite, liege im eigenverantwortlichen Bereich des Versicherten, der eine stationäre Maßnahme beantragt habe. Gegebenenfalls wäre in diesen Fällen in Abstimmung mit der Mutter/Vater/Kind-Einrichtung eine Mitnahme des Kindes als Selbstzahler möglich.

Mit Schreiben vom 23.02.2016 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Mitnahme ihres Sohnes ... ein. Sie begründet diesen mit der familiären Situation, die nach dem Auszug des Vaters Ende 2011 weiter angespannt sei. Diese Trennung habe ihren Sohn sehr getroffen und verunsichert. Zwar sei eine gewisse Stabilisierung eingetreten, da ein regelmäßiger Umgang mit dem Vater jedoch nicht stattfinde, der Vater auch die Unterhaltszahlungen eingestellt habe, erfahre ... von dort Nichtachtung und Abweisung. Weiter führte sie aus:

" ... befindet sich zur Zeit in der Pubertät und die von ihm in der Vergangenheit hinzunehmenden emotionalen Tiefschläge führten dazu, dass er sich, über das zu erwartende Maß hinaus abgrenzt, verschließt und auch das Verhalten seiner Eltern kritisch betrachtet. Ich habe zunehmend die Sorge, sein Vertrauen und die Bindung zu ihm zu verlieren. Es ist daher meiner Meinung nach außerordentlich wichtig, ihn durch Zuwendung und gemeinsame Aktivitäten mit mir und seinem Bruder ein Gefühl der Sicherheit, Stabilität und des Aufgehobenseins in unserer Familie zu geben. Ich könnte es nicht verantworten, ihn für die Dauer der mir und meinen jüngeren Sohn bewilligten Maßnahmen zurück zu zulassen. Er würde dies als Ausgrenzung und Abwertung empfinden und ich muss befürchten, dass dadurch mein Verhältnis zu meinem Sohn dauerhaft beeinträchtigt und geschädigt würde. Außerdem würde ich meine Fürsorgepflicht verletzen, wenn ich ihn für die Dauer der Maßnahme allein lassen würde. Ich kann eine ausreichende Betreuung für meinen Sohn nicht gewährleisten.

Zudem stellt sich für mich die therapeutische Zielsetzung der Maßnahme in Frage, wenn ich mich in ständiger Sorge um meinen Sohn befinden müsste."

Die Beklagte wies ohne weitere Ermittlungen den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2016 zurück.

In dem Widerspruchsbescheid führt sie aus, Versicherte hätten Anspruch auf Vorsorgeleistungen (§ 24 Abs. 1 SGB V), wenn diese notwendig sind um

" - eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich

zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,

- die Krankheiten verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden oder

- Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.

Die Behandlung der Mutter stehe bei einer so genannten Mutter-Kind-Maßnahme immer im Vordergrund. Allerdings könnten auch Kinder unter bestimmten Kriterien mit aufgenommen werden, wenn

- das Kind behandlungsbedürftig ist und seiner Indikation entsprechend

behandelt werden kann oder

- zu befürchten ist, dass eine maßnahmebedingte Trennung von der Mutter

zu psychischen Störungen des Kindes führen kann (zum Beispiel aufgrund

des Alters) oder

- bei Müttern, insbesondere bei allein erziehenden und/oder berufstätigen

Müttern eine belastete Mutter-Kind-Beziehung verbessert werden soll oder

- wegen einer besonderen familiären Situation eine Trennung des Kindes

von der Mutter unzumutbar ist oder

- das Kind während der Leistungsinanspruchnahme der Mutter nicht ander-

weitig betreut oder versorgt werden kann und die Durchführung der Leistung

für die Mutter daran scheitern kann und

- die Mitaufnahme des Kindes den Erfolg der Maßnahmen für die Mutter nicht

gefährdet.

Diese Möglichkeit einer Mitaufnahme besteht grundsätzlich für bis zu 12-jährige Kinder. Diese Altersgrenze wurde von den Krankenkassenverbänden auf Bundesebene mit dem Deutschen Müttergenesungswerk einschließlich seiner Trägergruppen in einer gemeinsamen Rahmen-Empfehlung vereinbart.

In besonderen Fällen können Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren aufgenommen werden. Eine Ausnahme kann aber nicht darin begründet sein, dass mit einer fehlenden Versorgung des Kindes argumentiert wird, insbesondere dann nicht, wenn die Mutter nicht allein erziehend ist. Vielmehr müssen medizinische Faktoren vorliegen, die eine Mitaufnahme des Kindes begründen.

Ihr Sohn ..., geboren am ...2001, ist bereits 15 Jahre alt, so dass er auch die besondere o.g. Altersgrenze von 14 Jahren nicht erfüllt. Eine Aufnahme kann auch nach dem Vortrag im Widerspruchsschreiben nicht erfolgen.

Auf die Möglichkeiten der im angegriffenen Bescheid verwiesen Unterbringung als Selbstzahler wird an dieser Stelle nochmals höflichst verwiesen."

Mit ihrer am 17.05.2016 beim Sozialgericht erhobenen Klage macht die Klägerin weiter ihren Anspruch auf Mitnahme ihres Sohnes ... zu der Vorsorgemaßnahme geltend, wobei sie das ebenfalls geführte einstweilige Rechtsschutzverfahren (S 35 KR 161/16 ER) für erledigt erklärt hat und nunmehr Kostenerstattung für die selbst geleisteten Kosten der Unterbringung ihres Sohnes in Höhe von 1.260 EUR entsprechend der Rechnung der Ostseeklinik Zingst vom 09.08.2016 für 21 Tage á 60 EUR Tagessatz begehrt.

Sie meint, die Ablehnung der Kostenübernahme für die Mitnahme ihres Sohnes ... aufgrund des Alters sei rechtswidrig.

Zum einen verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren und ergänzt, dass es keine Möglichkeit gegeben habe, ihren Sohn anderweitig unterzubringen. Der Vater habe allenfalls alle 14 Tage einen Tag und eine Nacht Umgang mit den Kindern, eine Betreuung in den Ferien erfolge nicht. Der Vater sei mit seiner neuen Familie in dem betroffenen Zeitraum in Urlaub gefahren, so dass keine Betreuung erfolgt wäre.

Zum anderen sei es für den Zusammenhalt zwischen den Geschwistern und der Familie wesentlich, dass auch der ältere Sohn die Ferien mit der Familie verbringe, damit er sich nicht ausgeschlossen fühle. Es habe keine psychotherapeutische Behandlung mehr stattgefunden, sie teile jedoch die Einschätzung des Kinderarztes, der die Notwendigkeit von therapeutischer Hilfe bei Nicht-Teilnahme an der Maßnahme annehme.

Schließlich habe die Klägerin während des Kuraufenthalt festgestellt, dass andere Kurteilnehmer, wie zum Beispiel ein alleinerziehender Vater seine drei Kinder bei sich gehabt habe, wovon ein Sohn während der Maßnahme 16 Jahre alt geworden sei. Es frage sich, ob die Kinder alleinerziehender Väter anders behandelt würden, als die alleinerziehender Mütter. Außerdem habe sie dort erfahren, dass in der Kurklinik häufiger Kinder um die 16 Jahre als Begleitkinder dabei seien und die diesbezüglichen Kosten von den Krankenkassen erstattet würden.

Im Weiteren stellt die Klägerin einen Hilfsantrag und begründet ihn damit, dass sie ihren Sohn nicht habe alleine zuhause lassen können. Es bestehe dann in dieser Zeit eine Notsituation, in der ein Anspruch auf eine ausgebildete Haushaltshilfe gegeben sei. Zumindest diese fiktiven Kosten seien von der Beklagten zu erstatten. Über den Zeitumfang pro Tag an sieben Tagen pro Woche und die Höhe der Vergütung pro Tag solle das Gericht im Wege der Schätzung befinden, insoweit bezieht sich die Klägerseite ergänzend auf eine Zusammenstellung der Hilfen nach § 20 SGB VIII des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1260,00 EUR zu zahlen,

hilfsweise die fiktiven Kosten für die Tätigkeit einer Haushaltshilfe in der Zeit vom 14.07. bis 04.08.2016 für die Betreuung ihres Sohnes ... in angemessenem Umfang mit angemessener Vergütung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und verweist darauf, dass die Möglichkeit einer Mitaufnahme grundsätzlich für bis zu zwölfjährige Kinder bestehe. Diese Altersgrenze sei von den Krankenkassenverbänden auf Bundesebene mit den deutschen Müttergenesungswerk einschließlich seiner Trägergruppen in einer gemeinsamen Rahmenempfehlung zur Durchführung von Vorsorgekuren für Mütter und Müttergenesungskuren am 01.10.1990 vereinbart worden. Für die Umsetzung des Leistungsauftrages des § 24 SGB V gelte als untergesetzliche Rechtsnormen die "Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation" vom Oktober 2005 in der letzten Aktualisierung vom Juli 2016. In besonderen Fällen sei auch die Mitaufnahme von Kindern bis zum Alter von 14 Jahren möglich. Für behinderte Kinder gälten andere Altersgrenzen. Die erweiterte Altersgrenze bis 14 Jahre sei damit moderater gefasst, als die Regelung der Haushaltshilfe nach § 38 SGB V. Für die Altersgrenze werde das Alter zum Zeitpunkt der Antragstellung berücksichtigt. Somit bestehe die Möglichkeit, dass das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung das 12. bzw. 14. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, aber bereits zum Antritt der Maßnahme. Mit der Ostseeklinik Zingst bestünde neben dem Versorgungsvertrag nach § 111a SGB V zur medizinischen Vorsorge nach §§ 24, 41 SGB V auch ein Versorgungsvertrag nach § 111 StGB V für stationäre Maßnahmen nach §§ 23 Abs. 4 und 40 Abs. 2 SGB V. Dies erkläre einen Aufenthalt von älteren Kindern in der Einrichtung. Soweit die Klägerin sich auf ein Papier des Kommunalverbandes Baden-Württemberg für Hilfen nach § 20 SGB VIII berufe, gehörten Leistungen nach dem SGB VIII nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern zu den Leistungen der Träger der Jugendhilfe. Auch in diesem Papier werde bei der Abgrenzung der Hilfe nach § 20 SGB VIII zu anderen Hilfen auf die Altersgrenze der Krankenversicherung von unter zwölf Jahren hingewiesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Das Gericht hat eine Auskunft der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung (Müttergenesungswerk) eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte des einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 35 KR 161/16 ER) und der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenerstattung für die von ihr selbst finanzierte Mitaufnahme ihres Sohnes ... im Zeitraum von 14.07. bis 04.08.2016 in der Ostseeklinik Zingst in der streitigen Höhe von 1.260 EUR.

Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin die Mitnahme ihres Sohnes ... zu der notwendigen Vorsorgemaßnahme nach § 24 SGB V zu bewilligen. Die von der Klägerin für die Mitnahme ihres Sohnes aufgewendeten Kosten in Höhe von 1.260 Euro sind ihr von der Beklagten daher gemäß § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) - zu erstatten.

Nach der genannten Vorschrift sind dem Versicherten von der Krankenkasse diejenigen Kosten zu erstatten, die ihm dadurch entstehen, dass er sich eine Leistung selbst beschafft, die die Krankenkasse (zuvor) zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Vorliegend hat die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt, so dass die Klägerin die Erstattung der für die Selbstbeschaffung aufgewendeten Kosten verlangen kann.

Die Klägerin hat Anspruch auf Mitnahme ihres Sohnes ... nach § 24 SGB V, da es sich bei der medizinisch notwendigen Mitnahme der Kinder bei einer erforderlichen Vorsorgemaßnahme um eine Nebenleistung handelt, die von der Krankenkasse zu erbringen ist.

Nach § 24 Abs. 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 23 Abs. 1 genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. In der Fassung der Regelung ab dem 01.04.2007 handelt es sich um einen Rechtsanspruch und nicht mehr um eine Ermessensleistung der Krankenkasse. Der Gesetzgeber wollte damit der restriktiven Bewilligungspraxis der Krankenkassen begegnen und hat die besondere Belastung von Personen mit Erziehungsverantwortung anerkannt und dieser mit dem Rechtsanspruch auf Vorsorgemaßnahmen bei medizinischer Notwendigkeit im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB V, Rechnung getragen.

Danach besteht Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind, um

eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,

einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken,

Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden.

Zur einheitlicheren Umsetzung der Bewilligung von Vorsorgemaßnahmen hat der GKV-Spitzenverband die "Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation" überarbeitet und die neue Fassung am 06.02.2012 (die letzte Änderung erfolgte im Juli 2016 in einem für den Rechtsstreit unerheblichen Bereich) beschlossen. Ziel der Überarbeitung 2012 war es nach der Pressemitteilung des Spitzenverbandes, die Richtlinie, zu konkretisieren und die Begutachtungsgrundlagen zu verbessern. Zudem sollte mit der aktualisierten Richtlinie eine einheitliche Rechtsauslegung der Kassen sichergestellt und die Transparenz über die sozialmedizinischen Empfehlungen und Leistungsentscheidungen erhöht werden. Zur Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkassen wurden gleichzeitig einheitliche Umsetzungsempfehlungen erarbeitet. So sollte der Begutachtungsablauf anschaulich abgebildet und weitere klärende Informationen gegeben werden.

In der Begutachtungs-Richtlinie werden zudem Faktoren, die häufig gesundheitliche Störungen bei Müttern und Vätern hervorrufen, wie z. B. ständiger Zeitdruck oder Partner-/ Eheprobleme, konkret beschrieben.

Die Vorläuferin der aktuellen Begutachtungsrichtlinie stammt noch aus der Zeit, in der die Bewilligung von Mutter-Kind-Maßnahmen eine Ermessensleistung der Krankenkassen war. In diesem Bereich war die Regelung als im Verwaltungsrecht anerkannte "ermessenlenkende Weisung" berechtigt und konnte das Ermessen der Krankenkassen beschränken.

Nach Schaffung des Rechtsanspruchs auf eine Maßnahme nach § 24 SGB V bedarf es jedoch einer Rechtsgrundlage für die Beschränkung des im SGB V festgelegten Anspruchs, der den Anspruch der Mutter (oder des Vaters) auf eine Vorsorgemaßnahme regelt und als ungeschriebenen Nebenanspruch die Mitnahme der Kinder erfasst.

Eine Rechtsgrundlage für die in der Begutachtungsrichtlinie festgelegte Beschränkung des Anspruchs auf Mitnahme der Kinder findet sich jedoch im Gesetz nicht. Soweit die Beklagte davon ausgeht, es handele sich dabei um eine "untergesetzliche Rechtsnorm", kann das Gericht dem nicht folgen.

Das SGB V kennt in § 92 SGB V eine Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Schaffung von Richtlinien, bei denen neben der schon durch die Zusammensetzung des GBA nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 4 und der Verpflichtung den in § 134a Absatz 1 SGB V genannten Organisationen der Leistungserbringer auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die Verpflichtung die Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen, ein vollständiges Meinungsspektrum gesichert ist.

Das ist bei dem GKV-Spitzenverband und dem bei ihm angesiedelten MDS nicht so, er ist vielmehr allein der Verband der Krankenkassen und hat sich mit dem Müttergenesungswerk als größtem - und vollständig abhängigem Leistungserbringer- ins Benehmen gesetzt, wobei über den Prozess der Zusammenarbeit keine Materialien veröffentlicht sind. Auch eine Begründung, wie sie Beschlüsse des GBA beinhalten und die vorhergehende Diskussion ist nicht veröffentlicht.

Es ist also weder eine gesetzliche Grundlage, noch ein transparentes Verfahren gegeben. Wenn man bedenkt, dass es trotz der gesetzlich vorgesehenen Kompetenz des GBA in Literatur und Rechtsprechung lange Kritik an der Beschränkung des Leistungsumfangs des SGB V durch Richtlinien des GBA gab, kann der Spitzenverband Bund keine Leistungseinschränkungen beschließen, da es dafür einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedarf. Er kann für die gesetzlichen Krankenkassen Handlungsempfehlungen geben, die für eine einheitliche Bewilligungspraxis und Transparenz bei Entscheidungen sorgen sollen, was erklärtes Ziel der Änderungen im Jahr 2012 war, mehr nicht. Im Gegensatz zum GBA ist der Spitzenverband kein auch nur im Entferntesten ausgewogen besetztes Gremium, sondern allein der Vertreter der Krankenkassenseite. Auch die Zusammenarbeit mit dem MDS schafft keine Legitimation, da der MDS im Lager der Krankenkassen steht, die ihn im Wesentlichen beauftragen. Auch wenn die Unabhängigkeit des MDK immer wieder beschworen wird, ist er doch eindeutig auf den Blickwinkel der Krankenkassen ausgerichtet.

Da die Regelungen der Begutachtungsrichtlinie keine Begründung enthalten, ist auch nicht erkennbar, aus welchem Grund die Regelungen für die Mitaufnahme von Begleitkindern bei Mutter (Vater)-Kind-Kuren seit 1990 in der Begutachtungsrichtlinie enthalten ist und ob sie in den letzten 25 Jahren hinterfragt worden ist.

Die Klägerin selbst hat unstreitig einen Anspruch auf eine Maßnahme nach § 24 SGB V, so dass sich daraus der Nebenanspruch ergibt, ihre Kinder mit zu dieser Maßnahme zu nehmen, was sich schon aus dem Zuschnitt der Maßnahme ergibt, wenn die Mitnahme der Kinder den Maßnahmeerfolg nicht beeinträchtigt.

Die Richtlinie Vorsorge- und Rehabilitation führt zu 3.5 zu der begehrten Maßnahme aus:

"Im Rahmen der primär- und sekundärpräventiven Ausrichtung verfolgen Leistungen nach § 24 SGB V unter Berücksichtigung der allgemeinen und mütter-/väterspezifischen Kontextfaktoren das Ziel, den spezifischen Gesundheitsrisiken und ggf. bestehenden Erkrankungen von Müttern und Vätern im Rahmen stationärer Vorsorgeleistungen durch eine ganzheitliche Therapie unter Einbeziehung psychologischer, psychosozialer und gesundheitsfördernder Hilfen entgegenzuwirken. Dabei handelt es sich um Angebote, bei denen insbesondere psychosoziale Problemsituationen von Familien (z. B. Partnerschafts- und Erziehungsprobleme) berücksichtigt werden.

Diese Vorsorgeleistungen können von Versicherten nachgefragt werden, die leibliche Kinder, Adoptivkinder, Stiefkinder, Pflegekinder, Enkelkinder (bei überwiegender Erziehungsverantwortung der Großeltern) oder Kinder in "Patchworkfamilien" aktuell erziehen und betreuen. Von einer aktuellen Erziehungsverantwortung kann grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes ausgegangen werden. In zu begründenden Einzelfällen (insbesondere bei Leistungsbezug nach dem SGB VIII) kann auch darüber hinaus eine Erziehungsverantwortung vorliegen.

Die Leistungen nach § 24 SGB V können auch als Mutter-/Vater-Kind-Leistung erbracht werden.

Maßgebend für deren Empfehlung ist die Indikation für die Mutter/den Vater.

Mutter-/Vater-Kind-Leistungen können in Betracht kommen, wenn

- das Kind behandlungsbedürftig ist und seiner Indikation entsprechend

behandelt werden kann oder

- zu befürchten ist, dass eine Maßnahme bedingte Trennung von der

Mutter/dem Vater zu psychischen Störungen des Kindes führen kann

(z. B. aufgrund des Alters) oder

- bei Müttern/Vätern, insbesondere bei allein erziehenden oder berufstätigen

Müttern/Vätern, eine belastete Mutter-/Vater-Kind-Beziehung verbessert

werden soll oder

- wegen einer besonderen familiären Situation eine Trennung des Kindes/der

Kinder von der Mutter/dem Vater unzumutbar ist oder

- das Kind während der Leistungsinanspruchnahme der Mutter/des Vaters nicht

anderweitig betreut und versorgt werden und die Durchführung der Leistung

für die Mutter/den Vater daran scheitern kann und die Mitaufnahme des

Kindes/der Kinder den Erfolg der Vorsorgemaßnahme der Mutter/des Vaters

nicht gefährdet.

Die Möglichkeit zur Mitaufnahme besteht in der Regel für Kinder bis 12 Jahren, in besonderen Fällen bis 14 Jahren. Für behinderte Kinder gelten keine Altersgrenzen.

Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die jeweilige Mutter-/Vater-Kind-Beziehung, die eine Einheit darstellt, einen bedeutsamen Kontextfaktor für die Mutter/den Vater oder das Kind sein kann."

Bereits die Ausführungen zur Erziehungsverantwortung bis zum 18. Lebensjahr und die Begrenzung auf die Mitaufnahme der Kinder auf 12 bzw. 14 Jahre lassen sich nicht ohne weiteres in Einklang bringen.

Im Weiteren liegen die in der Richtlinie genannten Voraussetzungen vor, insbesondere das die Mitaufnahme bedingende Kriterium, dass die Mutter die Maßnahme ohne die Mitnahme der Kinder nicht antreten kann.

Welche Vorstellung der Richtlinie im Hinblick auf einen 15-Jährigen Sohn einer alleinerziehenden Mutter zugrunde liegt, ist für das Gericht nicht erkennbar. Es dürfte selbstverständlich sein, dass es nicht möglich ist, einen 15-Jährigen unbeaufsichtigt 3 Wochen zu Hause zu lassen. Die Beklagte hat dem Vortrag der Klägerin, es gäbe für ihren Sohn ... keine andere Betreuungsmöglichkeit, nicht widersprochen und die Klägerin hat schon in dem Erörterungstermin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erklärt, sie werde nicht ohne ihren Sohn die Maßnahme antreten. Eine Argumentation, die die Mutter in der Situation verpflichtet, einen Platz in einem Ferienlager oder ähnlichem zu suchen, erscheint nicht wirklichkeitsnah und berücksichtigten keiner Weise den Umstand, dass gerade auch das Verhältnis zum pubertierenden Sohn in dem geschützten und begleiteten Rahmen der Maßnahme verbessert werden sollte. Mutter und Kind(er) erhalten im Rahmen der Maßnahme die Gelegenheit, sich ohne das sonst belastende familiäre Umfeld zu begegnen und die entspannte Situation zur Klärung von Problemen zu nutzen, wobei durch die parallel stattfindende psychologische Betreuung eine Unterstützung der Mutter stattfindet, die so im ambulanten Bereich nicht möglich ist, da dort regelmäßig nur Mutter oder Kind therapiert werden, der Behandler die Interaktion jedoch regelmäßig nicht erlebt, was innerhalb der Vorsorgemaßnahme anders gestaltet werden kann, wenn es erforderlich ist.

Da die Behandlungsindikation von der Mutter aus betrachtet wird, ist auch der von der Klägerin benannte Aspekt, dass sie von der Maßnahme nur profitieren könne, wenn sie ihre Kinder gut betreut weiß, wesentlich. Die Richtlinie führt ausdrücklich aus, dass die Mutter-Kind-Beziehung eine Einheit darstellt und ein bedeutsamer Kontextfaktor für die Mutter sein kann. Das ist hier nach den Ausführungen des behandelnden Arztes in den Antragsformularen der Fall, die ausdrücklich die Kindererziehung als praktisch alleinerziehende Mutter und Beziehungskonflikte als Belastungsfaktoren benennt. Auch hat die Klägerin in ihrer Stellungnahme im Widerspruchsverfahren die besondere Situation mit dem pubertierenden Sohn beschrieben, die sich in dem gemeinsamen Aufenthalt entspannen könnte. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Annahme des Kinderarztes, dass eine Trennung von Mutter und jüngerem Bruder zu Behandlungsbedürftigkeit des Sohnes ... führen würde, nicht unbeachtet bleiben darf. Die Maßnahmen nach § 24 SGB V dienen ausdrücklich der Vorsorge und sollen eine Manifestation von sich angelkündigenden oder leichten Störungen zu Krankheiten verhindern.

Da die Beklagte keinerlei medizinische Ermittlungen angestellt hat und eine Begutachtung des Sohnes durch einen Kinderpsychologen nicht als angemessen erschien, geht das Gericht von der Richtigkeit der Prognose des Kinderarztes Dr ... aus.

Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass die Beschränkung der Mitaufnahme von Kindern regelmäßig zu einer Rückgabe und dem Nichtantritt der Vorsorgeleistung durch die Mutter führt, was die Mitarbeiterin der Beklagten, die den Fall bearbeitet hat, bestätigte, indem sie mitteilte, es komme immer wieder vor, dass aus diesem Grund Mütter die Maßnahmen nicht anträten. Gerade bei Müttern älterer Kinder liegt jedoch oft eine jahrelange mütterspezifische Belastung zugrunde, die sich mit dem Alter der Kinder zwar verändert, aber nicht automatisch verringert. Damit können Mütter die ihnen nach § 24 SGB V zustehenden Vorsorgemaßnahmen nicht wahrnehmen, was gerade bei alleinerziehenden Müttern erhebliche Folgen haben dürfte, da diese aufgrund regelmäßig eher beschränkter finanzieller Mittel auch nicht die Möglichkeit haben, anderweitig längere Auszeiten zu nehmen und entspannt Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

Soweit die Beklagtenseite scheinbar davon ausgeht, die Klägerin sei nicht alleinerziehend, kann das Gericht dem ebenfalls nicht folgen, da ein Umgang mit dem Vater von 1 Nacht und 1 Tag alle 2 Wochen die alleinige Erziehungs- und Betreuungsverantwortung klar bei der Mutter belässt.

Die geltend gemachten Kosten sind wirtschaftlich, da die Klägerin keine andere Möglichkeit hatte, als die von der Klinik angegeben Sätze zu begleichen. Es handelt sich dabei um den Satz in Höhe von 60 EUR täglich für die Aufnahme als Begleitkind ohne eigene Behandlungsbedürftigkeit. Die Klägerin hat insoweit die minimal erforderlichen Kosten ausgelöst.

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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