S 12 KA 698/16 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 698/16 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei einer über 15-jährigen Untätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung bzgl. eines Rückforderungsanspruchs aufgrund einer sachlich-rechnerischen Berichtigung sinkt ein evtl. öffentliches Vollziehungsinteresse gegen Null. Bei einer solch langen Untätigkeit ist kein Grund ersichtlich, dass die Behörde nicht ein Gerichtsverfahren bis zu einer evtl. Vollziehung abwarten könnte.
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az.: S 12 KA 681/16 gegen den Bescheid vom 13.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 wird wiederhergestellt.

2. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 21.499,14 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Berichtigung der Honorarabrechnung und Berechnung für das Poliklinikbudgets für das Jahr 1997 in Höhe von 64.497,43 EUR (126.146,22 DM).

Die Antragstellerin (im Folgenden: Klägerin) ist ein Universitätsklinikum in der Rechtsform einer GmbH. Sie betreibt verschiedene Polikliniken am Standort A-Stadt.

Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Beklagte) übersandte ihr unter Datum vom 02.07.1998 die Berechnungen für das Jahr 1997. Danach betrug die Budgetsumme 1997 8.668.714,39 DM, die Vergütung 1997 9.037.301,95 DM. Hieraus resultierte eine Überschreitung des Budgets in Höhe von 368.587,56 DM. Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 07.07.1998 mit, bei der inzwischen angewiesenen Restzahlung IV/97 in Höhe von 3.294.627,58 DM habe sie den Überschreitungsbetrag bereits vermindernd eingerechnet und die Verbuchung der Einfachheit halber zu Lasten der Frauenpoliklinik xxx1 - vorgenommen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 01.06.1999 mit, das Budget 1998 betrage 8.860.886,22 DM. Bei einer Gesamtanforderung von 9.241.835,84 DM ergebe sich eine Überschreitung von 339.464,25 DM. Sie habe mit der letzten Restzahlung bereits eine Verrechnung vorgenommen.

Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 07.04.2000 mit, das Revisionsamt habe die Budgetberechnung der Universitätspolikliniken A-Stadt für den Zeitraum 1994-1998 geprüft. Sie lege das Zwischenergebnis vor. Für die Budgetberechnung 1997 seien die für die Erstellung der Vergleichsberechnung gemeldeten Honorare der einzelnen Arzt-Nummern um 126.146,22 DM niedriger als die laut Honorarzusammenstellung abgerechneten Beträge. Hieraus ergebe sich eine Erhöhung der Budgetüberschreitung um 126.146,22 DM, die zu Lasten der Klägerin berichtigt werden müsste. Ferner bat sie u.a. um Stellungnahme zum Status der Arzt-Nr. xxx2 (Klinik für Herzchirurgie).

Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 02.05.2001 mit, nach dem Prüfbericht ihres Revisionsamts sei die Berechnung des Poliklinikbudgets 1997 insofern fehlerhaft, als für die Errechnung des Gesamtbudgets das Netto-Honorar der jeweiligen Polikliniken zugrunde gelegt worden seien. Somit seien einerseits die Honoraranteile der nicht budgetierten sonstigen Kostenträger budgeterhöhend eingerechnet, andererseits die mit der Budgetberechnung nicht zusammenhängenden Verwaltungskostenanteile vermindernd abgezogen worden. Richtigerweise heranzuziehen sei das Gesamthonorar Primärkassen/Ersatzkassen ohne sonstigen Kostenträger und vor Abzug von Verwaltungskostenbeiträgen. Diese Jahreshonorarsumme liege bei jeder Poliklinik oberhalb der für das Budget fehlerhaft angenommenen Beträge und kumuliere insgesamt zu einer Differenz in Höhe von 126.146,22 DM, mit der das Uni-Klinikum für das Jahr 1997 demnach überzahlt worden sei.

Die Klägerin erwiderte unter Datum vom 14.05.2001, für die Bemessung der geleisteten Zahlungen könnte offensichtlich ein internes Missverständnis der Beklagten Anlass gewesen sein. Sie sehe deshalb keine Rückzahlungsverpflichtung, zumal die Berechnungen von ihr aus differenziert nicht nachzuvollziehen seien. Sie erhebe auch die Einrede der Verjährung.

Die Beklagte berichtigte mit Bescheid vom 13.06.2001 die Vergütung der Klägerin um 126.146,22 DM. Dabei ging sie von folgenden Abrechnungsdaten aus: Honoraranforderung lt. Jahreshonorarzusammenstellung Poliklinikbudget 1997 Kürzung Restzahlung IV/97 Gesamtüberweisung Überzahlung
unrichtig 9.037.301,95 8.668.714,39 368.587,56 8.794.860,61 126.146,22
richtig 9.163.448,17 8.668.714,39 494.733,76 8.668.714,39

Zur Begründung wies sie wie bereits im Schreiben vom 02.05.2001 darauf hin, die Berechnung des Poliklinikbudgets 1997 sei insofern fehlerhaft, als für die Errechnung des Gesamtbudgets das Netto-Honorar der jeweiligen Polikliniken zugrunde liege. Ergänzend führte sie aus, die Ermittlung des Budgets 1997 sei erst jahresversetzt mit der Berechnung für 1998 vorgenommen worden. Der Grund hierfür liege in der mit zeitlicher Verzögerung tatsächlich feststehenden Grundlohnentwicklung. Insofern betrachte sie die mit Schreiben vom 01.06.1999 zugeleitete Berechnung des endgültigen Budgets 1997 als maßgeblich für die nach dem HVM maßgebliche zweijährige Ausschlussfrist. Gemäß § 38 SGB X könnten Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigt werden. Auf dieser Grundlage i.V.m. der zur Berichtigung der Honorarabrechnung zutreffenden LZ 804 HVM fordere sie die Überzahlung zurück.

Hiergegen legte die Klägerin am 25.06.2001 Widerspruch ein. Sie trug vor, § 38 SGB X betreffe nur Fehler im Ausdruck des Willens, nicht bei der Willensbildung. Bei der irrtümlich erfolgten Festsetzung handele es sich aber um einen Fehler bei der Willensbildung. Sie bestreite auch, dass das Budget 1997 erst habe verspätet festgesetzt werden können.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2016 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Honorarunterlagen seien für das Quartal I/97 zwischen August und September 1997 versandt worden, die Honorarunterlagen für das Quartal IV/97 im Juli 1998. Das eigentliche Poliklinikbudget für das gesamte Jahr 1997 sei der Klägerin mit Schreiben vom 07.07.1998 mitgeteilt worden. Von diesem Datum aus gerechnet wäre eine Korrektur im Jahr 2001 nach dem HVM nicht mehr zulässig. Eine Korrektur erscheine auch über § 38 SGB X nicht sachgerecht. Eine Berichtigung sei aber nach §§ 45 Abs. 2 BMV-Ä, 34 Abs. 4 EKV-Ä i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zulässig. Danach werde nicht unterschieden, in wessen Verantwortungsbereich die Unrichtigkeit falle. Die Ausschlussfrist von vier Jahren sei eingehalten worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.11.2016 die Klage zum Az.: S 12 KA 681/16 erhoben und die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit beantragt. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, nach Erlass des Bescheides habe die Beklagte von einer weiteren Verfolgung der Zahlungen Abstand genommen. Gespräche oder Verhandlungen zu den Forderungen hätten 15 Jahre lang nicht stattgefunden. Der Widerspruchsbescheid sei völlig unerwartet ergangen. Sie berufe sich auf Verwirkung. Nach so langer Zeit müsse der Vertrauensschutz Vorrang haben. Dies gelte gerade auch deshalb, weil in allen Folgejahren das Poliklinikbudget weiter nach der bisherigen Berechnung verhandelt und abgerechnet worden sei. Hilfsweise trage sie vor, dass es sich bei der Korrektur um eine Änderung der Bemessungsgrundlage handele, für die es an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Die Nettohonorarbasis sei unstreitig und jahrelang gängige Praxis gewesen.

Die Klägerin beantragt bisher,
den Bescheid vom 13.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 aufzuheben.

Die Beklagte hat sich zum Verfahren inhaltlich bisher nicht geäußert.

Zur Begründung ihres einstweiligen Anordnungsantrags führt die Klägerin ergänzend aus, in der Vergangenheit habe die Beklagte Rückforderungen jeweils ohne Mitteilung in verschiedener Weise verrechnet. Hieraus resultiere ihr Rechtsschutzbedürfnis. Auch im konkreten Fall könne sie nicht nachvollziehen, woher der Betrag komme, ob noch weitere Verrechnungen drohten, ob es sich bei dieser Verrechnung überhaupt um die streitgegenständliche Rückforderung handele.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 wiederherzustellen.

Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, der Umstand des langjährigen Nichtvollzugs begründe nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das öffentliche Vollziehungsinteresse sei ausreichend. Diesbezüglich liege auch kein Vertrauensschutz der Klägerin vor. Der Bescheid sei rechtmäßig. Es liege ein Fall des § 38 SGB X vor. Die Ausschlussfrist sei gewahrt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie die Verfahrensakte zum Az.: S 12 KA 681/16 Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).

Soweit die Klägerin beantragt hat, die Aufhebung der sofortigen Vollstreckbarkeit anzuordnen, war der Antrag entsprechend des angeführten Antrags auszulegen. Die Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung hat keine aufschiebende Wirkung (§ 85 Abs. 4 S. 9 SGB V a.F.). Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung, der die Honorarfestsetzung betrifft, für die die Beklagte seinerzeit zuständig war (§ 120 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.

Bei der Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage anzuordnen ist, sind in einem ersten Prüfungsschritt die Erfolgsaussichten der Klage einer summarischen Prüfung zu unterziehen. Je größer die Erfolgsaussichten der Klage sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten der Klage zu bewerten sind, umso schwerwiegender muss das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts an der aufschiebenden Wirkung sein, um eine Aussetzung rechtfertigen zu können. Offensichtlich rechtmäßige Verwaltungsakte können in der Regel sofort vollzogen werden, während an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich kein legitimes Interesse besteht. Kann eine endgültige Prognose bezüglich der Erfolgsaussichten (noch) nicht gestellt werden, müssen die für und wider die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen gegeneinander abgewogen werden (vgl. LSG Bayern, Beschl. v. 30.07.2009 – L 12 B 1074/08 KA ER - juris Rdnr. 16). Zu berücksichtigen sind außerdem sondergesetzlich geregelte Prüfungsmaßstäbe, wie z. B. das Erfordernis ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bei der Anforderungen von Beiträgen und sonstigen öffentlichen Abgaben (§ 86a Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 SGG) oder gesetzliche Wertungen, die dem öffentlichen Vollziehungsinteresse im Einzelfall generell den Vorrang einräumen. Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn Widerspruch und Anfechtungsklage (schon) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben, der Aufschub der Vollziehung also entgegen § 86a Abs. 1 SGG nicht den Regel-, sondern den Ausnahmefall darstellt. Schließlich muss das Gericht immer bedenken, welche nachteiligen Folgen dem Antragsteller aus der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, vor allem für seine grundrechtlich geschützten Rechtspositionen erwachsen und ob bzw. wie diese ggf. rückgängig gemacht werden können. Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 Abs. 2 GG) im Besonderen sind vor Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren als Präventivmaßnahme nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig; die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus. Außerdem darf der Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einer Maßnahme umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.01.2011 - L 5 KA 3990/10 ER-B - juris Rdnr. 58; LSG Hessen, Beschl. v. 10.11.2009 - L 4 KA 70/09 B ER - juris Rdnr. 35; LSG Hessen, Beschl. v. 02.08.2011 - L 4 KA 29/11 B ER -, Umdruck S. 8 f.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.01.2011 - L 5 AS 452/10 B ER - juris Rdnr. 38; BVerfG, Kammerbeschl. v. 15.04.2010 - 1 BvR 722/10 - juris Rdnr. 20).

Insbesondere dann, wenn die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren besonders schwierig oder ohne weitere Ermittlungen nicht möglich ist, weil sie von der Klärung komplizierter Rechtsprobleme, etwa von einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm abhängt, die Entscheidung nur auf der Grundlage einer weiteren Sachaufklärung möglich ist, insbesondere die Anhörung der Beteiligten, von Zeugen oder die Beiziehung von Akten oder weiterer Unterlagen erfordert oder der Erörterung des Falles in der mündlichen Verhandlung unter Beteiligung der sachkundigen ehrenamtlichen ärztlichen Beisitzer bedarf, können die Sozialgerichte auf die summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes verzichten. In einem solchen Fall ist der Erfolg eines Widerspruchs oder einer Klage regelmäßig ebenso wahrscheinlich wie ihr Misserfolg, so dass es für ein Obsiegen in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darauf ankommt, ob Widerspruch und Klage nach der Entscheidung des Gesetzgebers kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zukommen soll oder nicht. Ist die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes ausgeschlossen, kann ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGB V nur dann Erfolg haben, wenn die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.03.2008 L 7 B 10/08 KA ER – juris Rdnr. 2; LSG Hessen, Beschl. v. 10.11.2009 - L 4 KA 70/09 B ER - juris Rdnr. 35).

Nach Aktenlage ist eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide offensichtlich. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte zur Aufhebung der Honorarbescheide bzw. der Festsetzung des Budgets berechtigt ist. Dabei kann dahinstehen, welche Bescheide im Einzelnen die Beklagte aufgehoben haben will und ob ihre Berechnungen im angefochtenen Bescheid, die nach Aktenlage nicht nachvollzogen werden können, rechtmäßig ist. Ferner ist die Verwaltungsakte auch insofern unvollständig, als der Kammer jedenfalls die mit Schreiben vom 01.06.1999 zugeleitete Berechnung des endgültigen Budgets 1997 nicht auffinden konnte, auf die im angefochtenen Bescheid vom 13.06.2001 Bezug genommen wird.

Ausgehend von einer Berichtigung des festgesetzten Honorars für das Jahr 1997 hat die Beklagte verkannt, das Vertrauensschutzgesichtspunkte einer Berichtigung entgegenstehen. Dabei unterstellt die Kammer die Rechtswidrigkeit der alten Festsetzung, was ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die umfassende Berichtigungsbefugnis der Kassenärztlichen Vereinigung, die den Besonderheiten und Erfordernissen der Honorarverteilung Rechnung trägt, im Hinblick auf den gebotenen Vertrauensschutz der Vertragsärzte zu begrenzen. Das gilt sowohl für Unrichtigkeiten, die ihre Ursache in der Sphäre des Vertragsarztes finden, wie auch bei solchen, die auf Fehlern bei den generellen Grundlagen der Honorarverteilung, insbesondere der Unwirksamkeit der ihr zu Grunde liegenden Vorschriften, beruhen. Insbesondere im letztgenannten Fall müssen die Interessen des einzelnen Arztes an der Kalkulierbarkeit seiner Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit einerseits und die Angewiesenheit der Kassenärztlichen Vereinigung auf die Weitergabe nachträglicher Änderungen der rechtlichen Grundlagen der Honorarverteilung an alle Vertragsärzte andererseits zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 11 = BSGE 93, 69, juris Rdnr. 21). Die Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung zur nachträglichen Honorarberichtigung auf der Grundlage der bundesmantelvertraglichen Vorschriften endet nicht nur mit dem Ablauf der dazu vorgesehenen Fristen, sondern auch dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung eine sachlich-rechnerische Berichtigung durchgeführt und diese auf Rechtsbehelfe des Vertragsarztes hin ohne jegliche Einschränkung rückgängig gemacht hat. In diesem Fall wird die jedem Honorarbescheid innewohnende Vorläufigkeit im Verhältnis zum Vertragsarzt insoweit aufgehoben, und die Kassenärztliche Vereinigung kann einen Honorarbescheid wegen anfänglicher Fehlerhaftigkeit nur noch unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurücknehmen. Unabhängig davon hat das Bundessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen das Vertrauen des Vertragsarztes auf die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Abrechnungsweise gegenüber rückwirkenden Bescheidkorrekturen im Zusammenhang mit der Erbringung fachfremder Leistungen für schutzwürdig gehalten (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R -, a.a.O. Rdnr. 27). Soweit die anfängliche Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides auf Fehlern bei den generellen Grundlagen der Honorarverteilung beruht, wird der Vertrauensschutz des Arztes durch die Grundsätze über die Anbringung von Vorläufigkeitshinweisen und deren inhaltliche und umfangmäßige Begrenzung realisiert (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R -, a.a.O., Rdnr. 28). In der Konstellation einer individuell fehlerhaften Rechtsanwendung der Kassenärztlichen Vereinigung bei Erlass des ursprünglichen Honorarbescheides können Honorarberichtigungen nach den einschlägigen bundesmantelvertraglichen Vorschriften über die nachträgliche Korrektur von anfänglich rechtswidrigen Honorarbescheiden durchgeführt werden, im Rahmen des Berichtigungsverfahrens sind aber die speziellen Vertrauensschutztatbestände des § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB X entsprechend heranzuziehen (vgl. zur Begründung im Einzelnen BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R -, a.a.O., Rdnr. 30-36).

Von einer solchen individuell fehlerhaften Rechtsanwendung der Beklagten ist auszugehen. Sie hat bei der ursprünglichen Budgetberechnung nach ihrem eigenen Vortrag eine fehlerhafte Berechnungsweise angewandt. Sie hat für die Errechnung des Gesamtbudgets das Netto-Honorar der jeweiligen Polikliniken anstatt des Brutto-Honorars zugrunde gelegt. Ein Fehler nach § 38 SGB X liegt damit keinesfalls vor, was die Beklagte zumindest im angefochtenen Widerspruchsbescheid erkannt hat. Damit kann eine Berichtigung nur unter Beachtung des § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB X erfolgen, was die Beklagte bisher offensichtlich nicht geprüft hat.

Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Nach § 45 Abs. 4 SGB X wird nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Vorliegend geht es um die Aufhebung für die Vergangenheit. Es kann hier dahinstehen, wie die Jahresfrist zu berechnen ist und von welchem Zeitpunkt an von einer Kenntnis der Beklagten auszugehen ist, jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen. Angesichts der von der Klägerin angeführten jahrelangen Praxis bzgl. der Berechnung der Budgetgrenze, was von der Beklagten nicht bestritten wird, kann auch nicht von einer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis der evtl. Rechtswidrigkeit der Klägerin ausgegangen werden. Offensichtlich bedurfte es auch erst der Mitwirkung des Revisionsamts der Beklagten, um die Feststellungen zu treffen.

Bei dieser Rechtslage konnte auch dahinstehen, wie eine über 15-jährige Untätigkeit der Beklagten bzgl. des Rückforderungsanspruchs der Beklagten zu würdigen ist. Jedenfalls sinkt ein evtl. öffentliches Vollziehungsinteresse angesichts dieser langen Untätigkeit gegen Null. Bei einer solch langen Untätigkeit ist kein Grund ersichtlich, dass die Behörde nicht ein Gerichtsverfahren bis zu einer evtl. Vollziehung abwarten könnte. Auch aus diesem Grund war dem Antrag stattzugeben.

Nach allem war dem Antrag stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der Streitwert war in Höhe der Honorarkürzung, hiervon 1/3 für das einstweilige Anordnungsverfahren festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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